Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

22.9.10

FAZ: in dubio pro reo entfaltet eine fatale Wirkung

Daran, dass im Zusammenhang mit der Frage, welche Mittel zur Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet eingesetzt werden können, häufig unsachlich und ausschließlich emotional diskutiert wird, hat man sich fast gewöhnt. Warum der wieder lauter werdende Ruf nach Netzsperren sachlich falsch ist, hat Christian Wöhrl in einem kurzen aber prägnanten Blobeitrag nochmals sehr gut erklärt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die als eine der guten und seriösen Zeitungen gilt, schafft es in dieser Debatte einen neuen Höhepunkt zu markieren. Ihr Autor Daniel Deckers versteigt sich in dem Kommentar „Das Kindeswohl am Herzen“ zu folgender Aussage:

Auch das strafrechtliche Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ entfaltet auf diesem Deliktsfeld nach wie vor eine fatale Wirkung.

Ob der Autor wohl weiß, was er damit in Frage stellt? Es ist nichts weniger als der Rechtsstaat. Der Grundsatz „in dubio pro reo“  (im Zweifel für den Angeklagten) gehört zu denjenigen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat unterscheiden. Er ist ein Synonym für das faire, rechtsstaatliche Strafverfahren. Wer dieses Prinzip zur Disposition stellt, stellt damit den demokratischen Rechtsstaat in Frage.

Die FAZ muss sich daher Gedanken darüber machen, ob sie es wirklich dulden will, dass in ihrer Zeitung derartiges Gedankengut zum Besten gegeben wird.

Update: Jens Ferner hat zu dem Thema jetzt ebenfalls gebloggt

posted by Stadler at 14:49  

12 Comments

  1. Es würde sicherlich interessant, wenn jemand den FAZ Autor wegen Volksverhetzung anzeigt… ;)

    Comment by Marc — 22.09, 2010 @ 15:08

  2. Schlimm. Aber solche unbedachten Aeusserungen hoert man leider immer wieder.

    Comment by unwesen — 22.09, 2010 @ 15:29

  3. Hier zeigt sich aufs Neue, dass eine gewählte Sprache nichts über den intellektuellen Hintergrund aussagt. Oder deutlicher: Ein Gutmensch kann am besten seine Phrasen dreschen, wenn er zuvor das Hirn ausschaltet!

    Comment by Herbert Eder — 22.09, 2010 @ 15:36

  4. Die Ansicht, der Autor stelle den Grundsatz “in dubio pro reo” in Frage, findet in dem Artikel keinerlei Grundlage.

    Dass dieses Prinzip sich auch und gerade dann, wenn man es für unbedingt vorrangig hält – was ja richtig ist -, auf das Schutzbedürfnis von mutmaßlichen Missbrauchsopfern „fatal“ auswirkt, ist doch eine ganz andere Sache (und wohl schlechthin nicht zu bestreiten).

    Comment by Der User U — 22.09, 2010 @ 15:57

  5. Deckers hatte das bestimmt mit in dubio pro domino verwechselt …

    Comment by vera — 22.09, 2010 @ 16:06

  6. Nur bei „Spiegel“ hatte mir die Abo-Kündigung mehr Freude bereitet.

    Comment by Maschinist — 22.09, 2010 @ 16:25

  7. Die FAZ-Kommentatoren sind in letzter Zeit schon des öfteren durch, vorsichtig formuliert, Bildungs- und realitätsferne „Meinungen“ aufgefallen.
    Die, die das glauben, sind vom Gegenteil eh nicht zu überzeugen und die, die es besser wissen, sollten solches Geschreibsel nicht auch noch dadurch adeln, indem sie es weiterverbreiten. (Streisandeffekt)

    Comment by Axel John — 22.09, 2010 @ 17:08

  8. Ist sowas nicht Volksverhetzung?

    Warum darf der sowas fordern ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, dieser Mensch hat doch den freitheitlich rechtstaatlichen Boden verlassen.

    mfg
    yb

    Comment by yah bluez — 22.09, 2010 @ 17:11

  9. @4: Was bezweckt der Autor denn dann mit der Aussage, der Grundsatz hätte eine fatale Wirkung und vor allen Dingen, welche Schlussfolgerung ist nach Ansicht des Autors daraus zu ziehen?

    Comment by Stadler — 22.09, 2010 @ 17:18

  10. @9: Der will damit nur sagen, dass das einfach so ist (nämlich fatal) und zur Kenntnis zu nehmen ist, ohne dass man daran etwas ändern kann oder sollte.

    Das Missverständnis, hier werde für die Abschaffung des Zweifelsgrundsatzes plädiert – was ja hieße: das Beweismaß der vollen Überzeugung im Strafprozess abzuschaffen – , ist ebenso absurd wie böswillig.

    Comment by Der User U — 22.09, 2010 @ 19:43

  11. @4, @9: Die Anmerkung, dass es fatal ist, entspringt ja einer gewissen Denkweise. Ich halte es schon für bemerkenswert, dass der Author ds FAZ-Artikels dies geschrieben hat.

    Es ist immer der Fall, dass der Zweifelsgrundsatz bei Mangel an Beweisen aber subjektiv angenommener Schuldigkeit eine „fatale Auswirkung“ hat. Eine objektive Schuldigkeit ergibt sich eben aus den Beweisen.

    Die „fatale Auswirkung“ eines rechtsstaatliche Prinzips in die Nähe von Kinderschändung zu rücken, passiert nicht aus Zufall. Sollte der Author dieses Prinzip dennoch als überaus wertvoll ansehen, hat er mit seiner Formulierung einen ziemliche Bock geschossen.

    Comment by Michael Nordmeyer — 23.09, 2010 @ 11:04

  12. Damit dürfte die FAZ ihre Pressefreiheit verwirkt haben. Das Bundesverfassungsgericht wird das nun auf Antrag der Bundesregierung festzustellen haben.

    Comment by Jens — 23.09, 2010 @ 16:54

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