Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.11.13

Große Koalition will Providerhaftung verschärfen

In den letzten Tagen und Wochen konnte man wiederholt lesen, dass die große Koalition die Providerhaftung verschärfen will. BITKOM warnt in einer aktuellen Pressemitteilung gar vor einer „Zensurmaschine„. Auf Seite 133 des Koalitionsvertrags findet sich dazu folgende Formulierung:

Als wesentlichen Beitrag zum Schutz der Verbraucher und zur Eindämmung von massenhaften Rechtsverletzungen sehen wir die Diensteanbieter im Internet stärker in der Verantwortung. Wir wollen die Rechtsdurchsetzung insbesondere gegenüber Plattformen verbessern, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut. Wir werden dafür sorgen, dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider genießen, zurückziehen können und insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten.

Damit wird, wenn auch äußerst vage, eine stärkere Inpflichtnahme von Providern bei der Bekämpfung von Rechtsverletzungen im Internet in Aussicht gestellt.

Dass sich Plattformen, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut, auf das Privileg als Host-Provider berufen können, ist bereits nach geltendem Recht ausgeschlossen. Insoweit stellt sich auch die Frage, ob die Koalition die aktuelle Rechtsprechung des BGH und des EuGH zur Kenntnis genommen hat.

Der BGH hat ganz aktuell – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH – entschieden, dass sogar eBay nicht mehr in den Genuss der Haftungsprivilegierung des TMG bzw. der E-Commerce-Richtlinie gelangt, wenn es selbst Werbung für die auf der Plattform angebotenen Produkte betreibt. Darüber hinaus hat der BGH kürzlich die Verantwortlichkeit von Filehostern wie RapidShare – auf die sich die Formulierung im Koalitionsvertrag beziehen dürfte – deutlich verschärft. Vor diesem Hintergrund besteht in diesen Bereichen kein Handlungsbedarf. Zumal die Schwierigkeit darin besteht, festzulegen, bei welchen Diensten das Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut. Das ist schon deshalb problematisch, weil hier natürlich auch Fragen der Berufsfreiheit betroffen sind, sollte man sich entschließen, bestimmte Arten von Filehostern per se als rechtsverletzend einzustufen. Der BGH nimmt im Hinblick auf RapidShare an, dass das dortige Gerschäftsmodell zwar nicht von vornherein auf Rechtsverletzungen angelegt ist, dass der Betreiber aber dennoch durch eigene Maßnahmen die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung des Dienstes fördert, was sich wiederum auf die Haftungsfrage auswirkt. Das ist ohnehin schon äußerst weitgehend. Ob hier überhaupt eine gesetzgeberische Handlungsmöglichkeit besteht, die über die Rechtsprechung des BGH hinausgeht, darf man vor dem Hintergrund von Art. 12 GG bezweifeln.

posted by Stadler at 15:24  

3.11.13

Geheimdienste gefährden unsere Demokratie

Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewaltherrschaft und autoritären Staats- und Gesellschaftsformen. Diese Geschichte hat uns gelehrt, dass die unkontrollierte Ausübung von Macht stets zu Missbrauch und zur Unterdrückung von weiten Teilen einer jeden Gesellschaft führt. Das Gegenmodell von der Herrschaft des Volkes (Demokratie) hat sich erst in der jüngeren Geschichte nachhaltig durchgesetzt, aber wie wir wissen, noch längst nicht überall.

Grundbedingung eines demokratischen Rechtsstaats ist es, staatliche Macht einer strikten Kontrolle zu unterziehen. Das gesamte staatliche Handeln ist an die Verfassung und die einfachen Gesetze gebunden. Ein solcher Staat ist geprägt von einer Herrschaft des Rechts und steht damit im Gegensatz zu Willkür- und Polizeistaaten. Dieses Rechtsstaatsprinzip, das im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 verankert ist, geht Hand in Hand mit dem Demokratieprinzip, das in Deutschland durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet wird.

Das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats lässt sich also dahingehend zusammenfassen, dass die staatliche Macht einer strikten Kontrolle unterliegt. Diese Kontrolle wird durch unabhängige Gerichte gewährleistet sowie durch ein vom Volk gewähltes Parlament.

Das Rechtsstaatsprinzip müsste im Grunde uneingeschränkt auch für Geheimdienste gelten, faktisch tut es das aber nicht. Der gerichtliche Rechtsschutz ist in diesem Bereich deutlich eingeschränkt. Eine parlamentarische Kontrolle existiert nur in der Theorie. Faktisch ist sie so ausgestaltet, dass sie beliebig und vor allen Dingen sanktionslos umgangen werden kann. Und das ist auch politisch gewollt. Selbst dann, wenn beispielsweise der BND in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, hat dies für die Behörde keinerlei Konsequenzen, wie der Fall „Bodenkamp“ belegt.  Die Bundesregierung unterstützt solche Machenschaften vielmehr durch gezielte Verschleierungstaktik. Geheimdienste können also in einem rechtsstaatlichen Vakuum agieren und die Politik lässt sie gewähren.

Die unkontrollierte Ausübung von Macht erfasst in demokratischen Gesellschaften also nicht mehr den gesamten Staat, sondern sie hat sich eine Nische gesucht, nämlich die der Geheimdienste. Dort wird in dem Wissen, dass die gerichtliche Kontrolle unzureichend ist und die parlamentarische Kontrolle nur eine Placebo-Funktion erfüllt, weiterhin ungeniert Recht gebrochen und das Rechtsstaatsprinzip mit Füßen getreten. Vermutlich glauben einige der Akteuere dieses Systems sogar, damit einer legitimen, höheren Staatsräson zu folgen. In den USA und Großbritannien sind die Auswüchse ganz augenscheinlich noch schlimmer, weil die besagte Kontrolle dort schon formal kaum vorgesehen ist.

Was wir in den letzten zehn Jahren beobachten können, ist eine ungehemmte Ausweitung der Überwachungstätigkeit der Dienste. Die ständig zunehmenden technischen Möglichkeiten gehen in vielen Staaten mit einer personellen Aufrüstung einher. Der demokratische Fremdkörper Geheimdienste könnte sich deshalb als Krebsgeschwür entpuppen, das den Gesamtorganismus Demokratie erfasst. Es geht hier nicht mehr um ein einzelnes Grundrecht – weshalb viele aktuelle Diskussionen zu kurz greifen – sondern um unsere Demokratie im Ganzen.

Wenn die Tatsache, dass Geheimdienste unsere Demokratie gefährden, nicht zügig in das öffentliche Bewusstsein vordringt, dann wird es der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat nicht nur, aber auch, hierzulande in Zukunft nicht leicht haben, sich zu behaupten. Dass konservative Politiker in Deutschland beispielsweise die Internetüberwachung noch ausweiten wollen, kann man aktuell bei Heise nachlesen.

Wir dürfen diese unkontrollierte Ausübung von Macht nicht zulassen und deshalb den Staat im Staate mit dem Namen Geheimdienst in der bisherigen Form nicht gewähren lassen. Eine demokratische Gesellschaft muss dem System Geheimdienst den Kampf ansagen.

Wer thematisch verwandte Texte von mir lesen will, dem sei nochmals „Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik“ und „Geheimdienste und Bürgerrechte“ empfohlen.

posted by Stadler at 20:59  

23.9.13

Ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte

Nicht, dass mich die FDP je besonders überzeugt hätte. Eine wirklich liberale Partei waren sie allenfalls in den 70’er Jahren. Seither sind sie vor allen Dingen konservativ, einseitig wirtschaftsfreundlich und deshalb sehr empfänglich für Wirtschaftslobbyismus jeder Art. Auf der anderen Seite verfügte diese Partei aber noch zuletzt über eine Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Parlamentarier mit einem klaren liberalen und bürgerrechtlichen Profil wie Jimmy Schulz. Und das war unter dem Strich mehr als Union und SPD zusammen anzubieten hatten und haben.

FDP und die Piraten haben den Einzug in den Bundestag verpasst, Grüne und Linke haben Stimmen verloren. Was uns jetzt erwartet, ist eine große Koalition aus zwei Parteien, von denen ich der einen in rechtsstaatlicher Hinsicht nichts und der anderen wenig zutraue. Vermutlich werden wir Dinge wie die Vorratsdatenspeicherung deshalb bereits im Koalitionsvertrag wiederfinden. Gleichzeitig wird die parlamentarische Opposition noch schwächer sein als zu Zeiten der letzten großen Koalition und politisch weniger denn je gegenhalten können. Max Steinbeis hat im Verfassungsblog bereits darauf hingewiesen, dass diese Opposition aus Grünen und Linkspartei weder in der Lage sein wird, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen noch eine Normenkontrollklage zum Bundesverfassungsgericht zu erheben. Und letzteres ist besonders bitter, denn man muss davon ausgehen, dass die große Koalition erneut jede Menge verfassungswidrige Gesetze auf den Weg bringen wird.

Der gestrige Wahltag war ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte. Eine schwache parlamentarische Opposition bietet allerdings die Chance, dass sich die Zivilgesellschaft stärker einbringt und bemerkbar macht. Das wird aber nicht funktionieren, wenn man in seiner Filter-Blase verharrt und das Ende der Netzpolitik beklagt.

Das Grundproblem wurzelt tief in unserer Gesellschaft. Bürgerrechte und freiheitliche Werte gelten deshalb nicht viel, weil sie für selbstverständlich gehalten werden. Der schleichende Abbau der Grundrechte, der bereits seit den 90’er Jahren im Gang ist, wird von einer breiten Masse überhaupt nicht wahrgenommen. Dass die aktuellen Geheimndienstaffären bereits deutlich den Weg hin zu einem totalitären Staat weisen, wird nur von einer Minderheit erkannt.

Vermutlich ist „panem et circenses“ der allgemeingültigste unter all den alten römischen Grundsätzen. Eine entpolitisierte Bevölkerung wünscht sich nur noch Wohlstand, den ihr Merkel gerade im Vergleich zu anderen EU-Staaten zu garantieren scheint, und Unterhaltung, die es im Überfluss gibt.

Das kann aber kein Grund sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr sollten diejenigen, die auch bislang schon für die Grundrechte eingetreten sind, jetzt erst recht enger zusammenarbeiten und sich besser koordinieren. Der schwarze Tag für die Bürgerrechte, der der gestrige Wahltag zweifelsohne war, sollte Grund genug sein, die Kräfte zu bündeln und die Reihen zu schließen. Opposition muss nicht auf das Parlament beschränkt sein.

posted by Stadler at 21:27  

18.9.13

Die Verwirklichung des vernetzten Kontinents

Letzte Woche hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag mit der hochtrabenden Bezeichnung

VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents und zur Änderung der Richtlinien 2002/20/EG, 2002/21/EG und 2002/22/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1211/2009

veröffentlicht, der mittlerweile auch in deutscher Sprache vorliegt. Den äußerst umfangreichen Vorschlag will ich hier nicht im Detail besprechen. Eine Zusammenfassung findet sich beim Kollegen Lehofer.

Vielmehr möchte ich mich auf zwei Aspekte beschränken, die zum Teil bereits im Vorfeld zu Diskussionen geführt haben. Die Regelung zur Netzneutralität lässt selbst einen Mindeststandard vermissen. Art. 23 lautet (auszugsweise) wie folgt:

Artikel 23 – Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement

(1) Endnutzern steht es frei, über ihren Internetzugangsdienst Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten und Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen.

Endnutzern steht es frei, mit Anbietern von Internetzugangsdiensten Vereinbarungen über Datenvolumina und -geschwindigkeiten zu schließen und entsprechend solchen Datenvolumenvereinbarungen beliebige Angebote von Anbietern von Internetinhalten,-anwendungen und -diensten in Anspruch zu nehmen.

(2) Endnutzern steht es ferner frei, mit Anbietern öffentlicher elektronischer Kommunikation oder mit Anbietern von Inhalten, Anwendungen und Diensten die Erbringung von Spezialdiensten mit einer höheren Dienstqualität zu vereinbaren.

Um die Erbringung von Spezialdiensten für Endnutzer zu ermöglichen, steht es Anbietern von Inhalten, Anwendungen und Diensten sowie Anbietern öffentlicher elektronischer Kommunikation frei, miteinander Vereinbarungen über die Übertragung des diesbezüglichen Datenvolumens oder -verkehrs als Spezialdienste mit bestimmter Dienstqualität oder eigener Kapazität zu schließen. Durch die Bereitstellung von Spezialdiensten darf die allgemeine Qualität von Internetzugangsdiensten nicht in wiederholter oder ständiger Weise beeinträchtigt werden.

Die Formulierung, die sprachlich den Nutzer in den Vordergrund stellt, beinhaltet einen eher durchsichtigen Taschenspielertrick. Sie suggeriert nämlich eine Wahlfreiheit des Nutzers, die nicht existiert. Der Nutzer kann immer nur die Angebote in Anspruch nehmen, die ihm die (großen) Provider vorsetzen. Dem Nutzer steht allenfalls frei, diese Angebote anzunehmen oder es sein zu lassen. Die Regelung ermöglicht letztlich genau das, was die großen Anbieter wie die Telekom gefordert haben, nämlich eine Differenzierung nach sog. Diensteklassen und das Angebot von höherpreisigen Premiumdiensten. Von der Forderung nach Netzneutralität ist nur die Formulierung übrig geblieben, dass derartige Premiumdienste („Spezialdienste“) die allgemeine Qualität des Internetzugangs nicht wiederholt bzw. nicht ständig beeinträchtigen dürfen. Was das genau bedeutet, bleibt unklar.

Mit dieser Regelung dürften die Wünsche der TK-Lobbyisten weitgehend erfüllt worden sein. Von der Forderung nach einer gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität ist allenfalls noch eine leere Hülle übrig geblieben.

Außerdem hat die Kommission offenbar wieder einmal Warnhinweisemodelle nach den Vorbildern „Three-Strikes-Out“ oder „Hadopi“ im Sinn. Nach Art. 25 Abs. 4 müssen Provider auf Anforderung der zuständigen Behörden kostenlos Informationen an ihre Kunden weiterleiten, die sich auf

unrechtmäßige Handlungen oder die Verbreitung schädlicher Inhalte, insbesondere wenn dadurch die Achtung der Rechte und Freiheiten anderer Personen beeinträchtigt werden kann, einschließlich Verstößen gegen Datenschutzrechte, das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte und ihre rechtlichen Folgen

beziehen. Es gibt einige Untote der Netzpolitik die offenbar immer mal wiederkehren.

posted by Stadler at 12:57  

5.9.13

EU-Parlament stimmt wieder mal über Netzsperren ab

Vor knapp zwei Monaten hatte ich hier berichtet, dass es auf europäischer Ebene einen erneuten Vorstoß zur Einführung sog. Access-Sperren zur Unterbindung von Glücksspiel gibt.

Dieser Entschließungsantrag des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz steht kommenden Dienstag den 10.09.2013 zur Abstimmung im Parlament (Punkt 142 der Tagesordnung – Online-Glücksspiel im Binnenmarkt).

Hierdurch wird zwar keine unmittelbare Verpflichtung zur Einführung von Netzsperren etabliert, gleichwohl würde das Parlament den Mitgliedstsaaten empfehlen, entsprechende Mechanismen einzuführen.

Es wäre also erneut sinnvoll und notwendig, Europaabgeordnete anzusprechen, um eine Zustimmung zu verhindern. Das gilt insbesondere für deutsche Abgeordnete, nachdem der Bundestag das Zugangserschwerungsgesetz nach langer und kontroverser Diskussion mit breiter Mehrheit aufgehoben hat und man eigentlich vermuten durfte, die Erkenntnis, dass Zugangssperren kein sinnvolles und rechtsstaatliches Instrumentarium sind, hätte sich durchgesetzt.

posted by Stadler at 13:52  

25.6.13

Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik

Die weitreichende TK- und Internetüberwachung der Amerikaner (Prism) und der Briten (Tempora) führt zu durchaus bemerkenswerten Diskussionsbeiträgen. Manche fordern eine Stärkung des Datenschutzes und der Verschlüsselung, während andere dazu raten, nicht so geschwätzig zu sein und vielleicht auch mal wieder unter vier Augen oder im Wald miteinander zu reden. Alles ganz interessante Vorschläge, die aber am Kern des Problems vorbeigehen.

Das Vier-Augen-Gespräch ist kein Surrogat für die Onlinekommunikation und als Bürger möchte ich mich weder von meinem eigenen noch von einem anderen Staat dazu zwingen lassen, laufend zur digitalen Selbstverteidigung greifen zu müssen und meine gesamte Kommunikation verschlüsseln.

Ein Staat, der seine eigenen Bürger oder die Bürger fremder Staaten systematisch überwacht, kann sich nicht zugleich als freiheitlicher Rechtsstaat begreifen. Viele Menschen haben mit dieser Überwachung offenbar aber kein Problem, weil sie glauben, das würde sie nicht betreffen, sondern nur Terroristen oder Terrorverdächtige. Warum diese Annahme naiv und falsch ist, lässt sich im Grunde mit einem Wort erklären: Guantanamo. Dort werden seit Jahren Menschen festgehalten, die zu einem erheblichen Teil unschuldig sind und die nie ein ordentliches Gerichtsverfahren bekommen haben und auch nie eines bekommen werden. Es kann also im Grunde jeder in den Fokus von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden geraten, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, oder wenn die digitale Rasterfahndung aus ein paar ungünstigen Einzelindizien einen unberechtigten Tatvorwurf entstehen lässt. Dieses Phänomen kennt man sogar aus Strafverfahren, die vergleichsweise strikten rechtsstaatlichen Vorgaben folgen. Spätestens dann, wenn es keine nachvollziehbaren Regeln mehr gibt und die Betroffenen überhaupt nicht mehr wissen, welche Einzelinformationen gesammelt wurden und wie diese verknüpft worden sind, wird der Einzelne zum Objekt eines undurchsichtigen Machtapparats. Genau vor dieser Entwicklung sollen uns die Grundrechte schützen, aber sie tun es nicht mehr. Es geht längst nicht mehr nur um einzelne Grundrechte wie die informationelle Selbstbestimmung oder das Fernmeldegeheimnis. Es geht um die Würde des Menschen, um das Recht selbstbestimmtes Subjekt sein zu dürfen, das sich von nichts und niemand zum bloßen Objekt einer undurchsichtigen Überwachungsmaschinerie machen lassen muss.

Diese Diskussion gipfelt letztlich in der Frage, für welches Menschenbild unsere Gesellschaft künftig stehen wird. Für das des Subjekts, das frei und selbstbestimmt handeln kann oder für das des Objekts, das unter dem Vorwand der Sicherheit bloßer Spielball eines Staates ist. Derzeit gaukelt man uns weiterhin das Ideal von der freien Entfaltung der Persönlichkeit in einem freiheitlich-demokratischen Staat vor, während im Hintergrund die Geheimdienste verschiedenster Staaten unsere Kommunikation nahezu lückenlos überwachen bzw. eine solche Überwachung zumindest anstreben. Beide Aspekte sind miteinander unvereinbar.

Ich persönlich gehe gerne in den Wald, aber zum Laufen oder um die Ruhe zu genießen aber nicht um zu kommunizieren. Verschlüsselung ist sinnvoll und notwendig. Aber hätte ich etwa in der alten analogen Welt alle meine Briefe mit einem geheimen Code so verschlüsselt, dass nur mein Gegenüber die Nachricht verstehen bzw. entschlüsseln kann? Nein. Und deshalb ist das auch nicht die digitale Welt in der ich leben will.

Wenn Konstantin von Notz schreibt, dass Überwachungs- und Schnüffelprogramme wie Prism unsere Freiheit und Demokratie bedrohen, trifft er den Nagel auf den Kopf. Die Datenschutzreform der EU ist vermutlich dennoch nicht der richtige oder zumindest nicht der primäre Rahmen um diese Frage zu klären. Wir reden hier jeweils von nationalen Programmen, die allerdings global wirken. Es sind die Bürger die weltweit Druck ausüben müssen. Ohne öffentlichen Druck und mehr Transparenz, die Whistleblower wie Edward Snowden erzeugen, wird sich nichts ändern. Denn die Politik wird nicht freiwillig umsteuern.

Dass die Hinterlist einer lichtscheuen Politik nur durch Publizität vereitelt werden kann, hat Kant bereits 1795 formuliert. Wenn Obama jetzt meint, mit einer Ergreifung Snowdens würde das Recht zum Zug kommen, dann entspricht das ziemlich genau der Hinterlist des lichtscheuen Politikers die Kant angeprangert hat. Obama verstößt gegen die von Kant formulierte transzendentale Formel des öffentlichen Rechts:

Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.

Die Schrift Kants aus der ich zitiere, heißt übrigens „Zum ewigen Frieden“, der sich laut Kant nur dann einstellen wird, wenn im öffentlichen Bereich eine größtmögliche, ja sogar radikale Publizität herrscht.

Man muss also erkennen, dass Edward Snowden und Bradley Manning in der Tradition der Aufklärung stehen – was Julian Nida-Rümelin am Beispiel von Wikileaks überzeugend erläutert hat – während mächtige Strömungen in der internationalen Politik ihr entgegen arbeiten. Das Recht steht in diesem Fall ganz eindeutig auf der Seite Snowdens sowie all jener, die für Transparenz oder wie Kant es formulierte Publizität eintreten. Sie brauchen unsere Unterstützung und Solidarität im Kampf gegen lichtscheue Politik, damit das Recht hier letztendlich wirklich zum Zug kommen kann.

posted by Stadler at 10:57  

19.6.13

Verordnungsentwurf zur Netzneutralität

Jan Mönikes hat in seinem Blog den ersten Entwurf für die geplante Verordnung zur Regelung der Netzneutralität (NNVO) veröffentlicht. Dass gegen das Verordnungskonzept als solches erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, habe ich bereits an anderer Stelle erläutert. Ein Gesetz ist daher unumgänglich, wenn man verhindern will, dass jedes beliebige Gericht darüber entscheidet, ob die Verordnung wegen Verstoß gegen höherrangiges Recht angewendet wird oder nicht.

Der konkrete Entwurf erscheint mir inhaltlich noch nicht durchgehend überzeugend, andererseits aber auch nicht wirklich verfehlt. Klar ist, dass die Bundesregierung sog. Diensteklassen – die im Entwurf Qualitätsdiensteklassen heißen – erlauben will. Eine exakte Definition dessen, was eine solche Diensteklasse ist, fehlt allerdings. In dem Entwurf heißt es:

Eine inhaltsneutrale an technischen Erfordernissen orientierte Transportklassifizierung (Qualitätsdienstklassen) ist keine willkürliche Verschlechterung von Diensten, solange dem Endnutzer Wahlmöglichkeiten erhalten bleiben. Eine Differenzierung von Entgelten nach Qualitätsdienstklassen ist keine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs.

In der Diskussion waren bisher u.a. Diensteklassen für Audio- und Videoangebote. Für bestimmte trafficintensive Inhalte könnte danach also ein Aufpreis verlangt werden oder eine Drosselung stattfinden. Verboten ist insoweit nur, einzelne Angebote zu bevorzugen bzw. zu benachteiligen. Es wäre also nur unzulässig einzelne Streamingportale unterschiedlich zu behandeln, nicht hingegen das Streaming ganz allgemein zu verteuern.

Wer solche Diensteklassen verhindern will und sich eine einheitliche Flatrate für alle ohne Diensteklassen wünscht, muss zusätzlich eine Diskussion über eine staatliche Garantie für eine Internetgrundversorgung führen und nicht nur eine über Netzneutralität.

posted by Stadler at 21:04  

3.6.13

Wer ist für die Medien- und Netzpolitik eigentlich zuständig?

Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, schreibt heute bei SPON einen Meinungsbeitrag mit dem Titel „Medienstaatsvertrag: Netzpolitik darf nicht Ländersache werden„.  Er bezieht sich dabei auf eine Rede von Olaf Scholz in der u.a. von einem Medienstaatsvertrag (der Bundesländer) die Rede ist und davon, dass die Rundfunkkommission zu einer Medienkommission weiterentwickeln sollte. 

Die Rede von Olaf Scholz ist freilich wenig konkret und lässt kaum Konturen erkennen. Was er genau in einem Medienstaatsvertrag regeln möchte, bleibt unklar. Die Frage wäre dann auch die, was die Länder in einem Staatsvertrag überhaupt regeln dürften. Telekommunikations- und Urheberrecht unterfällt der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenez des Bundes (Art. 73 GG), Landesgesetze sind in diesen Bereichen überhaupt nicht möglich. Das gesamte bürgerliche Recht sowie das Strafrecht unterliegt der sog. konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz. Die Länder dürfen in diesen Bereichen Gesetze nur erlassen, wenn und solange der Bund nichts geregelt hat. Da das Zivilrecht und das Strafrecht umfassend geregelt sind, bleibt in diesem Bereich für die Länder kaum Gestaltungsspielraum. Der Bund hat außerdem über den Kompetenztitel Recht der Wirtschaft (Art. 74 Nr. 11 GG) die Möglichkeit den gesamten Bereich des E-Commerce zu regeln, wovon er  auch Gebrauch gemacht, insbesondere durch das Telemediengesetz.

Klassische Regelungsbereiche der Länder, für die der Bund nicht zuständig ist, sind demgegenüber das Presse- und das Rundfunkrecht. Die Länder haben speziell in den 90’er Jahren, als der längst nicht mehr in Kraft befindliche Mediendienstestaatsvertrag geschaffen wurde, gerne die Auffassung vertreten, dass das Internet ja auch nichts anderes sei als so eine Art Rundfunk und insoweit eine umfassende Regelungskompetenz für sich beansprucht. Mittlerweile hat sich allerdings die Ansicht eingependelt, dass die Länder nur für solche Inhalte eine Gesetzgebungskompetenz haben, die man im engeren Sinne als presse- und rundfunkähnlich ansehen kann.

Für die Schaffung einer umfassenden Medienordnung, von der Olaf Scholz träumt, haben die Länder also gar keine ausreichenden Kompetenzen. Unabhängig von der Kompetenzordnung dürfte es aber auch wenig sinnvoll sein, alte und verkrustete Strukturen des Rundfunkrechts auf das Internet zu übertragen. Im Ergebnis hat Malte Spitz also recht. Die Rede von Olaf Scholz weist nicht in die Zukunft.

posted by Stadler at 21:47  

13.5.13

Piraten wollen Verordnung zur Netzneutralität

Über den Bundesparteitag der Piraten am vergangenen Wochenende wurde viel geredet und geschrieben. Vor allem über das Thema SMV (Ständige Mitgliederversammlung), deren Einführung die erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp verfehlte.

Die Piraten haben sich überraschender Weise aber auch mit inhaltlichen Fragen befasst, u.a. mit dem gerade im Netz in letzter Zeit vor dem Hintergrund der Drosselpläne der Telekom wieder vieldiskutierten Thema Netzneutralität.

Die Piraten fordern die Verordnungsermächtigung des § 41a TKG zu nutzen, um die Netzneutralität bis zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung rechtlich abzusichern. Dazu hat man einen Entwurfstext einer solchen Verordnung vorgestellt, auch zum Zwecke der Weiterentwicklung im Netz.

Gegen die Verordnungsermächtigung des § 41a TKG bestehen aus meiner Sicht wegen der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Danach muss das Wesentliche vom Gesetzgeber selbst geregelt werden und kann nicht per Verordnungsermächtigung der Verwaltung, in diesem Fall der Bundesregierung, überlassen werden. Eine konkrete Regelung der Netzneutralität, die weitreichende Folgen nicht nur für TK-Anbieter sondern auch für die Nutzer hätte, allein auf Bassis einer Rechtsverordnung dürfte deshalb problematisch sein, zumal der Gesetzgeber insoweit keinerlei Eckpunkte vorgegeben hat. Dass die Bundesregierung ermächtigt wird, die Grundsätze zur Netzneutralität (erstmals) durch Rechtsverordnung festzulegen, sprengt die Grenzen einer zulässigen Verordnungsermächtigung.

Die Regelung des § 41a TKG ist ein typischer Fall einer mit heißer Nadel gestrickten gesetzlichen Regelung.

Eine rechtswirksame Regelung der Netzneutralität erfordert ein Gesetz und selbst dann stellen sich noch europarechtliche und verfassungsrechtliche Fragen.

posted by Stadler at 12:34  

2.5.13

Verstoßen die Drosselpläne der Telekom gegen das Fernmeldegeheimnis des TKG?

Die Telekom hat vor gut einer Woche angekündigt, auch für Festnetzinternetzugänge Volumenbeschränkungen („integrierte Highspeed-Volumina“) einzuführen, mit der Folge, dass der Internetanschluss nach dem Verbrauch eines bestimmten Datenvolumens erheblich gedrosselt werden soll.

Nach aktuellen Pressemeldungen hat Niek Jan van Damme, Vorstandsmitglied der Telekom AG und Sprecher der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH, erklärt, man sei offen für Gespräche mit Marktgrößen wie YouTube. Wenn diese Anbieter direkt an die Telekom bezahlen, sei es denkbar, dass die Nutzung solcher Dienste das Datenvolumen der Nutzer/Kunden nicht aufbrauchen. Praktiziert wird dieses System von der Telekom bereits aktuell im Mobilfunkbereich für den Musikstreamingdienst Spotify.

Diese Aussage und Ankündigung wirft rechtliche Fragen auf, die über das hinausgehen, was aktuell rechtspolitisch unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert wird.

§ 88 TKG regelt das (einfachgesetzliche) Fernmeldegeheimnis, das Absatz 1 der Vorschrift wie folgt definiert:

Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.

TK-Diensteanbietern wie der Telekom ist es nach § 88 Abs. 3 TKG ausdrücklich

untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden.

Wenn die Telekom allerdings die Nutzung bestimmter Dienste / Inhaltsangebote wie YouTube oder Spotify von dieser Volumenbegrenzung ausnimmt, dann setzt das voraus, dass die Telekom das Internetnutzungsverhalten jedes einzelnen Kunden genau aufzeichnet und auch ermittelt, welche Websites und Inhaltsangebote der Kunde im einzelnen aufruft und welches Datenvolumen hierbei anfällt. Anders lässt sich nämlich nicht bestimmen, ob und in welchem Umfang der Telekomkunde priviligierte Dienste wie Spotify nutzt.

Damit verschafft sich die Telekom Kenntnis vom Inhalt und den näheren Umständen der Telekommunikation. Die Telekom wird nun damit argumentieren, dies sei für die geschäftsmäßige Erbringungen ihrer TK-Dienste erforderlich. Aber lässt sich diese Ansicht wirklich vertreten? § 88 Abs. 3 TKG normiert grundsätzlich ein sog. Kenntnisnahmeverbot des TK-Dienstleisters. Würde man sich nun auf die Argumentation der Telekom einlassen, dann hätte es der TK-Anbieter beliebig in der Hand, dieses gesetzliche Kenntnisnahmeverbot zu umgehen. § 88 Abs. 3 TKG wäre weitgehend ausgehöhlt. Das entspricht aber gerade nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

Und hier sind wir dann auch beim Aspekt der Netzneutralität angelangt. Man wird es der Telekom grundsätzlich nach geltendem Recht nicht verbieten können, Flatrates durch Volumentarife zu ersetzen, bzw. ab einem gewissen Volumen zu drosseln. Was § 88 TKG allerdings verbietet, ist die vollständige inhaltliche Analyse des Internetnutzungsverhalten der Kunden, mit dem Ziel einzelne Internetdienste zu priviligieren. Für die Erbringung der TK-Dienstleistung ist es nicht erforderlich zu analysieren, ob der Kunde YouTube oder Spotify nutzt.

Nach meiner Einschätzung verstößt damit bereits das, was die Telekom im Mobilfunk aktuell im Hinblick auf Spotify macht, gegen § 88 TKG.

 

Update vom 04.05.2013:
Die Kritik hier in den Kommentaren und ein Artikel bei Golem veranlassen mich zu einem Update, um meine Position nochmals zu verdeutlichen.

Ein Telekom-Sprecher wird bei Golem folgendermaßen zitiert:

Der Vorwurf ist Unsinn. Um Managed Services zu realisieren, müssen Sie nicht die Inhalte des jeweiligen Datenpaketes kennen. Managed Services können beispielsweise über einen separaten Datenstrom – wie bei Entertain – realisiert oder indem die Datenpakete markiert werden.

Diese Reaktion offenbart ein grundlegendes Missverständnis von Inhalt und Umfang des Fernmeldegeheimnisses. Für eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses ist es nicht erforderlich, vom Inhalt der Kommunikation Kenntnis zu nehmen. Es genügt vielmehr, wenn von den näheren Umständen der Kommunikation Kenntnis genommen wird. Zu diesen näheren Umständen gehört auch die Erfassung der Zieladresse einer Internetkommunikation oder die Markierung von Datenpaketen, die der Kunde angefordert hat. Weil Provider das natürlich öfters machen und es in gewissem Umfang auch notwendig ist, von den näheren Umständen eines Kommunikationsvorgangs Kenntnis zu nehmen, erlaubt § 88 Abs. 3 TKG dies unter der Voraussetzung, dass das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes der technischen Systeme erforderlich ist.

Und genau damit ist die entscheidende Frage formuliert. Ist die Bevorzugung einzelner Dienste und die damit einhergehende Notwendigkeit der Kenntnisnahme von den näheren Umständen von Kommunikationsvorgängen tatsächlich erforderlich?

posted by Stadler at 10:18  
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