Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.9.22

OLG München zu den Aufklärungspflichten des Anbieters einer Business-Software-Lösung

 Oberlandesgericht München, Beschluss vom 08.08.2022

Az.: 20 U 3236/22 e (52 O 367/20 LG Landshut)

Leitsätze des Verfassers:

Die zeitlich begrenzte entgeltliche Überlassung von Standardsoftware ist als Mietvertrag zu qualifizieren.

Der Anbieter einer Buchungssoftware (für Hotels) muss von sich aus klären, welcher Art der Betrieb seines Kunden ist und welche Anforderungen die zu verwendende Buchungssoftware im Betrieb des Kunden erfüllen soll. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein Pflichtenheft hätte erstellt werden müssen, da der Softwareanbieter auch ohne ein solches Pflichtenheft als (allein) Fachkundiger die genannte Aufklärung betreiben muss.

Beschluss des OLG München:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 28.04.2022, Az. 52 O 367/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe:

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage im Wesentlichen stattgegeben. Rechtsfehler zeigt die Berufungsbegründung nicht auf.

1. Kein Anspruch der Klägerin in Höhe von 6.600,58 € (Rechnung Nummer 11826393-DE03B vom 28.12.2018, Anl. K4)

a) Mit der genannten Rechnung macht die Klägerin die mit Vertrag vom 15.1.2018 (Anl. K1) vereinbarte jährliche Lizenzgebühr geltend.

b) Diese Gebühr kann die Klägerin nicht verlangen, da die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 10.9.2018 (Anl. K8) wirksam fristlos gekündigt hat.- 

aa) Die zeitlich begrenzte entgeltliche Überlassung von Standardsoftware (wie vorliegend) ist als Mietvertrag zu beurteilen (BGH, Urteil vom 15.11.2006, XII ZR 120/04, Rn. 13 ff). Aus den Regelungen des Vertrags vom 15.1.2018 (K1) geht hervor, dass auch die Parteien den mietrechtlichen Charakter des zwischen ihnen begründeten Dauerschuldverhältnisses erkannten und wollten, so heißt es unter Ziff. 2. (Die Lizenz) „… ohne das Recht zur Untervermietung…“ (Anl. K1, S. 2 unten links) und unter Ziff. 5 (Gewährleistung) (b) (ii) „…Kündigung des Vertrags wegen Nichtgewährung des vertragsmäßi gen Gebrauchs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) geltend machen.“ (Anl. K1, S. 4 linke Spalte Mitte).- – – – 

bb) Zutreffend hat das Landgericht aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 15.2.2021 nebst zweier Ergänzungsgutachten vom 14.7.2021 und 14.9.2021 festgestellt, dass die Beklagte zur fristlosen Kündigung am 10.9.2018 berechtigt war. Aufgrund der bei der Beklagten im Vordergrund stehenden langfristigen Vermietungen stellt es einen wesentlichen Mangel der angebotenen Software dar, dass in der zur Verfügung gestellten Version kein Pauschalpreis für monatsweise Vermietung (unabhängig von der Länge des konkreten Monats) eingestellt werden kann. Diesen Punkt hatte die Beklagte bereits kurz nach Installation der Software und Eröffnung des Hotels ab 1.5.2018 gerügt (E-Mail vom 16.5.2018, Anl. K 11 = B 7b). Ob – wie die Klägerin behauptet – eine entsprechende Anpassung der Software möglich wäre, kann offenbleiben, da auf die Rüge der Beklagten eine solche Anpassung nicht stattgefunden hat, sondern stattdessen mit E-Mail der Klägerin vom 30.5.2018 eine vorzeitige Vertragsbeendigung in Aussicht gestellt (Anl. B5) und mit Schreiben vom 13.8.2018 zum 14.1.2020 bestätigt wurde (Anl. K7). Die Nachbesserung ist damit als fehlgeschlagen iSv. Ziff. 5 (b) (ii) des Vertrags vom 15.1.2018 anzusehen, da die Klägerin bis zum Ausspruch der fristlosen Kündigung hinreichend Gelegenheit hatte, eine entsprechende Anpassung der Software vorzunehmen (vgl. Ziff. 5 (b) (iii) des Vertrags). Einer Fristsetzung bedurfte es ausweislich der vertraglichen Regelung, insbesondere Ziff. 5 (Gewährleistung) (b) (iii) und Ziff. 8 (Laufzeit und Kündigung) (b), ausdrücklich nicht,.Weitere wesentliche Mängel liegen lt. Sachverständigengutachten darin, dass vor dem Check-In eines Gastes keine steuerlich anerkannte Rechnung (mit Mehrwertsteuer) erstellt werden kann, dass eine kalendarische Übersicht über die Buchungen lediglich wochenweise möglich ist, so dass bei typischerweise monatelangen Buchungen entsprechend viele Bildschirmseiten nacheinander aufgerufen werden müssen, und dass zwingend täglich ein Tagesabschluss durchzuführen ist, auch wenn es keine tagweisen Buchungen gab.Soweit die Klägerin unter Ziff. 7 der Berufungsbegründung pauschal „inhaltlich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Gerichts in Bezug auf das erstellte Gutachten“ rügt, ist dem nicht zu entnehmen, welche Feststellungen genau damit angegriffen werden sollen. Zu dem eingeholten Gutachten nebst Ergänzungsgutachten hatte die Klägerin zuletzt ausdrücklich keine Einwendungen mehr (Schriftsatz KV 15.10.2021, S. 1).

cc) Zu Recht hat das Landgericht die zu dem Inhalt der Vertragsverhandlungen angebotenen Zeugen nicht vernommen. Es kann offenbleiben, ob die Beklagte bereits vor Vertragsschluss ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie ein Boardinghaus betreiben möchte, bei dem softwareseitig ein monatlicher Fixpreis, steuerlich einwandfreie Vorabrechnungen sowie monatsweise Kalenderübersichten erwartet werden. Denn sollte eine solche Aufklärung der Erwartungen der Beklagten unterblieben sein, wäre dies der Klägerin zuzurechnen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, hätte ihr als Spezialist angesichts der von ihr selbst erkannten fehlenden Erfahrung der Beklagten mit einem Buchungsprogrammen oblegen zu klären, welcher Art der Betrieb der Beklagten ist und welche Anforderungen sie an eine hierfür zu verwendende Buchungssoftware hat (vgl. OLG Köln, Urteil vom 6. 3. 1998, 19 U 228/97 unter 4 cc) = NJW-RR 1999, 51 ff (51).).Dabei kommt es entgegen der Rüge der Berufungsbegründung nicht darauf an, ob tatsächlich ein Pflichtenheft hätte erstellt werden müssen, da auch ohne ein solches jedenfalls die Klägerin als (allein) Fachkundige die genannte Aufklärung hätte betreiben müssen. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung vorträgt, das eine Anhörung der Zeugen ergeben hätte, dass die Beklagte sehr wohl über die Funktionalitäten der Standardsoftware vollumfänglich beraten und aufgeklärt wurde (Ziff. 11 der Berufungsbegründung), ist diese pauschale Behauptung nicht geeignet, eine ausreichende Aufklärung der Anforderungen seitens der Beklagten zu belegen. Vielmehr ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin (“dass.. die seitens der Beklagten aufgeführten 5 Punkte im Schriftsatz vom 9.8.2019 während der Verhandlungen nie besprochen wurden“), dass der Beklagten gerade nicht offengelegt wurde, dass die Einstellung anderer Preise als „pro Nacht“, die Erstellung von Vorab-Rechnungen mit Mehrwertsteuer und eine Kalenderübersicht über mehr als eine Woche gleichzeitig nicht möglich sein würden.

dd) Soweit die Klägerin rügt, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme vom Betrieb eines Boardinghauses durch die Beklagte ausgegangen sei, kann sie damit nicht gehört werden. Nach den nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffenen, für den Senat verbindlichen Feststellungen des Landgerichts hat die Klägerin zumindest einen Mischbetrieb (Betrieb eines Hotels und Boardinghauses) nicht bestritten (LGU S. 6). Tatsächlich hat die Klägerin sogar mit Schriftsatz vom 25.9.2019, dort S. 3, wörtlich vorgetragen: „Selbstverständlich war der Klägerin bewusst, dass es sich bei der Beklagten um ein Boardinghaus handelt“. Soweit sie in späteren Schriftsätzen bestritten hat, dass die Beklagte ein „reines Boardinghaus“ betreibe und unter Vorlage von Buchungsmasken vorgetragen hat, dass auch eine „nachtweise“ Buchung bei der Beklagten möglich sei, war dieser Vortrag nicht geeignet, die fehlende Geeignetheit der Software unter dem Gesichtspunkt der – nicht bestrittenen – (zumindest auch stattfindenden) längerfristigen Buchungen in Frage zu stellen.

2. Kein Anspruch der Klägerin in Höhe von 14.161- € (Rechnung Nr. 11811064-DE03B vom 31.5.2018, Anl. K5) und 147,- € (Rechnung Nr. 11811235-DE03B vom 15.6.2018, Anl. K6)

a) Mit diesen Rechnungen macht die Klägerin Installations- und damit zusammenhängende Fahrtkosten geltend.

b) Bei der Installation handelt es sich um eine weitere mit Vertrag vom 15.1.2018 vereinbarte Leistung, die dazu führt, dass es sich insgesamt um einen zusammengesetzten Vertrag handelt, bei dem jeder Vertragsteil nach dem Recht des auf ihn zutreffenden Vertragstypus zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2006, XII ZR 120/04, Rn. 21). Auf die Installation als solche sowie der Durchführung von Updates und Datensicherungen ist Werkvertragsrecht anzuwenden. – – 

c) Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die Installation als solche mangelhaft ist. Denn diese Leistungen wären nicht angefallen, wenn die Beklagte vor Vertragsschluss darüber aufgeklärt worden wäre, was das angebotene System kann (bzw. nicht kann) und eine Bestellung mithin unterblieben wäre. Es handelt sich damit um unnütze Aufwendungen der Beklagten, welche die Klägerin durch pflichtwidriges Verhalten iSv. §§ 280, 311 Abs. 1 BGB verursacht hat, so dass die Beklagte im Rahmen des ihr zustehenden Schadenersatzanspruchs Befreiung von diesen noch offenen Verbindlichkeiten verlangen kann.- – – – 

3. Anspruch der Beklagten in Höhe von 6.875,61 € nebst Zinsen

a) Es handelt sich (wohl) um die Lizenzgebühr für das erste Jahr.

b) Zwar war dieser Anspruch der Klägerin bereits vor der am 10.9.2018 erklärten fristlosen Kündigung fällig geworden und blieb nach der Regelung in Ziff. 6 (c) des Vertrags vom 15.1.2018 (Anl. K1) grundsätzlich weiter geschuldet. Allerdings gilt insoweit ebenfalls, dass der Beklagten infolge der unterbliebenen Aufklärung ein Schadenersatzanspruch gem. §§ 280, 311 Abs. 2 BGB zusteht, der in diesem Punkt auf Rückgängigmachung des Vertrags und somit Rückerstattung der bereits geleisteten Zahlung gerichtet ist.

Der Senat regt dringend an, die Berufung zurückzunehmen. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

posted by Thomas Stadler at 18:04  

1.3.10

Neue IT-Einkaufsbedingungen für die öffentliche Hand

Eine Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums und des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.(BITKOM) hat sich auf den EVB-IT-Systemlieferungsvertrag für die Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) verständigt. Der Systemlieferungsvertrag regelt den Einkauf von Standardhardware und -software für die öffentliche Hand einschließlich deren Integration und Anpassung.

Die verschiedenen EVB-IT Verträge finden sich bei der IT-Beauftragten der Bundesregierung zum Download.

Quelle: Pressemitteilung der IT-Beauftragten der Bundesregierung vom 01.03.2010

posted by Stadler at 16:30  

9.11.09

Kein Werkvertragsrecht mehr bei IT-Verträgen?

Der BGH hat mit Urteil vom 23.07.2009 (Az.: VII ZR 151/08) entschieden, dass Kaufrecht auf sämtliche Verträge mit einer Verpflichtung zur Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen anzuwenden ist. Danach sind Verträge, die allein die Lieferung von herzustellenden beweglichen Bau- oder Anlagenteilen zum Gegenstand haben, nach Maßgabe des § 651 BGB nach Kaufrecht zu beurteilen.

Auch wenn diese Entscheidung nicht explizit IT-Verträge, wie umfangreiche Projekte zur Softwareerstellung, betrifft, dürfte diese Rechtsprechung auch für derartige Verträge relevant sein. Bislang sind Softwareerstellungsverträge – auch nach der Schuldrechtsreform – zumeist nach Werkvertragsrecht beurteilt worden. Die Verträge sind demzufolge regelmäßig auch werkvertraglich ausgestaltet gewesen und haben insbesondere Regelungen zur Abnahme enthalten.

Zu einer Einstufung von Softwareerstellungsprojekten als Werkverträge wird man nur noch dann kommen, wenn man hierin keine Verträge sieht, die auf die Herstellung beweglicher Sachen gerichtet sind oder wenn man den Schwerpunkt des Vertrags in einer Art Planungsleistung sieht. Letzteres kommt aber gerade bei komplexen Projekten durchaus in Betracht und der BGH lässt dieses Schlupfloch auch explizit offen. Entgegen ersten anderen Stimmen bin ich deshalb nicht der Meinung, dass durch diese Entscheidungen Softwareerstellungsverträge stets und per se dem Kaufvertragsrecht zu unterwerfen sind.

posted by Stadler at 08:00