Ist die Twitter-Sperrung Zensur?
Twitter hat auf Aufforderung der Polizei in Hannover eine Sperrung des Accounts der rechtsradikalen Gruppierung „Besseres Hannover“ veranlasst, wobei die Besonderheit darin besteht, dass es sich streng genommen nicht um eine Sperrung handelt. Die Tweets bleiben abrufbar und werden nur für Benutzer mit der Ländereinstellung Deutschland ausgeblendet.
Die Vereinigung war zuvor vom Landesinnenministerium verboten worden. Dabei handelt es sich um einen sog. Verwaltungsakt, der solange rechtswirksam bleibt, solange er nicht von einem Gericht aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt worden ist. Die Verbotsverfügung beinhaltete auch die Schließung sämtlicher Accounts in sozialen Netzwerken. Für die zuständige Polizeibehörde bedeutet dies, dass sie rechtlich verpflichtet war, diesen Verwaltungsakt zu vollziehen.
Dieses Vorwissen sollte man haben, bevor man Zensur ruft. Das Verbot erfolgte auf gesetzlicher Grundlage und ist vollständig gerichtlich überprüfbar.
Natürlich kommen an dieser Stelle die Besonderheiten des weltweiten Netzes hinzu, die die technische Sinnhaftigkeit einer Maßnahme, die grundsätzlich auf das Bundesgebiet beschränkt ist, in Frage stellt. Die Maßnahme von Twitter ist gerade keine Sperrung und leicht zu umgehen.
Mit der Diskussion um Sperrungsverfügungen hat der Fall dennoch nicht viel gemein. Twitter ist kein Zugangsprovider und es sind hier auch keine Chilling Effects wie bei den Netzsperren zu befürchten.
Man kann also sicherlich über den Sinn der Maßnahme diskutieren, aber um Zensur handelt es sich nicht.
Lesenswert zum Thema ist der Beitrag von Jens Ferner.
Das kommt darauf an, was man unter „Zensur“ versteht. Immerhin wird hier durch hoheitlichen Akt eine politische Meinungsäußerung verboten. Und das sogar sehr pauschal – unabhängig von einzelnen Äußerungen.
Nach meinem Verständnis *ist* das Verbieten und Unterdrücken von politischen Meinungsäußerungen Zensur. Die wird auch nicht grundlegend besser dadurch, das das alles nach lokalem Recht und Gesetz abläuft (Ist in China z.B. auch so).
Dass man sich dann auch nochmal durch Gerichte bestätigen lassen kann, tatsächlich gegen Zensurgesetze verstoßen zu haben, bessert die Lage auch nur marginal. Das verhindert höchstens Behördenwillkür ohne gesetzliche Grundlage.
Comment by zirp — 18.10, 2012 @ 19:01
Wenn in Deutschland Hitlers „Mein Kampf“ nicht veröffentlicht werden darf, dann ist das keine Zensur und die Alt-Nazis wollen nicht verhindern, das sich die Bürger über die historischen Ursachen informieren, warum Millionen Deutsche sich hingeben konnten, 25 Millionen Russen und 6 Millionen Juden zu töten, sondern dann ist das eine saubere rechtsstaatliche Wahrnehmung der Urheberrechtes des bayerischen Staates.
Linke Spinner in den USA, die körnerfressend und colasaufend vor ihren Rechnern abhängen und sich auf einen Anhang der amerikanischen Verfassung berufen zur Meinungsfreiheit und das obige Machwerk jedermann im Internet zur Verfügung stellen, sind zu dumm, den deutschen Rechtsstaat zu verstehen und ganz ordinäre Urheberrechtskriminelle, die mit voller Wucht des Staates verfolgt werden müssen: Vorratsdatenspeicherung, Heimerziehung, Sicherheitsverwahrung, Hadopi, drei bis vier Strikes am Besten mit dem Knüppel, vielleicht auch Bombenangriffe wenn man das Hosten als Cyberwar deutet, das die innere Ordnung unseres Rechtsstaates zersetzen soll. Zum Glück beschützt uns die Bundeswehr mit Erstschlagsfazilität und demnächst vielleicht auch Drohen vor solchen Terroristen vor solchen Widerlingen.
Im Datenschutz nennt man das neuerdings nationale Traditionspflege. :-) Nur noch knapp einen Monat bis zum 11.11., dann dürfen die Jecken wieder ohne Tarnkappe ihren Schalk trieben.
Comment by Wolfgang Ksoll — 18.10, 2012 @ 19:18
Bedenklich ist es doch vor allem, weil es gerade KEINE gesetzliche Grundlage dafür gibt.
Nur zur Erinnerung Twitter ist ein US-Unternehmen.
Wenn die USA etwas bei uns durchsetzen wollen geht das schnell und reibungslos umgekehrt aber nicht, besonders weil die USA ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit haben…
Also ein Fall von vorrauseilendem Gehorsam.
Comment by Heinz — 18.10, 2012 @ 19:19
@ zirp
Ein Mindestmaß an Rechtskenntnis für Äußerungen in einem „law-blog“ würde nicht schaden, bevor man auch politisch völlig abwegige Vergleiche mit China in den Raum stellt.
„Zensur” i.S. des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG ist nur die Vorzensur (BVerfG, 25.4.1972, 1 BvL 13/67, NJW 1972, 1934). Eine solche Vorzensur findet hier offensichtlich nicht statt. Es geht um ein – gerichtlich nachprüfbares – Vereinsverbot. Dass dieses sofort vollziehbar ist und dementsprechend umzusetzen ist, hat nichts mit Zensur zu tun. Und dass die auf gesetzlicher und gerichtlich überprüfbarer Grundlage durchgeführt werden muss, ist gerade der grundlegende Unterschied zu echter Zensur, wie sie in China und anderswo stattfindet.
Comment by Ralf Henssen — 18.10, 2012 @ 19:32
Vielleicht sollte man mal ein Gesetz machen das Suchmaschinen und Aggregatoren nichts verstecken sollen, sondern lediglich schwärzen und ggf. links entfernen. Wer bestimmt interessant mal zu sehen wie viele schwarze stellen Internet Seiten und Suchergebnisslisten dann so hätten. Könnte man sicherlich auch interessante Länder vergleiche mit anstellen. Vielen ist gar nicht bewusst wie viel für Jugendschutz und Markenrecht in Europa gefiltert wird.
Comment by mark — 18.10, 2012 @ 20:24
@mark
Bei Google kann man dieses „Schwärzen“ bereits beobachten, denn immer, wenn Google einen Eintrag in der Suche für ein entsprechendes Land gesperrt hat, erscheint an dieser Position ein Hinweis auf die „Schwärzung“.
Comment by Tobias — 18.10, 2012 @ 22:30
@ Ralf Henssen (#4):
Das BVerfG ist der Ansicht „Zensur = nur Vorzensur“. Man muss die Auffassung ja nicht teilen. Man muss sie schon nicht zwingend teilen im Hinblick auf die Auslegung des GG. Und man muss sie erst recht nicht teilen im Hinblick auf den Begriff „Zensur“ im allgemeinen Sprachgebrauch.
(Kurz zum GG: Die Auslegung des BVerfG entspricht dem, was der parlamentarische Rat wohl auch wollte. Insofern liegt es schon sehr nahe, Art. 5 I 3 so zu verstehen.
Das Problem dabei ist, dass diese Auslegung die Vorschrift „Eine Zensur findet nicht statt“ gleich wieder weitgehend entwertet. Nachzensur ist ja nicht prinzipbedingt besser als Vorzensur. In vielen Fällen wirkt sie sogar noch schlimmer.
Und ich denke, genau das wollte der parlamentarische Rat auch. Sie haben einen schön klingenden Begriff ins GG geschrieben, und ihn hintenrum gleich wieder weitgehend ausgehöhlt.)
Aber wie gesagt: Hier geht es nach meinem Verständnis ohnehin nicht um Art. 5 I 3. Es geht um die Frage, ob dieses Vorgehen „Zensur“ im allgemeinsprachlichen Sinne ist.
Insofern muss ich zugeben: Das Beispiel China war zu extrem gewählt, weil die Zustände dort tatsächlich um Größenordnungen schlimmer sind als in D.
Nehmen wir ein Beispiel, das näher an D dran ist:. In Thailand gibt es ein Gesetz, das für Kritik am König bis zu 30 Jahren Gefängnis vorsieht. Ggf. urteilen über dessen Anwendung Gerichte.
Ist das nun Zensur? Wenn ich Ihre rein formalen Sichtweise richtig verstehe („keine Zensur, wenn Gesetz + Überprüfung der Entscheidungen durch Gerichte“), ist es danach keine Zensur. Nach der Ansicht des BVerfG ist es auch keine Zensur, weil keine Vorzensur. Wenn man etwas falsches sagt, landet man halt hinterher im Gefängnis.
Soweit ich das sehe, sind die wesentlichen Abläufe ähnlich wie in D: Wer gegen das Gesetz verstößt, wird von Strafgerichten verurteilt. Ggf. werden auch Schriften beschlagnahmt, Webseiten gesperrt/gelöscht etc. Alles ähnlich wie hier. Unterschied: Es richtet sich nicht gegen Nazis, sondern gegen Regierungskritiker.
Comment by zirp — 18.10, 2012 @ 23:25
Im Gewusel des Gefechtes übersehen die Streitparteien immer das Wesentliche. Ich frage mich, warum erkennen sie dieses Faktum nicht. Welches?
Der Twitter-Anbieter ist eine private Firma. Ist das in den Blödköpfen der Diskutanten jemals angekommen? Diese Privatfirma muß gar nichts veröffentlichen. Gar nichts. Nope!
Warum werden Anbieter wie Google, Twitter und Co. ständig als Allgemeingut behandelt? Es sind Firmen! Sie haben das Hausrecht. Schon gehört davon? Es gibt kein Recht zu googlen oder zu twittern. Diese Firmen können morgen deren Dienste vom Netz nehmen. Mit einem Klick.
Das ist genau der Punkt. Man sollte sich einfach mal hinter die Löffel schreiben, daß man es bei diesen Anbietern mit GESCHÄFTEMACHERN zu tun hat. Datenkraken, Datenschleudern, die nichts umsonst machen. Diese Unternehmen sind nicht „das Web“. Sie sind Unternehmen, die Kohle machen wollen.
Diese zu meiden, hat was mit dem IQ zutun. Und wenn Idioten Probleme haben mit Twitter, dann sollten sie sich eher fragen, was sie überhaupt da zu suchen haben.
Comment by Tim — 20.10, 2012 @ 12:52
Sie haben recht: Es *ist* ein großes Problem, sich bei seiner Kommunikationsinfrastruktur so auf private Firmen zu verlassen (eine gute Alternative ist ein offenes System namens „Friendica“).
Aber: Das ist *nicht* das Problem, um das es hier geht. Twitter zensiert ja eben *nicht* nach Gutsherrenart und nach eigenen Vorstellungen (wie etwa Facebook). Twitter zensiert bislang nur, weil und wenn staatliche Stellen/Gesetze das von ihnen verlangen. Insofern ist das Problem z.Zt. eben *nicht* Twitter. Das Problem sind vielmehr eben diese staatlichen Stellen und Gesetze. Denn die könnten ebenso gut auch gegen jeden anderen angewendet werden: Gegen *jede* andere Firma und *jeden* privaten Serverbetreiber.
Comment by zirp — 21.10, 2012 @ 23:27