Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

27.4.11

Virtuelle Schengen-Grenze

Die  Law Enforcement Working Party (LEWP) des Rats der EU schlägt die Schaffung einer virtuellen Schengen-Grenze für das Internet vor, an der Internet Service Provider unerlaubte Inhalte auf Basis einer „EU-Blacklist“ blockieren sollen. Klingt nach einer weiteren Eselei aus Brüssel und genau das ist es wohl auch.

Die mittlerweile mehreren Abkommen, die unter dem Schlagwort Schengen zusammengefasst sind, bewirken eine Abschaffung von Grenzkontrollen innerhalb der Gemeinschaft zugunsten einer vereinheitlichten Kontrolle an den EU-Außengrenzen. Gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik sprechen manche insoweit nicht ganz un Unrecht von der „Festung Europa“.

Dieses Konzept der teritorialen Abschottung des EU-Raums will die LEWP offenbar um eine virtuelle Komponente erweitern. Der Ansatz macht deutlich, wozu das ständige Gerde vom virtuellen Raum und vom Cyberspace führt. Manche politischen Akteure scheinen in der Tat zu glauben, es würde eine Art physikalischer Raum existieren, den man ähnlich wie ein Staatsgebiet kontrollieren kann. Am Besten also gleich eine Visumspflicht für Daten schaffen, denn dem unkontrollierte Datenverkehr muss Einhalt geboten werden.

An diesem Punkt müsste zunächst das ständige Gerede vom Cyberspace bzw. dem Netz als Raum beendet werden. Das Netz ist kein Raum, auch kein virtueller. Man kann keine Visumspflicht für Daten einführen und auch keine Datenströme zurück in ihr Herkunftsland schicken, so wie man es mit den sog. Wirtschaftsflüchtlingen macht. Sobald das wirklich alle begriffen haben, wird sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass eine Regulierung des Netzes, wie sie der LEWP vorschwebt, nur dann möglich ist, wenn man sämtliche Anforderungen eines demokratischen Rechtsstaats über Bord wirft. Neben der bereits bestehenden (virtuellen) Great Wall Of China gäbe es dann zusätzlich die Great Wall Of Europe.

Ebenfalls zum Thema:
Europa auf dem Weg nach China? (AK Zensur)
Datenschmuggel ist ein Verbrechen (lawblog)

posted by Stadler at 14:50  

20.4.11

Verfassungsbeschwerde gegen das Zugangserschwerungsgesetz unzulässig

Nachdem netzpolitik.org heute darüber berichtet, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen das Zugangserschwerungsgesetz nicht zur Entscheidung angenommen hat, häufen sich bei mir gerade die Anfragen zu den Hintergründen. Die Verfassungsbeschwerde wurde von Dominik Boecker und mir für vier Beschwerdeführer aus dem Umfeld des AK Zensur erhoben, weshalb ich hierzu ein paar Dinge erläutern möchte.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig bewertet und damit über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zugangserschwerungsgesetz erst gar nicht entschieden. Der knappe Beschluss vom 29.03.2011 deutet zunächst darauf hin, dass das BVerfG der Ansicht ist, es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die vier Beschwerdeführer in ihren Grundrechten verletzt sind.

Darauf, dass diese Gefahr besteht und gerade die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kritisch ist, habe ich im Vorfeld auch hier im Blog mehrfach hingewiesen. Die Darstellung, dass ein einfacher Nutzer unmittelbar und gegenwärtig durch ein Gesetz in seinen Grundrechten betroffen ist und gerade eine Entscheidung des BVerfG zum Schutz dieser Rechte notwendig ist, ist ganz allgemein schwierig.  Es kommt erschwerend hinzu, dass hier ein Gesetz angegriffen wurde, das nie angewendet worden ist, weshalb streng genommen auch nie jemand betroffen war. Diese Aspekte haben wir im Vorfeld ausgiebig und auch kontrovers diskutiert. In Kenntnis des Riskos hat man sich dennoch entschlossen, die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG zu wahren, weil nach Ablauf dieser Frist nur noch ein Vollzugsakt angegriffen werden kann und nicht mehr unmittelbar das Gesetz selbst.

Das Gericht erwähnt in seinem Beschluss außerdem die Vorschrift des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und gibt damit zu erkennen, dass zunächst der Rechtsweg hätte ausgeschöpft werden müssen, sprich zuerst Klagen bei den Verwaltungsgerichten zu erheben sind und dort der Instanzenzug auszuschöpfen ist. Damit hält das Gericht eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz – zumindest mit diesen Beschwerdeführern – nicht für möglich.

Ganz generell sollte man wissen, dass Verfassungsbeschwerden grundsätzlich einer Annahme durch das Bundesverfassungsgericht bedürfen und nur in den Fällen die § 93a BVerfGG nennt, eine solche Annahme auch stattfindet. Das führt dazu, dass im Bereich des Ersten Senats ca. 95 % der Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen werden. Die Annahmepraxis des BVerfG ist also äußerst restriktiv, die Nichtannahme stellt den statistischen Normalfall dar.

posted by Stadler at 17:40  

19.4.11

Hinterzimmerpolitik und Netzsperren

Gerade erst hat das Bundeskabinett beschlossen, das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben, schon kommt von den Bundesländern der nächste Vorstoß in Sachen Access-Sperren.

Während die Bekämpfung der Kinderpornografie ein legitimes Ziel darstellte, das allerdings mit gänzlich untauglichen Mitteln erreicht werden sollte, kann man das Vorhaben, ausländische Glückspielseiten durch Zugangsprovider blockieren zu lassen, kaum als legitim bezeichnen.

Denn die Bekämpfung von unerlaubtem Glückspiel ist nur ein Vorwand für die Absicht des Staates mithilfe seines Glücksspielmonopols Einnahmen zu erzielen. Dieses vordergründige Motiv findet sich natürlich in keiner Gesetzesbegründung, ergibt sich aber aus der Gesamtschau relativ deutlich.

Nachdem der EuGH nationale Glücksspielmonopole kritisch sieht, haben sich die Ministerpräsidenten der Länder auf einen neuen Glücksspielstaatsvertrag verständigt. Der Gesetzgeber setzt sein Konzept des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt fort, wobei hierfür die sog. Konzessionsabgabe (§ 4d GlüStV-E) von zentraler Bedeutung ist. Sprich, der Staat verdient an der von ihm erteilten Erlaubnis kräftig mit. Einnahmen, auf die man angesichts der allerorts angespannten Haushaltslage keinesfalls verzichten will. Gerade dieser Umstand macht deutlich, dass in Wirklichkeit die fiskalischen Interessen des Staates im Vordergrund stehen.

Interessant ist auch die Regelung in § 4a Abs. 4 Nr. 3c, wonach eine Zulassung nur erteilt werden kann, wenn das Glücksspiel unter der Top-Level-Domain .de veranstaltet wird, wobei die Verwendung von Subdomains unzulässig ist. Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift dürfte ebenfalls Diskussionsbedarf bestehen.

Auch wenn man munkelt, dass in Nordrhein-Westfalen bereits auf Grundlage des geltenden Glücksspielsstaatsvertrags Sperrungsanordnungen erlassen worden sind, sieht der aktuelle Entwurf einer Neufassung (Stand: 04.04.2011) eine Regelung vor, die es in dieser Form bislang nicht gab. Seit dem letzten Entwurf vom 03.12.2010 wurde die insoweit geplante Regelung dews § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 des GlüStV deutlich verschärft und lautet nunmehr:

Sie (die zuständige Behörde, Anm. d. Verf.) kann insbesondere (…) Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen.

Hinter verschlossenen Türen haben sich die Ministerpräsidenten also auf eine Textfassung verständigt, die keinen Zweifel daran lässt, dass man unerlaubte – also ausländische – Glückspielwebsites mit Hilfe der Zugangsprovider und Registrare blockieren will.

Der Staat möchte also seine fiskalischen Interessen dadurch sichern, dass er ausländische Websites sperrt. Hierin liegt ein Eingriff in die Informationsfreiheit der Nutzer, die dadurch daran gehindert werden, ausländische Glückspiel-Websites aufzurufen. Der Grundrechtseingriff kann übrigens nicht deshalb verneint werden, weil diese Glückspielseiten nach deutschem Recht illegal sind. Das BVerfG hat ausdrücklich entschieden, dass sich die Informationsfreiheit auch auf rechtswidrige Informationen und Informationsquellen erstreckt. Denn ansonsten hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit, den Schutzbereich eines Grundrechts durch einfaches Gesetz zu definieren. Die sich anschließende Frage lautet dann, ob dieser Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Hierbei geht es neben anderen Aspekten um die Verhältnismäßigkeit von Sperrungsanordnungen zum Zweck der Beschränkung des Zugangs zu ausländischen Glückspielseiten. In der juristischen Literatur sind Sperrungsanordnungen bislang vielfach als verfassungswidrig qualifiziert worden.

Man muss das Vorhaben ausländische Glücksspielseiten zu sperren, bei dem wie gesagt schon die Legitimität des Ziels in Zweifel zu ziehen ist, noch kritischer sehen als das Zugangserschwerungsgesetz.

posted by Stadler at 14:22  

14.4.11

Generalanwalt beim EuGH: Filter- und Sperranordnungen verletzen Grundrechte

Nach Ansicht des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof verletzt eine Anordnung gegen einen Anbieter von Internetzugangsdiensten, zum Schutz von Rechten des geistigen Eigentums ein Filter- und Sperrsystem für elektronische Nachrichten einzurichten, die Grundrechte.

Das belgische Cour d’appel de Bruxelles hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der nationale Richter befugt ist, gegen Zugangsprovider die Anordnung zu erlassen, auf eigene Kosten generell und präventiv ein Filtersystem für alle eingehenden und aus­gehenden elektronischen Nachrichten, die mittels seiner Dienste  insbesondere unter Verwendung von Peer-to-Peer-Programmen durchgeleitet werden, einzurichten, um den Austausch von Dateien im Wege des Filesharing zu identifitzieren und dann die Übertragung dieser Werke entweder auf der Ebene des Abrufs oder bei der Übermittlung zu sperren.

Generalanwalt Cruz Villalón vertritt in seinem Schlussvortrag die Auffassung, dass es sich um eine allgemeine Verpflichtung handelt, die im Lauf der Zeit dauerhaft auf alle Anbieter von Internetzugangsdiensten erstreckt werden kann und zwar ohne vorherige Feststellung einer tatsächlichen Verletzung oder der Gefahr einer unmittelbaren Rechtsverletzung.

Die Einrichtung eines solchen Filter- und Sperrsystems stellt nach Ansicht des Generalanwalts eine Einschränkung des Rechts auf Beachtung des Kommunikationsgeheimnisses, des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten  und der Informationsfreiheit dar.

Der Schlussvortrag des Generalanwalts ist rechtlich nicht verbindlich, der EuGH folgt ihm aber häufig. Man darf auf die Entscheidung des EuGH gespannt sein, die möglicherweise auch Auswirkungen auf Modelle wie Three-Strikes bzw. Hadopi haben könnte und ganz allgemein auf die ausufernde Inpflichtnahme von Access-Providern.

posted by Stadler at 14:23  

11.4.11

Netzsperren für Glücksspiele?

In einer gemeinsamen Pressemitteilung des Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) und des Chaos Computer Clubs (CCC) wird auf eine geplante Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrags hingewiesen, der evtl. auch Sperrungsanordnungen gegen Access-Provider ermöglichen soll.

Die bisherige Regelung in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 des GlüStV hierzu lautet:

Sie kann insbesondere (…) Diensteanbietern im Sinne von § 3 Teledienstegesetz, soweit sie nach diesem Gesetz verantwortlich sind, die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen.

Die geplante Neuregelung (nach dem Entwurf vom 03.12.2010) will die Vorschrift wie folgt neu fassen:

Sie kann insbesondere (..) Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die verantwortliche Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch Satz 1 eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.

Nach der Gesetzesbegründung soll damit keine inhaltliche Änderung verbunden sein, sondern nur eine Klarstellung.

Ob diese Vorschrift Sperrungsanordnungen gegenüber Zugangsprovidern ermöglicht, dürfte zumindest fraglich sein. Access-Provider werden zwar vom TMG – wie schon nach dem TDG – als Diensteanbieter betrachtet. Sie sind nach dem Gesetz allerdings unter den Voraussetzungen des § 8 TMG für fremde Informationen nicht verantwortlich, weshalb auch keine verantwortliche Mitwirkung, die der Glücksspielstaatsvertrag aber voraussetzt, vorliegt. Gegen Zugangsprovider kann deshalb nach dieser Vorschrift wohl keine Sperrungsanordnung ergehen.

Die Formulierung zielt offenbar auf Hoster ab und auf inländische Portale, die auf ausländische Glückspielseiten weiterleiten. Dafür spricht auch der Wortlaut „nach vorheriger Bekanntgabe“. Denn für Hoster entfällt die Haftungsprivilegierung nach § 10 TMG, sobald sie von rechtswidrigen Inhalten Kenntnis erlangen. In Fällen des § 8 TMG bewirkt aber selbst eine solche Bekanntgabe keinen Wegfall der Haftungsfreistellung.

Update:

Gerade habe ich den aktuellen Entwurf vom 04.04.2011 erhalten und der liest sich nunmehr ganz anders und sieht das Instrumentarium von Sperrungsanordnungen ausdrücklich vor. Die maßgebliche Passage lautet jetzt:

Sie kann insbesondere (…) Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen.

Dieser Entwurf zielt, anders als der vom 03.12.2010, nunmehr eindeutig auf Sperrungsanordnungen gegenüber Access-Providern und sogar gegenüber Registraren ab, was ein Novum darstellt.

Da scheint einiges passiert zu sein hinter den Kulissen seit Dezember 2010.

posted by Stadler at 10:52  

5.4.11

Zugangserschwerungsgesetz endgültig vom Tisch?

Die DPA meldet, die Koalition habe sich darauf verständigt, auf das umstrittene Sperren von kinderpornografischen Webseiten zu verzichten und das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger twittert, dass der Koalitionsausschuss einer Internet-Sperrinfrastruktur endgültig eine Absage erteilt habe. Die Meldung scheint also zu stimmen.

Nachdem es allerdings gilt, ein in Kraft befindliches Gesetz zu beseitigen, muss abgewartet werden, bis ein entsprechendes Aufhebungsgesetz das parlamentarische Verfahren durchlaufen hat. Sollte das Zugangserschwerungsgesetz tatsächlich vom Parlament aufgehoben werden, wäre damit auch die anhängige Verfassungsbeschwerde hinfällig.

Auf Twitter lässt sich bereits verfolgen, wie die verschiedenen politischen Gruppierungen versuchen, dieses Ergebnis als eigenen politischen Erfolg zu verbuchen, selbst die CSU. Man darf und muss hier in jedem Fall die Bundestagsfraktion der FDP und die Justizministerin lobend hervorheben, denn sie sind standhaft geblieben, was nicht alle erwartet haben. Letztlich handelt es sich vor allen Dingen aber um das Ergebnis der Arbeit einer neuen digitalen Bürgerrechtsbewegung, namentlich der des AK Zensur.

posted by Stadler at 22:07  

25.3.11

Auch Indien will neue Top-Level-Domain „.xxx“ blockieren

Die ICANN wird eine neue Top-Level-Domain „.xxx“ für pornografische Inhalte einführen. Mittlerweile hat nach Saudi-Arabien auch Indien angekündigt, diese TLD zu filtern bzw. zu blockieren. Eine entsprechende jugendschutzrechtliche Diskussion könnte auch hierzulande drohen und damit die Kontroverse um behördliche Sperrungsverfügungen neu anheizen. Erste Gehversuche in diese Richtung hatte vor ca. 10 Jahren die Bezirksregierung Düsseldorf unternommen. Für Sperrungsanordnungen aus Gründen des Jugendschutzes ergibt sich aus §§ 20 Abs. 4 JMStV, 59 Abs. 4 RStV eine, wenn auch nicht unumstrittene rechtliche Grundlage.

Mir stellt sich allerdings die Frage, warum Anbieter von einschlägigem Content (ausschließlich) unter der TLD „.xxx“ agieren sollten, wenn sie wissen, dass einige Staaten diese Top-Level-Domain komplett ausfiltern werden.

posted by Stadler at 17:58  

19.3.11

Funktioniert „Löschen statt Sperren“ jetzt endlich auch beim BKA?

Blogbeiträge der Grünen und der Linken sowie Medienberichte legen nahe, dass auch das BKA im Januar 2011 eine Löschquote von 99 % (vier Wochen nach Versand entsprechender Löschaufforderungen) im Zuge der Evaluierung des Zugangserschwerungsgesetzes erreicht hat.

Wenn man sich das Berichtsschreiben des Bundeskriminalamts an das BMI vom 22.02.2011 – das mir vorliegt – ansieht, so lässt sich dieser Schluss anhand der vom BKA gelieferten Zahlen und Daten allerdings nicht eindeutig ziehen. Das Grundproblem der Darstellung des BKA besteht darin, dass die tabellarische Statistik nur darstellt, wie viele der Webseiten eine Woche nach Versand einer Löschmitteilung noch online waren. Im Januar 2011 waren danach 68 % der kinderpornografischen Websites nach einer Woche gelöscht, im Dezember 2010 waren es 79% im November 2010 83 %. Im Januar 2011 hatte das BKA 143 kinderpornografische Websites ermittelt, im Dezember 2010 waren es 98 und im November 111.

Die Statistik des BKA macht leider keine Angaben darüber, wie viele dieser Webseiten nach zwei, drei und vier Wochen noch online bzw. gelöscht sind, obwohl das BKA immer dann, wenn eine Löschung nicht erfolgt ist, weitere Mahnschreiben versendet. Insoweit sollte man eigentlich auch diesbezüglich eine konkrete statistische Auswertung erwarten dürfen. Die unzureichende statistische Darstellung durch das BKA ist möglicherweise politisch gewollt, weil man ansonsten tatsächlich einräumen müsste, dass sich die Löschquote stark der 100% Marke annähert, womit jegliche Rechtfertigung für Netzsperren entfallen würde.

Das Bundeskriminalamt weist im Text seines Schreibens für den Berichtszeitraum Januar 2011 allerdings darauf hin, dass in zehn Fällen eine zweite, in drei Fällen eine dritte und in einem Fall eine vierte Mahnung versandt worden ist, wobei insoweit eine Rückmeldung noch aussteht. Hieraus haben die Grünen und die Linken dann die Schlussfolgerung gezogen, dass nur noch die zuletzt angemahnte Website am Netz verblieben ist, woraus sich die Annahme einer Löschquote von 99 % ergibt. Das kann zwar durchaus so sein, ergibt sich aber wie gesagt nicht eindeutig aus den Angaben des BKA und ist deshalb ein Stück weit spekulativ.

Es ist aber ersichtlich so, dass zumindest in den letzten Monaten bereits nach einer Woche 2/3 – 3/4 der beanstandeten Seiten gelöscht waren und, dass es in den Folgewochen dann, wegen des erneuten Nachfassens des BKA ,stets zur Löschung weiterer Seiten kommt, weshalb die Löschquote mittlerweile beträchtlich ist.

Man kann also nach einem Jahr der Evaluierung selbst anhand der Zahlen des BKA feststellen, dass es keinesfalls tausende kinderpornografischer Websites im Netz gibt, sondern – mit gewissen Schwankungen – immer nur etwas über 100 und, dass die Löschquote sehr hoch ist.

Dennoch gibt es Unionspolitiker, die dasselbe Zahlenmaterial für die Behauptung nutzen, der Löschansatz hätte sich als Flop erwiesen. Die Begründung hierfür lautet, dass die Jahresbilanz des BKA ergebe, dass 39 Prozent aller registrierten Kinderpornoseiten trotz Löschersuchens des BKA an die zuständigen Stellen nach einer Woche immer noch im Netz zu finden waren und, dass nach der Jahresbilanz des BKA die Löschversuche der Behörde im Vorjahr damit nur in sechs von zehn Fällen erfolgreich waren.

Der erste Teil dieser Aussage stellt eine Verzerrung der Statistik dar, während der zweite Teil der Aussage als gänzlich falsch bezeichnet werden muss.

Wenn man die Tabelle des BKA betrachtet, dann sind im Zeitraum vom Januar 2010 bis Januar 2011 tatsächlich im Durchschnitt nach einer Woche lediglich 58 % der beanstandeten Websites gelöscht gewesen. Mit dieser Durchschnittsangabe blendet man allerdings aus, dass sich diese Quote gerade in den letzten drei Monaten deutlich erhöht hat (siehe oben), was dafür spricht, dass die Löschbemühungen zunehmend besser greifen. Die weiterer Behauptung des CDU-Politikers Krings, die Löschbemühungen des BKA seien nur in sechs von zehn Fällen erfolgreich, ist allerdings gänzlich falsch, weil sie den Erfolg der weiteren Mahnungen des BKA, die nach Ablauf einer Woche verschickt werden, gänzlich unberücksichtigt lässt.

Wenn eco also angibt, nach ihren Erkenntnissen seien in 2010 84% nach einer Woche, 91% nach zwei Wochen und schlussendlich 99,4% der kinderpornografischen Websites gelöscht worden, dann steht das zumindest nicht in Widerspruch zu den Zahlen des BKA der letzten Monate.

Es gibt allerdings Datenjongleure, die aus politischen Gründen etwas anderes Glauben machen wollen.

posted by Stadler at 13:46  

7.3.11

Bedarf die Diskussion über Netzsperren und den JMStV einer Entideologisierung?

In einem Gastbeitrag für Telemedicus plädiert Murad Erdemir für eine Entideologisierung der Debatte um das Internet. Konkret bezieht er sich auf die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Erdemir ist Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, Mitglied der Juristenkommission der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Beirat der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).

Wer sich sich mit den Themen Netzsperren und Novellierung des JMStV intensiv auseinandergesetzt hat, weiß, dass die (öffentlichen) Debatten in erheblichem Maße unsachlich geführt werden. Wenn man die von Erdemir beklagte Ideologisierung in dem Sinne versteht, dass damit eine Verschleierung der Fakten einhergeht, so muss dieser Vorwurf gerade beim Thema Netzsperren primär in Richtung der politischen Akteure erhoben werden. Für die Diskussion um den Jugendmedienschutz gilt im Grunde nichts anderes, denn die Befürworter des jetzigen Konzepts sind darauf angewiesen, die Schimäre von der Wirksamkeit ihrer Regulierungsansätze aufrecht zu erhalten.

Ich möchte zwei Aspekte aus dem Text Erdemirs herausgreifen um zu verdeutlichen, dass Erdemir Ansätze verfolgt, denen es zu widersprechen gilt. Zum Thema Netzsperren führt Erdemir – keineswegs frei von Ideologie – aus:

„Sollte es zukünftig technisch möglich sein, den Zugang zu kriminellen Inhalten ohne schädliche Nebenwirkungen punktgenau zu unterbinden, dann ist diese Möglichkeit auch zu ergreifen. Spekulationen hinsichtlich eines Missbrauchs unter Verweis zum Beispiel auf chinesische Verhältnisse gehören dagegen zum ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren. Sie zeugen von unzuträglichem Misstrauen gegenüber unserem Staat und haben vor dem Hintergrund der schutzbedürftigen Rechtsgüter zurückzustehen. Ihnen nachzugeben wäre die Insolvenzeröffnung des Rechtsstaates.“

Was den Verweis auf chinesische Verhältnisse angeht, hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags – der wohl kaum im Verdacht steht, übermäßig ideologisch zu argumentieren – formuliert:

„Gerade am Beispiel China zeigt sich, dass Sperrungen durchaus wirksam durchgesetzt werden können, allerdings mit einem erheblichen Aufwand an Kosten, Zeit und Human Resources. Um Sperrungen effektiv handhaben zu können, müsste das Internet ganzheitlich umstrukturiert werden und insbesondere seine ursprüngliche Intention, nämliche die dezentrale Vernetzung von Computern, aufgegeben werden“

Damit ist der Kern des Problems exakt umrissen. Es gibt entweder die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die praktisch wirkungslos sind, denen aber trotzdem die erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung anderer legaler Angebote innewohnt. Oder man verfolgt tatsächlich ein halbwegs effektives Sperr- und Filterkonzept, was allerdings eine Kontrolle und Umstrukturierung des Netzes nach chinesischem Vorbild voraussetzt. Wer vor diesem sachlichen Hintergrund behauptet, der Verweis auf chinesische Verhältnisse würde den ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren darstellen, hat entweder die sachlich-technischen Zusammenhänge nicht verstanden oder agiert seinerseits ideologisch.

Die Vorstellung einer punktgenauen und effektiven Unterbindung von strafbaren Inhalten durch Access-Provider ist mit den dezentralen Strukturen, die das Wesensmerkmal des Internets darstellen, nicht in Einklang zu bringen und wird es auch künftig nicht sein. Nur wenn man bereit ist, sehr weitgehende technische Eingriffe zu akzeptieren, die allerdings nicht nur das Netz in seiner jetzigen Form, sondern auch den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellen, kann man eine halbwegs effiziente Regulierung auf Access-Ebene erreichen.

Das grundlegende Missverständnis besteht in dem Glauben, man könne das Netz mit ähnlichen Mitteln regulieren und kontrollieren wie den Rundfunk. Diese Fehlvorstellung sitzt tief, weil die meisten (Medien-)Politiker einer Generation angehören, die mit Rundfunk und Presse aufgewachen ist. Weil Politiker außerdem immer den Eindruck erwecken wollen zu handeln, werden unsinnige Maßnahmen – auch gegen den Rat der überwiegenden Mehrheit der Experten – als wirksam dargestellt. Denn nichts ist offenbar schlimmer als den Eindruck der Untätigkeit zu erwecken.

Dieses Dilemma kennzeichnet in vielleicht noch stärkerem Maße die Diskussion um den Jugendmedienschutz. Das erkennt Erdemir letztlich zwar auch, gleichwohl wirft er der Netzcommunity folgendes vor:

„Mindestens ebenso unlauter war indes das munter verbreitete Schreckensszenario, ein jeder Blogger müsse auf der Grundlage der Novelle künftig eine Alterskennzeichnung auf seiner Webseite anbringen.“

Das mag man als unlauter, weil in jedem Fall übertrieben und zugespitzt, betrachten. Ebenso unlauter ist es aber, demgegenüber die angeblich uneingeschränkte Freiwilligkeit der geplanten Alterskennzeichnung zu betonen. Denn damit werden die komplexen Zusammenhänge, die zu einem faktischen Kennzeichnungszwang geführt hätten, ausgeblendet. Darüber hinaus sind renommierte Informatiker der Ansicht, dass der  JMStV auch aus technischer Sicht keine tragfähige Grundlage für den Jugendmedienschutz darstellt.

Auch wenn also, wie in allen kontroversen politischen Debatten, Übertreibungen oder ideologische Verengungen erkennbar sind, wird die Debatte um Netzsperren und den JMStV seitens der Netzcommunity nach meiner Beobachtung überwiegend auf sachlicher Ebene geführt. Der grundlegende Dissens hat seine Ursache vielmehr darin, dass die Befürworter des ZugErschwG und des JMStV beharrlich die Fakten ignorieren.

posted by Stadler at 14:47  

5.3.11

Kinderpornografie: Sexualwissenschaftler kritisieren geplante EU-Richtlinie

Der Spiegel berichtet in seiner kommenden Ausgabe über eine gemeinsame Erklärung von Sexualwissenschaftlern aus Deutschland und Österreich in der die geplante „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie“ massiv kritisiert wird. Die Wissenschaftler sprechen von „absurden Maßnahmen“ die ungeeignet und sogar kontraproduktiv seien.

Die Kritik der Wissenschaftler richtet sich u.a. dagegen, dass die Richtlinie jede Person unter 18 Jahren als Kind definiert und entspricht dem, was ich bereits in einem älteren Blogposting dargelegt habe.

In der Netzgemeinde hat der Richtlinienentwurf vor allem deshalb Aufmerksamkeit erregt, weil  die Richtlinie als Instrumentarium der Bekämpfung von Kinderpornografie u.a. vorsieht, dass Access-Provider den Zugang zu einschlägigen Websites blockieren sollen.

Es ist gut, dass die Kritik jetzt auch noch aus einer anderen Richtung kommt. Denn fragwürdig sind nicht allein die geplanten Access-Blockaden, fragwürdig ist vielmehr das Gesamtkonzept des Richtlinientwurfs.

posted by Stadler at 18:30  
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