Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.11.14

BND hält offenbar Totalüberwachung für weitgehend rechtlich zulässig

Das Interessanteste an der vieldiskutierten Anhörung des (ehemaligen) BND-Juristen Stefan Burbaum im NSA-Untersuchungsausschuss ist seine Aussage zur Auslegeung von § 10 Abs. 4 S. 2 G10-Gesetz. Die Vorschrift lautet:

Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des § 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom Hundert betragen.

In der Überwachungsanordnung in Fällen des § 5 (sog. strategische Fernmeldekontrolle) muss festgelegt werden, welcher Anteil der auf den Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf, wobei dieser Anteil höchstens 20 % betragen darf.

Der BND versteht das nach der Aussage von Burbaum explizit so, dass bei einer Leitung, die nur zu 10 % ausgelastet ist, der gesamte Traffic abgegriffen werden darf. Die gesetzliche Einschränkung läuft also in diesem Fall leer. Da die Auslastung der Datenleitungen in sehr vielen Fällen unterhalb der 20%-Marke liegen dürfte, würde dies (nahezu) eine Komplettüberwachung legitimieren.

Kaum minder interessant ist die auch von Burbaum wieder angesprochene „Funktionsträgertheorie“ des BND, die besagt, dass jemand, der für eine ausländische juristische Person tätig ist, als deren Funktionsträger gilt und deshalb nicht mehr den Schutz der Grundrechte genießen soll, selbst dann, wenn er deutscher Staatsbürger ist. Da das BVerfG den Begriff der juristischen Person im Sinne von § 19 Abs. 3 GG – aus Gründen eines effektiven Grundrechtsschutzes wohlgemerkt – wei auslegt, fallen darunter auch nicht rechtsfähige Organisationen.

Das was man im Verfassungsrecht allerdings klassischerweise als Funktionsträgertheorie kennt, besagt etwas ganz anderes. Hierbei geht es nämlich um die Frage, ob ein Funktionsträger des Staates, beispielsweise ein Polizeibeamter, gleichzeitig Grundrechtsberechtigter sein kann. Das ist deshalb problematisch, weil in diesem Fall der für den Staat handelnde Polizeibeamte damit gleichzeitig Grundrechtsberechtigter und -verpflichteter wäre. Diese Kollision kann sich aber beim Funktionsträger nach Lesart des BND überhaupt nicht ergeben.

Das Konstrukt des BND versucht sich den Umstand zunutze zu machen, dass die Grundrechte grundsätzlich (nur) für inländische juristische Personen gelten (Art. 19 Abs. 3 GG). Hieraus folgt allerdings kein Grundrechtsausschluss für Funktionsträger juristischer Personen, soweit es sich nicht um Hoheitsträger handelt. Das Fernmeldegeheimnis schützt jedermann vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Betroffener eines solchen Eingriffs ist zunächst immer eine natürliche Personen, denn juristische Personen können nicht selbst kommunizieren. Wenn also eine inländische juristische Person betroffen ist, dann kann diese in ihrem eigenen Grundrecht betroffen sein, was aber nicht bedeutet, dass der abgehörte Mitarbeiter der juristischen Person deshalb seinen individuellen Grundrechtsschutz verliert. Denn schließlich ist es seine Individualkommunikation die überwacht wird. Dasselbe gilt spiegelbildlich auch für ausländische juristische Personen. Diese können sich, nach durchaus umstrittener Ansicht, selbt zwar nicht auf das Grundrecht berufen, der Grundrechtsschutz ihrer Mitarbeiter bleibt deshalb aber erhalten. Man hat hier im übrigen auch das Problem, dass das bei der strategischen Fernmeldekontrolle angewandte Staubsaugerprinzip natürlich nicht in der Lage ist, festzustellen, ob jemand im Einzelfall als Funktionsträger einer Organisation teelfoniert oder mailt oder vielleicht doch privat.

Der BND liefert eine weitere haarsträubende Rechtsauslegung, die keiner seriösen juristischen Bewertung standhält. Es zeigt sich einmal mehr, dass es dem BND einzig und allein darum geht, die Grundrechte auszuhebeln, wo es nur geht. Das entspricht einer leider auch in der Politik verbreiteten Tendenz, das Grundgesetz und die Grundrechte als Störfaktor zu betrachten. Und deshalb stützt die Bundesregierung das rechtswidrige Treiben des BND auch. Man würde sich in diesem Punkt dann zumindest wünschen, dass sich Merkel und ihr Kabinett offen dazu bekennen. Aber wenn es dieser Regierung an einem fehlt, dann ist es der Mut zur Wahrheit.

posted by Stadler at 15:32  

17 Comments

  1. Auch die hochgradig kriminellen Mitarbeiter der sog. „G-10-Komission“ haben diese Straftaten der Spitzelschergen „genehmigt“. Die ebenso hochgradig kriminelle StA Berlin teilt hierzu mit: Ein Ermittlungsverfahren wird nicht eingeleitet. Der GenBA ist eh die größte Strafvereitelungsbehörde hierzulande. Und wer hat eigentlich diese Spitzelschergengesetze erlassen, nachdem die EIKONAL-Kriminellen schon jahrelang ohne Ermächtigungsgrundlage tätig waren? Also eigentlich bin ich ja gegen die Todesstrafe …

    Comment by wott — 28.11, 2014 @ 16:06

  2. Weiterhin ist interessant, dass nach den kürzlich von Netzpolitik veröffentlichten Protokollen des BND-Auschusses zuerst der gesamte Datenverkehr dupliziert wird, um dann auf (beim Anbieter befindlicher) Computern des BND mittels Selektoren reduziert zu werden. Dieser Schritt selbst stellt allerdings schon eine Überwachung dar, da die Selektoren natürlich den Datenverkehr zur Selektion analysieren müssen.

    Comment by Techie — 28.11, 2014 @ 17:19

  3. Die Übertragungskapazität als Ausgangswert der 20% zu verwenden scheint mir nach Gesetzeswortlaut legitim:

    „Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des § 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom Hundert betragen.“

    Allerdings dupliziert der BND nach den kürzlich von Netzpolitik veröffentlichten Protokollen des BND-Ausschusses zuerst den *gesamten* Datenverkehr, um ihn dann mittels Selektoren zu reduzieren. Diese Selektoren stellen aber schon selbst eine Überwachung dar, da sie natürlich den Datenverkehr analysieren müssen.

    Es wird also zunächst 100% überwacht, dann (mittels beim Anbieter befindlicher Rechner des BND) reduziert, und die verbleibenden Daten weitergeleitet. Erst diese zählt der BND überhaupt.

    Comment by Techie — 28.11, 2014 @ 17:23

  4. Langsam wird es kriminell. Fassen wir es mal zusammen. Der BND hat vermutlich schon mehr Daten gesammelt als die Stasi und Gesetze werde bewusst ignoriert (Die „juristischen“ Begründungen des BND sind haarsträubend).

    Heute Mittag habe ich mir noch gedacht, es wird zeit das Peter Schaar Strafanzeige nach §44 BDSG stellt. Leider ist mir dann aufgefallen das es keinen Bundesdatenschutzbeauftragten mehr gibt. Nur eine gewisse Frau Voßhoff die… ja was macht sie den eigentlich?

    Hier ein schöner Artikel in der FAZ über Ihre Bilanz

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/aus-dem-maschinenraum/andrea-vosshoff-versagt-als-datenschutzbeauftragte-13269359.html

    Comment by Mojo — 28.11, 2014 @ 20:16

  5. @5: Frau Voßhoff versagt nicht! Sie ist in dieses Amt gehievt worden, weil sie mit Datenschutz nicht am Hut hat, weil von ihr keine Forderungen kommen sollen, die den Schutz der Daten der Bürger betreffen, weil sie zu jeder Sauerei, die die regierenden Parteien vorhaben bzw. ausführen, die Schnauze halten soll und wird. Sie ist die perfekte Besetzung für die, die Datenschutz und Grundrechte als lästige Hindernisse betrachten und sie lieber heute als morgen vollständig schleifen wollen.

    Comment by M. Boettcher — 28.11, 2014 @ 23:48

  6. Datenschutzbehörde, Integrationsbeauftragte, Bafin, Bundesnetzagentur, alles zahnlose Alibiveranstaltungen, reine Augenwischerei und Volksverdummung nein Verarsche! Am besten ist dazu noch die Auswahl der Oberclowns, die als Leiter auf die Posten gepeterlet wurden. Mir gefiel heute beim NSA Ausschuss besonders diese Anekdote:Daraufhin “überzeugte” das Bundeskanzleramt den Telekommunikations-Betreiber mit einem persönlichen Treffen und einem “Freibrief” von der Rechtauffassung des BND.
    Wenn das Kanzleramt droht, kriegt mein Zwerchfell Muskelkater.

    Comment by Dr.Klusenbreuker — 29.11, 2014 @ 02:33

  7. Das auch in diesem Blog angesprochene „Grundrechte einer juristischen Person“ hört sich nach logisch falschem Juristenneusprech an.

    Zuvorderst müsste man annehmen, daß Grundrechte für reale Personen gelten. Und das dann auch konsequent so einfordern.

    Die Ablenkungsblase „Grundrechte juristischer Personen“ muss zum Platzen gebracht werden.

    Comment by Name — 29.11, 2014 @ 05:32

  8. “ …dass es dem BND einzig und allein darum geht, die Grundrechte auszuhebeln…..“,
    “ … deshalb stützt die Bundesregierung das rechtswidrige Treiben des BND auch.“
    Wirklich abwegig, daß die Bundesregierung das Treiben des BND unterstützt WEIL es ums Aushebeln von Grundrechten (= Abschaffung der grundgesetzlichen Ordnung) geht?

    Wäre das dann nicht ein Fall für Artikel 20 (4) GG?
    „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich
    ist.“
    Und andere Abhilfe ist ja nicht möglich, da die jeweilige Opposition nur solange (und selbst das nur beschränkt) dagegen hält, solange sie eben Opposition ist. Wahlen helfen da nicht mehr!

    Comment by dentix07 — 29.11, 2014 @ 08:26

  9. a) de jure gibt es in der BRiD keine Menschen.
    Alle sind de jure zu Sachen = Personal umfirmiert!
    Toller Trickbetrug!
    b) es gibt bis heute keinen Friedensvertrag, und aus diesem Grunde kann die militaerische Fuehrungsmacht alles abhoeren.
    c) der sogenannte deutsche BND arbeitet fuer die CIA

    die Abhilfe aus diesem Dilemma:

    http://www.freistaat-preussen.org/reorganisation

    Dies ist ein Weg den jeder aufnehmen kann. Wer in und mit einer echten Verfassung leben moechte, dem kann hier geholfen werden.

    Comment by Hartmut Lau — 29.11, 2014 @ 09:28

  10. Deshalb kann die Reklame lauten“ Wer CDU/SPD wählt, wählt Erich Honecker und Willy Stophe(SPD/KPD)“

    Comment by Rolf Weichert — 29.11, 2014 @ 10:11

  11. Könnte es wohl sein, dass es in dem genannten Gesetz statt „Übertragungskapazität“ eigentlich besser „tatsächlicher Datenverkehr“ heißen sollte?

    Comment by Martin Becker — 29.11, 2014 @ 13:04

  12. Dazu ein Zitat aus dem Jahr 2012:

    „Der Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl (CSU) sagte der Online-Ausgabe der „Frankfurter Rundschau“, es gehöre zu der ganz normalen nachrichtendienstlichen Tätigkeit, zu versuchen, Gespräche des Assad-Regimes mit technischen Mitteln abzuhören. „Dafür werden die Beamten des Bundesnachrichtendienstes bezahlt“, sagte der CSU-Politiker.“

    Dass das Ganze nun ein wenig so aussieht als hätte man Rauff oder Brunner mit einer Friedensmission beauftragt ist nicht ganz unvermeidbar. Was solls: auch das Forschungsamt hörte schon bei Bedarf jede Leitung ( in Europa ) ab. Woher das Geld für den BND heute kommt ?
    Was für ein Zufall.

    Unklar bleibt in Strangie’s new wonderland nun, welche Zielkoordinaten an wen geliefert wurden und warum, im Fall des nun rechtlosen Assad ( s.o. ) wird klar, dass dieser zunächst vom Lieblingsfolterknecht und Gasmann der BRD zum Buhmann mutierte ( s.o. ), um jetzt wieder mit Zielkoordinaten des BND für die syrische Armee ausgerüstet zu werden.

    Das Ergebnis ist bereits jetzt rekordverdächtig.

    Vor diesem eher dunklen Hintergrund ist es außerordentlich beruhigend, wenn die Daten aus der strategischen Telefonüberwachung auch gleich an die Justiz weiter gegeben werden können. Oder an wen auch immer. Assad…Putin…Obama…Mubarak…Il Capo di Roma…den Prinz von Tonga…Pablo Escobar…die BILD-Zeitung, oder an wen auch immer.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 29.11, 2014 @ 20:37

  13. Ist es mit anderen Worten völlig legal, die Funktionsträgerin Angela Merkel abzuhören?

    Comment by turtle of doom — 30.11, 2014 @ 18:25

  14. „Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf.“

    Oh, das ist ja schön. Dann machen wir eine Leitung von A nach B mit der Kapazität C, die halt um den Faktor 5 über dem liegt, was von links und rechts eingespeist werden kann, weil die Leitungen dort halt langsamer sind. Notfalls packen wir mit Bonding was obendrauf. Die Verbindung ist dann niemals zu mehr als 20% ausgelastet, und voilà.

    Schon deswegen kann das kaum so gemeint sein, aber der Text ist sicherlich ohne allzu viel störendes Netzwerkwissen verabschiedet worden (geschrieben ja).

    Comment by Harald Milz — 1.12, 2014 @ 11:08

  15. @14 Gemeint ist natürlich der zitierte Gesetzestext.

    Comment by Harald Milz — 1.12, 2014 @ 11:14

  16. „Ist es mit anderen Worten völlig legal, die Funktionsträgerin Angela Merkel abzuhören?“

    Wenn man die Funktionsträgertheorie auf die NSA überträgt, die seit 2002 Konversationen der A. Merkel aufnimmt, dann ist das völlig legal. Nun sind die NSA und der BND so weit vernetzt, dass man eine Trennlinie nicht ziehen kann, was die Sache nicht leichter macht.

    Ironischerweise aber ist der BND dem Bundeskanzleramt unterstellt, so dass sich die Problematik ergibt, die eigene Dienstaufsicht zu überwachen.

    Schmidt hat immer hervorgehoben, dass er die Berichte des BND sowieso nicht liest, ob das wirklich zutrifft kann man offen lassen, aber wer weiß, was für Berichte der BND über ihn verfasst hat.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 1.12, 2014 @ 23:08

  17. Irgendwie verkehrte Welt: Gemäß dem Grundgedanken unseres Grundgesetzes bedarf doch der Staat einer Rechtfertigung für einen Grundrechtseingriff und nicht der Einzelne, wenn er sich auf seine Freiheitsrecht beruft? Viele Grüße aus Berlin .

    Comment by Anwalt — 30.12, 2014 @ 23:17

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