Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

26.4.15

Nichts Neues vom BND

Hintergrund der aktuellen BND-Affäre ist die Erkenntnis, dass der Bundesnachrichtendienst der NSA dabei geholfen hat, europäische Unternehmen und europäische Institutionen und Politiker auszuspähen. Eine Erkenntnis die wenig Neuigkeitswert hat, außer, dass es vielleicht neue Belege für die Wirtschafts- und Politspionage der NSA und die Hilfeleistung des Bundesnachrichtendiensts gibt. Die grundlegende Tatsache als solche ist altbekannt. Die öffentlichen Erklärungen der Politik sind ebenfalls wie gehabt. Thomas Oppermann (SPD) – der für mich exemplarisch für die insoweit geschlossenen Reihen der Spitzenpolitiker steht – hat sich laut SPON wie folgt geäußert:

Im BND scheint es Bereiche zu geben, in denen sich ein von Vorschriften und Rechtslage ungestörtes Eigenleben entwickelt hat.

Wenn ich so etwas lese, frage ich mich ernsthaft, wo Herr Oppermann die letzten Monate und Jahre war und ob es sich hier um eine besonders ausgeprägte Form von Naivität handelt oder doch nur um die geheuchelte Empörung eines Politikers, der seit langer Zeit weiß was läuft.

Dass der BND ein Eigenleben führt und sich wenig bis gar nicht um (verfassungs-)rechtliche Vorgaben kümmert, ist etwas, was sich dem halbwegs aufmerksamen Beobachter seit längerer Zeit förmlich aufdrängt. Dass der BND dabei von der Bundesregierung faktisch nicht kontrolliert wird, obwohl die Dienst- unf Fachaufsicht bei ihr liegt und die parlamentarische Kontrolle nicht im Ansatz funktioniert, sind ebenfalls Dinge, die hinlänglich bekannt sind. Auch wenn sie möglicherweise noch nicht vollständig in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit vorgedrungen sind.

Die Reaktion der Politik ist dieselbe wie seit Jahren. Man gibt sich überrascht und verspricht Aufklärung. Dabei kennt die Politik die Abläufe und Zusammenhänge seit langer Zeit. Ihre Überraschung ist nur geheuchelt. Aufklärung wird es deshalb auch dieses Mal keine geben. Vielleicht muss BND-Präsident Schindler tatsächlich zurücktreten, aber er wäre nur das Bauernopfer, das gewährleistet, dass die grundlegenden Strukturen unangetastet bleiben.

Die aktuelle Berichterstattung legt aber zumindest den Blick auf ein Phänomen frei, das man nur als absurd bezeichnen kann. Der BND hilft den US-Diensten bei einer Spionage, deren Ziel die deutsche und europäische Wirtschaft und Politik ist. Die tatsächliche Aufgabe der deutschen Dienste ist es allerdings, genau diese Art der Spionage abzuwehren und zu verhindern. Hier wäre letztlich auch die Frage zu stellen, ob nicht die Begehung von Straftaten nach § 93 ff. StGB durch Mitarbeiter des BND im Raum steht.

Man kann vor diesem Hintergrund gar nicht oft genug betonen, dass die Tätigkeit von Geheimdiensten eine Gefahr für einen freiheitlichen Rechtsstaat darstellt, weshalb bei den Diensten die Systemfrage zu stellen ist. Solange das kein Politiker ernsthaft macht, wird sich Spirale der gespielten Empörung und der anschließenden Nichtaufklärung nicht nur fortsetzen, sondern immer schneller drehen.

posted by Stadler at 13:04  

3.12.14

Warum funktioniert die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht?

Was der NSA-Untersuchungsausschuss zu den Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zutage fördert, belegt, was man schon immer vermuten musste. Die parlamentarische Kontrolle der (deutschen) Geheimdienste funktioniert nicht nur nicht gut, sie funktioniert überhaupt nicht. Es handelt sich um ein rechtsstaatliches Placebo, das als Korrektiv vollständig versagt hat. Der verfassungsrechtliche Sündenfall beginnt bereits mit Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG der lautet:

Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Diese Regelung im Grundgesetz wurde 1968 durch die sog. Notstandsgesetze eingefügt. Sie schränkt den effektiven Rechtsschutz den Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet, ein und stellt meines Erachtens neben der Asylregelung der 90’er Jahre die wesentliche freiheitsfeindliche Einschränkung des Grundrechtsschutzes gegenüber der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes dar.

Dennnoch verfügt das Parlament im Grunde über alle notwendigen gesetzlichen Instrumentarien um die Dienste effektiv zu kontrollieren. Allein die Abgeordneten machen davon keinen Gebrauch. Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (PKGrG) gibt dem Parlament weitreichende Möglichkeiten. § 4 Abs. 1 PKGrG besagt:

Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregierung auch über sonstige Vorgänge zu berichten.

Es kommt aber in § 5 Abs. 1 und 2 PKGrG noch besser:

Soweit sein Recht auf Kontrolle reicht, kann das Parlamentarische Kontrollgremium von der Bundesregierung und den in § 1 genannten Behörden verlangen, Akten oder andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke (…) herauszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln sowie Zutritt zu sämtlichen Dienststellen der in § 1 genannten Behörden zu erhalten.
Es kann Angehörige der Nachrichtendienste, Mitarbeiter und Mitglieder der Bundesregierung sowie Beschäftigte anderer Bundesbehörden nach Unterrichtung der Bundesregierung befragen oder von ihnen schriftliche Auskünfte einholen.

Bereits die Lektüre dieser gesetzlichen Vorschriften zeigt, dass die Parlamentarier jede Menge Möglichkeiten haben, bis hin zu Zutrittsbefugnissen bei den Diensten.

Wie die Wirklichkeit aussieht, möchte ich anhand der aktuellen Praxis der TK-Überwachung durch den BND erläutern. Der BND erhebt Meta-Daten und Inhalte von E-Mails in großem Stil. Wer daran bislang noch zweifelte, wird nicht nur durch die Aussagen von BND-Mitarbeitern im NSA-Untersuchungsausschuss widerlegt, sondern auch durch eine aufschlussreiche Passage in einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.05.2014.

Im Urteil (Rn. 24) wird beschrieben, dass der vom BND verpflichtete TK-Betreiber den gesamten Telekommunikationsverkehr an den BND ausleitet. Der TK-Verkehr wird also nicht erst anhand von Suchbegriffen erfasst, wie es die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 2 G-10-Gesetz an sich vorsieht. Vielmehr dienen die Suchbegriffe nur der Durchsuchung eines zuvor vom BND bereits erfassten und gespeichterten Datenpools.

Der BND speichert also Metadaten und Inhalte von E-Mails in großem Umfang und wertet diese anschließend aus. Obwohl bereits dies einen Eingriff in Art. 10 GG darstellt, findet man in der jährlichen Unterrichtung des Bundestages durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) dazu rein gar nichts. Das BVerwG hat unlängst klargestellt, dass jede Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von Kommunikationsdaten eines Bürgers in den Schutzbereich von Art. 10 GG eingreift. Die Existenz dieses riesigen Datenpools, der auf einem Grundrechtseingriff von enormem Ausmaß basiert, wird in der jährlichen Unterrichtung des Bundestages schlicht verschwiegen. Der jährliche Bericht suggeriert vielmehr, dass nur einige Millionen E-Mails pro Jahr ausgewertet werden. Diese Darstellung verharmlost und verzerrt das tasächliche Ausmaß der TK-Überwachung durch den BND vollständig.

Die Bundesregierung und der BND informieren das Parlament über das tatsächliche Ausmaß der TK-Überwachung durch den BND also nicht. Die fast zynische Haltung der Bundesregierung wird deutlich, wenn man sich ihre Antworten auf eine kleine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion ansieht:

Frage: Hält die Bundesregierung weiterhin an ihrer Aussage fest, dass Bundesbehörden keine einzelnen Metadaten in großen lnternetknoten wie DE-CIX filtern, obwohl dies vom Abhördienstleister und Zulieferer deutscher Behörden Utimaco berichtet wird?

Antwort: Der Bundesregierung ist eine solche Aussage nicht bekannt.

Frage: Falls die Bundesregierung nicht an ihrer Aussage festhält, inwiefern und auf welche Weise werden der Internetknoten DE-CIX bzw. andere entsprechende Schnittstellen von Glasfaserkabeln durch welche Bundesbehörden überwacht?

Antwort: Auf den VS-Geheim eingestuften Antwortteil gemäß Vorbemerkung wird verwiesen.

Zusammengefasst sagt die Bundesregierung also folgendes: Wir haben doch nie behauptet, dass der BND am DE-CIX und anderen Internetnoten keine Metadaten ausfiltert. Was der BND genau macht und in welchem Umfang Metadaten erfasst werden, sagen wir aber nicht, da geheimhaltungsbedürftig.

Warum aber lässt sich das Parlament von Bundesregierung und BND derart am Nasenring durch die Manege führen? Der Umstand, dass die jeweilige Bundesregierung auch immer die Bundestagsmehrheit hinter sich hat, ist als Begründung naheliegend, aber nicht ausreichend. Wir haben es insgesamt mit einem politischen System zu tun, das sich mehrheitlich de facto nicht (mehr) vorrangig an den Vorgaben der Verfassung orientiert und an den Interessen der Bürger. Dieses politische System ist deshalb schon gar nicht willens, die Geheimdienste effektiv zu kontrollieren und die Einhaltung der rechtsstaatlichen Vorgaben zu gewährleisten.

Es bleibt daher vermutlich einmal mehr nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht, zumal der öffentliche Druck in diesen Fragen zwar da ist und auf einem gewissen (niedrigen) Level auch anhält, aber nicht ausreichend sein dürfte, um letztlich die rechtsstaatlich gebotene Eindämmung der Massenüberwachung durch die Geheimdienste zu bewirken.

posted by Stadler at 11:16  

28.11.14

BND hält offenbar Totalüberwachung für weitgehend rechtlich zulässig

Das Interessanteste an der vieldiskutierten Anhörung des (ehemaligen) BND-Juristen Stefan Burbaum im NSA-Untersuchungsausschuss ist seine Aussage zur Auslegeung von § 10 Abs. 4 S. 2 G10-Gesetz. Die Vorschrift lautet:

Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des § 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom Hundert betragen.

In der Überwachungsanordnung in Fällen des § 5 (sog. strategische Fernmeldekontrolle) muss festgelegt werden, welcher Anteil der auf den Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf, wobei dieser Anteil höchstens 20 % betragen darf.

Der BND versteht das nach der Aussage von Burbaum explizit so, dass bei einer Leitung, die nur zu 10 % ausgelastet ist, der gesamte Traffic abgegriffen werden darf. Die gesetzliche Einschränkung läuft also in diesem Fall leer. Da die Auslastung der Datenleitungen in sehr vielen Fällen unterhalb der 20%-Marke liegen dürfte, würde dies (nahezu) eine Komplettüberwachung legitimieren.

Kaum minder interessant ist die auch von Burbaum wieder angesprochene „Funktionsträgertheorie“ des BND, die besagt, dass jemand, der für eine ausländische juristische Person tätig ist, als deren Funktionsträger gilt und deshalb nicht mehr den Schutz der Grundrechte genießen soll, selbst dann, wenn er deutscher Staatsbürger ist. Da das BVerfG den Begriff der juristischen Person im Sinne von § 19 Abs. 3 GG – aus Gründen eines effektiven Grundrechtsschutzes wohlgemerkt – wei auslegt, fallen darunter auch nicht rechtsfähige Organisationen.

Das was man im Verfassungsrecht allerdings klassischerweise als Funktionsträgertheorie kennt, besagt etwas ganz anderes. Hierbei geht es nämlich um die Frage, ob ein Funktionsträger des Staates, beispielsweise ein Polizeibeamter, gleichzeitig Grundrechtsberechtigter sein kann. Das ist deshalb problematisch, weil in diesem Fall der für den Staat handelnde Polizeibeamte damit gleichzeitig Grundrechtsberechtigter und -verpflichteter wäre. Diese Kollision kann sich aber beim Funktionsträger nach Lesart des BND überhaupt nicht ergeben.

Das Konstrukt des BND versucht sich den Umstand zunutze zu machen, dass die Grundrechte grundsätzlich (nur) für inländische juristische Personen gelten (Art. 19 Abs. 3 GG). Hieraus folgt allerdings kein Grundrechtsausschluss für Funktionsträger juristischer Personen, soweit es sich nicht um Hoheitsträger handelt. Das Fernmeldegeheimnis schützt jedermann vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Betroffener eines solchen Eingriffs ist zunächst immer eine natürliche Personen, denn juristische Personen können nicht selbst kommunizieren. Wenn also eine inländische juristische Person betroffen ist, dann kann diese in ihrem eigenen Grundrecht betroffen sein, was aber nicht bedeutet, dass der abgehörte Mitarbeiter der juristischen Person deshalb seinen individuellen Grundrechtsschutz verliert. Denn schließlich ist es seine Individualkommunikation die überwacht wird. Dasselbe gilt spiegelbildlich auch für ausländische juristische Personen. Diese können sich, nach durchaus umstrittener Ansicht, selbt zwar nicht auf das Grundrecht berufen, der Grundrechtsschutz ihrer Mitarbeiter bleibt deshalb aber erhalten. Man hat hier im übrigen auch das Problem, dass das bei der strategischen Fernmeldekontrolle angewandte Staubsaugerprinzip natürlich nicht in der Lage ist, festzustellen, ob jemand im Einzelfall als Funktionsträger einer Organisation teelfoniert oder mailt oder vielleicht doch privat.

Der BND liefert eine weitere haarsträubende Rechtsauslegung, die keiner seriösen juristischen Bewertung standhält. Es zeigt sich einmal mehr, dass es dem BND einzig und allein darum geht, die Grundrechte auszuhebeln, wo es nur geht. Das entspricht einer leider auch in der Politik verbreiteten Tendenz, das Grundgesetz und die Grundrechte als Störfaktor zu betrachten. Und deshalb stützt die Bundesregierung das rechtswidrige Treiben des BND auch. Man würde sich in diesem Punkt dann zumindest wünschen, dass sich Merkel und ihr Kabinett offen dazu bekennen. Aber wenn es dieser Regierung an einem fehlt, dann ist es der Mut zur Wahrheit.

posted by Stadler at 15:32  

14.11.14

Das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND ist nicht von dieser Welt

Darüber, dass der BND ein eigenartiges Rechts- und Verfassungsverständnis hat, habe ich vor einiger Zeit hier schon gebloggt. Gestern hat ein hochrangiger Beamter des BND im NSA-Untersuchungsausschuss die Auffassung vertreten, dass Menschen, die der BND im Ausland überwacht, sog. Funktionsträger seien und damit keine Grundrechtsträger. Kai Biermann hat hierfür bei ZEIT-Online mit „Die Anarchos vom BND“ die richtige Überschrift gewählt.

Bei derartigem juristischem Unfug muss jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Staastrecht und Grundrechtsdogmatik befasst hat, tief durchatmen. Art. 10 GG ist ein sog. Jedermannsrecht. Geschützt ist also jede Person, nicht nur der deutsche Staatbürger. Der persönliche Schutzbereich erstreckt sich natürlich auch und gerade auf solche Menschen, denen staatliche Behörden eine rechtswidrige Handlung vorwerfen. Denn gerade ihrem Schutz dienen die Grundrechte ja. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Der sachliche und persönliche Schutzbereich eines Grundrechts wird nicht von Behörden definiert und steht auch nicht zu ihrer Disposition.

Hätte das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND, das definitiv nicht von dieser Welt ist, nicht so ernsthafte und weitreichende Folgen, müsste man es schlicht als albern bezeichnen. Die fehlende rechtsstaatliche Gesinnung, die die Behörde Bundesnachrichtendienst offenbar wie einen roten Faden durchzieht, stellt für diesen Staat und diese Gesellschaft aber leider ein ernsthaftes Problem dar.

posted by Stadler at 17:45  

14.10.14

Wir brauchen mehr Whistleblower

Über die seit einigen Monaten kolportierte These von einem zweiten Whistleblower bei der NSA wird gerade wieder verstärkt berichtet, unter anderem wohl auch wegen des Dokumentarfilms „Citizenfour“ von Laura Poitras.

In der Tat wäre es eine gute Nachricht, wenn es nicht nur einen Snowden geben würde, sondern viele. Und das nicht nur bei den US-Diensten, sondern zum Beispiel auch in Großbritannien oder Deutschland, also überall dort, wo es ernsthafte Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Dienste Recht und Verfassung brechen. In Deutschland ist der Rechtsbruch des BND mittlerweile praktisch offenkundig, allerdings wissen wir noch lange nicht genug über sein tatsächliches Ausmaß.

Während der massive Rechtsbruch durch Geheimdienste bislang nur wenig Konsequenzen hat, werden Whistleblower wie Edward Snowden vielfach weiterhin als Verräter betrachtet und geächtet. In den USA lassen sich zahlreiche Unterstützer der These, Snowden habe die nationale Sicherheit der USA gefährdet, finden.

Aber welche andere Möglichkeit als das Whistleblowertum gibt es, den Rechtsbruch der Dienste ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen? Die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten funktioniert nirgendwo auf der Welt. Der Druck einer kritischen Öffentlichkeit scheint das einzige halbwegs erfolgsversprechende Korrektiv zu sein, das überhaupt noch Hoffnung auf Veränderungen bietet, die erforderlich sind um die Grundrechte der Bürger weltweit zu schützen. Aber diese kritische Öffentlichkeit muss informiert werden und die notwendigen Informationen kommen derzeit leider fast ausschließlich von Whistleblowern.

Die Entwicklung der letzten Zeit hat deutlich gemacht, dass gegen das rechtswidrige Treiben von Geheimdiensten ausschließlich Transparenz hilft und staatliche Vorgaben zur Geheimhaltung in Wahrheit häufig nur der Vertuschung von Rechtsbrüchen dienen.

Geheimdienste in ihrer aktuellen Ausprägung gefährden die Demokratie und das Recht kann nicht auf Seiten derer stehen, die unsere Grundrechte verletzen. Heribert Prantl hat es, in einem seiner besten Texte (Süddeutsche Nr. 130, Pfingsten, 7./8./9.Juni 2014, S. 11), dahingehend formuliert, dass die globale Überwachungstechnik ebenso wie einst die Folter das Unvermögen und den Unwillen widerspiegle, auf rechtsstaatliche Weise zur Wahrheitsfindung zu gelangen. Überwachung sei daher, so Prantl, eine subtile Vorform der Folter, die geächtet werden muss. Besser kann man es nicht formulieren.

Selbst wenn sich Whistleblower nach nationalen Vorschriften des Geheimnisverrats schuldig machen, kann man einen Snowden, der auf erhebliche Missstände bei den US-Diensten hingewiesen hat, nicht als Verräter betrachten, zumal wenn das gesamte rechtsstaatliche Kontrollsystem versagt und das Öffentlichmachen von rechtswidrigen Praktiken der einzige Weg ist, gegen die erkannten Missstände vorzugehen. Whistleblower wie Snowden machen sich nämlich um den Schutz der Grundrechte und des demokratischen Rechtsstaats verdient. Das wirkliche Unrecht besteht in ihrer Ächtung und Verfolgung. Es ist die Verfolgung von Whistleblowern, die rechtsstaatliche Defizite offenbart. Als Bürger müssen wir deshalb auf viele Snowdens hoffen, überall auf der Welt.

posted by Stadler at 09:01  

10.10.14

BND-Präsident Schindler: Völlig losgelöst von der Erde

Als ich den Hinweis auf diesen ZEIT-Online-Artikel auf Twitter gesehen habe, kam mir zuerst das hervorragende Satiremagazin Postillon in den Sinn. Die Aussage von BND-Präsident Schindler, wonach die Satellitendaten die der BND in Bad Aibling erhebt, ja eigentlich im Weltall erhoben werden, in dem keine deutschen Gesetze gelten, ist aber ganz offensichtlich keine Erfindung des Postillon, obwohl sie exakt danach klingt.

Das was BND-Präsident Schindler sagt, entspricht offenbar auch der Rechtsauffassung der Bundesregierung. Diese geht nämlich davon aus, dass es für die Auslandsaufklärung des BND überhaupt keiner speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss (S. 16 ff.) bereits deutlich kritisiert.

Das BVerfG hat bereits 1999 entschieden, dass das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG jedenfalls dann gilt, wenn ausländischer Fernmeldeverkehr mit Überwachungsanlagen aufgezeichnet wird, die sich auf deutschem Boden befinden. In der letzten Entscheidung des BVerfG zum G 10 heißt es ganz ausdrücklich:

Dabei wird bereits durch die Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen des Bundesnachrichtendienstes eine technisch-informationelle Beziehung zu den jeweiligen Kommunikationsteilnehmern und ein – den Eigenarten von Daten und Informationen entsprechender – Gebietskontakt hergestellt. Auch die Auswertung der so erfaßten Telekommunikationsvorgänge durch den Bundesnachrichtendienst findet auf deutschem Boden statt. Unter diesen Umständen ist aber auch eine Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland derart verknüpft, daß die Bindung durch Art. 10 GG selbst dann eingreift, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte.

(…)

Die Überwachung und Aufzeichnung internationaler nicht leitungsgebundener Telekommunikationen durch den Bundesnachrichtendienst greift in das Fernmeldegeheimnis ein.

Es ist also bereits eindeutig entschieden, dass Art. 10 GG zumindest dann gilt, wenn die Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung der TK-Vorgänge auf deutschem Boden stattfinden. Das was der BND in Bad Aibling macht, unterliegt also einer vollständigen Grundrechtsbindung. Einfachgesetzlich bedeutet das, dass ausreichend klare Eingriffsermächtigungen vorliegen müssen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Normklarheit genügen. Wenn der sachliche Schutzbereich von Art. 10 GG eröffnet ist, kommt es für den Grundrechtsschutz weder auf die Staatsangehörigkeit noch auf auf den Aufenthaltsort des Kommunikationsteilnehmers an.

Der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker zieht in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss daraus folgende, zwingende Schlussfolgerung:

Die gegenwärtige Praxis der Auslandsaufklärung ist darum rechtswidrig und muss in dieser Form gestoppt werden. Um einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen, könnte die strategische Auslandsaufklärung auf § 5 G 10 gestützt werden, der nach seinem Wortlaut als Rechtsgrundlage passt. Der BND müsste dann allerdings auch das gesetzlich vorgesehene Verfahren einhalten, um eine solche Aufklärung durchzuführen. Insbesondere wäre er der Kontrolle der G 10-Kommission unterworfen.

Der BND agiert also manchmal im Weltraum und dabei stets und in jedem Fall wie in dem alten NDW-Hit völlig losgelöst von der Erde. Und nicht nur das, er agiert damit leider auch völlig losgelöst von den Grundrechten in einem – nach eigenem Verständnis – gänzlich grundrechtsfreien Raum.

Man möchte deshalb gerade auch den Unionspolitikern, die uns matraartig immer wieder erklärt haben, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei, zurufen: Sorgt bitte dafür, dass der BND das Internet nicht weiter zum grundrechtsfreien Raum machen kann. Stoppt den Verfassungsbruch!

posted by Stadler at 15:31  

10.10.14

Innenansichten aus dem Verfassungsschutz

WDR und SWR senden nächste Woche die Dokumentation „Spitzel und Spione – Innenansichten aus dem Verfassungsschutz“ (WDR 13.10. 22:00 Uhr und SWR 15.10. 20:15 Uhr). Ich hatte Gelegenheit mir den sehenswerten Film von Holger Schmidt und Egmont R. Koch vorab anzuschauen.

Für den Film wurden insgesamt 40 Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden interviewt, die für die Interviews z.T. maskiert worden sind. Die ARD-Journalisten führen u.a. auch ein Interview mit der Präsidentin des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, die jedenfalls im Filmbeitrag mit dem Fahrrad und Rucksack auf dem Rücken zum Dienst fährt, wodurch offenbar Normalität ausgedrückt und ausgestrahlt werden soll.

Das Bundesamt hatte, anders als einige Landesämter, eine Mitwirkung an dem Filmprojekt abgelehnt, weil Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in keinem Film auftreten will, in dem der frühere Mitarbeiter und jetzige Kritiker des Bundesamts Winfried Ridder ebenfalls zu Wort kommt. Auch das ist eine interessante Haltung.

Der Filmbeitrag zeichnet ein Bild von z.T. selbstkritischen Verfassungsschützern, die allerdings ihrem Anspruch – wie es der Kritiker Winfried Ridder formuliert – ein Frühwarnsystem für Gefährdungsentwicklungen zu sein, nicht gerecht geworden sind.

Kritisch wird in dem Film auch der Umstand hinterfragt, dass der Verfassungsschutz für Informationen aus der rechten Szene Geld bezahlt und hierbei nicht auszuschließen ist, dass diese Zahlungen des Staates wiederum dazu dienen können, rechte Organisationen und Strukturen auf- und auszubauen. Der V-Mann als klassisches Mittel der Arbeit des Verfassungsschutzes wird damit letztlich in Frage gestellt.

Der Film befragt die Verfassungsschützer außerdem auch zu der Person und Rolle Edward Snowdens. Die Antworten sind uneinheitlich. Anders als zu erwarten, wird Snowden nicht von allen Verfassungsschützern (nur) als Verräter betrachtet.

Der Film stellt einige bereits bekannte Fragen, liefert aber wenig konkrete Antworten, was vermutlich aber auch nicht die Zielsetzung der Macher gewesen ist. Die hohe Interviewdichte vermittelt vor allem ein Stimmungsbild und Einblicke in die Selbsteinschätzung der Verfassungsschützer. Man muss an diesem Punkt allerdings auch die Frage stellen, ob und in welchem Umfang die befragten Mitarbeiter für dieses Filmprojekt von ihrer Behörde gebrieft wurden. Denn zumindest bei einigen Verfassungsschutzbehörden scheint man mittlerweile erkannt zu haben, dass eine positive Außendarstellung nötig ist, weil die Reputation und Akzeptanz der Verfassungsschützer speziell nach den NSU-Morden nicht gerade hoch ist.

Die Dokumentation ist in jedem Fall sehenswert.

posted by Stadler at 11:21  

4.10.14

Im rechtsfreien Raum

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Wochenendausgabe ausführlich über eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA auf deutschem Boden, die u.a. zum Gegenstand hatte, TK-Rohdaten an den US-Dienst zu übermitteln, die der BND zuvor massenhaft am Internetknotenpunkt in Frankfurt ausgeleitet hatte. Der BND hat, bevor die Weiterleitung an die NSA erfolgte, mit einem allerdings unzureichenden Technik versucht, die Kommunikation deutscher Staatsbürger auszufiltern. Die Zusammenarbeit von BND und NSA hat laut Informationen der SZ in dieser Form von 2004 bis 2008 gedauert. Die Süddeutsche beruft sich auf streng geheime Unterlagen zu dem Projekt „Eikonal“, die die Bundesregierung dem NSA-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat und die offenbar auch dem Rechercheteam aus SZ, NDR und WDR vorliegen. Die Zusammenarbeit und auch die Weiterleitung von Rohdaten an die NSA ist nach Angaben der SZ vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier genehmigt worden. Die Operation sei dann 2008 eingestellt worden, als man beim BND bemerkt habe, dass die USA auch versucht haben, Konzerne wie EADS und französische Behörden auf diesem Weg auszuspionieren.

In der Berichterstattung der SZ und nicht nur dort wird es als besonders bedenklich bezeichnet, dass auch Daten von Bundesbürgern an die NSA weitergeleitet worden sind.

Aber schon diese juristische Bewertung ist zweifelhaft.

Der BND darf nach dem § 5 G10-Gesetz nur internationale Telekommunikation überwachen. Das bedeutet, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhalten muss. Reine Inlandskommunikation darf der BND nach dem Gesetz erst gar nicht erfassen. Es kommt also überhaupt nicht darauf an, ob ein Kommunikationsteilnehmer deutscher Staatsbürger ist.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht darstellt, sondern grundsätzlich auch ausländische Telekommunikationsteilnehmer schützt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist bereits die Überwachung eines inländischen Internetknotenpunkts durch den BND von vornherein unzulässig, weil davon ausgegangen werden muss, dass an solchen Knotenpunkten überwiegend oder in jedenfalls beträchtlichem Umfang keine internationale, sondern rein inländische Kommunikation durchgeleitet wird. Wenn bereits die Überwachung inländischer Knotenpunkte durch den BND rechtswidrig ist, hätten folglich auch die Genehmigung dieser Maßnahme durch das Bundeskanzleramt und die Billigung durch das parlamentarische Kontrollgremium nie ergehen dürfen. Dass der BND inländische Internetknotenpunkte überwacht, ist allerdings keine neue Erkenntnis und konnte bereits aus dem Antwortverhalten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen geschlossen werden.

Unabhängig davon stellt sich in rechtlicher Hinsicht zusätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang Daten, die der BND aus der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erlangt hat, an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden dürfen.

Die Übermittlung von TK-Daten durch den BND an ausländische Stellen, ist im G10-Gesetz ausdrücklich geregelt. Dort heißt es in § 7a:

Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit

1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist,
2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und
3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.
Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.

Eine Datenübermittlung ist also gesetzlich nur in engen Grenzen vorgesehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist nur dann möglich, wenn zuvor eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden ist. Eine Übermittlung von Rohdaten in großem Stil ist daher gesetzlich ausgeschlossen und mithin rechtswidrig. In der Anhörung im NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker sogar die Auffassung vertreten, dass der BND überhaupt keine Rohdaten an ausländische Dienste übermitteln darf. Die im Bericht der SZ geschilderte Übermittlung von Rohdaten an die NSA ist also schon vom G10-Gesetz nicht gedeckt.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sowohl die Erhebung von TK-Rohdaten an inländischen Knotenpunkten durch den BND, als auch erst recht die Übermittlung an die NSA bereits nach dem einfachen Recht klar rechtswidrig ist. Dass das G10-Gesetz von führenden Verfassungsrechtlern als teilweise verfassungswidrig angesehen wird, kommt da nur noch erschwerend hinzu.

Die Berichterstattung der SZ belegt also, dass beim BND ein organisierter und systematischer Rechtsbruch stattfindet und dies mit Genehmigung der Bundesregierung und teilweiser Billigung des Parlaments. Der BND bewegt sich faktisch im rechtsfreien Raum und schreckt auch vor einem offensichtlichen Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Dieser Umstand muss dann allerdings in die Schlussfolgerung münden, dass wir es hier mit einer veritablen Verfassungskrise zu tun haben und das Grundrecht aus Art. 10 GG das Papier nicht mehr wert ist, auf dem das Grundgesetz einmal gedruckt worden ist. Heribert Prantl kommentiert das völlig zutreffend als den „Totalverlust eines Grundrechts“.

Man darf vielleicht bereits die Frage stellen, ob dieser eklatante und offensichtliche Rechtsbruch angesichts des Umstands, dass eine massenhafte Übermittlung von Rohdaten an US-Dienste stattgefunden hat, gegen Mitarbeiter des BND und Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht bereits den Anfangsverdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik und zugunsten der USA begründet. Es steht dennoch kaum zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt hierzu Ermittlungen aufnehmen wird. Man wird vermutlich höchstens nach der undichten Stelle suchen, die die Dokumente an die SZ weitergegeben hat. Bei dem Eid, den ein Frank-Walter Steinmeier als Minister in unterschiedlichen Bundesregierungen auf die deutsche Verfassung geschworen hat, scheint es sich jedenfalls um einen Meineid zu handeln.

Update:
§ 7 a G10-Gesetz ist erst im Jahre 2009 in Kraft getreten – was ich beim Verfassen des Blogbeitrags übersehen hatte – konnte also für den Zeitraum 2004 – 2008 noch gar keine Anwendung finden. Es gab folglich im maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal eine formelle rechtliche Grundlage für die Übermittlung von Rohdaten an die NSA.

posted by Stadler at 22:25  

15.9.14

Warum das G10-Gesetz und die TK-Überwachung durch den BND nicht verfassungskonform sind

Der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker hat vor einigen Monaten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Auffassung vertreten, dass die Auslandsaufklärung des BND rechtswidrig ist und, dass darüber hinaus verschiedene Vorschriften des G10-Gesetzes, u.a. die Vorschrift über die sog. strategische Fernmeldekontrolle (§ 5) wohl nicht verfassungskonform sind.

Dies erläutert Bäcker in einem Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Kommunikation & Recht (K&R 2014, 556) nochmals.

Bäcker weist darauf hin, dass der BND nach § 5 G10-Gesetz weiterhin nur internationale Telekommunikation überwachen darf. Dies setzte voraus, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhält. Allerdings werden auch bei rein innerdeutscher Kommunikation die Inhalte mittlerweile vielfach über das Ausland geroutet. Viele Anbieter netzbasierter Telekommunikationsdienste sitzen außerdem im Ausland und/oder erbringen ihre Leistung mit informationstechnischen Systemen, die im Ausland stehen. Deshalb lasse sich, so Becker zutreffend, bei einer Überwachung eines Übertragungswegs überhaupt nicht zuverlässig feststellen, ob es sich um internationale Kommunikation im Sinne des Gesetzes handelt oder nicht. Man könne deshalb das Merkmal der internationalen Kommunikation allenfalls grob mit Faustregeln erfassen, die das Gesetz aber nicht vorgibt.

Es besteht deshalb nicht nur die konkrete Gefahr, sondern es erscheint nahezu unvermeidbar, dass der BND Inlandskommunikation, die er nach dem Gesetz nicht erfassen darf, in großem Umfang mitüberwacht.

Bäcker macht ferner deutlich, dass die im G10-Gesetz genannte Obergrenze von 20% für eine TK-Überwachung sich nach aktueller Auslegung auf die gesamte Übertragungskapazität und nicht auf das übertragene Volumen bezieht. Das würde allerdings dazu führen, dass deutlich mehr als 20 % der Telekommunikation überwacht werden kann, Bäcker spricht insoweit davon, dass die Obergrenze vielfach wirkungslos bleiben dürfte. Solange (nur) eine durchschnittliche Auslastung auf allen Übertragungswegen von 20% gegeben ist, würde diese Lesart der Regelung faktisch eine Totalüberwachung ermöglichen.

Bäcker ist zudem der Ansicht, dass die Regelung des § 5 Abs. 2 S. 3 G10-Gesetz verfassungswidrig ist. Danach dürfen keine Suchbegriffe verwendet werden, die Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen. Diese Regelung soll aber für Anschlüsse im Ausland nur dann gelten, wenn der dortige Anschlussinhaber oder regelmäßige Nutzer deutscher Staatsangehöriger ist. Bäcker verweist insoweit darauf, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht ist, weshalb es auf die Staatsangehörigkeit ebensowenig ankomme, wie auf den Aufenthaltsort. Die gesetzliche Differenzierung beruht nach der Ansicht Bäckers damit auf keinem sachlichen Grund und verletzt Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 GG.

Bäcker weist schließlich auch noch darauf hin, dass sich das gesetzliche Verbot bestimmter Suchbegriffe auf Telekommunikationsanschlüsse bezieht. Insoweit ist Bäcker der Ansicht, dass E-Mail-Postfächer nicht als Anschlüsse in diesem Sinne zu betrachten sind, mit der Folge, dass E-Mail-Postfächer vom BND zielgerichtet ausgewertet werden könnten. Genau das hält Bäcker aber verfassungsrechtlich für nicht tragbar.

Es ist also höchste Zeit, dass das BVerfG sowohl das G10-Gesetz als auch die aktuelle Praxis der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erneut zur Prüfung vorgelegt bekommt. Möglicherweise bietet ja das Verfahren des Kollegen Niko Härting hierzu bald Gelegenheit.

posted by Stadler at 10:00  

25.8.14

Der No-Spy-Erlass des BMI

Das Bundesministerium des Inneren hat vor einigen Tagen seinen „No-Spy-Erlass“ an das Beschaffungsamt des BMI sowie eine Erläuterung (Handreichung) dieses Erlasses veröffentlicht.

Kernpunkt ist die Vorgabe von Vertragsklauseln bei „Vergabeverfahren mit möglicher Sicherheitsrelevanz“. Wer sich um einen öffentlichen Auftrag bewirbt, muss danach bereits im Vergabeverfahren erklären, dass er nicht verpflichtet ist, ausländischen Sicherheitsbehörden vertrauliche Informationen zu offenbaren. Im Zweifel hat der Bieter die Vergabestelle auf Offenlegungspflichten gegenüber ausländischen Sicherheitsbehörden hinzuweisen.

Der Auftragnehmer der den Zuschlag erhalten hat, muss sich vertraglich verpflichten, den öffentlichen Auftraggeber sofort schriftlich zu benachrichtigen, sobald er die Einhaltung der Vertraulichkeitsverpflichtung nicht mehr gewährleisten kann.

Ob derartige vertragliche Klauseln tatsächlich etwas bringen, mag man bezweifeln, der Erlass zeigt aber, dass man beim BMI mittlerweile erkannt hat, dass bestimmte Dienstleister, insbesondere im Bereich der IT, tatsächlich Informationen an ausländische Geheimdienste liefern.

posted by Stadler at 21:16  
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