Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

26.7.18

Der BGH bestätigt die Abschaffung der Störerhaftung. Wirklich?

Mit Urteil vom heutigen 26.07.2018 (Az.: I ZR 64/17 – Dead Island) hat der BGH entschieden, dass der Betreiber eines Tor-Exit-Nodes nach der seit dem 13. Oktober 2017 geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 des Telemediengesetzes (TMG) zwar nicht mehr als Störer für von Dritten über seinen Internetanschluss im Wege des Filesharings begangene Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung haftet, aber stattdessen ein Sperranspruch des Rechtsinhabers gemäß § 7 Abs. 4 TMG nF in Betracht kommt.

Nach der Neufassung von § 8 Abs. 1 S. 2 TMG können Access-Provider grundsätzlich nicht mehr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, allerdings kann nach § 7 Abs. 4 TMG vom Zugangsprovider eine Sperrung verlangt werden, sofern es um die Verletzung von Rechten am geistigen Eigentum geht, wenn für den Rechtsinhaber keine andere Abhilfemöglichkeit besteht und die Sperrung zumutbar und verhältnismäßig ist.

Der BGH hält die gesetzliche Neuregelung des TMG auch für europarechtskonform, weil das EU-Recht keine Unterlassung verlangt, sondern nur, dass zugunsten der Rechtsinhaber die Möglichkeit gerichtlicher Anordnungen gegen Vermittler, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden, besteht. Dafür genügt eine gesetzliche Sperr- bzw. Beseitigungspflicht, eine in die Zukunft gerichtete Pflicht, künftige Verstöße zu unterlassen, ist nicht erforderlich.

Die Entscheidung wurde heute in weiten Teilen der Medien positiv aufgenommen, man liest immer wieder von der Abschaffung der Störerhaftung. Hierbei handelt es sich leider um nichts anderes als eine Schimäre. Der deutsche Gesetzgeber hat die Störerhaftung keineswegs abgeschafft, sondern ganz im Gegenteil mit § 7 Abs. 4 TMG versucht, die Störerhaftung gesetzlich zu kodifizieren und damit gleichzeitig die auf die E-Commerce-Richtlinie (ECRL) zurückgehende Systematik des TMG gesprengt. Denn ECRL und TMG haben ursprünglich nur eine bestehende Haftung beschränkt, während § 7 Abs. 4 TMG haftungsbegründend wirkt und damit ein Novum und einen Fremdkörper innerhalb der Systematik des TMG darstellt. Auch der BGH hat nichts abgeschafft – er ist schließlich auch nicht der Gesetzgeber – sondern hat nur versucht, das Gesetz anzuwenden. Mit seiner alten Störerdogmatik wäre der I. Zivilsenat vermutlich zu keinem anderen Ergebnis gelangt, denn vollumfängliche Unterlassungsansprüche gegen Access-Provider entsprachen auch bislang nicht der Rechtsprechung des BGH während der BGH Netzsperren unlängst ohnehin schon bejaht hatte, bedingt durch eine entsprechende Rechtsprechung des EuGH. Dieses Urteil des BGH bringt bei Lichte betrachtet also keine Neuerungen. Sie verfestigt bestenfalls eine Entwicklung, die ohne die Änderung des TMG ähnlich verlaufen wäre.

Die Störerhaftung existiert weiterhin, sie ist lediglich in dem schmalen Bereich der urheberrechtlichen Ansprüche gegen Telemedienanbieter nunmehr gesetzlich kodifiziert worden.

posted by Stadler at 22:39  

17.7.18

Markenrechtsverletzung durch Amazon-Suchmaschine

In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 15.02.2018, Az.: I ZR 138/16) geht der BGH der Frage nach, ob Amazon Markenrechte verletzt, wenn die interne Suchmaschine nach Eingabe des Suchbegriffs „Ortlieb“ bei amazon.de auch Produkte anderer Hersteller anzeigt.

Der BGH geht dabei davon aus, dass Amazon als Verantwortlicher für die seiteninterne Suchmaschine Marken als Schlüsselwörter im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt, wenn es die Auswahl der in der Trefferliste angezeigten Suchergebnisse aufgrund einer automatisierten Auswertung des Kundenverhaltens veranlasst und die Anbieter der angezeigten Waren auf den Inhalt der Trefferliste keinen Einfluss nehmen können.

Diese Markennutzung stellt aber nicht zwingend eine Markenrechtsverletzung dar. Der BGH betont, dass die Benutzung des Zeichens „Ortlieb“ durch Amazon geeignet sein muss, eine der Funktionen der Marke, insbesondere die Herkunftsfunktion zu beeinträchtigen. Nur wenn ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer nicht oder nur schwer erkennen kann, ob die beworbenen Waren oder Dienstleistungen vom Inhaber der Marke oder einem Dritten stammen, ist die herkunftshinweisende Funktion der Marke beeinträchtigt. Dabei ist zu berücksichtigen, ob der Nutzer möglicherweise aus Erfahrung weiß, dass von seiteninternen Suchmaschinen erzeugte Trefferlisten nicht immer nur tatsächlich passende Treffer ausweisen. Sollte dies der Fall sein, wird es dem Nutzer nicht schwer fallen, zwischen Produkten des Markeninhabers und Produkten Dritter zu unterscheiden. Dies gilt zumindest dann, wenn aus der Darstellung der einzelnen Produkte in der Trefferliste hinreichend deutlich zu entnehmen ist, dass sie mit einer fremden Marke versehen sind.

Der BGH hat die Streitsache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das diese tatsächlichen Fragen zu klären hat. Ich würde davon ausgehen, der Nutzer/Käufer von Amazon ist es gewohnt, dass ihm bei der Suche nach bestimmten Markenprodukten auch ähnliche Produkte anderer Markenhersteller angezeigt werden. Man darf gespannt sein, wie das OLG München diese Fragen beantworten wird.

posted by Stadler at 21:57  

12.7.18

Twitter sperrt meinen Account für zwölf Stunden

Twitter hat meinen Account RAStadler gestern für zwölf Stunden teilgesperrt, wegen eines Tweets zu Horst Seehofer, der angeblich die Twitterregeln verletzt haben soll. Der Wortlaut des Tweets war „Geh endlich sterben, menschenverachtender Zyniker“ verbunden mit einem Link auf einen Zeitungsartikel, in dem über Seehofers Freude darüber, dass gerade an seinem 69. Geburtstag 69 Asyslbewerber nach Afghanistan abgeschoben wurden, berichtet worden ist.

Mein Tweet bewegt sich äußerungsrechtlich ganz klar im zulässigen Bereich. Mit dem Tweet habe ich Seehofer keinesfalls den Tod gewünscht. Es handelt sich vielmehr um eine drastische Aufforderung endlich zu verschwinden, ähnlich einer Formulierung wie „Fahr zur Hölle“. Der Tweet setzt sich mit kontroversen politischen Aussagen des Innenminsters auseinander und stellt somit eine Kritik an öffentlichen Äußerungen eines Spitzenpolitikers dar. Wer sich nur ein bisschen mit Äußerungsrecht befasst, wird wissen, dass es bei der juristischen Bewertung in diesem Fall keine zwei Meinungen gibt. Die Maßnahme von Twitter ist eindeutig unberechtigt, es ist Twitter, das damit gegen seine eigenen Regeln verstößt.

Mir stellt sich die Frage, ob ich mir die meinungsbeschränkende Willkür eines US-Anbieters wie Twitter weiterhin antun oder meinen Account löschen soll. Dass Twitter gegen eindeutig zulässige Meinungsäußerungen vorgeht, ist jedenfalls ein ernstes Problem, denn ich glaube kaum, dass das ein Einzelfall ist.

Update vom 13.07.2018:

Twitter hat jetzt auch den Account von Michael Seemann (mspro) vorübergehend eingeschränkt – wie Twitter das selbst nennt, wenn die Möglichkeit aktiv zu twittern unterbunden wird – weil er sich auf Twitter spontan mit mir solidarisiert hatte. Für mich ist das ein weiterer Beleg dafür, dass Twitter insgesamt ein problematisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit hat.

Und noch ein Wort zu meinen Kritikern, denn ich habe jetzt oft die Frage gehört, ob man das nicht hätte anders formulieren können. Natürlich hätte man das können. Aber wer so fragt, hat meines Erachtens schon die Schere der Selbstzensur im Kopf. Die Frage ist vielmehr, ob ich es hätte anders formulieren müssen oder es nicht vielmehr legitim war, es genau so zu formulieren. Ich denke, dass die aktuelle Diskussion gelegentlich auch eine deutliche Sprache erfordert. Gerade gegenüber einem Populisten wie Horst Seehofer.

Update vom 14.07.2018:

Dass Einige, von denen ich das eher nicht erwartet hatte, mir eine Entgleisung oder Verrohung vorwerfen, macht mich ehrlich gesagt ziemlich ratlos. Denn genau das ist es nicht. Seehofer hat mit seiner Aussage zu den 69 abgeschobenen Flüchtlingen ein Höchstmaß an Verhöhnung von Menschen betrieben, auf die ich bewusst mit der Empfehlung endlich (politisch) sterben zu gehen, reagiert habe. Die Transferleistung, dass ich damit Seehofer natürlich nicht den (physischen) Tod gewünscht habe, erwarte ich.

Die Form der Debattenverschiebung die sich hier zeigt, ist für mich eher ein Indiz dafür, dass die Selbstbeschränkung der Meinungsfreiheit bereits in vollem Gange ist. Vielleicht ist es deshalb gerade jetzt notwendig, die Grenzen auszuloten, damit die Meinungsfreiheit nicht unter die Räder kommt.In diesem Kulturkampf zwischen Humanismus und Menschenverachtung könnte Schärfe notwendig sein. Zumindest ist sie ein legitimes Mittel. Und ich denke jetzt mehr denn je darüber nach, ob ich in Zukunft einfach noch deutlich schärfer als bislang formulieren muss und sollte.

posted by Stadler at 08:58  

8.7.18

Irrsinnig und menschenverachtend

Die von Horst Seehofer und der CSU angezettelte Debatte über die Zurückweisung von Flüchtlingen direkt an der deutsch-österreichischen Grenze ist auf derart vielen Ebenen irrsinnig, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Dass dabei Lösungen für ein Problem gefordert werden, das aktuell gar keines mehr ist und Vorschläge unterbreitet werden, die zur Problemlösung selbst dann ungeeignet wären, wenn es das Problem gäbe, ist nur eine von vielen Facetten des Irrsinns.

Was in der aktuellen öffentlichen Debatte aber immer zu kurz kommt, ist der Umstand, dass es am Ende um das Schicksal von Menschen geht. Nur leider erscheint die öffentliche Debatte von diesem Umstand gänzlich entkoppelt zu sein. Flüchtlinge werden als Asyltouristen diffamiert, so als sei es ein Abenteuerurlaub in ein Boot zu steigen, um auf dem Mittelmeer sein Leben zu riskieren, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa.

An dieser Stelle sollten wir innehalten, über Werte sprechen und vor allem stärker auf die Schicksale derjenigen Menschen schauen, über die wir die ganze Zeit reden. Und zwar als Subjekte und nicht als Objekte, also anders als es die CSU tut. Denn das ist der Kern der Menschenwürde. Das Individuum darf nicht zum Objekt gemacht werden. Der Umstand, dass fortlaufend eine große Anzahl von Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist derzeit aber bestenfalls noch eine Fußnote in der Berichterstattung und öffentlichen Diskussion. Das ist angesichts von 629 Toten allein im Juni 2018 nicht nur ein Problem der CSU, sondern eines der Berichterstattung und der öffentlichen Wahrnehmung. Der Debatte mangelt es an Empathie und Menschlichkeit. Und das spielt denjenigen in die Karten, die, wie die AfD und die CSU, die Debatte von den menschlichen Einzelfallschicksalen entkoppeln müssen, um ihre unmenschlichen Forderungen legitim erscheinen zu lassen. So hat rechte Rhetorik schon immer funktioniert.

Das Kleingeistige, Kleinmütige und Kleinstaaterische, das der CSU seit jeher anhaftet, wurde bislang geschickt mit einer Heimatverbundenheit kombiniert, die irgendwie gemütlich und halbwegs harmlos daherkam. Diese Fassade geht aber mehr und mehr verloren, der menschenverachtende und barbarische Kern dessen, was die Haltung der CSU ausmacht, tritt immer offener zum Vorschein. Und genau das durchschauen auch immer mehr Wähler, die sich angewidert von der Partei abwenden. Für jedes Prozent an Wählerstimmen das die CSU durch ihre aktuelle Kampagne am rechten Rand hinzugewinnt, wird sie in der Mitte zwei Prozent verlieren. Denn es gibt auch im konservativen Lager genügend Bürger, die menschenverachtende Positionen ablehnen. Gleichzeitig stärkt die CSU mit ihrer rechten Geisterfahrt die AfD und erreicht damit das Gegenteil dessen, was sie sich erhofft hat. Die AfD braucht nichts weiter zu tun, als sich im Hintergrund ins Fäustchen zu lachen. Denn ihre politische Arbeit wird aktuell von Seehofer und Söder erledigt. Das scheint Markus Söder freilich immer noch nicht verstanden zu haben. Man darf davon ausgehen, dass Söder bei der Landtagswahl das schlechteste CSU-Ergebnis der Geschichte einfahren wird. Was aber gleichzeitig bedeutet, dass die AfD in Bayern zweitstärkste Kraft werden wird. Die CSU ist mittlerweile dank Seehofer, Söder und Dobrindt zur AfD light verkommen.

Die Auseinandersetzung die Seehofer angezettelt hat, macht urplötzlich eine neue politische Trennlinie sichtbar, die mitten durch die Union verläuft. Eine neue national gesinnte Rechte, der der pluralistische liberale Rechtsstaat ein Dorn im Auge ist, versucht proeuropäische Demokraten und die freiheitlichen Werte, für die unser Grundgesetz steht, zurückzudrängen. Die CSU hat immer wieder mal mit rechter Rhetorik jongliert, aber diesmal hat sie sich positioniert. Man muss dem entgegentreten. Egal ob als Humanist, als liberaler Demokrat oder als Christ.

posted by Stadler at 22:38  

7.7.18

Störerhaftung jetzt auch im Datenschutzrecht?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vor einigen Wochen (Urteil vom 05.06.2018, Az.: C-210/16) entschieden, dass der Betreiber einer Facebook-Fanpage (neben Facebook) als datenschutzrechtlich Verantwortlicher zu betrachten ist. Der EuGH macht zunächst deutlich, dass er eine weite Definition des Begriffs des „Verantwortlichen“ präferiert, um einen wirksamen und umfassenden Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten. Der Betreiber einer Fanpage beteiligt sich durch die Unterhaltung der Fanseite an der Datenverarbeitung und ist daher gemeinsam mit Facebook Irland als für diese Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 einzustufen. Die Entscheidung wird, jedenfalls was die Frage des Verantwortlichen angeht, auch auf die DSGVO Anwendung finden.

Es ist nach dieser Lesart also keinesfalls so, dass der Verantwortliche, was der englische Begriff des Controllers nahelegen würde, den Prozess der Datenverarbeitung steuern und kontrollieren muss. Vielmehr genügt auch ein (untergeordneter) Beitrag, um zum gemeinsamen Verantwortlichen zu werden. Damit hat der EuGH eine Art Störerhaftung im Bereich des Datenschutzes geschaffen, die es ermöglicht, nahezu beliebige (kausale) Beiträge als verantwortungsbegründend zu qualifizieren.

Insoweit verbleibt aber die dogmatische und auch rechtspolitische Frage, ob es wirklich sachgerecht ist, neben dem Hauptverantwortlichen, der den Datenverarbeitungsvorgang tatsächlich steuert und kontrolliert, jeden als Verantwortlichen zu begreifen, der einen Beitrag zu einer (fremden) Datenverarbeitung leistet. Der EuGH betont in seiner Entscheidung zwar, dass die bloße Nutzung eines sozialen Netzwerks nicht ausreichend sein soll, um den Nutzer zum Mitverantwortlichen zu machen. Konsequent erscheint diese Einschränkung im Lichte der weiten Auslegung des EuGH aber nicht. Denn wer als Nutzer Inhalte postet – und nichts anderes macht der Betreiber einer Fanseite am Ende auch – trägt dazu bei, dass Facebook das Verhalten anderer Nutzer, die die geposteten Inhalte lesen oder betrachten, auswerten kann. Mithin leistet man nach der Logik des EuGH also bereits durch das bloße Einstellen von Inhalten in ein soziales Netzwerk einen kausalen Beitrag für eine sich anschließende Datenverarbeitung von Facebook. Diese Konsequenz will der EuGH freilich nicht ziehen, weil man damit jeden Nutzer eines sozialen Netzwerks als Verantwortlichen einstufen müsste.

Es zeigt sich auch hier wieder etwas, was man seit Jahren beobachten kann. Die konsistente Anwendung des Datenschutzrechts würde die Nutzung des Internets wie wir es kennen und wie es von einer Mehrzahl der Menschen genutzt wird, deutlich beeinträchtigen. Weil aber weder der Gesetzgeber noch die Gerichte diese Konsequenz ziehen wollen, kommt es immer wieder zu widersprüchlichen datenschutzrechtlichen Schlussfolgerungen, die zu Rechtsunsicherheit führen.

posted by Stadler at 15:18