Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.11.12

Bundestagsfraktion der Grünen fordert Auflösung des Verfassungsschutzes

Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert die Auflösung des Verfassungsschutzes und des MAD und will den gesamten Bereich neu strukturieren.

Die Grünen wollen zunächst ein unabhängiges Institut Demokratieförderung errichten, das die Strukturen und Zusammenhängen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland beobachtet und analysiert. Es soll sich dabei um eine unabhängige Institution ohne hoheitliche Eingriffsbefugnisse handeln, die dem Parlament und der Regierung Bericht erstattet.

Daneben soll eine sog. Inlandsaufklärung geschaffen werden, die den bisherigen Verfassungsschutz ablöst, allerdings mit deutlich eingeschränkten Befugnissen.

Gruppierungen und Einzelpersonen, die ihre Gedanken lediglich in Wort, Schrift und Bild äußern, sollen grundsätzlich nicht mehr mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden, wenn ihre Aktivitäten keinen Gewaltbezug aufweisen. Diese Gruppen gehören zukünftig in die Aufgabensphäre des Instituts Demokratieförderung.

Zur Aufgabe der Inlandsaufklärung soll es aber auch gehören, Bestrebungen zu identifizieren, die dabei sind, Gewaltbezug und Gewaltstrukturen zu entwickeln.

Im Hinblick auf die Inlandsaufklärung sollen die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber dem geltenden Recht deutlich gestärkt und auch die Auskunftsrechte der Betroffenen ausgeweitet werden.

Die Fraktion der Grünen hat ganz offensichtlich erkannt, dass der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form nicht behebbare strukturelle und systemische Defizite aufweist und die öffentlich bekannt gewordenen Probleme und Skandale keineswegs nur eine Folge individueller Fehler sind. Der Vorschlag der Grünen stellt, auch wenn einige Punkte noch vage bleiben, im Vergleich zur jetzigen Regelung einen rechtsstaatlichen Quantensprung dar, der zu begrüßen ist, zumal er mit einem konkreten, konstruktiven Konzept aufwartet. Und das ist weit mehr als alle anderen Parteien in dieser Frage bisher angeboten haben.

posted by Stadler at 16:02  

30.11.12

Wie geht es mit dem Leistungsschutzrecht weiter?

Der Gesetzesentwurf zum Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse wurde gestern im Bundestag in erster Lesung beraten.

Kernstück des Gesetzesvorhabens ist die geplante Vorschrift eines § 87g Abs. 4 UrhG der die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen davon, für unzulässig erklärt, sofern sie durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten. Nachdem auch kleine Teile, also sog. Snippets betroffen sind, erfasst das Gesetz sowohl klassische Suchmaschinenergebnisse als auch News-Aggregatoren wie Google News, nachrichten.de, Virato oder Rivva.

Die Anbieter müssten also dann entweder Verträge mit den Verlagen über die Einräumung entsprechender Nutzungsrechte schließen oder Presseerzeugnisse systematisch aussperren.

In diesem Zusammenhang hört man jetzt öfter die These, man werde Google und Co. dann schon noch zwingen, an die Verlage zu zahlen. Gerade das sieht das Gesetz jedoch nicht vor.

Unter normalen Umständen könnte es sich ein marktbeherrschendes Unternehmen wie Google schon aus kartellrechtlichen Gründen nicht erlauben, die Websites von Verlagen bzw. Zeitungen zu blockieren. Das würde sich mit der Einführung eines Leistungsschutzrechts allerdings grundlegend ändern. Denn die Neuregelung erklärt die Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen durch Suchmaschinen und News-Aggregatoren für unzulässig. Das bedeutet nichts anderes, als dass Google nach der Logik des Gesetzes aussperren muss, um keinen Rechtsverstoß zu begehen. Und ein Zwang zum Erwerb urheberrechtlicher Nutzungsrechte lässt sich auch gegenüber einem marktbeherrschenden Unternehmen wie Google nicht begründen. Es ist folglich nicht zu erwarten, dass Google zahlen wird, zumal die Verleger in anderen (europäischen) Ländern anschließend auf vergleichbare Regelungen drängen würden.

Die wirtschaftliche Frage ist also letztlich, wer wen dringender braucht. Google wird es sich ohne weiteres erlauben können, Google-News in Deutschland zu schließen und die Verlage für eine Weile von der Suchmaschine auszusperren. Man wird dann eben die Inhalte von FAZ, SZ, ZEIT, Spiegel, Welt, BILD, Stern u.a. nicht mehr über Google finden können. Einige kleinere Verlage werden schlau genug sein und Google unentgeltliche Nutzungsrechte einräumen.

Die Leidtragenden werden die Nutzer sein, denn das geplante Gesetz erschwert die Auffindbarkeit von Inhalten im Netz erheblich.

Man darf in dieser Diskussion außerdem nicht nur über Google sprechen, sondern muss vor allem auch kleinere Anbieter im Blick haben. Betroffen von einem solchen Leistungsschutzrecht sind nämlich gerade auch Special-Interest-Suchmaschinen und Dienste, die RSS-Feeds einbinden oder automatisiert Linksammlungen erzeugen. Einige dieser Dienste werden dann komplett schließen.

Im Bundestag haben die Vertreter der Regierungsfraktionen den Gesetzesentwurf  erwartungsgemäß verteidigt, während er von den Oppositionsparteien abgelehnt wurde. Es wird sich nun zeigen, ob und wie dieser Gesetzesentwurf aus den Ausschüssen wieder herauskommt und welche Fassung in die abschließende 2. und 3. Lesung im Bundestag gelangt.

Vielleicht wäre es aber auch für die Politik und die Verlage ganz heilsam, wenn das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, denn dann wird die Politik sehr schnell erkennen, was sie angerichtet hat und die Verlage werden einsehen müssen, dass sie ein Eigentor geschossen haben. Möglicherweise ist dieser pädagogische Effekt ja genau das, was jetzt nötig ist.

posted by Stadler at 10:10  

29.11.12

Eva Herman scheitert auch beim BVerfG

Die frühere Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die gerne ein konservatives Familienbild verbreitet und hierzu mitunter auch die Familienpolitik der Nazis lobt, fühlte sich durch ein vermeintliches Falschzitat – das gar kein Zitat war – in einem Meinungartikel in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Nachdem sie beim Landgericht und OLG Köln noch Erfolg hatte, hob der BGH die Urteile der Vorisntanzen auf und wies die Klage ab. Mit sehr eindeutigen Worten erklärte der BGH der ehemaligen Fernsehsprecherin, warum sie diese Meinungsäußerung hinzunehmen habe.

Die uneinsichtige Ex-Nachrichtensprecherin ist gegen die Entscheidung des BGH jetzt noch vor das Bundesverfassungericht gezogen und scheiterte dort erwartungsgemäß (Beschluss vom 25.10.2012, Az.: 1 BvR 2720/11). Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und erläutert Frau Herman die rechtliche Situation nochmals mit klaren Worten:

Die Beschwerdeführerin, der es nicht gelungen war, sich unmissverständlich auszudrücken, muss die streitgegenständliche Passage als zum „Meinungskampf“ gehörig hinnehmen.

posted by Stadler at 11:05  

28.11.12

Google, das Leistungsschutzrecht und die Heuchelei der Presse

Google hat gestern die Kampagne „Verteidige Dein Netz“ gestartet, was zu einem heftigen und höchst einseitigen Rauschen im Blätterwald geführt hat. Selten waren sich FAZ, SZ, SPON und andere so einig wie mit ihrer Kritik an dieser Kampagne Googles.

Die Reaktion der traditionellen Presse offenbart ein hohes Maß an Heuchelei und stell ein deutliches Indiz dafür dar, dass es mit der redaktionellen Unabhängigkeit nicht mehr weit her ist.

Google verfolgt mit seinem öffentlichen Aufruf zweifellos eigene wirtschaftliche Interessen und nutzt dafür die Popularität seiner Suchmaschine. Zu einer ausgewogenen Berichterstattung hätte es allerdings dann gehört, deutlich darauf hinzuweisen, dass die Verlage seit mehr als drei Jahren ganz massives Lobbying betreiben und unter Ausnutzung ihrer Macht und ihres Einflusses, die Regierungsparteien dazu gebracht haben, dass das Leistungsschutzrecht im Bundeskabinett beschlossen und anschließend als Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht wird. In einem älteren, ebenso einseitigen Kommentar in der FAZ wird zumindest dieser zentrale Aspekt nicht verschwiegen:

Natürlich haben die Verlage in eigener Sache gekämpft – das sollte jeder tun, dessen Grundrechte gefährdet sind.

Aber trifft das auf Google etwa nicht zu? Ist der Hinterzimmer-Lobbyismus der alten Schule, den die Verlage natürlich bestens beherrschen, etwa besser und korrekter als eine offene Kampagne von Google? Liebe Qualitätspresse, mehr Heuchelei war selten.

Was die Verlage hier praktizieren, ist die Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung. Darauf hatte ich schon ganz zu Beginn der Debatte hingewiesen. Google hält – natürlich ebenfalls aus Eigennutz – erwartungsgemäß dagegen.

Man muss sich als Bürger schon deshalb auf die Seite Googles stellen, weil die Grundaussage des Suchmaschinenriesen richtig ist. Das Leistungsschutzrecht gefährdet die Informationsfreiheit und ist nicht im Sinne der Allgemeinheit. Das sage nicht nur ich, sondern das ist praktisch die einhellige Ansicht der Rechtswissenschaft. Die Option sich rauszuhalten, besteht deshalb für mich nicht. Die Position von Google ist im Kern richtig und die der Verlage ist falsch.

Dass die Verlage es gerade schaffen, ihre Reihen zu schließen und auch die großen Redaktionen hinter ihrer Forderung zu versammeln, verheißt im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Presse allerdings nichts Gutes.

posted by Stadler at 18:10  

27.11.12

Max-Planck-Institut, GRUR und führende Rechtswissenschaftler sprechen sich gegen Leistungsschutzrecht aus

Das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (MPI), der Fachausschuss Urheber- und Medienrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie einige der bekanntesten Rechtswissenschaftler aus dem Bereich des Urheber- und Informationsrechts haben sich in einer ausführlichen Stellungnahme gegen das geplante Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse ausgesprochen.

Die Wissenschaftler befürchten, dass auf deutsche Presseprodukte nach Einführung eines solchen Leistungsschutzrechts gar nicht mehr verlinkt würde, jedenfalls nicht unter Verwendung von Snippets. Außerdem wird in dem Papier betont, dass das Schutzrecht nicht erforderlich sei und zudem die Reichweite eines Verbotsrechts nicht klar umrissen werde.

Der Umstand, dass das Papier von rechtswissenschaftlichen Schwergewichten wie Gerald Spindler, Thomas Hoeren, Ansgar Ohly oder Haimo Schack unterzeichnet worden ist, zeigt, dass das Vorhaben in der Rechtswissenschaft praktisch geschlossen abgelehnt wird. Man darf gespannt sein, ob sich der Bundestag wieder einmal gegen die einhellige Ansicht der Wissenschaft stellen wird.

Wen das Leistungsschutzrecht nach der aktuellen Entwurfsfassung betrifft und warum es die Informationsfreiheit gefährdet und unter keinem Gesichtspunkt sinnvoll ist, habe ich hier und hier erläutert.

Google hat übrigens, als der neben den Nutzern Hauptbetroffene einer solchen Regelung, gerade eine Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht gestartet. Unter dem Motto „Verteidige Dein Netz“ werden die Nutzer aufgefordert, gegen das Leistungsschutzrecht Stellung zu beziehen.

posted by Stadler at 17:53  

26.11.12

Keine Datenerhebung bei Minderjährigen unter 15?

Das OLG Hamm hat im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung (Urteil vom 20.09.2012, Az.: I-4 U 85/12) die Auffassung vertreten, es könne

nicht davon ausgegangen werden, dass Minderjährige ab dem 15. Lebensjahr grundsätzlich die nötige Reife haben, um die Tragweite der Einwilligungserklärung zur Datenspeicherung und Datenverwendung zu Werbezwecken abzusehen.

Diese Ansicht ist, zumindest wenn man die juristische Literatur betrachtet, keinesfalls abwegig. Insoweit hatte ich vor einiger Zeit bereits die Frage aufgeworfen, ob eine Nutzung von sozialen Netzen wie Facebook, angesichts der doch recht massiven Erhebung personenbezogener Daten, möglicherweise nach deutschem Recht erst ab einem Alter von 16 möglich sein könnte.

Eine solche Annahme widerspricht natürlich komplett der Lebenswirklichkeit, wenn man sieht wie viele Kinder und Jugendliche auf Facebook unterwegs sind und wie selbst die offizielle Altersgrenze Facebooks von 13 Jahren durchgehend unterlaufen wird.

posted by Stadler at 21:55  

25.11.12

Fall Mollath: Gibt es Anzeichen für einen Bayernsumpf?

Die Kollegin Jakobs erkennt im Fall Mollath bereits jetzt einen der größten Justizskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte, was man nach bisheriger Faktenlage allerdings für übertrieben halten kann. Andererseits kann man als vernunftbegabter Mensch kaum mehr in Abrede stellen, dass die bayerische Justiz im Fall Mollath erhebliche Fehler gemacht hat und das damalige Urteil gegen Gustl Mollath auf Grundlage der mittlerweile öffentlich bekannten Fakten nicht hätte ergehen dürfen.

Gustl Mollath ist aufgrund eines Strafurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahre 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Eine solche Unterbringung setzt nach § 63 StGB voraus, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Diese Prognose wurde aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens erstellt, dem  weder eine Untersuchung von Herrn Mollath zugrunde lag noch ein ausführliches Explorationsgespräch. Der Sachverständige attestierte Mollath – nach Aktenlage – ein paranoides Gedankensystem. Als ein wesentliches Indiz hierfür wertete der Sachverständige den Umstand, dass Mollath wie es im Urteil wörtlich heißt „unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Frau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen die sich gegen ihn stellten (…) in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.

Zwischenzeitlich hat sich allerdings herausgestellt, dass dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung bei der HVB tatsächlich existierte, die Exfrau Mollaths darin verwickelt war und sich die tatsächlichen Angaben Mollaths hierzu auch als zutreffend erwiesen hatten. Das wird u.a. in einem internen Revisionsbericht der HVB bestätigt. Dies hätte die Staatsanwaltschaft bereits vor der Verurteilung Mollaths ermitteln können und müssen, zumal Mollath ganz konkrete Hinweise gegeben hatte.

Und genau diese Umstände werfen auch ein neues Licht auf die Tatsachenfeststellungen des Gerichts bzgl. der Taten die Mollath vorgeworfen wurden. Denn diese Taten beruhen wesentlich auf den Zeugenaussagen der früheren Ehefrau Mollaths, an deren Glaubwürdigkeit das Gericht keine Zweifel hatte und die nach Ansicht des Gerichts auch keinerlei Belastungseifer zeigte. Da die Ehefrau aufgrund der Aussagen und Angaben ihres Ehemanns über die Schwarzgeldgeschäfte mit einer eigenen Strafverfolgung rechnen musste, hatte sie natürlich ausreichend Grund ihren Exmann zu belasten. Diese Annahme wird durch eine eidesstattliche Versicherung eines Bekannten des Ehepaars Mollath aus dem Jahr 2011 bestärkt. Dieser Bekannte, der erst 2010 von der Unterbringung Mollaths erfahren hat, schildert mehrere Telefongespräche mit Herrn und Frau Mollath, in denen Frau Mollath u.a. ankündigt haben soll, ihren Mann fertig machen zu wollen und auf seinen Geisteszustand prüfen zu lassen, wenn er ihre Schwarzgeldgeschäfte anzeigt.

Was die Bejahung der Unterbringungsvoraussetzungen angeht, kann es durchaus sein, dass der Sachverständige seine Schlussfolgerungen nicht allein und noch nicht einmal überwiegend auf die Aussagen Mollaths zu den Schwargeldgeschäften gestützt hat. Andererseits muss die Frage erlaubt sein, was ein Gutachten noch Wert ist, wenn sich herausstellt, dass es zumindest in einem nicht unwesentlichen Punkt von einer vollständig falschen Grundannahme ausgeht.

Die misstrauische Grundhaltung Mollaths, die der Sachverständige zudem betont, erscheint mir, angesichts der Vorgeschichte, mehr als verständlich zu sein und spricht daher wohl eher gegen als für eine Störung.

Obwohl das Urteil also aufgrund der mittlerweile bekannten Fakten zweifelsfrei von falschen Annahmen getragen ist, beharren sowohl die bayerische Justizministerin als auch z.B. der Bayerische Richterverein auf der Richtigkeit des Urteils. Der Bayerische Richterverein greift Kritiker wie den Strafrechtsprofessor Henning-Ernst Müller in einer von Korpsgeist getragenen Heftigkeit an, die nur als befremdlich bezeichnet werden kann. Müller hatte, in durchaus überzeugenden Art und Weise, die bayerische Justiz kritisiert. Die eher formale Entgegnung des Richtervereins, auch der BGH habe die Entscheidung in der Revision bestätigt, ist fadenscheinig. Der BGH ist keine Tatsacheninstanz, weshalb er die tatsächlichen Feststellungen und Annahmen des Landgerichts zu keiner Zeit überprüft hat. Die Prüfung des BGH beschränkte sich vielmehr auf Rechtsfehler.

Bei der Annahme, der Fall Mollath sei ein politisch gesteuerter Justizskandal, mag es sich um eine Verschwörungstheorie handeln. Ob die Strafanzeige Mollaths gegen die Schwarzgeldgeschäfte bei der HVB tatsächlich auf Intervention eines Spitzenpolitikers von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt worden ist, wie die Verfassungsbeschwerde Mollaths nahelegt, wird vermutlich auch nicht mehr aufgeklärt werden. Aber auch der Umstand, dass die Konzernspitze der HVB zumnindest von dem fraglichen Revisionsbericht wusste, bietet Anlass für Spekulationen.

Bemerkenswert und bedenklich ist zudem, dass die Fortdauer der Unterbringung u.a. mit der mangelnden Kranheits- und Behandlungseinsicht Mollaths begründet wird. Denn diese Begründung fußt letztlich auf einem Zirkelschluss. Angesichts der Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen gutachterlichen Feststellungen muss zumindest in Erwägung gezogen werden, dass die Störung des Geisteszustandes, die Mollath unterstellt wird, überhaupt nicht vorliegt. Wäre es dann nicht nachvollziehbar, wenn sich jemand, der gar keine psychische Erkrankung hat, auch nicht untersuchen und behandeln lassen will? Zumal durch Ärzte, die ihm nicht wirklich unvoreingenommen gegenübertreten.

Der Fall Mollath könnte  in der Tat ein großer Justizskandal sein. Aber auch wenn man die Spekulationen beiseite lässt, legt er den Blick auf eine Justiz frei, die stur und starrsinnig an einer einmal getroffenen Entscheidungen festhält, obwohl offenkundig ist, dass ein Teil der Tatsachengrundlagen, auf die man sich anfangs gestützt hat, weggebrochen ist.

Wir müssen in diesem Fall von der durchaus naheliegenden Möglichkeit ausgehen, dass sich ein Mensch rechtstreu verhalten wollte, mit seinem Gewissen rang und genau deshalb, mit tatkräftiger Unterstützung der Justiz, seit Jahren in der Psychiatrie sitzt.

 

posted by Stadler at 21:57  

23.11.12

Muss man die Internetnutzung seiner Kinder jetzt schon vertraglich regeln?

Die Entscheidung des BGH zur (Ent-)Haftung des Anschlussinhabers beim Filesharing durch seine Kinder zieht interessante juristische Vorschläge nach sich. Der Kollege Solmecke empfiehlt den Eltern mit ihren Kindern einen „Vertrag über die Internetnutzung“ zu schließen, für den er gleich mal ein Muster entwickelt hat. Hintergrund ist der, dass der BGH von Eltern verlangt, dass sie ihre Kinder über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren.

Eine Belehrung erfordert natürlich keinen Vertrag, aber dem Kollegen Solmecke geht wohl darum, die Belehrung zu dokumentieren. Absurde Züge trägt dieser Vorschlag natürlich dennoch. Darüber, was das über unsere Gesellschaft besagt, möchte ich erst gar nicht nachdenken.

posted by Stadler at 19:01  

23.11.12

BGH: Bei mehreren Verträgen über dieselbe Domain muss DENIC den zeitlich ersten Vertrag erfüllen

Der BGH hat entschieden (Urteil vom 25. Oktober 2012, Az.: VII ZR 146/11), dass das Schweigen des alten Providers (DENIC-Mitglied) auf die Anfrage zum Providerwechsel nicht als Zustimmung zum Providerwechsel bei der Domainverwaltung gewertet werden kann.

Hintergrund war ein Providerwechsel, der nach Ansicht des ursprünglichen Domaininhabers (Kläger) nicht wirksam war, weil dieser von ihm nicht veranlasst wurde und vom alten Provider auch nicht bestätigt worden ist. Nach dem Providerwechsel hat der neue, die Domain verwaltende Provider den Kläger als Domaininhaber löschen lassen und an der Übertragung der Domain auf einen anderen Domaininhaber mitgewirkt.

Der BGH hat mit seinem Urteil eine Entscheidung des OLG Frankfurt gebilligt, durch die die DENIC verurteilt wurde, den ursprünglichen Domaininhaber wieder einzutragen. Nach Ansicht des BGH bestand der erste Vertrag fort. Die Löschung der Domain beinhaltet eine konkludente Kündigung des Domainvertrags, die aber nicht wirksam war. Den Umstand, dass mittlerweile ein anderer Domaininhaber eingetragen wurde, erachtet der BGH als unerheblich. Denn die DENIC hat damit mehrere Verträge über dieselbe Domain abgeschlossen. In diesem Fall muss die DENIC laut BGH den zeitlich ersten Vertrag erfüllen und damit die Nameservereinträge und die Registrierungsdatenbank wieder zugunsten des Klägers ändern.

Diese Entscheidung könnte erhebliche Bedeutung haben für Fälle des Domainwechsels, die vermeintlich ohne Auftrag des ursprünglichen Domaininhabers erfolgt sind.

posted by Stadler at 11:53  

22.11.12

LG Hamburg erlässt einstweilige Verfügung wegen Filesharings mit „RetroShare“

Die Software „RetroShare“ ist von Gulli, Chip und Computerbild als anonymes Messenger- und Filesharing-Tool angepriesen worden. Das dürfte bei dem ein oder anderen die Fehlvorstellung hervorgerufen haben, man könne damit unbeschwert Filesharing ohne Abmahnrisiko betreiben.

Diese Annahme ist falsch, wie eine aktuelle einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 24.09.2012 (Az.: 308 O 319/12), über die auch der Kollege Dosch berichtet, zeigt. Die Berichterstattung hat sich damit als trügerisch erwiesen. Das Landgericht Hamburg verbietet in seiner Beschlussverfügung den Tausch urheberrechtlich geschützter Inhalte mittels „RetroShare“. Offenbar war es auch hier möglich, wie in P2P-Netzwerken einen Netzwerkmitschnitt anzufertigen und die Teilnehmer eines Filesharing-Vorgangs über die IP-Adresse zu ermitteln und zuzuordnen.

Die Begründung des Landgerichts Hamburg ist allerdings interessant, denn sie geht davon aus, dass der Antragsgegner überhaupt nicht bewusst Filesharing betrieben hat. Was ihm letztlich vorgeworfen wird, ist die Verletzung einer Prüfflicht dadurch, dass er das Tool RetroShare“ eingesetzt hat, und damit anderen Teilnehmern des Retro-Share-Netzwerks ermöglicht hätte, urheberrechtlich geschützte Werke über seinen Anschluss und Rechner zu tauschen.

Diese Rechtsauffassung ist durchaus gewagt, denn sie bedeutet letztlich, dass man als Störer für die Funktionalität einer Software haftet, die man als Nutzer vielleicht gar nicht ausreichend verstanden hat.

posted by Stadler at 11:30  
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