Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.11.10

Anhörung im Rechtsausschuss zum Zugangserschwerungsgesetz

Am 10.11.2010 findet im Rechtsausschuss des Bundestages eine Sachverständigenanhörung zum Zugangserschwerungsgesetz statt.

Die ersten schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Dominik Boecker, Dieter Frey und Christoph Schnabel liegen bereits vor. Alle drei Sachverständigen halten das Zugangserschwerungsgesetz für verfassungswidrig und plädieren für eine Aufhebung. Es ist aus Sicht eines  vernünftig argumentierenden Juristen auch kaum möglich, das Gesetz als verfassungsgemäß zu qualifizieren.

posted by Stadler at 08:00  

4.11.10

Netzsperren: Warum das Zugangserschwerungsgesetz verfassungswidrig ist

Das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz) ist am 23.02.2010 in Kraft getreten. Nach dem Gesetz ist das Bundeskriminalamt (BKA) verpflichtet, eine sog. Sperrliste mit Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten zu führen, die kinderpornographische Inhalte i.S.v. § 184b StGB enthalten. Diese Liste muss inländischen Internetzugangsprovidern tagesaktuell übermittelt werden. Die Provider sollen dann den Zugang zu den in der Sperrliste genannten Angeboten durch technische Maßnahmen erschweren.

Dieses Gesetz wird bis heute allerdings nicht vollzogen, weil das Bundesministerium des Inneren durch einen Nichtanwendungserlass – der in dieser Form evident rechtswidrig ist – gegenüber dem BKA angeordnet hat, vorerst keine Sperrlisten zu führen, sondern sich ausschließlich um das Löschen von einschlägigen Inhalten zu bemühen.

Die Oppositionsparteien im Bundestag (SPD, Grüne, Linke) haben eigene Gesetzesentwürfe zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes eingebracht, die derzeit in den Ausschüssen behandelt werden. Nach einer Anhörung im Unterausschuss Neue Medien – an der ich als Sachverständiger teilgenommen habe – findet am 10.11.2010 eine weitere Anhörung im Rechtsausschuss statt, in der es um die rechtlichen Fragen geht. Aus diesem Grund möchte ich nochmals ausführlich die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zugangserschwerungsgesetz erläutern und zusammenfassen.

1.  Fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Dem Bund fehlt es an einer Gesetzgebungskompetenz für das Vorhaben. Der Kompetenztitel des Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), auf den sich das Gesetz stützt, ist nicht einschlägig, weil die geregelte Materie ausschließlich den Bereich des Polizei- und Sicherheitsrechts betrifft und damit in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG erstreckt sich der Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft nicht auf Vorschriften, die allein dazu dienen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen, auch wenn sie Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit  haben  (BVerfGE 8, 143, 149 f.; 13, 367, 371 f.; 41, 344).

Gegenstand der Regelung ist nicht die wirtschaftliche Betätigung der betroffenen Zugangsvermittler („Access-Provider“). Diese werden vielmehr nur als eine Art Verwaltungshelfer beim Vollzug des Gesetzes in Anspruch genommen. Gegenstand und Ziel des Gesetzes ist ausschließlich die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornographie im Netz und damit ein Anliegen der Gefahrenabwehr.

2.  Fehlende Verwaltungskompetenz des Bundes

Dem Bund mangelt es auch an der Kompetenz, das Gesetz mittels eigener Behörden zu vollziehen. Der Bund kann nach Art. 83 GG Bundesgesetze nur dann durch eigene Behörden vollziehen lassen, wenn ihm das Grundgesetz dafür eine Verwaltungskompetenz eigens zuweist, weil die Regelzuständigkeit bei den Ländern liegt.  Nach  § 1 Abs. 1 ZugErschG vollzieht das Bundeskriminalamt das Zugangserschwerungsgesetz durch Führung und Weiterleitung der sog. Sperrliste. Eine Verwaltungskompetenz des Bundes hierfür ist nicht ersichtlich. Diese Tätigkeit ist weder sachlich von einer Funktion als Zentralstelle i.S.v. Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG gedeckt noch wurde eine solche Zentralstelle für Aufgaben dieser Art durch Bundesgesetz errichtet.

Das Gesetz ist also bereits formell verfassungswidrig.

3.  Materielle Verfassungswidrigkeit des ZugErschG

In materieller Hinsicht mangelt es dem Gesetz an der erforderlichen Bestimmtheit und Normklarheit. Zudem liegt ein  Verstoß gegen den sog. Wesentlichkeitsgrundsatz und damit gegen Art. 20 Abs. 3 GG vor, wonach der Gesetzgeber die für den Grundrechtseingriff wesentlichen Aspekte selbst regeln muss und nicht der Verwaltung oder gar einem Verwaltungshelfer überlassen kann. Die Auswahl der anzuwendenden Sperrtechnologie wird vom Gesetzgeber allein dem Internetprovider überlassen. Das ist deshalb problematisch, weil die Anwendung verschiedener Sperrtechniken zu unterschiedlichen Grundrechtseingriffen mit ganz unterschiedlicher Intensität führen kann. Die Intensität und damit möglicherweise auch die Rechtmäßigkeit der Maßnahme kann aber nicht davon abhängen, welche Sperrtechnologie der einzelne Provider einsetzt, zumal es damit bei gleichen Sachverhalten bei unterschiedlichen Providern ohne sachlichen Grund zu unterschiedlich intensiven Eingriffen in die Grundrechte Betroffener kommen kann.

Das Gesetz greift zudem in unverhältnismäßiger und nicht verfassungskonformer Art und Weise in mehrere Grundrechte ein.

Es liegen Eingriffe in das Recht auf Meinungsfreiheit bzw. in die allgemeine Handlungsfreiheit der Inhaltsanbieter vor. Zudem wird in die Informationsfreiheit und das Fernmeldegeheimnis der Internetnutzer eingegriffen und schließlich auch in die Berufsfreiheit der Internetzugangsprovider. Diese Eingriffe sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht verhältnismäßig.

Das Gesetz ist schon nicht geeignet, den erhofften Zweck, die Verringerung von Zugriffen auf kinderpornographische Inhalte, zu erreichen. In der öffentlichen Diskussion ist bereits hinreichend dargestellt worden, dass diese „Sperren“ ohne weiteres zu umgehen sind und deshalb Pädophile, die gezielt nach derartigen Inhalten suchen, nicht von einem Zugriff abgehalten werden können. Das Gesetz bewirkt vielmehr gerade einen gegenteiligen Effekt: Durch die Sperrlisten und die vom BKA aufzustellenden „Stopp-Schilder“ wird überhaupt erst die Aufmerksamkeit auf solche Seiten gelenkt, die sonst völlig unbemerkt von der überwiegenden Zahl der Nutzer online wären. Damit werden neue, zusätzliche Nutzer angelockt und nicht etwa ferngehalten. Die Erfahrung mit ausländischen Sperrlisten zeigt im Übrigen, dass sich diese Listen nicht geheim halten lassen und immer wieder im Internet auftauchen, was dazu führt, dass der Staat den Pädophilen geradezu eine Navigationshilfe für kinderpornographische Inhalte anbietet. Das „Stopp-Schild“ stellt zugleich ein Frühwarnsystem für Pädophile und die Betreiber entsprechender Websites dar. Diese Personen werden damit frühzeitig darauf hingewiesen, dass sie sich alternative Wege suchen müssen. Das  Gesetz wird deshalb den Zugang  zu kinderpornographischen Inhalten nicht erschweren, sondern begründet vielmehr die ernsthafte Gefahr, dass der relevanten Zielgruppe der Zugang sogar noch erleichtert wird. Das Zugangserschwerungsgesetz könnte sich also als Zugangserleichterungsgesetz entpuppen.

Aktuelle Untersuchungen, wie die der EFC, belegen zudem, dass das WWW, auf das die Netzsperren allein abzielt, nicht zu den Hauptverbreitungskanälen für kinderpornographische Inhalte im Netz zählt. Mit dem Konzept der Zugangserschwerung können die Hauptverbreitungswege erst gar nicht erfasst werden. Auch dieser Umstand spricht dafür, das Gesetz bereits als ungeeignet zur Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen zu betrachten. Das ZugErschwG ist vielmehr Ausdruck einer Placebo-Politik, die den Bürgern suggerieren soll, dass gegen Kinderpornographie im Netz vorgegangen wird.

Auch die Erforderlichkeit des Gesetzes ist nicht gegeben. Eine Inanspruchnahme eines Zugangsproviders, mithin eines Nichtstörers, kann allenfalls als Ultima Ratio in Betracht gezogen werden und auch nur dann, wenn vorab geprüft und sichergestellt worden ist, dass es nicht möglich ist, die fraglichen Inhalte durch ein Einwirken auf die zuständigen Behörden vor Ort bzw. die Host-Provider aus dem Netz zu entfernen. Erst dann, wenn diese sachnäheren Maßnahmen gescheitert sind, wäre eine Aufnahme in eine Sperrliste überhaupt denkbar. Solange aber effektivere Maßnahmen, die zudem Unbeteiligte verschonen, in Betracht kommen, ist eine Maßnahme der Zugangserschwerung  ausgeschlossen. Diese Einschränkung gewährleistet das Gesetz aber nicht. Nicht ausreichend ist hier insbesondere der Vorbehalt in § 1 Abs. 2 des Gesetzes. Dieser Vorbehalt knüpft die Notwendigkeit sachnäherer Maßnahmen allein an die Einschätzung des Bundeskriminalamts, nicht aber an eine objektive Erforderlichkeitsprüfung.  Warum  hier, anders als bei anderen Maßnahmen der Gefahrenabwehr, eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung bestehen soll, ist nicht ersichtlich und genügt jedenfalls nicht den Anforderungen, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben.

Das zentrale Problem der Verhältnismäßigkeit besteht allerdings in dem als „Overblocking“ bezeichneten Effekt. Das Gesetz beinhaltet die naheliegende Gefahr, dass andere, legale Internetinhalte quasi mitgesperrt werden, weil es auf der Ebene der Zugangsprovider, die selbst keinen Zugriff auf die inkriminierten Inhalte haben, nicht möglich ist, die Blockademaßnahmen zielgenau auf kinderpornographische Webseiten zu begrenzen. Das Gesetz wird deshalb dazu führen, dass  immer wieder legale Inhaltsangebote in Mitleidenschaft gezogen und ebenfalls gesperrt bzw. blockiert  werden. Wenn beispielsweise, wie im Gesetz als Mindeststandard vorgesehen, pauschal eine bestimmte Domain gesperrt wird, dann können im Extremfall die Inhalte von Millionen Unbeteiligter betroffen sein.

Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Umsetzung des ZugErschG die Schaffung einer technischen Blockade-Infrastruktur auf seiten der Provider erfordert, die die Gefahr von Einschüchterungseffekten („chilling effects“) mit sich bringt. Zwar hat der Gesetzgeber die strafrechtliche Verwertung der am Stopp-Server gesammelten Informationen nicht vorgesehen. Dies ändert aber nichts daran, dass durch das Gesetz eine Infrastruktur geschaffen wird, die geeignet ist,  im Prinzip jede Suche oder Anfrage eines Bürgers nach Information aufzuzeichnen und diese Anfrage anschließend aufgrund einer staatlich kontrollierten Sperrliste zuzulassen oder zu blockieren. Das heißt, das BKA wird in die Lage versetzt, Informationsströme im Netz innerhalb weniger Stunden vollständig zu kontrollieren bzw. zu blockieren.  An dieser Stelle ist auch zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit des BKA keiner ausreichenden Kontrolle unterliegt. Lediglich quartalsweise und stichprobenartig soll ein Expertengremium die vom BKA geführte Sperrliste überprüfen. Die  Befürchtung vieler Bürger, dass damit eine „Zensur-Infrastruktur“ geschaffen wird, ist berechtigt, wenngleich die Effektivität solcher Systeme dank der Architektur des Internets begrenzt ist.

Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausweitung des Einsatzes einer entsprechenden Sperrtechnologie auf andere Bereiche wie Urheberrechtsverletzungen oder Online-Glückspiele immer wieder öffentlich gefordert worden ist. Diese Forderungen werden sich weiter verstärken, sobald einmal in einem ersten Bereich ein solches Konzept zum Einsatz gekommen ist. Der Gesetzgeber wird sich diesen Forderungen, entgegen der jetzigen anderslautenden Beteuerungen, schwerlich entziehen können.

Das Zugangserschwerungsgesetz ist formell und materiell verfassungswidrig. Nachdem es der Anspruch des Bundestages sein muss, verfassungskonforme Gesetze zu erlassen, ist allein dieser Umstand, jenseits aller Parteipolitik, Grund genug, das Gesetz aufzuheben.

posted by Stadler at 12:46  

26.10.10

Ausschussanhörung zu Netzsperren

Am gestrigen 25.10.2010 habe ich als Sachverständiger für den FoeBud an einer Anhörung des Unterausschusses Neue Medien des Bundestages zum Thema „Kampf gegen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: technische und organisatorische Fragen“ teilgenommen. Meine schriftliche Stellungnahme ist online abrufbar.

Die Fraktionen von Grünen, SPD und Linken haben (jeweils eigene) Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht, die auf eine Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes gerichtet sind. Diese Gesetzesentwürfe werden nunmehr in den Ausschüssen behandelt, zuerst in dem für Neue Medien und anschließend noch im Rechtsausschuss.

In der zweieinhalbstünden Sachverständigenbefragung haben die anwesenden Experten fast einhellig die Ansicht vertreten, dass Netzsperren kein geeignetes Mittel sind, um kinderpornografische Inhalte im Netz zu bekämpfen. Weitgehend einig war man sich auch darüber, dass die Melde- und Löschkonzepte verbesserungsbedürftig sind und die direkte Kontaktaufnahme zu den hostenden Providern den größten Erfolg verspricht. Allein das BKA scheint weiterhin, allerdings nicht mehr mit derselben Vehemenz wie früher, Sperren zu befürworten. Eine gute Zusammenfassung der Anhörung findet sich bei Heise.

Als unbefangener Zuhörer konnte fast den Eindruck gewinnen, dass eigentlich alle im Bundestag vertretenen Parteien gegen Access-Sperren sind, nachdem selbst der Unionsvertreter MdB Thomas Jarzombek – der m.E. eine sehr konstruktive und kompetene Rolle gespielt hat – durchaus kritisch beim BKA nachgefragt hat und Zweifel erkennen ließ. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zugangserschwerungsgesetz im letzten Jahr mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen worden ist und in der Union nach wie vor eine Mehrheit für das Gesetz existiert.

Die schriftlichen Stellungnahmen aller Sachverständigen sind mittlerweile über den Server des Bundestages abrufbar, die Anhörung soll auch noch in Form eines Wortprotokolls und in voller Länge als Download verfügbar gemacht werden.

Update vom 27.10.10:
Die Anhörung ist jetzt über den Server des Bundestags abrufbar

posted by Stadler at 16:24  

21.10.10

BKA legt Evaluationsstatisitik zu „Löschen statt Sperren“ vor

Das Bundeskrimiminalamt hat eine „Evaluationsstatistik“ – es handelt sich bislang um eine schnöde, wenig aussagekräftiges Excel-Datei – vorgelegt, die nach Monaten aufgeschlüsselt, den Stand der Bemühungen nach dem Zugangserschwerungsgesetz darstellen soll, in anderen Staaten eine Löschung von Websites mit kinderpornografischen Inhalten herbeizuführen.

Nach der Forderung der Fraktion der Grünen sollte diese Statistik u.a. folgende Punkte beinhalten:

  • die Zahl der im Vormonat getätigten Unterrichtungen anderer Staaten
  • eine Auflistung der betroffenen Staaten (wie viele Fälle pro Staat im Monat)
  • die Zahl der erfolgten Rückmeldungen
  • der Inhalt der Rückmeldungen und Auskunft darüber, in wie vielen Fällen innerhalb welcher Frist eine Löschung geschah
  • eine Übersicht der BKA-seitig ermittelte Erkenntnisse über den weiteren Verbleib des betreffenden Materials, welche dem betroffenen Staat gemeldet wurde
  • die Zahl der monatlichen Unterrichtungen der Selbstregulierungsstellen sowie die Zahl der Rückmeldungen hierauf und deren Inhalt

Diesen Anforderungen genügt die Datei bislang nicht, es soll aber noch eine ausführliche Version geben.

Ob die Zahlen des BKA korrekt sind oder nicht, vermag ich nicht einzuschätzen. Die Zahlen machen aber einmal mehr deutlich, dass der Weg über die zuständigen ausländischen Behörden zu langwierig ist. Zielführend ist – wie zum Beispiel der AK Zensur mehrfach dargestellt hat – allein der direkte Weg über die Host-Provider.

Update vom 22.10.10:
Mittlerweile sind auch die monatlichen Evaluierungsberichte des BKA verfügbar.

posted by Stadler at 18:13  

11.10.10

Anhörung zum Zugangserschwerungsgesetz

Im Unterausschuss Neue Medien des Bundestages findet am 25.10.2010 eine erste Expertenanhörung zum Zugangserschwerungsgesetz bzw. dessen Aufhebung statt, eine zweite wird im Rechtsausschuss am 10.11.2010 folgen.

Für den FoeBuD werde ich als Sachverständiger an der Anhörung „Kampf gegen Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: technische und organisatorische Fragen“ im UA Neue Medien teilnehmen. Die Fraktionen haben sich mittlerweile auch auf einen Fragenkatalog geeinigt.

posted by Stadler at 21:39  

28.9.10

Neue Studie belegt, dass die Argumente von Sperrbefürwortern falsch sind

Die angebliche Notwendigkeit des deutschen Zugangserschwerungsgesetzes, das die Blockade von kinderpornografischen Websites durch Access-Provider vorsieht, wurde sowohl in der politischen Disksussion als auch im Gesetzgebungsverfahren stets damit begründet, dass Kinderpornografie über kommerzielle Websites verbreitet würde und es insoweit einen Massenmarkt gäbe, der ausgetrocknet werden müsse.

In der Begründung des ersten Gesetzesentwurfs vom 05.05.2009 hieß es hierzu:

Der Großteil der Kinderpornographie im Bereich des World-Wide-Web wird mittlerweile über kommerzielle Webseiten verbreitet, die in Drittländern außerhalb der Europäischen Union betrieben werden.

Schon damals war für jeden, der sich mit den Fakten beschäftigt hat, erkennbar, dass diese Begründung nicht tragfähig ist. Genau das wird nunmehr erneut durch eine neue Studie der European Financial Coalition against commercial sexual exploitation of children online (EFC) bestätigt. Heise berichtet über die Studie der von der EU geförderten Organisation, deren Fazit es ist, dass es nur eine Handvoll einschlägiger gewerblicher Websites gibt, die zudem keinen hohen Profit abwerfen. Für die Studie wurde eine Datenbank von angeblich ca. 14.500 verdächtigen Websites ausgewertet. Hierbei wurde von der EFC festgestellt, dass nur 46 dieser Websites tatsächlich aktuelle Darstellungen von Kindesmissbrauch enthielten, wovon wiederum 24 als kommerziell einzustufen waren. Es gibt also im WWW kaum Kinderpornografie. Die Verbreitungswege sind nämlich andere.

Diese Ergebnisse werfen freilich auch die Frage auf, welche hunderte oder gar tausende von Websites auf den geplanten Sperrlisten geführt werden sollen, die Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes sind.

Die Studie bestätigt außerdem, dass Pädophile regelmäßig kleinere abgesicherte Räume im Internet zum Tausch von einschlägigem Material bevorzugen und der Austausch nicht primär über das frei zugängliche Web stattfindet.

Damit erweisen sich praktisch alle zur Begründung von Netzsperren vorgebrachten Argumente als sachlich falsch. Man darf gespannt sein, wie sich diese Studie auf das Vorhaben von EU-Kommissarin Malmström auswirkt, das Access-Blocking per EU-Richtlinie vorzuschreiben.

Zu diesem Richtlinienentwurf finden heute und morgen Ausschuss-Anhörungen im EU-Parlament statt, wobei die Liste der Redner überwiegend aus Sperrbefürworten besteht. Das ist auch angesichts des Umstands, dass die Mehrzahl der technischen und juristischen Sachverständigen solchen Access-Sperren kritisch bis ablehnend gegenüber steht, durchaus bemerkenswert. Wenn man speziell bei den Rednern der „Civil Society“ nach Vertretern von Bürgerrechtsorganisationen sucht, dürfte Joe McNamee von EDRi der einzige Name sein, der einem auffällt.

Update: Der Verein MOGIS (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren) hat einen offenen Brief an die Mitglieder des LIBE-Ausschusses des EU-Parlaments gerichtet, in dem u.a. dargestellt wird, weshalb Access-Blockaden auch aus Opfersicht nicht zu befürworten sind.

posted by Stadler at 11:30  

22.9.10

FAZ: in dubio pro reo entfaltet eine fatale Wirkung

Daran, dass im Zusammenhang mit der Frage, welche Mittel zur Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet eingesetzt werden können, häufig unsachlich und ausschließlich emotional diskutiert wird, hat man sich fast gewöhnt. Warum der wieder lauter werdende Ruf nach Netzsperren sachlich falsch ist, hat Christian Wöhrl in einem kurzen aber prägnanten Blobeitrag nochmals sehr gut erklärt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die als eine der guten und seriösen Zeitungen gilt, schafft es in dieser Debatte einen neuen Höhepunkt zu markieren. Ihr Autor Daniel Deckers versteigt sich in dem Kommentar „Das Kindeswohl am Herzen“ zu folgender Aussage:

Auch das strafrechtliche Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ entfaltet auf diesem Deliktsfeld nach wie vor eine fatale Wirkung.

Ob der Autor wohl weiß, was er damit in Frage stellt? Es ist nichts weniger als der Rechtsstaat. Der Grundsatz „in dubio pro reo“  (im Zweifel für den Angeklagten) gehört zu denjenigen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat unterscheiden. Er ist ein Synonym für das faire, rechtsstaatliche Strafverfahren. Wer dieses Prinzip zur Disposition stellt, stellt damit den demokratischen Rechtsstaat in Frage.

Die FAZ muss sich daher Gedanken darüber machen, ob sie es wirklich dulden will, dass in ihrer Zeitung derartiges Gedankengut zum Besten gegeben wird.

Update: Jens Ferner hat zu dem Thema jetzt ebenfalls gebloggt

posted by Stadler at 14:49  

20.9.10

Gegen Kinderpornografie und lästige Details

Wer sich vertiefter mit der Frage befasst hat, ob sog. Access-Blockaden zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet sinnvoll und rechtmäßig sind, muss sich über ein Fernsehinterview wie es das ZDF gestern ausgestrahlt hat, zumindest wundern. Was (juristisch) gegen „Netzsperren“ spricht, habe ich im letzten Jahr für den AK Zensur in einem Brief an den Bundespräsidenten ausführlich erläutert.

Der Fernsehjournalist Peter Hahne hat in seiner Sendung Stephanie zu Guttenberg interviewt und mit der Frau des Verteidigungsministers über ihre Rolle als Präsidentin des Kinderschutzvereins „Innocence in Danger“ gesprochen. Einen Schwerpunkt bildete auch die Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet. Leider wurde hierbei einmal mehr gezielt auf Emotionen gesetzt, unter Ausblendung der Fakten. Mit keinem Wort erwähnt Hahne, dass die Mehrzahl der Experten dem Konzept der Zugangserschwerung skeptisch bis ablehnend gegenüber steht, sondern beklagt lediglich, die Politik würde nicht entschlossen genug handeln.

Dass sich eine solche Technik für diejenigen anbietet, die Netzsperren befürworten, hat Ursula von der Leyen im letzten Wahlkampf schon demonstriert. Denn das Thema Kinderpornografie lässt sich wie kein zweites instrumentalisieren. Dass diese Technik aber auch in vermeintlich journalistischen Formaten zum Einsatz kommt, zeigt, wie tief das ZDF in dieser Hinsicht mittlerweile gesunken ist. Brillant analysiert hat das einmal mehr Stefan Niggemeier im Fernsehblog der FAZ.

posted by Stadler at 11:21  

16.9.10

Netzsperren vor dem EU-Parlament

Dass die Kommission in Person von Innenkommissarin Cecila Malmström – mit denselben unzureichenden Argumenten wie Ursula von der Leyen zuvor in Deutschland – die Einführungen von Access-Sperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet einführen möchte, ist seit einigen Monaten bekannt. Ein entsprechender Richtlinienentwurf ist bereits seit längerer Zeit online. Man muss in diesem Zusammenhang auch nochmals darauf hinweisen, dass dieser Entwurf inhaltlich deutlich weiter geht als der deutsche Entwurf und auch sog. Jugendpornografie umfassen soll. Es geht also offenbar nicht mehr nur um die Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern, sondern auch um die Durchsetzung fragwürdiger Moralvorstelungen im Bereich der Jugendsexualität.

Einen anderen Aspekt beleuchtet die „European Cybercriminals Society (ECS)“, also die Vereinigung der europäischen Cyberkriminellen (;-), in einem offenen Brief an Kommissarin Malmström. Die Satire bedankt sich im Namen der Straftäter dafür, dass damit ein Frühwarnsystem etabliert wird, das es Kriminellen frühzeitig ermöglicht, auf andere Server auszuweichen. In diesem Zusammenhang wird von der ECS dann beanstandet, dass es unfair sei, dasselbe Frühwarnsystem nicht auch denjenigen Cyberkriminellen anzubieten, die im Bereich der Verletzung des geistigen Eigentums oder des Betrugs aktiv sind. Denn damit würde eindeutig der Binnenmarkt für Kriminalität behindert.

Diese Satire lenkt die Diskussion auf den oft vernachlässigten Aspekt, dass Access-Sperren nicht geeignet sind, die Verbreitung von Kinderpornografie einzudämmen, sondern vielmehr die Gefahr beinhalten, dass deren Verbreitung eher noch gefördert wird.

Am 28. und 29. September findet im Rechtsausschuss des Europaparlaments eine Anhörung zu dem Richtlinienentwurf statt. Die geladenen Fachleute sollen allerdings weitgehend aus Sperrbefürwortern bestehen, obwohl die deutsche Diskussion eigentlich gezeigt hat, dass die Mehrheit der technischen und juristischen Experten dem Vorhaben kritisch bis ablehnend gegenüber steht. Es droht also eine tendenziöse Einflussnahme auf die Meinungsbildung der Abgeordneten durch eine selektive Auswahl von Fachleuten, die das Access-Blocking befürworten.

posted by Stadler at 09:33  

8.9.10

„Kampf gegen Kinderpornografie im Internet“

The European Circle veröffentlicht ein Interview mit der EU-Abgeordneten Birgit Sippel (SPD) zu dem Richtlinienvorschlag von Kommissarin Malmström.

Wer eingangs eines Interviews die Platitüde „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“ wiederholt, gibt eigentlich Anlass dazu, nicht weiter zu lesen. Wer es dennoch macht, stellt fest, dass Sippel zwar der „Sperrung“, also der Blockade durch Access-Provider, kritisch gegenüber steht, sich aber offenbar nicht endgültig festlegen will.

Auf EU-Ebene wird jetzt also eine Diskussion begonnen, die man in Deutschland schon vor über einem Jahr kontrovers geführt hat.

Deshalb hier nochmals der Hinweis auf einige meiner Blogpostings zum Thema Access-Sperren:

Netzsperren: Wo stehen die zu sperrenden Server eigentlich?

Kinderpornografie im Web kann effektiv bekämpft werden

Sperrung von Kinderpornografie im Netz: Die falschen Tatsachenbehauptungen der Bundesregierung

Bundestagsgutachten zu Netzsperren

Internes “Rechtsgutachten” des BMI zu Access-Sperren

Sperrungsverfügung gegen Access-Provider (Ein älterer Beitrag von mir für die Zeitschrift Multimedia und Recht, der sich mit den Düsseldorfer Sperrungsverfügungen juristisch auseinandersetzt)

posted by Stadler at 16:57  
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