OLG Frankfurt: Identifizierende Berichterstattung über Plagiatsvorwürfe
Das OLG Frankfurt hat ein Urteil des LG Frankfurt aufgehoben, das eine Berichterstattung über Plagiatsvorwüfe unter Namensnennung untersagt hatte (Urteil vom 19.1.22019; Az.: 16 U 210/18). Ein FAZ-Journalist darf danach weiterhin identifizierend über Plagiatsvorwürfe gegen eine ehemalige Uni-Vizepräsidentin berichten.
Zur Begründung führt das OLG u.a. folgendes aus:
Hierbei spielt zunächst eine Rolle, dass die Berichterstattung die Sozialsphäre der Klägerin betrifft, also den Bereich des beruflichen und wissenschaftlichen Wirkens. Zwar hat sich die Klägerin aus dem beruflichen Leben vollständig zurückgezogen und auf die Führung der akademischen Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet. Auch wurde sie auf ihr Verlangen mit Ablauf des XX. August 20XX aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit des Bundeslandes1 entlassen. Gleichwohl ist mit den Plagiatsvorwürfen und einem darüber gefertigten Bericht – auch unter Nennung ihres Namens – kein Eingriff in ihre Privatsphäre verbunden, da die Ursache für diesen Bericht aus ihrer Sozialsphäre und früheren beruflichen Tätigkeit stammt. Das gilt selbst vor dem Hintergrund, dass die Klägerin als akademische Amtsbezeichnung1, Amtsbezeichnung2 und zeitweise Amtsbezeichung3 der Universität1 vor allem mit Verwaltungstätigkeiten befasst war und keine Lehrstuhlinhaberin gewesen ist. Auch wenn sie auf die akademische Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet hat, bleiben ihre beiden wissenschaftlichen Arbeiten, die Doktorarbeit und die Habilitationsschrift in der Welt. Sie sind an den Hochschulen und weiteren Bibliotheken vorhanden und dienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dafür – und nicht nur im Interesse eines persönlichen beruflichen Fortkommens – wurden sie geschrieben.
Nach Auffassung des Senats hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Namens der Autorin dieser wissenschaftlichen Schriften, weil gerade hierin ein besonderer zusätzlicher Informationswert liegt, der ohne die namentliche Nennung nicht berücksichtigt würde. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann dem auch nach dem vollständigen Rückzug der Klägerin aus dem Wissenschaftsbetrieb und aus öffentlichen Funktionen verbleibenden Interesse an dem Thema „Plagiatsvorwürfe gegen Hochschulangehörige“ durch eine die Klägerin nicht namentlich bezeichnende Berichterstattung nicht Rechnung getragen werden. Denn ohne die namentliche Nennung würden die Fortwirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt.
Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Übernahmen aus fremden Texten, die als solche nicht gekennzeichnet sind, führt zu einer Perpetuierung dieser Plagiate, was gegen wissenschaftliche Interessen verstößt. Ferner ist ein wissenschaftliches Buch ohne den Namen des Verfassers wenig aussagekräftig, auch wenn Titel, Verlag und Erscheinungsjahr zusätzlich veröffentlicht sind. Werk und Autor gehören zusammen. Es besteht auch eine Verwechslungsgefahr, da allein der Titel eines Werkes nicht immer aussagekräftig ist. Das gilt gerade für ein Werk, das – wie die Habilitationsschrift der Klägerin – mit einem aktuellen und eher allgemein gehaltenen Titel versehen ist. Das Thema ihres Buches „…“ ist (…) hochaktuell, vor allem auch durch den zweiten Teil des Titels „…“. (…). Das gilt für den wissenschaftlichen Diskurs, aber auch für journalistische Tätigkeiten. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat (…) die Habilitationsschrift der Klägerin zitiert (…).
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat die Revision zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an einem plagiatsfreien Wissenschaftsbetrieb eine namentliche Nennung eines mit einem Plagiatsvorwurf belasteten Wissenschaftlers rechtfertigt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Ich gehe davon aus, dass der BGH die Entscheidung des OLG Frankfurt bestätigen wird. Der Eingriff betrifft richtigerweise lediglich die Sozialsphäre der Klägerin, die deshalb eine wahrheitsgemäße Berichterstattung im Regelfall hinnehmen muss, es sei denn es sprechen besondere Umstände für ein Überwiegen des Persönlichkeitsschutzes. Es handelt sich zudem um einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse. Dass demgegenüber der Umstand, die Klägerin habe sich – nicht ganz freiwillig – infolge der Plagiatsvorwürfe aus allen Ämtern zurückgezogen, durchgreifend sein soll, erscheint nicht nachvollziehbar.