Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.1.09

Die Seele der Blogger kocht, aber ist die Indizierung des Ana-Hanna-Blogs tatsächlich zu beanstanden?

Die Blogger-Szene befindet sich seit gestern in hellem Aufruhr. Erstmals hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)mit Beschluss vom 04.12.2008 ein Weblog in die Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen.

Diese Meldung hat viele Blogger in Rage versetzt, beim „lawblog“ finden sich schon weit mehr als hundert Kommentare zu der Meldung, fast durchgehend ist von Zensur die Rede und selbst Juristen bezeichnen den Beschluss des BPjM als „Dokument der Schande“.

Ausgerechnet ein Nichtjurist und einer der bekanntesten Köpfe unter den Bloggern, Johnny Haeusler von Spreeblick, hat die wütende und ablehnende Haltung der Blogger-Community kritisch hinterfragt.

Der hysterischen Reaktion der Blogger-Szene – ein gutes Beispiel sehen wir hier – sollten ein paar Fakten entgegengesetzt werden:

1.
Die Bundesprüfstelle ist für Internetinhalte und damit natürlich auch für Blogs zuständig. Nach § 18 Jugendschutzgesetz (JSchG) hat die Bundesprüfstelle Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen. Zu den Telemedien gehören u.a. Websites und Weblogs. Blogs nehmen hier keinerlei Sonderstellung ein.

2.
Die Bundesprüfstelle ist hier auf Antrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) tätig geworden. Die KJM gehört nach § 21 Abs. JSschG zum Kreis der Antragsberechtigten, d.h., die BPjM muss auf einen solchen Antrag hin aktiv werden und zwingend darüber entscheiden, ob das beanstandete Medium indiziert wird oder nicht.

3.
Wer hier voreilig von Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit spricht, der sollte vielleicht zuerst die Verfassung lesen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken u.a. in den gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch den Jugendschutz ist also bereits im Grundgesetz selbst angelegt.

4.
Der konkrete Beschluss der Bundesprüfstelle das Blog „http://ana-hanna.blogspot.com“ zu indizieren, ist plausibel begründet und enthält nach meiner Einschätzung keine offensichtlichen Rechtsfehler. Magersucht ist ein ernsthaftes Problem und stellt für Jugendliche eine erhebliche Gefahr dar. Ein BLOG, das suggestiv zur Magersucht auffordert, die Magersucht verharmlost und als Lebens- und Glaubensmodell glorifiziert, kann man als jugendgefährdend einstufen.

Die Bundesprüfstelle hat also eine Entscheidung getroffen, die sie nach der gesetzlichen Vorgabe, an die sie gebunden ist, wohl in dieser Form sogar treffen musste. Die Kritik muss sich also gegen das Jugendschutzkonzept unseres Staates richten und nicht gegen die Behörde, die Gesetze ausführt.

5.
Wenn ich in etwa jedem dritten Kommentar zum Thema vom Vorwurf der Willkür lese, dann muss ich mich sehr wundern. Von staatlicher Willkür spricht man dann, wenn ein Staat nach eigenem Gutdünken handelt oder wenn er Gesetze in einer nicht vertretbaren Art und Weise anwendet. Das Gegenteil von Willkür ist die Bindung des Staates an Recht und Gesetz, bei Behörden nennt man das Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

Im konkreten Fall hat die Bundesprüfstelle im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe eine Entscheidung getroffen, die juristisch (gut) vertretbar ist und jedenfalls keine offensichtlichen Rechtsfehler aufweist. Das ist gerade keine Willkür.

Das Niveau der Diskussion bei Heise und im „lawblog“ ist in weiten Teilen schlicht erbärmlich und geistlos.

Bob Dylan sang einst:
„We live in a political world,
Wisdom is thrown into jail,
It rots in a cell, is misguided as hell
Leaving no one to pick up a trail.“

Das passt nicht nur auf das Diskussionsniveau der Politik, sondern auch auf vieles, was ich z.B. im Heise-Forum lese. Die sachliche Diskussion, die auf nachvollziehbaren Überlegungen basiert, scheint langsam auszusterben.

posted by Stadler at 09:13  

15 Comments

  1. Das Problem ist im Kern ja nicht der eigentliche Beschluss der BPjM. Sondern deren Existenz.

    Es hat wohl niemand etwas dagegen, wenn Nazi-Propaganda von der BPjM aufgenommen wird. Aber bei gesellschaftlichen Themen wittern viele hier staatliche Bevormundung.

    In den 80ern hatte die damalige BPjS ja auch Bekanntschaft mit Jugendbands wie „Die Ärzte“ gemacht, weil deren Liedgut die Jugend sexualethisch desorientierend wirke. Nun, heute würde wohl niemand wegen solcher Lapalien ein Verbot der Zugänglichungmachung für Mj. (= wirtschaftlicher Tod für jedes Unternehmen) aussprechen.

    Die Wertevorstellungen ändern sich ebend im 10-Jahres-Takt. Nur die BPjM hinkt hinterher. Systembedingt allerdings. Man muss sich nur mal die Zusammensetzung dort anschauen. Die üblichen Verdächtigen sitzen da, ähnlich zum Rundfunkrat. Kirchenvertreter, „Jugendschützer“, usw. Man darf sich heutzutage schon fragen, mit welcher Berechtigung dort ein Sitz gewährt wird. Denn die schweigende Mehrheit wird da nicht vertreten. Der Rückgang des Einflußes der Kirche im echten Leben spiegelt sich nicht in solchen Gremien nieder. Von daher sind auch weltfremde Entscheidungen vielleicht auch besser erklärbar.

    Weltfremd? Ja, weltfremd. Denn dieser Kampf (und zufällig neues Betätitigungsfeld für die BPjM, die ihre Existenz ja auch selbst rechtfertigen muss) ist ja bereits jetzt schon verloren. Denn schließt man de facto ein Blog, entstehen 2 neue und man wird von staatlicher Seite vielleicht es noch schwerer haben die eigentlichen Betreiber zu identifizieren.

    Der Ansatz ist schlichtweg falsch gewählt, denn in diesen jungen Lesern ist bereits dieser Wunsch vorhanden. Das Wegschließen der Informationsquellen wird doch nicht diesen „Hunger“ (sic) nach Wissen stillen. Im Gegenteil. Das Verbotene wird die Kinder wohl eher noch mehr anlocken.

    Statt richtige staatliche Politik hier zu betreiben, also Aufklärung in Schule und Gesellschaft, kostenlose Schulessen bereitszustellen, Sportangebote zu fördern, macht der Staat genau das Gegenteilige. Aber er kann zumindest öffentlichkeitswirksam Scheinerfolge feiern.

    Das andere Problem mit dem Beschluss ist leider auch, dass sich hier die Freiheit des Internets rächt. Blogs leben nunmal vom offenen Zugang. Verbietet man diesen, stirbt das blog.

    Was würden ie sagen, wenn aus staatlichen Interessen (Terror, Jugendschutz, Sicherheit) plötzlich ein Gesetz erlassen wird, wonach jedes blog eine sichere Identifikation benötigen würde (alternativ: nur die Kommentarfunktion). Wäre das nicht auch ein riesiger Eingriff? Womit gerechtfertigt?

    Comment by Anonymous — 23.01, 2009 @ 12:39

  2. Das ist aber dann eine gesellschaftspolitische Diskssion über Sinn und Sinn des Jugendschutzkonzepts unseres Staats.

    Der Vergleich mit den Ärzten und Ihrer Platte „Ab 18“ passt nicht so ganz. Es geht hier nicht um Moralvorstellungen, die sicherlich sehr stark dem Wandel der Zeit unterliegen. Es geht auch nicht um den schwer greifbaren negativen Einfluss, der beispielsweise von „gewaltverherrlichenden“ Computerspielen ausgeht.

    Sondern es geht hier um eine handfeste Gesundheitsgefährdung durch Magersucht. Magersucht ist eine ernstzunehmende Krankeit, deren Beurteilung nicht dem Wandel der Zeit unterliegt.

    Mich stört aber vor allem die komplett unsachliche Aufgregtheit der Diksussion.

    Comment by Pavement — 23.01, 2009 @ 13:16

  3. “ Der konkrete Beschluss der Bundesprüfstelle… ist plausibel begründet und enthält nach meiner Einschätzung keine offensichtlichen Rechtsfehler.“

    In der Begründung vergleicht mal allen ernstes die nicht-Einnahme von Lebensmitteln mit Drogenkonsum und begründet damit die Indizierung.

    Eigentlich finde ich so ziemlich jeden Absatz lächerlich bis schmerzhaft in der Weise.

    Schlimmer als diesen Unfug an den man sich dank weltfremder Amtsrichter, galoppierendem Buskeismus, höriger Kommissionen etc… langsam gewöhnt haben mag, sidn diejenigen die meinen sowas auch noch quasi mittragen zu müssen. Und wen schon von keinen offensichtlichen Rechtsfehlern gesprochen wird, sollte man erst recht aufmerksam werden.

    Aber so ist das halt. Früher wurden beispielsweise Raucher ausgelacht und somit der Weg zu eigener Persönlichkeit geebnet.
    Heute dominieren Verbote die Gesellschaft als Ausdruck des Hinterherhinkens/Ängste/Starrheit.

    Nur offensichtliche Symptome einer überalterten Gesellschaft, die meint man könne per § die Welt regeln.

    #k.

    Comment by Kand.in.Sky — 23.01, 2009 @ 13:53

  4. Ich denke nicht, dass ich hysterisch bin. Insofern würde ich mich über eine Umformulierung freuen ;-)

    Comment by unkreativ — 23.01, 2009 @ 14:20

  5. Ich habe diese Entscheidung gelesen und bringe das auf folgenden Punkt: Kranken sei hiemit verboten, über ihre Krankheit zu schreiben, da das ansteckend wirke.

    Habe ich da was falsch verstanden?

    Stuff

    Comment by Anonymous — 23.01, 2009 @ 15:26

  6. @unkreativ: Ich habe nicht Sie, sondern Ihre Reaktion als hysterisch bezeichnet!

    Comment by Pavement — 23.01, 2009 @ 15:40

  7. @Anonym: Es geht nicht darum, das jemand seine Krankheitsgeschichte schildert. Das ist schon eine drastische Verzerrung dessen, was in diesem Blog tatsächlich zu lesen war.

    Comment by Pavement — 23.01, 2009 @ 15:41

  8. Tja, der Blog und das, was darin steht ist ja Ausdruck und Teil der Krankheit, irre ich mich da oder wurde dies in dem Entscheid nicht implizit angesprochen – ich habe den auf der Maschine daheim und nicht auf dem LapfTopf. Jedenfalls scheint es in .de per se jugendgefährdende Krankheiten zu geben und minderjährige haben womöglich jugendgefährdende Gedanken – hmm, ich meine ja nur, dieses merkwürdige Geräusch da im (internationalen) Hintergrund, ist das nicht Gelächter? Keine sitcom, rl!

    Stuff

    Comment by Anonymous — 23.01, 2009 @ 16:08

  9. @Anonym:
    Es mag Teil der Krankeit sein, dass man Magersucht verherrlicht und als Lebensmodell anderen zur Nachahmung empfiehlt.
    Aber gerade hier knüpft ja die Frage an. Besteht dadurch die Gefahr, dass sich Jugendliche beeinflussen lassen und diesem angeblichen Ideal nacheifern?
    Man muss diese Entscheidung der Bundesprüfstelle nicht für richtig halten. Mir leuchtet sie aber stärker ein, als die Indizierung von manchen pornografischen Inhalten oder Ballerspielen.

    Und den Vorwurf von Zensur und Willkür sollte man vielleicht nicht ganz so inflationär gebrauchen.

    Comment by Pavement — 23.01, 2009 @ 16:17

  10. Also ich sitz jetzt zu Hause am Computer und lese mir „_die_ Entscheidung“ etwas genauer durch und gerate an eine etwas merkwürdige Sentenz, die denn doch etwas völkisch auf mich wirkt:

    „„Das Erziehungsziel ist in unserer pluralistischen Gesellschaft vor allem dem Grundgesetz, insbesondere der Menschenwürde und den Grundrechten, aber auch den mit dem
    Grundgesetz übereinstimmenden pädagogischen Erkenntnissen und Wertmaßstäben, über die
    in der Gesellschaft Konsens besteht, zu entnehmen“ (Scholz, Jugendschutz, 3. Aufl. 1999, S. 48).“

    Irgendeinem, einem pensionierten Richter übrigens, ist ja schon aufgefallen, dass das Austauschen von „Grundgesetz“ mit „Willen des Führers“ die Texte überhaupt nicht ändert. Eine Verfassung – nebstbei, ist ja keine, überhaupt gibt es in Deutschland ja allerlei Surrogatbezeichnungen für Einrichtungen einer bürgerlichen Republik wie etwa Staatsangehörigkeit statt Staatsbürgerschaft, Grundgesetz (für!!) die Bundesrepublik Deutschland statt Konstitution/Verfassung – aber, ok, eine Verfassung, die „Lebensziele“ vorgibt, also den guten vom bösen Menschen trennt, ist alles mögliche, aber keine _bürgerliche_ Verfassung. Und dass jedes Gutmeingremium – als GmbH organisiert – den Willen des Führers – pardon, die Verfassung, ahem, das Grundgesetz für das Wahre, Schöne und Allerbeste und auch gleich das Kindeswohl für die Landeskinder formuliert und in den entscheidenden Gremien die „Berater“ stellt – nein, keine sitcom, die lachen wirklich.

    Comment by Anonymous — 23.01, 2009 @ 21:35

  11. @Anonym Sorry, aber damit kann ich gar nichts anfangen. Der Vergleich mit der NS ist einfach daneben

    Comment by Pavement — 24.01, 2009 @ 10:40

  12. Wenn das doch alles so toll ist, warum hungern wir uns dann nicht alle bis zum Streicholz herunter und bloggen darüber in verherrlichender Weise, weil es eben so wahnsinnig schick ist und ach so glücklich macht?

    Oder ist es vielleicht anders? Muß man die vielleicht Labilen, Unsicheren schützen, damit diese nicht etwas nachahmen, das sie vielleicht fehleinschätzen? Sind alle Menschen so gefestigt, dass sie einen derartigen Blog unbeschadet aushalten können?

    Comment by Anonymous — 24.01, 2009 @ 15:48

  13. Grad mal 94 Jahre alt:
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    Das Gefühl des neudeutschen Menschen, daß er sich selbst keine höhere Bestimmung zuerkennen dürfe als die, eine Präzisionsuhr zu sein, hat eine
    Redensart gefunden, deren smarte Häßlichkeit durch ihre bündige Wahrheit versöhnt. Man spricht davon, irgendwo sei eine Gesellschaft versammelt gewesen, in der außer Künstlern und Bohemiengs sogar Prinzen bemerkt wurden. Da setzt man denn, damit es nur sicher geglaubt werde, gleich hinzu: »richtiggehende Prinzen«. Adel und Schönheit, Liebe und Kunst, Tag und Traum, Krieg und Friede, Zufall und Schicksal — alles geht richtig. Man muß den Menschen, wenn er einmal erzeugt ist, nur aufziehen, dann geht er schon von alleine richtig. Eine weitere Gebrauchsanweisung erübrigt sich … Und da wundert man sich, daß im Instinkt der umgebenden Menschheit etwas gegen ein Verfahren rebelliert, das als patentierter Instinktersparer den Menschen so weit gebracht hat, pünktlich dort zu sein, wohin ihn Gott nicht bestellt hat, und pünktlich dort zu fehlen, wo Gott so lange vergebens gewartet hat.

    Karl Kraus, „Die Fackel“, Heft 406-412, 5.10.1915, XVII. Jahr

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    Nunja, leicht veraltet, Uhrwerke sind out.

    Stuff

    Comment by Anonymous — 24.01, 2009 @ 16:11

  14. Sicher schränkt das GG auch die Meinungsfreiheit ein, hier wurde aber eine generell Entfernung veranlasst. Das kann nicht im Sinne des Grundgesetzes sein.
    Mit gleichem Recht müsste dann jeder Text, der Rauchen oder Alkoholgenuß (nicht mal unbedingt Alkoholmißbrauch) positiv darstellt jugendgefährdend sein. Und diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
    Es wird vielfach unsachlich diskutiert, aber für mich hat die BPjM überreagiert. Die Verpflichtung zu Warnhinweisen war eine in einem anderen Forum vorgeschlagene Vorgehensweise, die imho salomonischer gewesen wäre.

    Comment by Anonymous — 24.01, 2009 @ 19:55

  15. @Pavement:

    Sie koennen mit dem Text nichts anfangen? Gegen oder wegen des Vergleiches mit „der NS“? Wer ist diese Madame „NS“?

    Gruss aus der Slowakei

    belef

    Comment by Anonymous — 24.01, 2009 @ 20:42

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