Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

7.3.11

Bedarf die Diskussion über Netzsperren und den JMStV einer Entideologisierung?

In einem Gastbeitrag für Telemedicus plädiert Murad Erdemir für eine Entideologisierung der Debatte um das Internet. Konkret bezieht er sich auf die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Erdemir ist Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, Mitglied der Juristenkommission der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Beirat der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).

Wer sich sich mit den Themen Netzsperren und Novellierung des JMStV intensiv auseinandergesetzt hat, weiß, dass die (öffentlichen) Debatten in erheblichem Maße unsachlich geführt werden. Wenn man die von Erdemir beklagte Ideologisierung in dem Sinne versteht, dass damit eine Verschleierung der Fakten einhergeht, so muss dieser Vorwurf gerade beim Thema Netzsperren primär in Richtung der politischen Akteure erhoben werden. Für die Diskussion um den Jugendmedienschutz gilt im Grunde nichts anderes, denn die Befürworter des jetzigen Konzepts sind darauf angewiesen, die Schimäre von der Wirksamkeit ihrer Regulierungsansätze aufrecht zu erhalten.

Ich möchte zwei Aspekte aus dem Text Erdemirs herausgreifen um zu verdeutlichen, dass Erdemir Ansätze verfolgt, denen es zu widersprechen gilt. Zum Thema Netzsperren führt Erdemir – keineswegs frei von Ideologie – aus:

„Sollte es zukünftig technisch möglich sein, den Zugang zu kriminellen Inhalten ohne schädliche Nebenwirkungen punktgenau zu unterbinden, dann ist diese Möglichkeit auch zu ergreifen. Spekulationen hinsichtlich eines Missbrauchs unter Verweis zum Beispiel auf chinesische Verhältnisse gehören dagegen zum ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren. Sie zeugen von unzuträglichem Misstrauen gegenüber unserem Staat und haben vor dem Hintergrund der schutzbedürftigen Rechtsgüter zurückzustehen. Ihnen nachzugeben wäre die Insolvenzeröffnung des Rechtsstaates.“

Was den Verweis auf chinesische Verhältnisse angeht, hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags – der wohl kaum im Verdacht steht, übermäßig ideologisch zu argumentieren – formuliert:

„Gerade am Beispiel China zeigt sich, dass Sperrungen durchaus wirksam durchgesetzt werden können, allerdings mit einem erheblichen Aufwand an Kosten, Zeit und Human Resources. Um Sperrungen effektiv handhaben zu können, müsste das Internet ganzheitlich umstrukturiert werden und insbesondere seine ursprüngliche Intention, nämliche die dezentrale Vernetzung von Computern, aufgegeben werden“

Damit ist der Kern des Problems exakt umrissen. Es gibt entweder die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die praktisch wirkungslos sind, denen aber trotzdem die erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung anderer legaler Angebote innewohnt. Oder man verfolgt tatsächlich ein halbwegs effektives Sperr- und Filterkonzept, was allerdings eine Kontrolle und Umstrukturierung des Netzes nach chinesischem Vorbild voraussetzt. Wer vor diesem sachlichen Hintergrund behauptet, der Verweis auf chinesische Verhältnisse würde den ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren darstellen, hat entweder die sachlich-technischen Zusammenhänge nicht verstanden oder agiert seinerseits ideologisch.

Die Vorstellung einer punktgenauen und effektiven Unterbindung von strafbaren Inhalten durch Access-Provider ist mit den dezentralen Strukturen, die das Wesensmerkmal des Internets darstellen, nicht in Einklang zu bringen und wird es auch künftig nicht sein. Nur wenn man bereit ist, sehr weitgehende technische Eingriffe zu akzeptieren, die allerdings nicht nur das Netz in seiner jetzigen Form, sondern auch den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellen, kann man eine halbwegs effiziente Regulierung auf Access-Ebene erreichen.

Das grundlegende Missverständnis besteht in dem Glauben, man könne das Netz mit ähnlichen Mitteln regulieren und kontrollieren wie den Rundfunk. Diese Fehlvorstellung sitzt tief, weil die meisten (Medien-)Politiker einer Generation angehören, die mit Rundfunk und Presse aufgewachen ist. Weil Politiker außerdem immer den Eindruck erwecken wollen zu handeln, werden unsinnige Maßnahmen – auch gegen den Rat der überwiegenden Mehrheit der Experten – als wirksam dargestellt. Denn nichts ist offenbar schlimmer als den Eindruck der Untätigkeit zu erwecken.

Dieses Dilemma kennzeichnet in vielleicht noch stärkerem Maße die Diskussion um den Jugendmedienschutz. Das erkennt Erdemir letztlich zwar auch, gleichwohl wirft er der Netzcommunity folgendes vor:

„Mindestens ebenso unlauter war indes das munter verbreitete Schreckensszenario, ein jeder Blogger müsse auf der Grundlage der Novelle künftig eine Alterskennzeichnung auf seiner Webseite anbringen.“

Das mag man als unlauter, weil in jedem Fall übertrieben und zugespitzt, betrachten. Ebenso unlauter ist es aber, demgegenüber die angeblich uneingeschränkte Freiwilligkeit der geplanten Alterskennzeichnung zu betonen. Denn damit werden die komplexen Zusammenhänge, die zu einem faktischen Kennzeichnungszwang geführt hätten, ausgeblendet. Darüber hinaus sind renommierte Informatiker der Ansicht, dass der  JMStV auch aus technischer Sicht keine tragfähige Grundlage für den Jugendmedienschutz darstellt.

Auch wenn also, wie in allen kontroversen politischen Debatten, Übertreibungen oder ideologische Verengungen erkennbar sind, wird die Debatte um Netzsperren und den JMStV seitens der Netzcommunity nach meiner Beobachtung überwiegend auf sachlicher Ebene geführt. Der grundlegende Dissens hat seine Ursache vielmehr darin, dass die Befürworter des ZugErschwG und des JMStV beharrlich die Fakten ignorieren.

posted by Stadler at 14:47  

6 Comments

  1. Das Thema Zensur ist eben nur ideologisch zu betrachten. Folgt man den Ideen einer freiheitlichen Demokratie, sind Zensurversuche aller Art zu unterlassen.

    Auch in China wird nur das gesperrt, was gesetzlich verboten ist. Das ist gerade das Wesen der Zensur.

    Es ist müßig darüber weiter zu diskutieren. Die Diskussionen werden zu nichts führen.

    Als Beobachter stellt man heute fest, dass es erstaunlich viele gibt in unserem Staat, die die Ideen des Sperrens von Inhalten in Medien, die staatlicherseits unerwünscht sind, aufgeschlossen gegenüberstehen. Und genau das nennt man eben Zensur.

    Diese Leute wollen Zensur. Sie versuchen nur in der öffentlichen Diskussion das hässliche Z-Wort zu vermeiden. Und das ist keine Ideologie, das ist eine sachliche Feststellung.

    Comment by Volker Birk — 7.03, 2011 @ 15:40

  2. Gewohnt guter Text, Stadler!

    Allerdings mit einem ungewohnten Rechtschreibfehler: „Unterbindung von strafba_h_ren Inhalten“

    Comment by carloz — 7.03, 2011 @ 16:12

  3. „Das grundlegende Missverständnis besteht in dem Glauben, man könne das Netz mit ähnlichen Mitteln regulieren und kontrollieren wie den Rundfunk.“

    Man muß die Dinge nur entsprechend (neu) benennen, z.B. als „neuartiges Rundfunkempfangsgerät“; der Hammer bestimmt letztlich, was ein Nagel ist.

    Comment by Ursula von den Laien — 7.03, 2011 @ 23:22

  4. Herr Erdemir hat nicht nur eine ideologisch verzerrte Sicht auf das Internet, sondern offenbar das Prinzip der Demokratie nicht im Mindesten verstanden.
    Das „Misstrauen gegenüber unserem Staat“ ist nicht etwa „unzuträglich“, sondern die Demokratie basiert quasi ausschließlich darauf. Sie wurde als Antwort auf die Frage entwickelt, wie man Politiker und Ämter daran hindern kann, zuviel Macht zu erlangen.
    Wenn staatliche Institutionen vertrauenswürdig wären, dann wäre die absolute Monarchie die bessere, weil effizientere Staatsform. Die wurde aber aus gutem Grund abgeschafft.

    Comment by ronin — 8.03, 2011 @ 06:53

  5. Man muß gar nicht China bemühen, um auf die Fehlerhaftigkeit und die fehlende Verhältnismäßigkeit von Internetsperren hinzuweisen. In den USA ist es bei der Domainbeschlagnahme zu Kollateralschäden gekommen, bei denen zehntausende von legal betriebenen Domains offline gegangen sind.

    Comment by Kristian Köhntopp — 13.03, 2011 @ 10:34

  6. Ist „User-Generated Content“ als Rundfunk einzustufen oder als Telemedium? Was spricht für- was spricht wider der ein- oder anderen Einstufung?

    Comment by Kurze Frage — 15.07, 2015 @ 10:02

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