Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

10.1.18

Die Debatte um das NetzDG ist unsachlich

Die aktuelle Debatte um das Für und Wider des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ist hysterisch, eine ruhige und sachliche Auseinandersetzung ist selten erkennbar, auch nicht bei den zahlreich diskutierenden Juristen. Dies passt zum Zeitgeist und ist Ausdruck einer Debattenkultur, die nahezu zwanghaft auf Polarisierung setzt, nur noch schwarz und weiß kennt und in der die differenzierte Betrachtung nicht mehr viel gilt.

Das Gesetz geht zunächst ein tatsächlich vorhandenes Problem an. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter löschen nur einen Bruchteil derjenigen Inhalte, die strafbar oder rechtswidrig sind. Gleichzeitig, und das geht in der aktuellen Debatte stark unter, entfernen soziale Netzwerke häufiger Postings und Inhalte, die erkennbar rechtmäßig sind. Die Kriterien, nach denen Facebook & Co. ihre Löschentscheidungen treffen, waren bislang weder transparent noch nachvollziehbar. Zum Teil sind falsche Löschentscheidungen einfach auch dem Umstand geschuldet, dass die Anbieter nicht genügend und vor allem kein ausreichend geschultes Personal vorhalten. Wenn wir also wollen, dass rechtswidrige Inhalte in größerem Umfang als bislang gelöscht werden, dann ist es unumgänglich den Betreibern sozialer Netze entsprechende Pflichten aufzuerlegen und Verstöße auch zu sanktionieren.

Man kann das NetzDG mit guten Gründen wegen Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip und die Haftungsprivilegierungstatbestände der E-Commerce-Richtlinie für europarechtswidrig halten. Wer die Rechtsprechung des EuGH zur Provider- und Linkhaftung verfolgt, weiß aber auch, dass wir es allzu oft mit einer Wundertüte zu tun haben. Man sollte also nicht darauf wetten, dass der EuGH das deutsche Gesetz tatsächlich am Ende auch für europarechtswidrig halten wird, sollte es ihm vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang muss man auch berücksichtigen, dass die Kommission bereits Überlegungen anstellt, die in eine ganz ähnliche Richtung gehen und eher noch weiter reichen werden. Es spricht also einiges dafür, dass die künftige europäische Marschroute ähnlich verlaufen wird.

Ein ebenfalls oft gehörtes Argument ist das von der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, das mir allerdings wenig stichhaltig erscheint. Facebook und Twitter werden ja nicht dazu angehalten, Aufgaben der Strafverfolgung zu übernehmen, sondern nur dazu, strafbare Inhalte zu löschen. Wer sich das Gesetz genau ansieht, wird außerdem erkennen, dass das NetzDG gar keine neuen Löschpflichten begründet, sondern wie schon bisher das TMG von bereits bestehenden Löschpflichten ausgeht. Was manche offenbar zu irritieren scheint, ist der Umstand, dass Facebook & Co. in zunehmendem Maße wie Medienanbieter betrachtet werden und nicht mehr so sehr wie Provider. Würde man einem Fernsehsender oder einer Zeitung gestatten, rechtswidrige Inhalte zu verbreiten? Und wer anders als der Plattformbetreiber sollte rechtswidrige/strafbare Inhalte denn löschen? Der Vorwurf der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung greift letztlich nicht. Die Strafjustiz wird außerdem niemals in der Lage sein, Millionen strafbarer Einzelinhalte zu verfolgen und schon gar nicht zeitnah. Wer also rechtswidrige Inhalte aus dem Netz bekommen will, muss den Plattformbetreibern entsprechende Pflichten auferlegen. Hierzu gibt es keine praktikable Alternative.

Auch der immer wieder erhobene Zensurvorwurf ist nicht durchgreifend. Abgesehen davon, dass die Zensur im Sinne des Grundgesetzes jedenfalls nach überwiegender Ansicht nur die Vorzensur meint, ist nicht wirklich erkennbar, warum die Ausgestaltung eines Verfahrens zur Löschung strafbarer Inhalte in sozialen Netzen als Zensur zu betrachten sein sollte. Dieser Logik folgend wäre der Straftatbestand, der die Verbreitung bestimmter Inhalte untersagt oder eine richterliche Unterlassungsentscheidung ebenfalls Zensur.

In sachlicher Hinsicht macht das NetzDG nichts anderes, als den Betreibern sozialer Netzwerke Verfahrensregeln aufzuerlegen, die sicherstellen sollen, dass bestimmte strafbare Inhalte kurzfristig entfernt werden. Zumindest die gesetzgeberische Intention kann man m.E. im Grundsatz nicht ernsthaft kritisieren.

Das bedeutet freilich noch nicht, dass dem Gesetzgeber eine sinnvolle Umsetzung gelungen ist. Denn das Gesetz schafft einen einseitigen Löschanreiz. Vor diesem Hintergrund hätte das NetzDG von vornherein Maßnahmen gegen die Gefahr des Overblockings ergreifen müssen. Denn der Gesetzgeber darf nicht allzu leichtfertig die fälschliche Löschung von rechtmäßigen Inhalten in Kauf nehmen, weil dies in der Tat sowohl die Meinungs- als auch die Informationsfreiheit beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund wäre zumindest eine Art Rechtsbehelf des von der Löschung Betroffenen in das Verfahren zu implementieren gewesen. Möglicherweise müsste man an dieser Stelle sogar noch einen Schritt weiter gehen und hätte dem Betroffenen unmittelbar ein effektives behördliches oder gerichtliches Verfahren an die Hand geben müssen, das es ihm gestattet, vor einem inländischen Gericht oder einer Behörde gegen die Löschentscheidung des Netzwerkbetreibers vorzugehen, wenn der Betreiber auf die Beschwerde des Nutzers hin nicht abhilft.

Um die Gefahr des Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben zu reduzieren, wäre es zudem sinnvoll, den Wortlaut von § 3 Abs. 2 an den von § 10 TMG bzw. Art. 14 ECRL anzupassen. Zumal die jetzige Differenzierung zwischen rechtswidrigen und offensichtlich rechtswidrigen Inhalten wenig sinnvoll erscheint und den Betreiber nur vor ein zusätzliches Abgrenzungsproblem stellt.

posted by Stadler at 21:35  

21.3.14

Twitter-Sperre in der Türkei verstößt gegen Art. 10 MRK

Die Türkei sperr bzw. blockiert Twitter. Beim Aufruf der Website erhält man laut Tagesschau.de in der Türkei einen Hinweis auf einen Gerichtsbeschluss zur Schließung von Twitter. Auf einer Wahlkampfveranstaltung hatte Minsiterpräsident Erdogan zuvor angekündigt, seine Regierung werde Twitter und andere Netzwerke vernichten und es sei ihm egal, was die internationale Gemeinschaft dazu sagen wird.

Twitter wird in der Türkei wesentlich intensiver genutzt als beispielsweise in Deutschalnd und stellt für viele Internetnutzer dort ein zentrales Kommunikationsmittel dar, wie diese Grafik zeigt.

Selbst die Bundesregierung reagiert in diesem Fall ungewöhnlich deutlich. Regierungssprecher Seibert twitterte folgendes:

In einer freien Gesellschaft ist es die Entscheidung der Bürger, wie sie kommunizieren wollen, nicht des Staates.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte die Türkei bereits im Jahre 2012 wegen einer generellen Sperrung des Zugangs zu Google Sites verurteilt und festgestellt, dass diese Maßnahme gegen Art. 10 MRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) verstößt. Die Gesamtblockade von Google Sites auf Basis eines türkischen Gerichtsbeschlusses hatte der EGMR zudem als willkürlich angesehen. Eine gute Zusammenfassung (in deutscher Sprache) dieser Entscheidung findet sich bei e-comm.

Türkische Gerichte und türkische Behörden verstoßen mit der jetzigen Totalblockade von Twitter also erneut und sehenden Auges gegen die Menschenrechtskonvention. Denn die Sperrung von Twitter stellt ebenfalls eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des Informationszugangs dar, von der ein erheblicher Teil der türkischen Internetnutzer betroffen ist.

posted by Stadler at 10:46  

6.11.12

Bettina Wulff fordert großflächige Löschung von Suchergebnissen durch Google

Bettina Wulff fordert von Google nach Presseberichten die Löschung von ca. 3000 Suchmaschinentreffern im Zusammenhang mit ihrer Person. Das stellt offenbar den Versuch dar, missliebige Inhalte vollständig aus der Googlesuche zu bekommen und damit die Auffindbarkeit zu erschweren. Interessanterweise geht Wulff parallel nicht unbedingt auch gegen die Anbieter der Inhalte vor, selbst wenn diese bekannt sind und ohne weiteres greifbar wären.

Ein prominentes Beispiel ist Netzaktivist Alvar Freude, der davon erfahren hat, dass ein älterer Blogbeitrag von ihm weit oben auf der Löschliste steht, die Wulffs Anwälte an Google geschickt haben.

Alvar Freude setzt sich in seinem ausführlichen Blogbeitrag damit auseinander, dass die traditionelle Presse Bloggern vorwirft, die Gerüchte über eine Rotlichtvergangenheit von Bettina Wulff verbreitet zu haben, obwohl es gerade klassische Medien waren, die durch ihre Andeutungen und Anspielungen ein breites Publikum überhaupt erst auf die Gerüchte aufmerksam gemacht haben. Was Freude artikuliert, ist also Medienkritik, die natürlich auch ihren Anknüpfungspunkt kurz ansprechen muss, um nicht im luftleeren Raum zu bleiben. Von Wulffs Anwälten hat Freude bislang keine Post bekommen, vermutlich weil sie wissen, dass sich der Blogbeitrag Freudes schwerlich wird verbieten lassen, wenngleich man speziell beim Landgericht Hamburg in solchen Fällen stets mit allem rechnen muss.

Ob ein Suchmaschinenbetreiber überhaupt Trefferergebnisse löschen muss, die auf rechtswidrige Inhalte verweisen, ist juristisch umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt. Im vorliegenden Fall ist es aber ganz augenscheinlich auch so, dass Bettina Wulff in großem Umfang eine Löschung auch solcher Inhalte fordert, die bei der gebotenen Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit nicht als ehrverletzend anzusehen sind. Es dürfte sich in der juristischen Diskussion auch irgendwann die Frage stellen, ob es nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, Google als Störer in Anspruch zu nehmen, wenn man gleichzeitig ohne größeren Aufwand den greifbaren Urheber des beanstandeten Contents belangen könnte und damit die weite effizientere Möglichkeit hat, die für rechtswidrig gehaltenen Inhalte an ihrer Quelle zu löschen. Mit der Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs war die Rechtsprechung bislang freilich sehr zurückhaltend. Das muss aber nicht so bleiben.

Denn das Vorgehen Wulffs gegen Google stellt auch eine Gefahr für die grundrechtlich verbürgte Informationsfreiheit dar. Es geht Bettina Wulff nämlich ersichtlich auch um die Löschung von Inhalten, die sie zwar als störend empfinden mag, die aber nicht als rechtsverletzend zu qualifizieren sind.

Google wird hier schon im eigenen Interesse standhaft bleiben müssen.

posted by Stadler at 12:26  

18.10.12

Ist die Twitter-Sperrung Zensur?

Twitter hat auf Aufforderung der Polizei in Hannover eine Sperrung des Accounts der rechtsradikalen Gruppierung „Besseres Hannover“ veranlasst, wobei die Besonderheit darin besteht, dass es sich streng genommen nicht um eine Sperrung handelt. Die Tweets bleiben abrufbar und werden nur für Benutzer mit der Ländereinstellung Deutschland ausgeblendet.

Die Vereinigung war zuvor vom Landesinnenministerium verboten worden. Dabei handelt es sich um einen sog. Verwaltungsakt, der solange rechtswirksam bleibt, solange er nicht von einem Gericht aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt worden ist. Die Verbotsverfügung beinhaltete auch die Schließung sämtlicher Accounts in sozialen Netzwerken. Für die zuständige Polizeibehörde bedeutet dies, dass sie rechtlich verpflichtet war, diesen Verwaltungsakt zu vollziehen.

Dieses Vorwissen sollte man haben, bevor man Zensur ruft. Das Verbot erfolgte auf gesetzlicher Grundlage und ist vollständig gerichtlich überprüfbar.

Natürlich kommen an dieser Stelle die Besonderheiten des weltweiten Netzes hinzu, die die technische Sinnhaftigkeit einer Maßnahme, die grundsätzlich auf das Bundesgebiet beschränkt ist, in Frage stellt. Die Maßnahme von Twitter ist gerade keine Sperrung und leicht zu umgehen.

Mit der Diskussion um Sperrungsverfügungen hat der Fall dennoch nicht viel gemein. Twitter ist kein Zugangsprovider und es sind hier auch keine Chilling Effects wie bei den Netzsperren zu befürchten.

Man kann also sicherlich über den Sinn der Maßnahme diskutieren, aber um Zensur handelt es sich nicht.

Lesenswert zum Thema ist der Beitrag von Jens Ferner.

posted by Stadler at 18:44  

14.10.12

Die Bundeswehr fühlt sich wieder einmal verunglimpft

Ein Bundeswehroberst ruft zum Shitstorm gegen einen Popmusiker auf, eine (kleine) Meute bundeswehrnaher Menschen folgt diesem Aufruf bereitwillig und lässt auf der Facebookseite des Musikers kräftig Dampf ab. Das Ganze wird von einer eher aufgeregten Berichterstattung sowie einem Indizierungsantrag zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien begleitet. All das deutet darauf hin, dass die Diskussion um den Mohammed-Film auch hierzulande Spuren hinterlassen hat. Verunglimpft wird in diesem Fall aber kein Prophet, sondern nach Ansicht der Empörten die Bundeswehr.

Stein des Anstoßes ist das Musikvideo zu Joachim Witts neuem Song „Gloria“. Dort sieht man eine Szene, in der Soldaten, die Bundeswehruniformen tragen, eine Frau vergewaltigen und anschließen (angedeutet) ein Kind ermorden.

Ohne mich zur künstlerischen Qualität dieses Videos äußern zu wollen, stellt sich mir allerdings die Frage, wie man filmisch die Perversion des Krieges darstellen soll, wenn man keine mordenden und vergewaltigenden Soldaten mehr zeigen darf, die eine tatsächliche Uniform tragen. Das Video Witts ist so eindeutig von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, dass das eigentlich Fragwürdige allein die Reaktionen hierauf sind. Eine Armee, die derart dünnhäutig reagiert, sollte ihre eigene Rolle und Öffentlichkeitsarbeit kritisch hinterfragen. Die bei Telepolis gestellt Frage, worüber man sich eigentlich aufregt, ist mehr als berechtigt.

posted by Stadler at 19:17  

21.9.12

Sauberes, schönes Internet

Unser Internet soll sauberer werden. Das meint zumindest das von der EU geförderte Clean-IT-Project. Erklärtes Ziel der Projektgruppe ist es, die terroristische Nutzung des Internets einzudämmen. Zu diesem Zweck führt man einen „Public-Private-Dialogue“, wie es auf der Website des Projekts offiziell heißt. Man kennt dieses Prinzip bereits, denn Provider, soziale Medien und Portalbetreiber sollen dieses Vorhaben unterstützen.

EDRi hat heute ein Diskussionspapier der Clean-IT-Gruppe geleakt, das offenbar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war. Inhaltlich ist es möglicherweise nicht ganz so spektakulär, wie man bei netzpolitik.org meint, zumindest wenn man das gelesen hat, was die Projektgruppe bereits selbst veröffentlicht hat.

Gleichwohl sind bürgerrechtliche Bedenken angebracht. Allein der aus einem Fact-Sheet der Projektgruppe stammende Satz

Results of this project can possibly be translated to other types of illegal use of the internet as well

sollte nachdenklich stimmen. Denn es geht wieder einmal darum, Informationsvermittler wie Provider oder soziale Medien dazu zu bewegen, im Rahmen des in Deutschland wohlbekannten Konzepts der freiwilligen Selbstverpflichtung, illegale Inhalte im Netz zu sperren, filtern und auszublenden. Im Rahmen der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz wurde nun wirklich rauf und runter erläutert, warum dieser Ansatz zwangsläufig zu Chilling Effects führt, die die Meinungs- und Informationsfreiheit gefährden. Als hätte es die Netzsperren-Debatte nie gegeben, versucht die Politik aber weiterhin das Internet zu kontrollieren und präsentiert hierfür die immergleichen Ansätze in wechselnden Gewändern.

Abgesehen von der inhaltlichen Fragwürdigkeit sehr vieler der diskutierten Maßnahmen, ist vor allem der nicht gesetzgeberische Ansatz – wie es sogar offiziell heißt – im Rahmen von Public-Private-Partnerships problematisch. Denn damit wird die Grundrechtsbindung des Staates umgangen und das in einem äußerst grundrechtsintensiven Bereich. Die Grundrechtseingriffe sollen von den Akteuren des Netzes „freiwillig“ vorgenommen und damit quasi privatisiert werden.

Hier braut sich gerade wieder etwas zusammen, auf das die Bürgerrechtler ein Auge haben müssen. Und bevor wir wieder ausschließlich auf die EU schimpfen, sollte man erwähnen, dass das Bundesministerium des Inneren offizieller Projektpartner von Clean IT ist. Wie hätte es auch anders sein können.

 

posted by Stadler at 21:49  

17.9.12

Die Diskussion um ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“

Die politische Diskussion über ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“ treibt seltsame Blüten. Während die Union die Aufführung des Films in Deutschland – wobei unklar ist, ob es überhaupt eine Langversion gibt – verbieten möchte, sehen SPD und Grüne dafür keine rechtliche Handhabe.

Bemerkenswert hierzu ist beispielsweise die Aussage des CDU-Innenpolitikers Bosbach gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:

Wir haben es hier nicht mit einer Rechtslücke zu tun, denn sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Kunstfreiheit gelten nicht schrankenlos.

Dass diese Aussage nicht so ganz richtig ist, zeigt bereits ein einfacher Blick ins Grundgesetz. Die Meinungsfreiheit unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, während die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Kunstfreiheit ein vorbehaltloses Grundrecht darstellt. Einschränkungen ergeben sich hier nur aus der Verfassung selbst.

Ob also ein Verbot einer Filmvorführung in Betracht kommt, ist höchst zweifelhaft, denn dies würde im konkreten Fall sowohl einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wie auch das der Kunstfreiheit darstellen. Und die Hürden für die Rechtfertigung eines derartigen Eingriffs sind hoch. Marc Liesching vertritt im Beck-Blog die Ansicht, dass ein polizeirechtliches Einschreiten aufgrund allgemeiner polizeirechtlicher Gefahrenabwehr-Bestimmungen im konkreten Einzelfall bei angekündigten öffentlichen Filmvorführungen nicht ganz ausgeschlossen ist. Die Frage ist aber dann, welche Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage im konkreten Einzelfall gegeben sind.

Im Beck-Blog diskutiert Henning Ernst Müller einen Verstoß gegen § 166 StGB, dessen Bejahung ich nach Ansicht des Films bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung für nur schwer vertretbar halte. Der Film skizziert den Islam als eine gewalttätige und blutrünstige Religion und die Hauptfigur, die wohl den Propheten darstellen soll, zusätzlich als lüstern. Der Trailer enthält außerdem auch Elemente schlechten Klamauks. Insgesamt wirkt der Film auf mich, gemessen an der öffentlichen Empörung, eher harmlos und billig. Dass man mit einem derart plumpen Machwerk so provozieren kann, ist nur dadurch zu erklären, dass die Aufregung geschürt und gesteuert ist. Und gerade diesen Umstand kann man bei der rechtlichen Bewertung nicht außer Acht lassen.

posted by Stadler at 21:28  

16.6.12

USA: Haftung von Providern und Informationsmittlern befürchtet

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) berichtet über eine Klage des Internet Archives gegen ein neues Gesetz des Staates Washington, durch das die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger bekämpft werden soll. Das Internet Archive stört sich vor allen Dingen an folgender Formulierung des Gesetzes:

A person commits the offense of advertising commercial sexual abuse of a minor if he or she knowingly publishes, disseminates, or displays, or causes directly or indirectly, to be published, disseminated, or displayed, any advertisement for a commercial sex act, which is to take place in the state of Washington and that includes the depiction of a minor.

Die Unschärfe der Gesetzesformulierung lässt eine weitreichende Haftung von jedermann möglich erscheinen, der direkt oder indirekt die Veröffentlichung oder die Anzeige von Content verursacht, der sexuellen Kontakt mit Minderjährigen bewirbt. Das Internet Archive befürchtet deshalb, dass gerade Informationsmittler wie Internet-Service-Provider, Internet-Cafes oder Bibliotheken von dem Gesetz betroffen sein werden. Das Internet Archive stützt seine Klage auf amerikanisches Bundesrecht, insbesondere auf die Meinungs- und Informationsfreiheit.

Der Versuch, Informationsmittler und technische Dienstleister für fremde Inhalte verantwortlich zu machen, ist also keineswegs ein deutsches oder europäisches Phänomen.

posted by Stadler at 15:22  

5.3.12

Facebook löscht Foto eines Hundeschwanzes

Peter Glaser ist ein Journalist und Schriftsteller, den man, zumal im Onlinekontext, kennen muss. Wie Facebook einen Beitrag von ihm löschte und seinen Account einer Sicherheitsüberprüfung unterzog, weil man das Foto des Schwanzes eines schlafenden Hundes als pornographisch eingestuft hat, schildert er in seiner bekannten Art entsprechend poiniert.

Bei mir setzte bei der Lektüre seines Textes, wie so oft, auch gleich der juristische Reflex ein und mir kam sofort das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den Sinn und die Frage nach der (mittelbaren) Grundrechtsbindung eines Unternehmens wie Facebook. Denn wer mit dem (juristischen) Pornographiebegriff vertraut ist, der weiß natürlich, dass dieses Foto eines Hundeschwanzes, das wie Peter Glaser zutreffend bemerkt, nur im Kopf des Betrachters eine Assoziation auslöst, keine pornographische Darstellung ist.

Diese Form der unzulässigen Privatzensur durch Facebook ist angesichts der Monopolstellung des Unternehmens ein ernsthaftes Problem. Google+ hat übrigens anders als Facebook nicht gelöscht. Unabhängig von anderen Fragwürdigkeiten scheint mir Facebook mit seiner Prüderie einfach auch humorlos und uncool zu sein. Es ist vielleich auch für mich an der Zeit, diesem unsozialen Netzwerk den Rücken zu kehren.

posted by Stadler at 16:44  

29.1.12

Die freiwillige Selbstkontrolle der Suchmaschinen

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat derzeit 2720 Onlineangebote (Telemedien) indiziert. Diese Liste wird offiziell, anders als bei Trägermedien, nach § 24 JSchG allerdings nicht im Bundeanzeiger veröffentlicht, weil man Chilling Effects verhindern möchte. Nach § 24 Abs. 5 JSchG soll diese Liste im Bereich der Telemedien aber anerkannten Einrichtungen der Selbstkontrolle zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme mitgeteilt werden, soweit ausländische Telemedien betroffen sind. Die Mitteilung darf nach dem Wortlaut des Gesetzes aber eben nur zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme verwandt werden.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erscheint es erstaunlich, dass alle großen Suchmaschinen über diese Liste verfügen und ihren Suchindex auch entsprechend filtern und bereinigen. Die großen Suchmaschinenanbieter haben sich dem „Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter der FSM“ unterworfen. Wie diese Selbstkontrolle der Suchmaschinen funktioniert, ist auf den Seiten der FSM ausführlich beschrieben. Suchmaschinenbetreiber wie Google oder Microsoft (Bing) haben sich u.a. zur Nicht-Anzeige von Internetadressen verpflichtet, die auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stehen.

Das kann man praktisch gut nachvollziehen, indem man bei Google z.B. das Suchwort „YouPorn“ eingibt. Am unteren Ende der ersten Trefferseite findet man derzeit den Hinweis, dass drei Websites aus Rechtsgründen nicht angezeigt werden, verbunden mit einem Link auf „chillingeffects.org“, wo wiederum erläutert wird, dass von einer zuständigen Stelle in Deutschland mitgeteilt wurde, dass die entsprechende URL unrechtmäßig ist. „YouPorn.Com“ wird mir interessanterweise allerdings dann als Treffer angezeigt, wenn ich in meinen Google(Plus)-Account eingeloggt bin (!).

Die FSM übermittelt also die Liste indizierter Telemedien an die Suchmaschinenbetreiber. Dort werden die Suchergebnisse dann entsprechend bereinigt. Dieses Prozedere ist rechtlich allerdings in höchstem Maße problematisch, denn die Mitteilung der indizierten Telemedien darf nach § 24 Abs. 5 JSchG ja nur zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme verwendet werden. Sind Suchmaschinen also nutzerautonome Filterprogramme? Wohl kaum.

Hier scheint einmal mehr der Zweck die Mittel zu heiligen. Nachdem der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet hat, die Liste indizierter Telemedien im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, um nicht mehr Publizität als nötig zu erzeugen, stellt sich aber auch die Frage, ob mit dieser Art der Suchmaschinenfilterung nicht der Gesetzeszweck unterlaufen wird. Denn, dass „YouPorn.Com“ auf der Listen steht, dürfte damit klar sein. Die Suchmaschinenfilterung unterläuft also die Intention des Gesetzes, die Liste indizierter Telemedien nicht zu veröffentlichen. Andererseits wirkt das Konzept der Suchmaschinenfilterung aber auch relativ hilflos, wenn man sieht, was bei der Eingabe von YouPorn als Suchbegriff bei Google (noch) als Treffer erscheint.

Mit diesem und anderen Themen befasst sich übrigens ein lesenswerter Artikel von Holger Bleich in der neuen c’t, der nachvollziehbar erläutert, warum der Jugendschutz im Internet nicht funktioniert.

posted by Stadler at 08:58  
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