Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.2.19

Sechs Gegenthesen zur EU-Urheberrechtsreform

Die aktuelle Debatte um die Urheberrechtsreform der EU wird von dem Versuch dominiert, die Diskurshoheit durch bestimmte Thesen und Behauptungen zu erringen. Der Beitrag unterzieht vier Grundthesen der Befürworter von Art. 13 der geplanten Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt einer kritischen Prüfung.

These 1: Google und andere US-Anbieter versuchen, die EU-Urheberrechtsreform mit unglaublichem lobbyistischem Aufwand zu verhindern

Dass große amerikanische Anbieter insbesondere gegen Art. 11 und Art. 13 der geplanten Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt lobbyieren, ist kaum zu bestreiten. Die Frage ist nur, in welchem Verhältnis das zum Lobbyismus deutscher und europäischer Verbände und Unternehmen steht, die die Regelungen befürworten. Vor einigen Jahren habe ich mich intensiv mit dem deutschen Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse beschäftigt – das jetzt seine europäischen Fortsetzung in Art. 11 der geplanten Richtlinie findet – und bin dabei auch mit den lobbyistischen Anstrengungen der deutschen Zeitungsverleger in Berührung gekommen. Der Einfluss der Zeitungsverlage war derart groß, dass einer der Hauptlobbyisten von Springer als Sachverständiger (sic!) in die Ausschussanhörung des Bundestages geladen war, während die Vertreter von Google nur als Zaungäste anwesend waren. Es ist gerade der über Jahrzehnte hinweg gewachsene Einfluss europäischer Verbände, der Art. 11 und Art. 13 möglich gemacht hat. Google und andere US-Player verfügen, egal wieviel Geld sie in die Waagschale werfen, in Europa nicht ansatzweise über einen vergleichbaren politischen Einfluss. Wenn in diesem Gesetzgebungsverfahren der Eindruck eines übermächtigen Lobbyismus von Google & Co. erweckt wird, ist dies nichts weiter als ein Zerrbild. Richtig ist vielmehr, dass der politische Einfluss der Befürworter von Art. 11 und Art. 13 ungleich größer ist.

These 2: Die Richtlinie fordert doch gar keine Uploadfilter

Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, regelt in Art. 13 Nr. 3 zunächst, dass derjenige Anbieter, den die Richtlinie als Online Content Sharing Service Provider bezeichnet, nicht mehr in den Genuss der Haftungsprivilegierung aus Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie für Host-Provider kommen soll. Das ist der eigentliche juristische Kern von Art. 13. Plattformen, die von Nutzern eingestellte Inhalte zum Abruf bereithalten, sollen nicht mehr als Hoster betrachtet werden. Obwohl sie natürlich zunächst auch weiterhin nichts anderes tun, als fremde, von Nutzern hochgeladene Inhalte zum Abruf bereit zu halten, werden sie nunmehr so behandelt wie die Anbieter von eigenen Inhalten. Die Veränderung des Haftungsregimes ist der eigentliche Knackpunkt der Neuregelung. Der europäische Gesetzgeber stellt damit Plattformen wie YouTube in haftungsrechtlicher Sicht gleich mit Anbietern wie Spotify oder Netflix.

Der gesamte Rest ist nur eine Folge dieser Regelungslogik. Online Content Sharing Service Provider werden angehalten, mit Rechteinhabern bzw. Verwertungsgesellschaften wie der GEMA Lizenzvereinbarungen zu schließen. Gelingt ihnen dies nicht, sind sie für die unerlaubte Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke voll verantwortlich, wie Art. 13 Nr. 4 unmissverständlich klarstellt. Der Plattformbetreiber kann sich exkulpieren, indem er darlegt, dass er hohe Industriestandards beachtet und eingesetzt hat, um die Nichtverfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Werke zu gewährleisten. Aus dieser Vorschrift wird die Notwendigkeit des Einsatzes technischer Maßnahmen zur Verhinderung des Uploads (Uploadfilter) hergeleitet. Denn die Nichtverfügbarkeit können solche Plattformen nur durch Uploadfilter, die automatisiert den Upload solcher Inhalte verhindern, die die Software als urheberrechtlich geschützt erkennt, gewährleisten.

These 3: Das Gerede von Zensur ist Quatsch, die geplante Neuregelung stellt keine Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit dar

An dieser Stelle stellt sich zunächst die Frage, wem man mehr glauben will. Unabhängigen Experten, die erhebliche Bedenken äußern oder Verbänden die die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Die Gesellschaft für Informatik (GI) warnt eindringlich vor der geplanten Neuregelung. Ihr Präsident Hannes Federrath, einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der IT-Sicherheit in Deutschland hat es so formuliert:

Es ist richtig und wichtig, das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen. Die hier vorgeschlagene automatisierte Prüfung auf Urheberrechtsverletzungen legt jedoch den technischen Grundstein für eine Zensur- und Kontrollinfrastruktur im Internet. Zugleich wird sie Urheberrechtsverletzungen und kriminelle Inhalte nicht wirkungsvoll verhindern können.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte warnt ebenfalls und rückt einen anderen Aspekt in den Vordergrund:

Auch wenn Uploadfilter nicht explizit im Gesetzentwurf gefordert werden, wird es in der praktischen Anwendung auf sie hinauslaufen. Gerade kleinere Plattform- und Diensteanbieter werden nicht die Möglichkeit haben, mit allen erdenklichen Rechteinhabern Lizenzverträge zu schließen. Ebensowenig werden sie den immensen Programmieraufwand betreiben können, eigene Uploadfilter zu erstellen. Stattdessen werden sie auf Angebote großer IT-Unternehmen zurückgreifen, so wie das heute schon unter anderem bei Analysetools passiert, bei denen die entsprechenden Bausteine von Facebook, Amazon und Google von vielen Apps, Websites und Services verwendet werden.

Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste läuft.

Dass man die Plattformbetreiber letztlich dazu zwingt, eine Kontrollinfrastruktur zu schaffen, deren Aufbau man dann vermutlich wieder wenigen großen Anbietern überlässt, mutet nahezu grotesk an.

Aber auch die häufig anzutreffende These, die Meinungsfreiheit werde nicht beeinträchtigt, es ginge nur um eine faire Vergütung der Urheber, hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Dieser Aussage liegt vielmehr der die nur als naiv zu bezeichnende Annahme zugrunde, Filtertechnologien könnten urheberrechtsverletzende Inhalte zuverlässig ausfiltern und würden andere, nicht zu beanstandende Inhalte passieren lassen. Jeder, der sich auch nur ein bisschen mit diesem Thema befasst hat, weiß, dass diese These eine Schimäre darstellt. Der Einsatz von Uploadfiltern wird in relevantem Ausmaß dazu führen, dass auch Inhalte ausgefiltert werden, die nicht zu beanstanden sind.

Der Journalist Peter Welchring hat anschaulich erläutert, dass die Uploadfilter, die Google derzeit ohnehin schon einsetzt, im Bereich von Musik und Film dann gut funktionieren, wenn zuvor bereits eine Prüfsumme der maßgeblichen Datei hinterlegt worden ist. Schwieriger wird es bei unbekannten Werken und erst recht bei Fotos, Bildern und Texten. Über die Neuregelung freuen werden sich sicherlich die bereits jetzt sehr abmahnfreudigen Bildagenturen, denn sie können in Zukunft unmittelbar beim Plattformbetreiber Schadensersatz geltend machen, was andererseits für viele Plattformen zu einem schwer kalkulierbaren Risiko werden dürfte.

Ob man in diesem Kontext bereits von Zensur im juristischen Sinne sprechen kann, ist zumindest diskutabel. Auch wenn hier nicht der Staat selbst Äußerungen und Geistesinhalte vor ihrer Veröffentlichung einer inhaltlichen Prüfung unterzieht, so zwingt der Gesetzgeber die Anbieter solcher Plattformen – sofern sie ihr Geschäftsmodell nicht aufgeben wollen – faktisch dennoch dazu, eine Infrastruktur für eine inhaltliche Vorkontrolle aller Inhalte zu etablieren. Damit verpflichtet der Staat den Provider zu einer zensurähnlichen Maßnahme. Es galt daher bisher als Konsens, dass Dienstanbietern keine proaktiven Prüf- und Überwachungspflichten auferlegt werden dürfen. Diesen in der fast 20 Jahre alten E-Commerce-Richtlinie normierten Konsens will die neue Richtlinie aufkündigen. Ein enormer lobbyistischer Erfolg, der unausgewogen und für die Allgemeinheit nachteilig ist.

These 4: Das betrifft doch ohnehin nur YouTube bzw. Google, die sollen ruhig mehr zahlen

Der Richtlinienentwurf hat einen neuen Providertypus erfunden, der Online Content Sharing Provider genannt wird. Der ist legaldefiniert als

provider of an information society service whose main or one of the main purposes is to store and give the public access to a large amount of copyright protected works or other protected subject-matter uploaded by its users which it organises and promotes for profit-making purposes.

Das umfasst zunächst alle kommerziellen Dienste, die es Nutzern gestatten, Inhalte hochzuladen. Das Korrektiv besteht nun darin, dass einer der Hauptzwecke darin bestehen muss, urheberrechtlich oder anderweitig geschützte Inhalte öffentlich zugänglich zu machen. Wie weit oder einschränkend dieses Merkmal auszulegen ist, bleibt zunächst unklar.

Umfasst sind neben Plattformen wie YouTube auch soziale Medien, deren Schwerpunkt auf Bildveröffentlichungen liegen. Also Plattformen wie Instagram, Pinterest, aber auch Dating-Services wie Tinder. Denn Fotos genießen immer urheberrechtlichen Schutz. Auch alle anderen sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter dürften darunter fallen. Letztlich wird man auch ernsthaft darüber diskutieren müssen, ob Meinungs- und Diskussionsforen ebenfalls erfasst sind. Denn von Usern verfasste Texte werden zumindest in nennenswertem Umfang als urheberrechtlich schutzfähig anzusehen sein.

Letztlich sollte sich keine Plattform, die den Upload von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglicht, zu sicher sein, dass sie der Regelung nicht unterfällt.

These 5: Die Neuregelung verlagert die Haftung von den Nutzern auf die Plattformbetreiber

Nein, diese Aussage ist falsch. Im Grundsatz bleibt es dabei, dass derjenige Nutzer, der urheberrechtswidrige Inhalte auf einer Plattform einstellt, in vollem Umfang selbst haftet. Neben ihm haftet nunmehr auch der Plattformbetreiber. Wenn der Anbieter allerdings eine Lizenz erworben hat, dann soll diese Lizenz auch Uploads durch nicht kommerziell handelnde Nutzer abdecken. Das ergibt sich aus Art. 13 Nr. 2. Wobei man die Frage diskutieren muss, ob das nicht bereits nach aktueller Rechtslage so ist. Denn die Handlung, die dem Plattformbetreiber derzeit vorgeworfen wird, ist ja auch nur die des Nutzers und nicht seine eigene. Im Ergebnis ist es also so, dass neben die Haftung des Nutzers noch die des Plattformbetreibers tritt. Für die Rechteinhaber ist das günstig, weil sie künftig beide in Anspruch nehmen können.

These 6: Art. 13 Nr. 7 schließt Uploadfilter aus

Die Vorschrift des Art. 13 Nr. 7 betont, dass aus der Regelung des Art. 13 keine allgemeine Überwachungspflicht im Sinne von Art. 15 der E-Commerce-Richtline folgt. Diese Vorschrift steht allerdings in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zu Art. 13 Nr. 4, der den Ausschluss der Haftungsprivilegierung für den Content Sharing Provider postuliert und ihm gleichzeitig die Pflicht auferlegt, hohe Anstrengungen zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass urheberrechtswidriger Content über seine Plattform nicht verfügbar ist. Das ist widersprüchlich und klingt ein bisschen nach wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Denn die Nichtverfügbarkeit von urheberrechtswidrigen Inhalten kann man, selbst man sich bemüht, Lizenzverträge zu schließen, nur gewährleisten, wenn man jeden Upload einer Vorprüfung unterzieht. Offenbar hat der Gesetzgeber bemerkt, dass die Schaffung einer proaktiven Überwachungspflicht bedenklich nah an die Vorzensur heranrückt, weshalb er sich beeilt hat zu betonen, dass eine solche Pflicht natürlich nicht besteht. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich Art. 13 Nr. 4 und Nr. 7 widersprechen und nicht sinnvoll in Übereinstimmung zu bringen sind. Das wiederum führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und wird viele kleinere Anbieter vermutlich zur Aufgabe zwingen. Denn klar ist, dass der Anbieter erhebliche Anstrengungen unternehmen muss, um den Upload von urheberrechtswidrigen Inhalten zu verhindern. Wie hoch insoweit die Anforderungen sind, kann derzeit niemand zuverlässig sagen. Das werden am Ende die Gerichte festlegen, in einem Rechtsprechungsprozess, der Jahre dauern wird.

posted by Thomas Stadler at 22:27  

18.2.19

Uploadfilter waren gestern

Wer dachte, die faktische Verpflichtung zu Uploadfiltern sei schon der Supergau, hat sich wohl getäuscht. Denn im Streit um den geplanten Art. 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt hat sich die Situation nochmals verschärft. Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, trägt keineswegs den vielfach geäußerten Bedenken Rechnung, sondern geht vielmehr noch einen Schritt weiter.

Art. 13 Nr. 1 lautet nunmehr wie folgt:

Member States shall provide that an online content sharing service provider performs an act of communication to the public or an act of making available to the public for the purposes of this directive when it gives the public access to copyright protected works or other protected subject matter uploaded by its users. An online content sharing service provider shall therefore obtain an authorisation from the right holders referred to in Article 3(1) and (2) of Directive 2001/29/EC, for instance by concluding a licencing agreement, in order to communicate or make available to the public works or other subject matter.

Die Anbieter sollen also jetzt nicht mehr nur eine Veröffentlichung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern. Das hätte es erforderlich gemacht, die vieldiskutierten Uploadfilter einzuführen. Nach dem aktuellen Konzept sollen die Plattformbetreiber vielmehr gleich direkt beim Rechteinhaber eine Lizenz erwerben. Selbst Uploadfilter wären dann kein zwingend geeignetes Instrument mehr, um eine eigene Haftung zu vermeiden.

Es ist zwar nach wie vor so, dass Art. 13 Nr. 4 es dem Content Sharing Service Provider immer noch ermöglicht, sich ohne eigene Lizenz darauf zu berufen, er hätte alles getan, um eine Rechtsverletzung zu vermeiden. Die Beweislast liegt dabei aber bei ihm. Welche Anforderungen insoweit zu erfüllen wären, ist auch nicht gänzlich klar. Nach der aktuellen Formulierung, scheint die Messlatte allerdings äußerst hoch zu liegen. Im Zweifel helfen also nicht einmal mehr Uploadfilter.

Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.

Das geht deutlich über die bisher geplante Regelung hinaus. Letztlich wird damit das bisherige Geschäftsmodell sämtlicher Plattformen, die den Upload von Inhalten durch Nutzer ermöglichen, in Frage gestellt. Denn der Anbieter kann, wenn sich auf seinem Portal urheberrechtswidriger Content befindet, unmittelbar auf Unterlassung und vor allem auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Die bisherigen Haftungsprivilegien, die eine Haftung erst dann einsetzen ließen, wenn der Anbieter Kenntnis von einem Verstoß hatte und untätig blieb, sind damit für diesen Bereich hinfällig. Die bisherige Regelungslogik, die auch im US-Recht als Notice And Take Down umgesetzt ist, wird dadurch beseitigt. Das stellt Art. 13 Nr. 3 sogar ausdrücklich klar, indem er die Haftungsprivilegierung des Art. 14 der ECRL für das Hosting explizit für unanwendbar erklärt. Die EU überholt die durchaus urheberrechtsfreundlichen USA damit mal eben locker.

Die damit zusammenhängenden Fragen sind von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und sollten daher nicht auf Ebene einer Urheberrechtsreform entschieden werden. Letztlich geht es nämlich auch darum, welches Internet wir als Bürger haben wollen. Man hat erneut das Gefühl, dass vielen Abgeordneten des EU-Parlaments einmal mehr die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst ist.

Die Anbieter von Plattformen für User-Generated-Content, werden sich künftig sehr genau überlegen, ob sie wie bislang den freien Upload und das freie Einstellen von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglichen wollen, oder ob dies aufgrund der urheberrechtlichen Vorgaben nicht mehr mit vertretbarem wirtschaftlichem Risiko möglich ist.

Obwohl ich nicht zu Alarmismus neige, ist die Befürchtung, dass eine solche Regelung Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram in Europa generell in Frage stellt, keinesfalls mehr abwegig oder übertrieben. Die Anbieter werden sich jedenfalls sehr genau überlegen, ob sie die erhöhten wirtschaftlichen Risiken in Kauf nehmen wollen.

Das Urheberrecht beachtet die Interessen der Allgemeinheit in immer geringerem Maße. Das ist für eine Informationsgesellschaft generell keine gute Nachricht. Es gelingt speziell der EU-Gesetzgebung nicht, die notwendige Balance zwischen den Gemeinwohlinteressen und den Interessen der Rechteinhaber herzustellen.

posted by Thomas Stadler at 20:03  

4.2.19

OLG München: Bestellübersichtsseite von Amazon nicht rechtskonform

Das OLG München hat mit Urteil vom 31.01.2019 (Az.: 29 U 1582/18) eine Entscheidung des Landgerichts München I vom 04.04.2018 (Az.: 33 O 9318/17) bestätigt, die Amazon verpflichtet auf seiner Bestellübersichtsseite vor dem Drücken des Bestellbuttons, die wesentlichen Merkmale der verkauften Ware anzugeben, wobei insoweit eine Verlinkung auf eine entsprechende Produktinformation ausdrücklich als nicht ausreichend angesehen wurde.

Die Entscheidung stützt sich auf § 312j BGB, der verlangt, dass der Unternehmer dem Verbraucher die Informationen gemäß Artikel 246a § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 4, 5, 11 und 12 EGBGB, unmittelbar vor Abgabe der Bestellung, klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung stellt.

Wer die Vorschrift, auf die verwiesen wird, liest, wird bemerken, dass die Entscheidung noch deutlich weiter reicht, als es zunächst scheint. Denn der Unternehmer muss nicht lediglich die wesentlichen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware oder Dienstleistung darstellen, sondern u.a. auch Angaben zum Preis, zu den Versandkosten, zur Laufzeit und den Bedingungen der Kündigung des Vertrags. Da eine Verlinkung nicht zulässig sein soll, müssen diese Informationen (nochmals) in vollem Umfang unmittelbar auf der Seite aufgeführt werden, die die Bestellung abschließt. Eventuell wird man sich hier mit Drop-Down-Menüs behelfen können, um die Seite nicht komplett zu überfrachten, aber auch das erscheint ungewiss. Man sollte sich hier durchaus auch vor Augen führen, dass viele Kunden nicht nur eine einzelne Ware bestellen, sondern häufig eine Vielzahl. Wie die abschließende Bestellseite bei umfangreichen Bestellungen künftig aussehen würde, wenn man zu jedem einzelnen Produkt im Volltext nochmals eine Darstellung der wesentlichen Eigenschaften der Ware verlangen würde, kann man sich ausmalen.

Auch wenn die Schlussfolgerung des Gerichts angesichts des Gesetzeswortlauts nicht abwegig erscheint, hinterlässt die Entscheidung ein gewisses Störgefühl.

Die Vorschrift des § 312j BGB geht auf Art. 8 Abs. 2 der Verbraucherrechterichtlinie zurück, die die Voraussetzungen ähnlich normiert. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass die Richtlinie eine Vollharmonisierung vorgibt, wäre eine Vorlage an den EuGH wünschenswert gewesen. Dass der EuGH die Richtlinie ähnlich eng auslegt wie das OLG München, ist zumindest nicht zwingend.

Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für den gesamten Bereich des E-Commerce, da es derzeit wohl kaum Webshops und Onlinebestellsysteme gibt, die diesen strengen Anforderungen genügen.

Das Urteil zeigt aber auch deutlich, dass im Bereich des E-Commerce mittlerweile eine deutliche Überregulierung herrscht, die auch den Interessen des Verbrauchers nicht mehr dient. Gerade wenn man eine Gesamtbetrachtung aller derzeit gesetzlich normierten Informationspflichten anstellt, gewinnt man den Eindruck, dass sich der Verbraucher dieser Überinformation schon förmlich erwehren muss und dies häufig dann auch tut. Der Sinn und Zweck des Verbraucherschutzes wird damit in sein Gegenteil verkehrt.

posted by Stadler at 21:45