Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.11.13

Lügen für die Vorratsdatenspeicherung

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat bereits vor seinem denkwürdigen Auftritt im Heute-Journal zu einem weiteren argumentativen Höhenflug angesetzt. Im ARD-Brennpunkt hat er vergangene Woche die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung mit den Morden von Anders Breivik gerechtfertigt und behauptet, dass man durch die Vorratsdatenspeicherung in Norwegen sehr schnell wusste, wer der Mörder war. Jetzt ist allerdings hinlänglich bekannt, dass Breivik noch vor Ort auf der Insel Utøya festgenommen wurde. Außerdem gab es in Norwegen zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine (umgesetzte) Vorratsdatenspeicherung, worauf Gabriel jetzt sogar von seinen Genossen Netzpolitikern hingewiesen wurde.

Es ist unredlich so zu argumentieren, aber wer die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordert, kann gar nicht anders, denn es gibt keine Fakten, die den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung belegen würden. Der EuGH hat hierzu übrigens die richtigen Fragen gestellt. Beantwortet wurden sie bislang nicht.

Innenminister Friedrich hat wieder einmal in dasselbe Horn geblasen wie Gabriel und verweist aktuell darauf, dass Telekommunikationsdaten bei der Aufklärung von Kinderpornographie und Computerkriminalität hilfreich seien. Hierzu sollte man dann allerdings ergänzend auch erwähnen, dass die Ermittlungsbehörden bereits über umfangreiche Befugnissen für die TK-Überwachung verfügen und davon auch rege Gebrauch gemacht wird. Die Bekämpfung von Computerkriminalität mittels Vorratsdatenspeicherung wird wegen Vorgaben des BVerfG übrigens auch künftig schwierig sein. Denn das BVerfG verlangt die Begrenzung der Vorratsdatenspeicherung auf schwere Katalogstraftaten, die auch im Einzelfall schwer wiegen müssen. Das trifft auf die Delikte der Computerkriminalität aber weitgehend nicht zu.

Wer erhebliche Grundrechtseingriffe wie bei der Vorratsdatenspeicherung fordert, der schuldet den Bürgern zuerst eine stichhaltige und auf belastbare Zahlen gestützte Begründung für deren Notwendigkeit. Solche Fakten werden aber von der Politik nicht präsentiert, weil sie nicht existieren. Stattdessen ist die Debatte seit Jahren von Unsachlichkeit und Angstmacherei geprägt. Sigmar Gabriel steht den Unions-Hardlinern da in nichts nach.

posted by Stadler at 21:58  

29.11.13

BGH-Entscheidung zum E-Learning

Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden, dass es die Schrankenbestimmung des § 52a UrhG Universitäten ermöglicht, den Teilnehmern einer Lehrveranstaltung Teile eines urheberrechtlich geschützten Werkes auf einer elektronischen Lernplattform zur Verfügung zu stellen, sofern diese Teile höchstens 12% des Gesamtwerks und nicht mehr als 100 Seiten ausmachen und der Rechtsinhaber der Universität keine angemessene Lizenz für die Nutzung angeboten hat (Urteil vom 28.11.2013, Az.: I ZR 76/12).

Der BGH hob damit gleichzeitig eine äußerst restriktive Entscheidung des OLG Stuttgart auf, die ich hier bereits kritisch erwähnt hatte. In der Pressemitteilung des BGH heißt es dazu:

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind unter „kleinen“ Teilen eines Werkes entsprechend einem zwischen der Verwertungsgesellschaft Wort und den Bundesländern geschlossenen „Gesamtvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG für das Öffentlich-Zugänglichmachen von Werken für Zwecke des Unterrichts an Schulen“, der gleichfalls Sprachwerke betrifft, höchstens 12% des gesamten Werkes zu verstehen. Darüber hinaus sei eine – vom BGH mit 100 Seiten definierte – Höchstgrenze erforderlich, weil ansonsten ganze Bände eines mehrbändigen Werkes ohne Einwilligung des Urhebers öffentlich zugänglich gemacht werden dürften. Die Beklagte habe demnach grundsätzlich bis zu 63 Seiten des Werkes „Meilensteine der Psychologie“ auf der Lernplattform einstellen dürfen. Das Einstellen der Beiträge habe – so der BGH – auch der Veranschaulichung im Unterricht gedient. Dem stehe, anders als das Berufungsgericht gemeint habe, nicht entgegen, dass sie den Unterrichtsstoff nicht nur verdeutlicht, sondern auch ergänzt hätten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erlaube die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG auch nicht nur ein Bereithalten kleiner Teile eines Werkes zum Lesen am Bildschirm. Vielmehr gestatte sie deren Zugänglichmachen auch dann, wenn Unterrichtsteilnehmern dadurch ein Ausdrucken und Abspeichern der Texte ermöglicht werde. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist ein Zugänglichmachen allerdings nicht geboten im Sinne von § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG, wenn der Rechtsinhaber der Hochschule eine angemessene Lizenz für die fragliche Nutzung angeboten hat. Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das nun die Angemessenheit des Lizenzangebots des Klägers zu prüfen haben wird.

Die Entscheidung ist im Rahmen dessen was die Schrankenbestimmung des §52a UrhG ermöglicht, durchaus erfreulich.

posted by Stadler at 15:40  

29.11.13

Großer Journalismus oder doch nur Quatsch?

Verschiedene Medien, SPD-Anhänger sowieso, und auch Anwaltskollegen empören sich gerade darüber, dass eine Journalistin namens Marietta Slomka ihre Arbeit macht. Was war geschehen? Slomka hatte sich im Heute-Journal erdreistet, den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel danach zu fragen, ob die Einholung der Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag nicht vielleicht verfassungsrechtlich bedenklich sei. Hintergrund der Frage sind Aussagen des renommierten Verfassungsrechtlers Christoph Degenhardt, der diese Mitgliederbefragung als verfassungsrechtlich nicht legitim bezeichnet hatte. In dieser Situation erwarte ich von einer guten Journalistin geradezu, dass sie diesen Punkt aufgreift und danach fragt.

Und ja, wir sollten darüber diskutieren, ob die Stellung der Parteien im politischen Gesamtgefüge nicht mittlerweile viel zu stark ist und ob nicht alle Formen von striktem Fraktions- oder Parteienzwang mit Art. 38 des Grundgesetzes kollidieren und Ausdruck einer verfassungfernen Grundhaltung der Parteien und ihrer Entscheidungsträger sind. Das lässt sich nicht dadurch kontern, dass die Parteien im Grundgesetz ebenfalls erwähnt sind (Art. 21 GG) und ihre innere Ordnung danach demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Denn es geht vorliegend – zumindest juristisch – nicht um die innere Ordnung der SPD, sondern um eine Regierungsbildung.

Der Umstand, dass Gabriel bereits zu Beginn des Interviews auf Krawall gebürstet war und dann aus der Rolle fällt, machte das Interview im Verlauf etwas unangenehm. Gerade auch deshalb, weil Marietta Slomka in dieser Situation standhaft geblieben ist, kann ich Maximilian Steinbeis nur zustimmen. Das war großer Journalismus.

posted by Stadler at 14:55  

28.11.13

Große Koalition will Providerhaftung verschärfen

In den letzten Tagen und Wochen konnte man wiederholt lesen, dass die große Koalition die Providerhaftung verschärfen will. BITKOM warnt in einer aktuellen Pressemitteilung gar vor einer „Zensurmaschine„. Auf Seite 133 des Koalitionsvertrags findet sich dazu folgende Formulierung:

Als wesentlichen Beitrag zum Schutz der Verbraucher und zur Eindämmung von massenhaften Rechtsverletzungen sehen wir die Diensteanbieter im Internet stärker in der Verantwortung. Wir wollen die Rechtsdurchsetzung insbesondere gegenüber Plattformen verbessern, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut. Wir werden dafür sorgen, dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider genießen, zurückziehen können und insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten.

Damit wird, wenn auch äußerst vage, eine stärkere Inpflichtnahme von Providern bei der Bekämpfung von Rechtsverletzungen im Internet in Aussicht gestellt.

Dass sich Plattformen, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut, auf das Privileg als Host-Provider berufen können, ist bereits nach geltendem Recht ausgeschlossen. Insoweit stellt sich auch die Frage, ob die Koalition die aktuelle Rechtsprechung des BGH und des EuGH zur Kenntnis genommen hat.

Der BGH hat ganz aktuell – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH – entschieden, dass sogar eBay nicht mehr in den Genuss der Haftungsprivilegierung des TMG bzw. der E-Commerce-Richtlinie gelangt, wenn es selbst Werbung für die auf der Plattform angebotenen Produkte betreibt. Darüber hinaus hat der BGH kürzlich die Verantwortlichkeit von Filehostern wie RapidShare – auf die sich die Formulierung im Koalitionsvertrag beziehen dürfte – deutlich verschärft. Vor diesem Hintergrund besteht in diesen Bereichen kein Handlungsbedarf. Zumal die Schwierigkeit darin besteht, festzulegen, bei welchen Diensten das Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut. Das ist schon deshalb problematisch, weil hier natürlich auch Fragen der Berufsfreiheit betroffen sind, sollte man sich entschließen, bestimmte Arten von Filehostern per se als rechtsverletzend einzustufen. Der BGH nimmt im Hinblick auf RapidShare an, dass das dortige Gerschäftsmodell zwar nicht von vornherein auf Rechtsverletzungen angelegt ist, dass der Betreiber aber dennoch durch eigene Maßnahmen die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung des Dienstes fördert, was sich wiederum auf die Haftungsfrage auswirkt. Das ist ohnehin schon äußerst weitgehend. Ob hier überhaupt eine gesetzgeberische Handlungsmöglichkeit besteht, die über die Rechtsprechung des BGH hinausgeht, darf man vor dem Hintergrund von Art. 12 GG bezweifeln.

posted by Stadler at 15:24  

28.11.13

Die Impressumspflicht im Internet und das Wettbewerbsrecht

Verstöße gegen die Impressumspflicht des § 5 TMG werden von den Gerichten bislang regelmäßig als Wettbewerbsverstoß betrachtet. Das Einfallstor zum Wettbewerbsrecht ist die Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG die bei Verstößen gegen sog. Marktverhaltensregeln eine Unlauterkeit annimmt.

Diese Betrachtung könnte allerdings seit Mitte des Jahres gegen europäisches Recht verstoßen, eine Rechtsfolge die von den Gerichten bislang aber noch nicht erkannt worden ist.

Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) sieht in ihrem Art. 3 Abs. 5 vor, dass die Mitgliedsstaaten nur bis zum 12.06.2013 nationale Vorschriften beibehalten können, die restriktiver oder strenger sind als die Richtlinie. 

Wenn die UGP-Richtlinie also die wettbewerbsrechtliche Behandlung von Impressumspflichten weniger streng regelt als das nationale Recht, dann kann die bisherige Anwendung von Art. 3, 4 Nr. 11 UWG nicht mehr aufrecht erhalten bleiben.

Art. 7 UGP-Richtlinie regelt die Vorenthaltung wesentlicher Informationen gegenüber Verbrauchern als irreführende Unterlassung. Diese Vorschrift ist mit § 5a UWG in deutsches Recht umgesetzt worden. Interessant daran ist insbesondere, dass die Vorenthaltung wesentlicher Informationen, zu denen man zwanglos auch die Informationen des § 5 TMG zählen kann, danach nicht per se zu einem Wettbewerbsverstoß führt. Die Vorschrift erfordert vielmehr eine Abwägung im Einzelfall, wobei es darauf ankommt, ob der Verbraucher von einer informierten geschäftlichen Entscheidung abgehalten wird bzw. der Verstoß geeignet ist, eine geschäftliche Entscheidung zu veranlassen, die der Verbraucher sonst nicht getroffen hätte. Insoweit sind nach Art. 7 Abs. 1 UGP-RL alle tatsächlichen Umstände sowie die Beschränkungen des Kommunikationsmediums zu berücksichtigen.

Es kann vor diesem Hintergrund also ohne weiteres sein, dass ein Verstoß gegen § 5 TMG nicht als Wettbewerbsverstoß zu bewerten ist. Es stellt sich vielmehr der Frage, wann der Verbraucher diese Informationen benötigt, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Bei E-Commerce-Anbietern wird man diese Informationen regelmäßig als notwendig anzusehen haben, wenn ein Vertragsschluss typischerweise online erfolgt. Bei einem örtlichen Betrieb, der nur im Netz für sein Unternehmen wirbt, dürfte dies aber häufig anders zu beurteilen sein. Denn in diesen Fällen wird der Verbraucher die Informationen dazu benutzen, um mit dem Unternehmer Kontakt aufzunehmen und um evtl. später vor Ort einen Vertrag zu schließen. Der Verstoß ist in solchen Fällen nicht geeignet, eine geschäftliche Entscheidung herbeizuführen, die der Verbraucher sonst nicht getroffen hätte.

Auf die dargestellten Aspekte hat Helmut Köhler in einem aktuellen Aufsatz (WRP 2013, 1419) hingewiesen. Da Köhler im Wettbewerbsrecht nicht irgendjemand ist, könnte es durchaus sein, dass die Rechtsprechung diese Argumentation demnächst aufgreifen wird.

posted by Stadler at 14:40  

27.11.13

Und ewig locken die Netzsperren

Es gab in Deutschland vor einigen Jahren eine kontroverse öffentliche Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz an deren Ende fast das gesamte politische Establishment davon überzeugt werden konnte, dass Netzsperren durch Access-Provider aus verschiedensten Gründen abzulehnen sind. Nachdem ich mich mit der Thematik seit weit mehr als 10 Jahren, nämlich seit den Sperrungsanordnungen der Bezirksregierung Düsseldorf, beschäftige, bin ich es mittlerweile auch irgendwie leid, dieselben Argumente alle paar Jahre zu wiederholen. Aber offenbar muss es sein.

Der Generalanwalt beim  EuGH hält in seinem gestrigen Schlussantrag in einem Vorlageverfahren des österreichischen OGH Access-Sperren, soweit sie sich gegen einzelne Websites richten, nicht allein deshalb für unverhältnismäßig, weil sie einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern, aber gleichzeitig ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden kann. Die Argumentation, dass zumindest einige Dumme durch Access-Sperren abgehalten würden, ist aus der deutschen Diskussion hinlänglich bekannt.

Es wäre an dieser Stelle außerdem notwendig gewesen, sich ausführlich mit dem Phänomen Overblocking und den drohenden „Chilling Effects“ zu befassen. Der Generalanwalt erkennt zwar, das hierin ein Problem liegen könnte, erklärt dann aber nur lapidar, dass sicherzustellen sei, dass die Sperrmaßnahme tatsächlich verletzendes Material trifft und kein rechtmäßiges Material gesperrt wird. Die Frage, ob dies tatsächlich sichergestellt werden und mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, beantwortet der Generalanwalt freilich nicht. Jede Sperrmaßnahme, die beim Zugangsprovider ansetzt, beinhaltet allerdings die naheliegende Gefahr, dass andere, legale Internetinhalte mitgesperrt werden, weil es auf der Ebene der Access-Provider, die selbst keinen Zugriff auf die inkriminierten Inhalte haben, nicht immer möglich ist, die Blockademaßnahmen zielgenau auf eine bestimmte Website zu begrenzen. Die Frage ist insoweit natürlich auch, mit welcher technischen Lösung eine solche Netzsperre umgesetzt wird und wer darüber entscheiden soll, welche konkreten technischen Maßnahmen der Provider treffen muss.

Noch bemerkenswerter ist allerdings die weitere Aussage und Entscheidungsempfehlung zu Art. 8 Abs. 3 der Infosoc-Richtlinie. Diese Vorschrift lautet:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

Die Vorschrift verdeutlicht, dass der Geist von ACTA in Europa schon wehte, lange bevor die Netzaktivisten dies bemerkt haben. Aber das ist eine politische Frage, die das Zustandekommen der Regelung betrifft.

Die juristische Auslegung des Generalanwalts ist allerdings noch von einem ganz anderen Kaliber. Dass man Access-Provider als Vermittler im Sinne der Norm verstehen kann, wird man juristisch sicherlich vertreten können. Aber nutzt der Rechtsverletzer die Dienste der Access-Provider der Nutzer? Der Generalanwalt erklärt uns jetzt, wie ich finde allerdings ohne nennenswerte Argumente, dass derjenige, der ohne Zustimmung des Rechteinhabers urheberrechtliche Werke im Internet zugänglich macht, dafür auch die Dienste der Access-Provider jener Personen nutzt, die auf diese Werke zugreifen. Das sprengt die Grenze meiner Vorstellung von juristischer Auslegung bei weitem und ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar. Nach dem Wortlaut müssen die Dienste des Vermittlers zur Verletzung des Urheberrechts genutzt werden und zwar vom Rechtsverletzter. Das erfordert aus Sicht des Rechtsverletzter ein gewisses Maß an Zielgerichtetheit und aktives Handeln im Hinblick auf die Nutzung eines bestimmten Dienstes. Der Generalanwalt behilft sich insoweit mit einer erstaunlichen Überlegung:

Man mag nun zwar einen bestimmten Provider wegdenken, ohne dass die Website dadurch nicht mehr zugänglich wäre, aber als Kollektiv sind die Provider der Internetnutzer notwendig, um im Internet von einer „öffentlichen Zugänglichmachung“ zu reden

Soll heißen: Wenn es keine Provider gäbe, dann könnte auch niemand auf rechtsverletzende Inhalte im Netz zugreifen und deshalb werden die Dienste der Provider für Urheberrechtsverletzungen genutzt. Man könnte jetzt natürlich auch argumentieren, dass es Rechtsverletzungen im Internet nur deshalb gibt, weil es das Internet überhaupt gibt. Und das entspricht eigentlich schon ziemlich exakt dem Denkansatz des Generalanwalts. Mit diesem Argument könnte man allerdings auch Tim Berners-Lee persönlich für Urheberrechtsverletzungen im Internet verantwortlich machen, ebenso wie den Betreiber einer Straße für jeden dort passierenden Verkehrsunfall. Eine Kausalkette haben sie ja irgendwie beide in Gang gesetzt. Vielleicht wäre es an dieser Stelle aber auch notwendig, ein Mindestmaß an Adäquanz zu fordern. Und der Wortlaut zeigt den Weg ganz deutlich auf. Es heißt dort nämlich: „von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts (…) genutzt„. Und der Dritte, also der Verletzter nutzt die Dienste des Access-Providers des Nutzers nicht, weil er mangels Zugriff dazu gar nicht in der Lage ist, mag er auch auch von deren Existenz profitieren, ebenso wie er von der Existenz des Internets ganz allgemein profitiert.

Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH der nicht tragfähigen Argumentation des Generalanwalts eine klare Absage erteilt. Das geschieht zwar nicht oft, aber zumindest gelegentlich.

posted by Stadler at 14:57  

26.11.13

Freie Fahrt für die Vorratsdatenspeicherung?

Gestern habe ich noch auf einer Podiumsdiskussion der Freisinger Jusos über das Für und Wider der Vorratsdatenspeicherung diskutiert und zwar mit dem Polizeibeamten und SPD-Mitglied Uwe Dörnhöfer. Meine zwei Kernthesen haben gelautet:

Eine Vorratsdatenspeicherung ist aus rechtsstaatlicher und bürgerrechtlicher Sicht nicht akzeptabel.

Es gibt keine fundierten Erkenntnisse über den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Strafverfolgung und zwar aus keinem einzigen EU-Mitgliedsstaat, sondern nur die empirisch nicht belegte Behauptung eines Nutzens durch Sicherheitspolitiker und Polizeibehörden.

Heute meldet netzpolitik.org, dass man sich in den Koalitionsverhandlung darauf geeinigt hätte, die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen bzw. wiedereinzuführen. Die Formulierungen deuten darauf hin, dass Einschränkungen der Abrufbefugnis nur in dem Umfang vorgenommen werden dürften, wie es das BVerfG vorgegeben hat. Das ist insofern keine große Überraschung, als dass bereits das vom BVerfG für nichtig erklärte Gesetz von der letzten großen Koalition beschlossen wurde und die SPD den Willen zur Vorratsdatenspeicherung auch in einem Parteitagsbeschluss artikuliert hat. Andererseits scheinen auch die Ereignisse der letzten Monate in der Führungsriege der SPD keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben.

Aufhorchen lässt allerdings der Hinweis, man werde auf europäischer Ebene auf eine Speicherfrist von nur drei Monaten hinwirken. Derzeit sieht die Richtlinie allerdings eine Speicherdauer von sechs Monaten bis zu zwei Jahren vor. Die Frage ist insoweit, ob man in Deutschland zügig eine Vorratsdatenspeicherung mit einer Speicherdauer von zunächst sechs Monaten einführen will oder ob man tatsächlich abwarten wird, bis es in Brüssel zu einer Evaluierung der Richtlinie kommt.

Egal wie man zur Vorratsdatenspeicherung steht, erscheint es politisch aber in jedem Fall sinnvoll, die anstehende Entscheidung des EuGH abzuwarten. Die kritischen Fragen des EuGH nähren außerdem die Hoffnung, dass er die Richtlinie zumindest nicht gänzlich unbeanstandet lassen wird. Der EuGH könnte die Chance nutzen, sich endlich als Bürgerrechtsgerichtshof zu etablieren.

posted by Stadler at 18:21  

22.11.13

Koalition plant DNA-Rasterfahndung

§ 81 h StPO sieht sog. Massengentests vor. Allerdings sind diese grundsätzlich freiwillig und bedürfen der schriftlichen Einwilligung der Betroffenen. Bei der Fahndung in Mordfällen wird freilich ein erheblicher Druck erzeugt, weil sich der Testverweigerer zwangsläufig verdächtigt macht. Diese Regelung will die große Koalition nach einem Bericht von ZEIT-Online jetzt dahingehend ausweiten, dass künftig zur Aufklärung von Sexual- und Gewaltverbrechen bei Massengentests auch sogenannte Beinahetreffer verwertet werden können, wenn die Teilnehmer vorab über die Verwertbarkeit zulasten von Verwandten belehrt worden sind. Dieses „Family-Searching“ wäre bereits deshalb problematisch, weil damit das Erfordernis der Einwilligung des Betroffenen umgangen würde.

Derzeit dürfen festgestellte DNA-Identifizierungsmuster mit den DNA-Identifizierungsmustern von Spurenmaterial automatisiert abgeglichen werden, um feszustellen, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt. Künftig könnte man dann auch feststellen, ob das Spurenmaterial zu einem Verwandten einer Person passt, deren DNA man schon erfasst hat. Dieser Verwandte hat natürlich nie in den Gentest eingewilligt. Das ist nicht nur verfassungsrechtlich fragwürdig, sondern erhöht auch die Gefahr der Verdächtigung oder gar Verurteilung Unschuldiger. Denn es gibt auch uneindeutiges Spurenmaterial, das nicht wissenschaftlich exakt einer Person zuzuordnen ist.

In allen möglichen Bereichen erliegt die Politik immer wieder der Verlockung, alles das was technisch möglich ist bzw. möglich erscheint, auch umzusetzen. Das läuft auf eine rechtsstaatswidrige Ermittlung um jeden Preis hinaus, die die Grenze zum Unrechtsstaat langsam verwischt.

(via lawblog)

posted by Stadler at 17:31  

21.11.13

Frauenquote in Aufsichtsräten = Augenwischerei

In den Koalitionsverhandlungen hat man sich auf eine Frauenquote von 30% für die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen geeinigt. Diese Frauenquote soll aber nur für Aufsichtsräte und nicht für Vorstände gelten.

Auch wenn das vielleicht nicht jedem klar ist, aber die wirklich relevanten Managerposten sind die in den Vorständen und nicht die in den Aufsichtsräten. Der Vorstand leitet die Aktiengesellschaft und führt die Geschäfte (§ 76 und 77 AktG). Die Aufgabe des Aufsichtsrats beschränkt sich darauf, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Während die Tätigkeit als Vorstand einen Fulltime-Job darstellt, ist die Tätigkeit als Aufsichtsrat eine typische Nebentätigkeit. Das spiegelt sich auch in der Bezahlung wider. Während die Vorstände großer DAX-Unternehmen durchgehend Millionengehälter erhalten, verdienen Aufsichtsräte auch dort regelmäßig „nur“ sechsstellige Beträge. Nur zwei deutsche Aufsichtsräte verdienen knapp über eine Million EUR. Im Vergleich dazu verdient der billigste Dax-Vorstand 1,39 Millionen EUR im Jahr, das Durchschnitsseinkommen der Dax-Vorstände beträgt 5,33 Millionen jährlich.

Warum führt man eine Frauenquote also nicht dort ein, wo tatsächlich die Musik spielt, nämlich in den Vorständen? Eine Frauenquote von 30 % in Aufsichtsräten ist ein nettes Placebo und bietet die Möglichkeit (ehemaligen) Politikerinnnen und auch weiblichen Funktionären beispielsweise der Gewerkschaften ein schönes Zubrot zu ermöglichen. Mehr haben Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht vereinbart. Klassische politische Augenwischerei.

posted by Stadler at 11:02  

20.11.13

Domainstreitigkeiten: Erste Entscheidung im neuen URS-Verfahren

Zur Lösung von Domainstreitigkeiten gibt es seit kurzem neben dem UDRP-Verfahren das sog. Uniform Rapid Suspension System (URS), das eine schnellere Klärung eindeutiger Fälle bezweckt. Hierzu gibt es nun eine erste Entscheidung des „NATIONAL ARBITRATION FORUM“ vom 27.09.2013 zu einer Domain unter einer neuen TLD, nämlich „facebok.pw“. Facebook konnte als Antragsteller die Suspendierung dieser Domain erreichen, weil man den Verstoß augenscheinlich als offensichtlich und die Registrierung zudem als bösgläubig betrachtet hat.

(via muepe.de)

posted by Stadler at 21:12  
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