Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

26.10.18

BVerfG zum rechtlichen Gehör bei einstweiligen Verfügungen

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden (Beschluss vom 30.09.2018, Az.: 1 BvR 1783/17), dass das Recht auf prozessuale Waffengleichheit es gebietet, im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch im Presse- und Äußerungsrecht dem Antragsgegner rechtliches Gehör zu gewähren.

Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über einen Verfügungsantrag grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Allerdings kann es hierfür genügen, wenn die Gegenseite nach vorprozessualer Abmahnung die Gelegenheit hatte, sich mit dem Vorwurf vertraut zu machen und darauf zu reagieren.

Das BVerfG führt hierzu weiter aus:

Dies gilt jedenfalls in Rücksicht darauf, dass der Antragsgegner in Anschluss an eine vorangehende Abmahnung überdies auch die Möglichkeit hat, eine Schutzschrift zu hinterlegen. Denn seitdem der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 945a, 945b ZPO die Möglichkeit geschaffen hat, vorbeugende Verteidigungsschriften gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügungen (Schutzschriften) zum Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu machen, und hierfür ein zentrales, länderübergreifendes elektronisches Register eingeführt hat, ist gewährleistet, dass eine Schutzschrift dem letztlich entscheidenden Gericht zur Kenntnis gelangt (vgl. § 945a Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Das Gericht muss also den Antragsgegner nur dann selbst anhören, wenn keine vorgerichtliche Abmahnung erfolgt ist oder der Verfügungsantrag zusätzlichen Sachvortrag im Vergleich zur vorgerichtlichen Abmahnung enthält.

Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus:

Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird als in der Abmahnung. Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt.

Das angerufene Gericht muss also prüfen, ob die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.

Für die Praxis fast noch wichtiger erscheint aber folgende Aussage des BVerfG:

Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt (vgl. dazu Teplitzky, GRUR 2008, 34 <35 ff.>). Hinweise müssen, insbesondere sofern sie mündlich oder fernmündlich erteilt werden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten oder dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abzugeben. Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies in Blick auf die Nutzung dieser Hinweise in diesem oder auch in anderen gegen den Antragsgegner gerichteten Verfahren auch im Falle der Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes jedenfalls unvereinbar.

Das war in der gerichtlichen Praxis, insbesondere im gewerblichen Rechtsschutz, bislang anders üblich. Nicht selten hat das Gericht dem Vertreter des Antragstellers telefonisch noch Hinweise zu Inhalt und Umfang des Antrags erteilt, wodurch der Antragsteller die Möglichkeit erhielt, seinen Antrag nachzubessern, ohne, dass der Antragsgegner davon Kenntnis erlangt hat. Dies wird in Zukunft nicht mehr ohne Anhörung des Antragsgegners möglich sein.

posted by Stadler at 17:19  

18.10.18

LG Bochum: Datenschutzverstöße können nicht als Wettbewerbsverstöße geahndet werden

Nach bisheriger Rechtsprechung wurden datenschutzrechtliche Vorschriften häufig als sog. Markverhaltensregeln im Sinne von § 3a UWG angesehen, mit der Folge, dass der Verstoß gegen Normen des Datenschutzrechts in der Regel zugleich auch als Wettbewerbsverstoß verfolgt werden konnte.

Seit Geltung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt es einen juristischen Streit darüber, ob die Vorschriften der Art. 77 bis 84 DSGVO abschließend sind und wettbewerbsrechtliche Ansprüche von Mitbewerbern ausschließen. Dieser Auffassung hat sich jetzt das Landgericht Bochum (Urteil vom 07.08.2018, Az.: I-12 O 85/18) angeschlossen.

Ob sich diese Ansicht durchsetzen wird, wage ich zu bezweifeln. Die Vorschriften der Art. 77 ff. DSGVO regeln ausschließlich die Rechte von betroffenen Personen und mögen insoweit auch abschließend sein. Die betroffene Person ist in Art. 4 Nr. 1 DSGVO legaldefiniert. Drittbetroffene fallen nicht darunter. Die Rechte von mittelbar Betroffenen, die beispielsweise in ihrer Funktion als Wettbewerber beeinträchtigt werden, regelt die DSGVO also nicht, weshalb es sich insoweit auch nicht um eine abschließende Regelung handeln kann. Der Sinn und Zweck der DSGVO besteht auch nicht darin, den bisherigen Rechtsschutz  einzuschränken. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des EuGH wenig Neigung zeigt, Vorschriften des EU-Rechts in einer Weise auszulegen, die ihre effektive Rechtsdurchsetzung einschränkt. Der EuGH wird sich daher schwerlich einer Auslegung anschließen, die den Datenschutz im Ergebnis schwächt. Er präferiert vielmehr eine Auslegung, bei der sich das Unionsrecht am wirkungsvollsten durchsetzt.

Man sollte daher ein einzelnes landgerichtliches Urteil nicht überbewerten, auch wenn es sich auf die Ansicht Köhlers stützen kann, der zu den bekanntesten deutschen Wettbewerbsrechtlern zählt. Die Kollegen Löffel Abrar haben sich mit dem Thema ausführlicher beschäftigt.

posted by Stadler at 19:43  

16.10.18

Lehrer am Pranger der AfD

Die AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft hat unter dem Titel „Neutrale Schule Hamburg“ vor ein paar Wochen ein Online-Portal gestartet, auf dem Schüler oder Eltern „mutmaßliche Neutralitätsverstöße“ von Lehrern melden sollen. Eine Veröffentlichung sei hier nicht angedacht. In Baden-Württemberg gibt es eine vergleichbare Website, betrieben von einem AfD-Abgeordneten, die aber derzeit nicht mehr erreichbar ist. Anders als in Hamburg sollen hier auch die Namen der Lehrer veröffentlicht werden. Noch deutlich weiter geht die sächsische Variante, bei der sogar Meldungen mit vordefinierten Kriterien wie „Werbung für kulturfremde Weltanschauungen“ vorgesehen sind und auch Fotos des denunzierten Lehrers hochgeladen werden können, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet.

Wenn die Daten nur erfasst, aber nicht veröffentlicht werden, stehen vor allem datenschutzrechtliche Fragen im Vordergrund, während in den Fällen der Veröffentlichung persönlichkeitsrechtliche Fragen hinzutreten, im Falle von Bildveröffentlichungen ist zudem das Recht am eigenen Bild betroffen.

1. Datenschutz

Datenschutzrechtlich ist davon auszugehen, dass die AfD personenbezogene Daten von Lehrern erhebt und verarbeitet, die die politische und weltanschauliche Haltung des Lehrers betreffen. Solche Informationen sind nach Art. 9 der DSGVO als besondere Kategorien personenbezogener Daten geschützt, ihre Verarbeitung ist grundsätzlich untersagt. Die engen Ausnahmen, die Art. 9 Abs. 2 DSGVO vorsieht, sind nicht einschlägig. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verarbeitung nach Art. 9 Abs. 2 g) DSGVO aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. Bereits die Bejahung eines allgemeinen öffentlichen Interesses – außerhalb der Schulöffentlichkeit – erscheint mir fragwürdig. Ein erhebliches öffentliches Interesse der AfD daran, solche Daten zu erheben und zu sammeln, besteht nicht. Es ist vielmehr so, und hierauf hat der Kollege Simon Assion auf Twitter zu Recht hingewiesen, dass man annehmen muss, dass die AfD damit eine systematische Sammlung über politische Gegner in der Lehrerschaft anlegen will. Der primäre Zweck dürfte die Einschüchterung sein. Und letztlich ist diese Sammlung auch geeignet, den Schulbetrieb zu stören. Insoweit besteht wohl eher ein öffentliches Interesse daran, diesen Praktiken entgegenzuwirken.

Diese Portale zur Meldung von Lehrern erfüllen die Voraussetzungen von Art. 9 DSGVO nicht und sind daher datenschutzwidrig. Die Aufsichtsbehörden tun sich allerdings offenbar schwer mit einer Verfolgung. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte verwies zum Beispiel darauf, dass er für die Kontrolle von Fraktionen nicht zuständig sei. Das erscheint allerdings fraglich, denn der Betrieb einer Onlinemeldeplattform ist schwerlich der parlamentarischen Arbeit einer Fraktion zuzuordnen. Demzufolge versucht der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte zu klären, ob es sich um eine mandatsbezogene oder parteipolitische Tätigkeit handelt. In letzterem Fall sind die Aufsichtsbehörden zuständig.

2. Persönlichkeitsrecht

Wenn die Informationen veröffentlicht werden, steht zudem eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeistrechts im Raum. Im Fall des Lehrerbewertungsportal „spickmich“ war zumindest eine Registrierung der Nutzer erforderlich. Die Daten waren damit nicht allgemein zugänglich, der Abruf war auf registrierte Personen beschränkt, die ein typisiertes berechtigtes Informationsinteresse an den zur Verfügung gestellten Daten geltend gemacht hatten. Diesen Aspekt betont der BGH auch ausdrücklich in seiner Spickmich-Entscheidung (Rn. 37). Die Zulässigkeit einer Veröffentlichung lässt sich also nicht auf diese Entscheidung stützten.

Ungeachtet dessen, können einzelne Einträge natürlich auch immer unrichtig und deshalb zu löschen sein. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH unterliegt der Betreiber einer Bewertungsplattform zudem, sobald ein Betroffener den Eintrag beanstandet, einer Pflicht zur gewissenhaften Prüfung der Beanstandung. Dies gilt in vertärktem Maße, wenn Einträge anonym vorgenommen werden können.

Sollte außerdem die Möglichkeit bestehen, wie dies in Sachsen der Fall zu sein scheint, ein Foto des betroffenen Lehrers zu posten, wäre dies zusätzlich ein Verstoß gegen das Recht des Lehrers am eigenen Bild.

3. Fazit

Die verschiedenen Meldeportale der AfD, mittels derer „Neutralitätsverstöße“ von Lehrern gemeldet werden sollen, verstoßen gegen das Datenschutzrecht und wegen der erzeugten Prangerwirkung auch gegen die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Lehrer.

Die Frage ist auch, ob nicht zudem ordnungsrechtlich gegen diese Portale vorgegangen werden kann, was Josef Franz Lindner im Verfassungsblog diskutiert.

posted by Stadler at 18:28  

13.10.18

Die Debatte über § 219a StGB muss weitergehen

Die vieldiskutierte Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen strafbarer Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB) wurde in zweiter Instanz vom Landgericht Gießen bestätigt. Die Ärztin informiert auf ihrer Website darüber, dass sie solche ärztlichen Eingriffe vornimmt.

Die öffentliche Diskussion darüber, ob das Werbung ist, geht allerdings an der Sache vorbei. Der juristische Werbebegriff, nicht nur der des Strafrechts, ist sehr weit und umfasst deutlich mehr als die typische reklamehafte Anpreisung. Es genügt völlig, wenn der Anbieter sachlich über den Inhalt seiner Leistung informiert.

Wenn man § 219a StGB schematisch anwendet, ist die Verurteilung von Kristina Händel juristisch korrekt. Eine solche Betrachtung blendet aber einige relevante Aspekte aus.

Der Umstand, dass § 219a StGB aus der NS-Zeit stammt, bietet noch kein hinreichendes Argument dafür, ihn nicht anzuwenden. Wesentlich schwerer wiegt allerdings der Umstand, dass der normative Zusammenhang, der seinerzeit bestanden hat, schon vor Jahrzehnten beseitigt wurde. Solange der Schwangerschaftsabbruch ausnahmslos strafbar war, war es zumindest folgerichtig, auch jedwede ärztliche Information über einen solchen strafbaren Eingriff unter Strafe zu stellen. Das Strafgesetzbuch der Gegenwart normiert allerdings bekanntlich kein absolutes Abtreibungsverbot mehr. Der Schwangerschaftsabbruch ist unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Das bedeutet zunächst, dass Ärzte eine entsprechende ärztliche Leistung, anders als im NS-Staat und der frühen Bundesrepublik, legal anbieten dürfen. Vor diesem Hintergrund wäre es auch folgerichtig gewesen, das Werbeverbot an die neue Rechtslage anzupassen, was der Gesetzgeber aber (bewusst) unterlassen hat. Das uneingeschränkte Werbeverbot, das § 219 a StGB normiert, stellt einen Anachronismus dar, für den es keine sachlogische Rechtfertigung gibt.

An dieser Stelle fragt Kristina Hänel zu Recht, ob das Verbot des § 219a StGB und ihre strafrechtliche Verurteilung nicht in ihre grundrechtlich nach Art. 12 i.Vm. Art. 5 GG geschützte Werbefreiheit eingreift. Zusätzlich liegt auch ein Eingriff in die Informationsfreiheit schwangerer Frauen vor. Wenn man die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs stellt, kommt meist nicht mehr als, dass der Gesetzgeber es eben nicht wolle, dass öffentlich für Abtreibungen geworben werde. Das erscheint mir allerdings äußerst dünn. Welche Gründe des Gemeinwohls mögen das wohl sein? Zumindest in der heutigen Zeit fällt es schwer, überhaupt noch einen sachlichen Grund für die Existenz des § 219a StGB in seiner jetzigen Form zu finden. Die Gründe, die politisch oder ideologisch gegen § 218a StGB ins Feld geführt werden, können dafür jedenfalls nicht herangezogen werden. Denn damit würde die gesetzgeberische Wertung, den Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen straffrei zu stellen, unterlaufen.

Es spricht also einiges dafür, dass § 219a StGB nicht verfassungskonform ist. Man hätte dem Landgericht Gießen zumindest den Mut gewünscht, die Strafsache Hänel dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Aber dafür geht die Debatte jetzt zumindest weiter. Der Gesetzgeber scheint offenbar wieder warten zu wollen, bis ihn das Bundesverfassungsgericht zum Handeln zwingt.

posted by Stadler at 23:30  

1.10.18

OLG Köln bestätigt Entscheidung zur Domain „wir-sind-afd.de“

Das OLG Köln hat die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Köln, das einem Blogger die Benutzung der Domain „wir-sind-afd.de“ für den Betrieb einer AfD-kritischen Website untersagt hatte, bestätigt (Beschluss des OLG Köln vom 27.09.2018, Az.: 7 U 85/18).

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist ebenso wie das erstinstanzliche Urteil schon namensrechtlich zweifelhaft, was ich hier bereits erläutert hatte. Allein die bloße Registrierung einer Domain kann zwar schutzwürdige Belange des Namensinhabers verletzen. Dies setzt allerdings einen (objektiven) Benutzungswillen voraus (BGH GRUR 2004, 619 Rn. 23 – kurt-biedenkopf.de). Dass die AfD diese Domain selbst benutzen möchte, erscheint allerdings eher fernliegend und hätte vom OLG zumindest erörtert werden müssen.

Die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Domainhabers und den namensrechtlichen Interessen der AfD nimmt das OLG sehr schemenhaft und schon im Ansatz fehlerhaft vor. Wenn es sich bei der beanstandeten Äußerung wie hier um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung handelt, so spricht nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Abweichungen davon bedürfen einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie Rechnung trägt. Eine derartige Begründung liefert die Entscheidung des OLG Köln nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche Begründung aussehen könnte.

Die Entscheidung des OLG Köln beschränkt sich insoweit vielmehr im Wesentlichen auf folgende, apodiktische Aussage:

Die Interessen des Beklagten, die von ihm vertretene kritische Meinung gegenüber der Klägerin unter der konkreten, von ihm gewählten, streitgegenständlichen Domain zu veröffentlichen, überragen indes nicht das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließende namensmäßige Identitätsinteresse der Klägerin.

Bereits die Annahme, die äußerungsrechtlichen Interessen müssten die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausfließenden namensmäßigen Interessen der Partei AfD überragen, ist angesichts der vorliegend greifenden Vermutung zugunsten der freien Rede, vollständig verfehlt. Der gegenteilige Ansatz wäre korrekt gewesen. Es sind aber überhaupt keine erheblichen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffende Interessen der AfD daran, nicht unter einer Domain wie „wir-sind-afd.de“ kritisiert zu werden, erkennbar. Hierzu führt der Beschluss des Oberlandesgerichts auch nichts aus. Das OLG trägt auch dem Umstand keinerlei Rechnung, dass es um eine Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf geht, die zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt. In solchen Fällen ist das Gewicht der Meinungsfreiheit nämlich besonders hoch. Vorrangige persönlichkeitsrechtliche Aspekte gerade einer politischen Partei sind demgegenüber in derartigen Fällen schon kaum denkbar.

Die Entscheidung des OLG Köln ist ersichtlich rechtsfehlerhaft.

posted by Stadler at 20:39