BVerfG zum rechtlichen Gehör bei einstweiligen Verfügungen
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden (Beschluss vom 30.09.2018, Az.: 1 BvR 1783/17), dass das Recht auf prozessuale Waffengleichheit es gebietet, im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch im Presse- und Äußerungsrecht dem Antragsgegner rechtliches Gehör zu gewähren.
Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über einen Verfügungsantrag grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Allerdings kann es hierfür genügen, wenn die Gegenseite nach vorprozessualer Abmahnung die Gelegenheit hatte, sich mit dem Vorwurf vertraut zu machen und darauf zu reagieren.
Das BVerfG führt hierzu weiter aus:
Dies gilt jedenfalls in Rücksicht darauf, dass der Antragsgegner in Anschluss an eine vorangehende Abmahnung überdies auch die Möglichkeit hat, eine Schutzschrift zu hinterlegen. Denn seitdem der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 945a, 945b ZPO die Möglichkeit geschaffen hat, vorbeugende Verteidigungsschriften gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügungen (Schutzschriften) zum Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu machen, und hierfür ein zentrales, länderübergreifendes elektronisches Register eingeführt hat, ist gewährleistet, dass eine Schutzschrift dem letztlich entscheidenden Gericht zur Kenntnis gelangt (vgl. § 945a Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Das Gericht muss also den Antragsgegner nur dann selbst anhören, wenn keine vorgerichtliche Abmahnung erfolgt ist oder der Verfügungsantrag zusätzlichen Sachvortrag im Vergleich zur vorgerichtlichen Abmahnung enthält.
Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus:
Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird als in der Abmahnung. Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt.
Das angerufene Gericht muss also prüfen, ob die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.
Für die Praxis fast noch wichtiger erscheint aber folgende Aussage des BVerfG:
Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt (vgl. dazu Teplitzky, GRUR 2008, 34 <35 ff.>). Hinweise müssen, insbesondere sofern sie mündlich oder fernmündlich erteilt werden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten oder dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abzugeben. Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies in Blick auf die Nutzung dieser Hinweise in diesem oder auch in anderen gegen den Antragsgegner gerichteten Verfahren auch im Falle der Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes jedenfalls unvereinbar.
Das war in der gerichtlichen Praxis, insbesondere im gewerblichen Rechtsschutz, bislang anders üblich. Nicht selten hat das Gericht dem Vertreter des Antragstellers telefonisch noch Hinweise zu Inhalt und Umfang des Antrags erteilt, wodurch der Antragsteller die Möglichkeit erhielt, seinen Antrag nachzubessern, ohne, dass der Antragsgegner davon Kenntnis erlangt hat. Dies wird in Zukunft nicht mehr ohne Anhörung des Antragsgegners möglich sein.