Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

4.2.22

Ist Hass keine Meinung? Eine Anmerkung zum Künast-Beschluss des BVerfG

Der Fall hatte große mediale Aufmerksamkeit erregt. Die Grünen-Politikerin Renate Künast ist via Facebook massiv beschimpft worden, die 22 Einzeläußerungen, die die Politikerin beanstandet, sind im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2021 (Az.: 1 BvR 1073/20) unter Randziffer 7 – unter Auslassung der derbsten Beleidigungen – wörtlich wiedergegeben. Renate Künast hat im Anschluss versucht, gestützt auf § 14 Abs. 3 TMG (alte Fassung), beim Landgericht Berlin zu erwirken, dass Facebook Auskunft über die Verfasser der Postings erteilen muss. Das Landgericht Berlin hat den Antrag zunächst vollständig zurückgewiesen, weil es bei sämtlichen 22 Äußerungen der Ansicht war, dass die Meinungsfreiheit überwiegt. Auf die Beschwerde Künasts hin, hat das Landgericht seine Entscheidung selbst abgeändert und eine Auskunft im Hinblick auf sechs Postings verfügt. Diese Entscheidung hat das Kammergericht teilweise aufgehoben und eine Beauskunftung im Bezug auf weitere fünf Äußerungen angeordnet. Aber auch das Kammergericht hielt noch insgesamt elf Postings für äußerungsrechtlich zulässig.

Auf die Verfassungsbeschwerde von Künast hat das BVerfG jetzt die Entscheidung des Kammgerichts vollständig aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das KG zurückverwiesen.

Im Kern beanstandet das Bundesverfassungsgericht, dass sich das Kammgericht auf die Frage beschränkt, ob eine sog. Schmähkritik vorliegt und anschließend, nachdem die Schmähkritik verneint wurde, keinerlei Abwägung zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht andererseits mehr vornimmt.

Das BVerfG führt dazu u.a. aus:

Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Kammergericht, dass es sich bei den noch verfahrensgegenständlichen Bezeichnungen der Beschwerdeführerin um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen handelt. Der von ihm formulierte Obersatz, es liege kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung (Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik) vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erreiche nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontextes lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Antragstellerin erscheinen, belegt indes, dass das Kammergericht unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts davon ausgeht, eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB liege aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann vor, wenn die streitgegenständliche Äußerung „lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung“ zu verstehen sei. 4

aa) Dieses Fehlverständnis hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Beleidigungstatbestands setzt sich bei den Ausführungen des Fachgerichts zur Äußerung „Pädophilen-Trulla“ fort. 4

(1) Zwar deutet das Kammergericht die Notwendigkeit einer Abwägung an, wenn es feststellt, dass wegen der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen die persönlichkeitsrechtlichen Belange der Nutzer gegeneinander abzuwägen seien. Verfassungsrechtlich fehlerhaft knüpft es die Voraussetzungen der Beleidigung sodann aber an die Sonderform der Schmähkritik an. Es stellt entscheidend darauf ab, die strengen Voraussetzungen, die nach dem oben Gesagten an eine Schmähkritik und einen Wertungsexzess zu stellen seien, lägen nicht vor, weil die auf die Einstellung und geistige Verfassung der Beschwerdeführerin bezogenen Kommentare noch einen hinreichenden Bezug zur Sachdebatte aufwiesen, im Rahmen derer die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer damaligen Äußerung in den Fokus geraten sei. Die angekündigte Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin nimmt das Kammergericht in der Folge aber nicht vor.


Der Beschluss des BVerfG bedeutet allerdings nicht, dass damit die Entscheidung des Kammergerichts zwingend vorgezeichnet ist.

Denn im Ausgangspunkt muss man sehen, dass die jetzt noch in Rede stehenden Äußerungen allesamt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und das Kammergericht nun etwas sauberer für jede einzelne Äußerung abwägen muss, ob das Persönlichkeitsrecht von Künast in jedem einzelnen Fall überwiegt.

In diese Abwägung wird einzustellen sein, dass es sich bei Frau Künast um eine Politikerin handelt und sich Politiker nach der Rechtsprechung von EGMR und BVerfG im öffentlichen Meinungskampf verbal mehr als andere auch sehr scharfe Äußerungen gefallen lassen müssen. Diesen Punkt erörtert das BVerfG in seinem Beschluss unter dem Schlagwort „Machtkritik“. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Frau Künast letztlich nur in ihrer Sozialsphäre betroffen ist. Denn Hintergrund war die wiederaufkommende Debatte über die Haltung der Grünen zu Pädophile in den 80’er Jahren und ein Zwischenruf von Renate Künast im Berliner Abgeordnetenhaus und damit ihre politische Tätigkeit und ihr öffentliches Wirken. Allerdings wird dennoch zu fragen sein, inwieweit für die Äußerungen ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand. Auch die Eingriffsintensität der einzelnen Äußerungen, die maßgeblich von der konkreten Wortwahl abhängt und die hier durchaus unterschiedlich hoch ist, ist von Bedeutung.

Das Problem der Entscheidung des Kammergerichts ist vor allem die fehlende Differenzierung. Die Berliner Richter haben überhaupt nur zwei Aussagen konkret bewertet, ohne die vom BVerfG geforderte Abwägung vorzunehmen und in Bezug auf die restlichen Äußerungen nur ergänzt, dass für sie dasselbe gelten soll.

Es ist also nicht auszuschließen, dass einige der Aussagen vom Kammgericht auch weiterhin nicht als strafrechtliche Beleidigung bewertet werden. Dies dürfte insbesondere die Aussagen betreffen, die aufgrund ihrer Wortwahl schon eine eher geringe Eingriffsintensität aufweisen, wie beispielsweise „Die sind alle so krank im Kopf“

„Hass ist keine Meinung“ schrieb Renate Künast als Reaktion auf ihre erfolgreiche Verfassungsbeschwerde auf Twitter. Das klingt griffig, ist es aber in rechtlicher Hinsicht nicht. Alle Einzeläußerungen, die Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren, fallen in den Schutzbereich von Art. 5 GG und müssen gegen das Persönlichkeitsrecht von Frau Künast abgewogen werden. Das Ergebnis dieser Abwägung hat das BVerfG aber nicht vorgegeben, eine klare „Segelanweisung“, wie das Kammergericht im Ergebnis zu entscheiden hat, enthält der Beschluss nicht.

Man darf also durchaus gespannt sein, wie das KG mit der Vorgabe aus Karlsruhe umgehen wird.

posted by Thomas Stadler at 16:57