Die Verurteilung Bradley Mannings pervertiert die Werte einer freien und offenen Gesellschaft
Die Hoffnung im Falle Manning könnte es vielleicht doch noch zu einem Urteil kommen, das halbwegs von rechtsstaatlichem Augenmaß geprägt ist, hat sich nicht erfüllt. Wie hinlänglich bekannt ist, wurde Bradley Manning gestern zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt, weil er als US-Soldat Dokumente an Wikileaks weitergegeben hatte, die wohlgemerkt u.a. auch zur Aufdeckung amerikanischer Kriegsverbrechen geführt haben. Wer das noch nicht verstanden hat, sollte sich dieses von Wikileaks veröffentlichte Video ansehen. Ein junger Soldat, der von zahlreichen Missständen und auch der leichtfertigten Tötung unbewaffneter Zivilisten Kenntnis erlangt und mit diesem Wissen nicht umgehen kann, entschließt sich entsprechende Dokumente, zu denen er Zugang hat, zuerst mehreren Zeitungen anzubieten, und also diese kein Interesse zeigen, schließlich die Dokumente Wikileaks auszuhändigen.
Dieser Geheimnisverrat hat Manning jetzt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren eingebacht. In der öffentlichen Diskussion habe ich immer wieder auch das Argument gehört, dass Geheimnisverrat auch in anderen Ländern strafbar sei und das Verhalten Mannings natürlich bestraft gehört. Wäre Manning ein deutscher Soldat gewesen, hätte man als Strafnorm nur § 353 b StGB (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) anwenden können, nachdem das Wehrstrafgesetz keine einschlägigen Vorschriften enthält. Es handelt sich hierbei nur um ein Vergehen, die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe. Manning hätte in Deutschland also vielleicht noch nicht einmal eine unbedingte Freiheitsstrafe erhalten.
Nach deutschem Recht müssen allerdings durch die Offenbarung des Geheimnisses zusätzlich wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Insoweit sind die Voraussetzungen nach US-Recht wohl ähnlich. Aber werden tatsächlich wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wenn über Missstände bis hin zu Kriegsverbrechen aufgeklärt wird? Es gibt in Deutschland hierzu zumindest die Literaturmeinung, dass allein die Gefahr einer Berichterstattung über Missstände schon deshalb nicht ausreichend sein kann, weil in einer demokratischen Gesellschaft das Offenbarwerden von Missständen, Versäumnissen oder individuellen Verfehlungen innerhalb der Verwaltung nicht ohne weiteres als Gefährdung öffentlicher Interessen betrachtet werden kann (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, § 353b, Rn. 13b).
Vielleicht haben die Veröffentlichungen Mannings aber auch dazu geführt, dass die allzu leichtfertige Tötung von Zivilisten in Kriegs- und Krisengebieten eingedämmt wurde. Es könnte durchaus also auch so sein, dass Bradley Manning gerade im öffentlichen Interesse gehandelt hat und nicht dagegen. Und genau diese Frage sollte man sich bei Whistleblowern immer stellen. Besteht das öffenltiche Interesse darin, dass die Verwaltung bestimmte Sauereien weiterhin verheimlichen kann oder ist nicht gerade die Information der Öffentlichkeit über Misstände in der Verwaltung, im Militär und bei den Geheimdiensten im öffentlichen Interesse?
Was mich an dem verhängten Strafmaß besonders erschüttert, ist die unmenschliche Art und Weise, in der ein Staat an einem armen Schwein wie Bradley Manning ein völlig überzogenes Exempel statuiert, während er diejenigen, deren Taten Manning offenkundig gemacht hat, verschont. Der eine hat aber nur Daten weitergegeben, während die anderen Menschen getötet haben. Dieser Zusammenhang offenbart keineswegs nur eine leichte Schieflage, sondern stellt die Dinge gänzlich auf den Kopf.
Die Obama-Administration, deren Druck auf die Militärrichterin enorm war, hat an dem Gefreiten Manning ein Exempel statuiert, um zu verhindern, dass noch mehr Mannings und Snowdens weitere Missstände ans Licht der Öffentlichkeit zerren. Die Verurteilung Mannings ist deshalb auch Ausdruck einer zutiefst heuchlerischen Haltung und einer Pervertierung der Werte einer freien und offenen Gesellschaft. Eine zivile Gesellschaft sollte stolz sein auf Menschen wie Bradley Manning.