SPD will Datenschutz und Meinungsfreiheit in Einklang bringen
Das Spannungsverhältnis von Datenschutz und Meinungsfreiheit war bereits mehrfach Thema hier im Blog, zuletzt auch mit Blick auf die seit Mai geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der europäische Gesetzgeber hat nicht versucht, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, oder den äußerungsrechtlichen Bereich von der DSGVO auszunehmen, sondern es vielmehr dabei belassen, mit Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel zu schaffen, die es den nationalen Gesetzgebern ermöglicht, sie letztlich aber auch dazu verpflichtet, spezifische Regelungen zu treffen, die das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, in Einklang bringen. Dieser Ansatz ist regelungstechnisch zunächst insofern unbefriedigend, als die DSGVO damit den gesamten meinungsrelevanten Bereich mitregelt, ohne selbst unmittelbar sicherzustellen, dass der Datenschutz die Meinung- und Informationsfreiheit nicht beeinträchtigt.
Der deutsche Gesetzgeber ist dem Regelungsauftrag des Art. 85 DSGVO bislang nur teilweise nachgekommen. Die Länder haben für den journalistisch-redaktionellen Bereich Regelungen in den Landespressegesetzen und im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) geschaffen. Exemplarisch sei insoweit auf § 57 Abs. 1 S. 4 – S. 8 RStV verwiesen, der ein Medienprivileg für die Onlineangebote der Rundfunkanbieter schafft und weite Teile der DSGVO für nicht anwendbar erklärt.
Eine Regelung für private bzw. nichtjournalistische Äußerungen fehlt bislang. Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil veröffentlichte Meinungen und Informationen in sozialen Medien und Blogs damit nicht explizit privilegiert sind, sondern nur solche im journalistisch-redaktionellen Kontext. In einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages hat Malte Engeler unlängst deshalb eine solche gesetzliche Regelung angemahnt und als ausgesprochen relevant bezeichnet.
Mittlerweile liegt ein erster Vorschlag aus der Bundestagsfraktion der SPD vor, der die Schaffung eines neuen § 27a BDSG mit folgendem Wortlaut vorsieht:
27a BDSG-neu – Datenverarbeitung zu Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist zulässig, sofern sie zu Zwecken des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken stattfindet und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten nicht überwiegen.
(2) Spezielle Regelungen des Bundes- und Landesrechts zur Zulässigkeit der Verarbeitung zu den in Art. 85 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken, einschließlich der Veröffentlichung, bleiben unberührt.
(3) Die Rechte der Betroffenen des Abschnitt II bis IX der Verordnung (EU) 2016/679 gelten nur, sofern sie unter Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken angemessen sind. Satz 1 gilt nicht für Artikel xx, xx, xx.
(4) Führt die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Absatz 1 zur Verbreitung von Gegendarstellungen der betroffenen Person oder zu Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen über die Unterlassung der Verbreitung oder über den Widerruf des Inhalts der Daten, so sind diese Gegendarstellungen, Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen und Widerrufe zu den gespeicherten Daten zu nehmen und dort für dieselbe Zeitdauer aufzubewahren, wie die Daten selbst sowie bei einer Offenlegung der Daten gemeinsam offenzulegen.
Der Vorschlag ist im Grundsatz zu begrüßen, wirkt aber insgesamt noch nicht ausgereift.
In Abs. 1 wird durch die Formulierung „sofern sie zu Zwecken…stattfindet“ zunächst dem Äußernden die Darlegung- und Beweislast dafür auferlegt, dass seine Datenverarbeitung meinungsrelevanten Zwecken dient und außerdem die notwendige Grundrechtsabwägung zu seinen Gunsten ausfällt. Diese Regelungstechnik ist kritikwürdig, weil in einem freiheitlichen Rechtsstaat eine Vermutung zugunsten der freien Rede zu gelten hat, was vom BVerfG auch immer wieder betont worden ist. Aus grundrechtlicher Sicht erscheint daher eine Regelung geboten, die die Datenverarbeitung zu Zwecken der Meinung- und Informationsfreiheit zunächst grundsätzlich für zulässig erklärt und es dem von einer Äußerung Betroffenen überlässt, das Überwiegen seiner persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Interessen darzulegen.
Abs. 3 des Gesetzesvorschlags will die Regelungen der Abschnitte II bis IX der DSGVO – es handelt sich weitgehend um datenschutzrechtliche Folge- und Nebenpflichten – weiterhin anwenden, allerdings einer Abwägung im Einzelfall unterziehen, während diese Regelungen im journalistischen Bereich weitgehend nicht gelten sollen. Hier stellt sich auch die Frage, ob es nicht eher sachgerecht ist, einen Gleichlauf mit der Vorschrift des § 57 RStV herzustellen.
Der in Abs. 4 des Vorschlags enthaltene Verweis auf Gegendarstellungen des Betroffenen, erscheint ebenfalls nicht zu Ende gedacht. Die Gegendarstellung ist ein typisches presserechtliches Instrumentarium. Ein Blick auf die für den Onlinebereich relevante Vorschrift des § 56 RStV zeigt, dass der Gegendarstellungsanspruch journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote verlangt. In diesem Bereich würde aber dann ohnehin § 57 RStV gelten und nicht § 27a BDSG. Es stellt sich also die Frage, ob es überhaupt Gegendarstellungen gibt, die § 27a BDSG unterfallen können oder ob man sich in diesen Fällen nicht ohnehin vollständig im Bereich des Landesrechts bewegt. Ganz generell erscheint es vorzugswürdig, in der bundesgesetzlichen Regelung des § 27a BDSG jedweden Hinweis auf journalistische Zwecke, wie er auch in Abs. 1 enthalten ist, zu streichen, weil damit nur unnötige Abgrenzungsfragen zu den landesrechtlichen Regelungen aufgeworfen werden. Sofern es dieser Formulierung darum geht, den Veröffentlichungszweck zu betonen, wäre es vorzugswürdig einen anderen Begriff zu wählen.
Obwohl die DSGVO schon mehr als ein halbes Jahr gilt, ist der Bundesgesetzgeber seinem Regelungsauftrag aus Art. 85 DSGVO bislang nicht nachgekommen. Eine entsprechende Regelung ist überfällig.