Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.7.14

NSA spioniert deutsche Betreiber von TOR-Servern aus

Die NSA interessiert sich offenbar für die Betreiber von TOR-Servern. Das berichtet heute das ARD Magazin Panorama, dem man Quellcode zugespielt hat, aus dem sich eine gezielte Überwachung des TOR-Servers des Erlangers Sebastian Hahn ergibt.

Zielrichtung dieser Überwachungaktivitäten ist es, die anonymen Nutzer des TOR-Netzwerkes zu identifizieren.Es dürfte sich hierbei kaum um einen Einzelfall handeln. Vielmehr muss angenommen werden, dass sich die NSA generell für TOR-Nutzer interessiert.

Panorama hat mich zu den rechtlichen Konsequenzen einer solchen Überwachungstätigkeit der NSA befragt, die sich gezielt gegen einen deutschen Staatsbürger und seinen in Deutschland gehosteten TOR-Server richten. Die Sendung wird heute Abend um 21:45 (ARD) ausgestrahlt.

posted by Stadler at 09:05  

7.6.14

Snowden und der heilige Geist der Freiheit

Heribert Prantl meldet sich in der heutigen Ausgabe der SZ (Süddeutsche Nr. 130, Pfingsten, 7./8./9.Juni 2014, S. 11) mit einer Pfingstbotschaft der anderen Art zu Wort. Er schreibt über Edward Snowden, dessen Outing am Pfingstmontag des vergangenen Jahres ein Akt pfingstlicher Freiheit gewesen sei. Der Text Prantls ist eine Lobeshymne auf Snowden, der angetreten sei, gegen die antischöpferische und geistlose Überwachungslogik. Prantl bringt die Auswirkungen einer globalen Überwachung mit deutlichen Worten auf den Punkt. Die eigentliche Gefahr der Massenüberwachung sei die Erziehung zur Konformität. Sie kultiviere, so Prantl vorauseilenden Gehorsam und züchte Selbstzensur.

Die Botschaft von Prantl ist klar: Die Kraft des Geistes muss die Logik der Massenüberwachung durchbrechen. Die globale Überwachungstechnik spiegelt laut Prantl ebenso wie einst die Folter das Unvermögen und den Unwillen wider, auf rechtsstaatliche Weise zur Wahrheitsfindung zu gelangen. Überwachung sei daher eine subtile Vorform der Folter, die geächtet werden muss.

Der großartige Text des wortgewaltigen Heribert Prantl erläutert in viel eindringlicher Art und Weise das, was ich in meinen Text ebenfalls versucht habe zum Ausdruck zu bringen. Dass Snowden in der Tradition der Aufklärung steht und die aktuelle Praxis der Geheimdienste unsere Demokratie gefährdet. Es ist unsere Aufgabe dieser Praxis entgegenzutreten.

posted by Stadler at 13:48  

6.6.14

Vodafone und die Überwachung: the more you know, the less you are allowed to say

Vodafone hat heute einen „Law Enforcement Disclosure Report“ vorgestellt, über den u.a. die Süddeutsche und die Wirtschaftswoche berichten.

Der Inhalt ist ernüchternd bis schockierend, obwohl nach den Snowden-Enthüllungen im Grunde gar nichts mehr geeignet ist, Überraschung auszulösen.

Vodafone betont fast beschwörend, dass eine Verweigerung der Zusammenarbeit mit nationalen Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten für das Unternehmen keine Option darstellt, weil dies den Entzug von Lizenzen zur Folge hätte. Vodafone erklärt, dass es in 29 Staaten, in denen das Unternehmen tätig ist, zwischen dem 01.04.2013 und dem 31.03.2014 zu Aufforderungen der Behörden gekommen sei, sie mit Informationen zu unterstützen. Es geht hierbei um die Telekommunkationsüberwachung sowie den Zugang zu Telekommunikationsdaten. Sehr bezeichnend finde ich die Aussage von Vodafone: „the more you know, the less you are allowed to say“. Vodafone betont zwar, mit diesem Bericht ein gewisses Risiko einzugehen, man darf andererseits aber davon ausgehen, dass Vodafone nur das mitteilt, was man rechtlich noch als vertretbar betrachtet und das dürfte nur ein Bruchteil sein.

Spektakulär ist insbesondere die Aussage, dass es den Behörden in einigen Ländern möglich ist, sich über eigens eingerichtete geheime Zugänge zum Vodafone-Netz, permanent und direkt in die Kommunikation der Nutzer einzuklinken. Im Bericht heißt es hierzu u.a.:

However, in a small number of countries the law dictates that specific agencies and authorities must have direct access to an operator’s network, bypassing any form of operational control over lawful interception on the part of the operator. In those countries, Vodafone will not receive any form of demand for lawful interception access as the relevant agencies and authorities already have permanent access to customer communications via their own direct link.

Dieselbe Aussage trifft Vodafone auch im Hinblick auf Metadaten:

In a small number of countries, agencies and authorities have direct access to communications data stored within an operator’s network. In those countries, Vodafone will not receive any form of demand for communications data access as the relevant agencies and authorities already have permanent access to customer communications via their own direct link.

Zur Situation in Deutschland und zur Überwachung nach § 5 des G-10-Gesetzes findet sich ebenfalls eine recht interessante Passage in dem Bericht:

The telecommunication service provider must allow the Intelligence Service to install the relevant technical capabilities on its premises and must grant access to the relevant employees of the Federal Intelligence Service as well as the G10 Commission (Sec. 110(1) No. 5 TKG and Sec. 27 TKÜV). The measures to be taken are further specified by the TKÜV/TR-TKÜV.

However, these technical capabilities do not constitute “interception capabilities” in the direct sense of the term. Rather, the interception itself still has to be performed by the telecommunication provider which then (electronically) hands over a so-called “interception copy” (Überwachungskopie) of the communication to the equipment of the Federal Intelligence Service. The communication is filtered by this equipment with the help of pre-defined search terms and the irrelevant part of the interception copy has to be deleted before the relevant part is passed on to the Federal Intelligence Service.

posted by Stadler at 15:12  

20.5.14

Kommentare und Anmerkungen zum Google-Urteil des EuGH

Für netzpolitik.org habe ich meine Kritik an der Entscheidung des EuGH zu Löschpflichten von Google gerade etwas ausführlicher ausformuliert.

Zahlreiche Juristenkollegen haben sich in den vergangenen Tagen kritisch mit dem Urteil des höchsten europäischen Gerichts auseinandergesetzt.

Hier ist eine Auswahl der Kommentare und Anmerkungen, die mir lesenswert erscheinen (Stand: 01.09.2014):

Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH (Johannes Masing)

EuGH: Google muss doch vergessen – das Supergrundrecht auf Datenschutz und die Bowdlerisierung des Internets (Hans Peter Lehofer)

Einfach löschen ist auch bequem (Niko Härting)

EuGH: Suchmaschinen und Datenschutz (Adrian Schneider)

Das Google-Urteil des EuGH – übers Ziel hinaus geschossen? (Carlo Piltz)

Kommentar zum EuGH-Urteil: Zuviel des Guten – Privatisierte Rechtsdurchsetzung auf dem Vormarsch (Leonhard Dobusch)

Hat sich der EuGH mit seinem Google-Urteil selbst abgeschossen? (Oliver Garcia)

The ECJ is right, the result is wrong (Rigo Wenning)

Recht auf Vergessen bei Suchmaschinen: EuGH-Urteil billigt Zensur durch Datenschutzrecht (Viola Lachenmann)

Öffentlichkeit kennt keine beschränkte Teilnehmerzahl (Lorena Jaume-Palasí)

„Recht auf Vergessen“: Technik und Recht müssen zusammenarbeiten (Jan Schallaböck)

Wer gegen Netzsperren ist, muss auch das EuGH-Urteil zu Löschpflichten von Google ablehnen (Thomas Stadler)

Ein gordischer Knoten aus Datenschutz und Meinungsfreiheit (Feldmann/Koreng/Piltz)

Löschansprüche: Das Problem zuerst dort angehen, wo es entsteht (Till Kreutzer)

Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen nach schweizerischem Recht (Daniel Hürlimann)

posted by Stadler at 11:53  

17.5.14

Ex-Verfassungsrichter Hoffmann-Riem fordert staatlichen Systemschutz gegen NSA

Der NSA-Utnersuchungsausschuss wird am 22.05.2014 die früheren Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Wolfgang Hoffmann-Riem sowie den Wissenschaftler Matthias Bäcker als Sachverständige anhören. Die Sachverständigen reichen hierzu vorab üblicherweise eine schriftliche Stellungnahme ein. Diese sind bislang auf dem Server des Bundestages leider nicht veröffentlicht worden.

Wie die Süddeutsche heute in ihrer Printausgabe berichtet (SZ Nr. 113, Samstag/Sonntag, 17./18.Mai 2014, S. 7), hat der frühere Verfassungsrichter Wolfgang-Hoffmann in seiner 27-seitigen Stellungnahme gegenüber dem Ausschuss ein staatliches Schutzsystem gegen die Überwachungspraktiken der NSA gefordert. Hoffmann-Riem sieht insoweit eine staatliche Schutzpflicht als gegeben an, die er interessanterweise u.a. auch auf Art. 87f GG stützt. Nach Art. 87 f Abs. 1 GG gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen. Und dies beinhaltet laut Hoffmann-Riem auch die Pflicht, eine ausreichend sichere Kommunikation zu gewährleisten.

Wolfgang Hoffmann-Riem galt in seiner Zeit am Bundesverfassungsgericht als Meinungsführer und war u.a. an den Urteilen zum großen Lauschangriff, zur Online-Durchsuchung, zur Rasterfahndung und den Eilentscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung beteiligt. Manchen galt er gar als der einzig relevante Gegenspieler des damaligen Innenministers Schäuble.

Auf das vollständige Gutachten Hoffmann-Riems bin ich ebenso gespannt, wie auf die Stellungnahmen der anderen beiden Verfassungsrechtler.

posted by Stadler at 13:10  

13.5.14

Wer gegen Netzsperren ist, muss auch das EuGH-Urteil zu Löschpflichten von Google ablehnen

Nach dem heutigen Urteil des EuGH zu Löschpflichten eines Suchmaschinenbetreibers, das nicht nur von mir kritisch besprochen wurde, fand ich die Zustimmung der Politik, von Teilen der netzpolitischen Szene und Teilen der Berichterstattung doch bemerkenswert.

Bei netzpolitik.org sucht man vergeblich nach einer kritischen Anmerkung, vielmehr findet man es dort gut, dass ein „Zusammenhang zwischen Verantwortung und Werbeanzeigen-Verkaufsniederlassung“ hergestellt wird. Justizminister Heiko Maas meint, das Urteil würde die Datenschutzrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern im Internet stärken, der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht begrüßt das Urteil ebenfalls. Peter Schaar spricht von einem Etappensieg für den Datenschutz. Im Deutschlandfunk ist gar von einer „schallenden Ohrfeige für Google“ die Rede und davon, dass das Gericht das digitale Selbstbestimmungsrecht der Bürger gestärkt habe.

Man mag es begrüßen, dass der EuGH eine weitgehende Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts auf Google und seine Suchmaschine bejaht. Das sollte aber nicht den Blick auf die materielle Entscheidung des Gerichtshofs versperren.

Die offensichtliche Parallele zu den Netzsperren, die die Sachentscheidung des EuGH aufweist, wird kaum gezogen. Dabei geht es bei den Access-Sperren und den Löschpflichten von Google im Kern um dasselbe, nämlich darum, durch staatlichen Zwang den Zugang zu Inhalten im Internet zu erschweren. In beiden Fällen geschieht dies durch die Inpflichtnahme eines Netzdienstleisters, der dafür sorgen soll, dass die Mehrheit der Nutzer nicht mehr auf Inhalte zugreift, die als rechtlich problematisch angesehen werden. Bei Lichte betrachtet besteht zwischen beiden Phänomenen also kein relevanter Unterschied. Sowohl Suchmaschinenbetreiber als auch Access-Provider sind im Grunde Zugangsanbieter. Man wird an dieser Stelle sicher einwenden, dass sich Google bereits jetzt nicht neutral verhält und aus unterschiedlichen Gründen selbst immer wieder die Suchmaschinenergebnisse beeinflusst und Suchtreffer entfernt. Das erscheint mir aber kein tragfähiges Argument für die Forderung nach einer noch weiterreichenderen Manipulation von Suchergebnissen zu sein.

Der EuGH etabliert mit dieser Entscheidung nichts anderes als eine weitere Spielart der Netzsperren, durch die die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz beeinträchtigt wird. Das ist für die europäischen Bürger mit Sicherheit keine gute Nachricht. Wer gegen Netzsperren aufgestanden ist, muss diese Entscheidung des EuGH ebenfalls ablehnen. Woher kommt also die Zustimmung? Vermutlich daher, dass es gegen Google geht und vermeintlich dem Datenschutz gedient wird. Für diese Art des Datenschutzes werden wir Bürger vermutlich aber früher oder später einen sehr hohen Preis zu zahlen haben.

Der EuGH unternimmt auch erst gar nicht den Versuch einer ergebnisoffenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht einerseits und der Meinungs- und Informationsfreiheit andererseits, sondern postuliert einen regelmäßigen Vorrang des Datenschutzes. An dieser Stelle zeigt sich nebenbei auch eine dogmatisch fragwürdige Gleichsetzung von Datenschutz und Persönlichkeitsrecht.Die Entscheidung des EuGH  deutet insgesamt auf einen gefährlichen Paradigmenwechsel hin, der sich in dieser Form bisher weder in der Rechtsprechung des BVerfG noch der des EGMR findet.

Dass Google im Grunde ein Medienanbieter ist, dem man auch ein Medienprivileg zubilligen kann und muss, wird vom EuGH völlig ausgeblendet.

Wer wie ich die Meinungs- und Informationsfreiheit für das vielleicht höchste Gut einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft hält, kann gar nicht anders, als dieses Urteil entschieden abzulehnen.

posted by Stadler at 21:31  

7.5.14

Lobos Rede zur Lage der Nation

Sascha Lobo hat auf der re:publica eine kämpferische Rede zur „Lage der Nation“ gehalten, in der u.a. nochmals seine These vom kaputten Internet verteidigt, die ich hier deutlich kritisiert hatte.

Lobo liest dem in Berlin anwesenden Teil der Netz-Community die Leviten wegen ihrer Passivität und fordert sie auf, dafür zu kämpfen, dass die aktuelle Überwachung des Internets durch NSA, BND und Co. nicht zur Normalität wird. Lobo bezieht sich in seinem Vortrag u.a. auf Herbert Marcuse und dessen These, dass bereits in die Konstruktion von Technologie Zwecke und Interessen der Herrschaft eingebaut seien.

Im zweiten Teil seiner Rede greift Lobo die Bundesregierung wegen der Nichtaufklärung des Spähskandals massiv an. Der SPD-nahe Lobo meint dann, man müsse der SPD als der weniger schlechten Regierungspartei helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben. Obwohl ich die Rede insgesamt für gut bis großartig halte, erscheint mir dieser Appell dann doch etwas naiv. Die SPD wollte schon immer gerne staatstragend sein und man kriegt ihre Spitenpolitiker immer am besten damit, dass man sie als politisch unzuverlässig qualifiziert. Und das funktioniert auch und gerade beim Thema Kontrolle von Geheimdiensten. Politiker wie Merkel oder Seehofer reagieren da auf öffentlichen Druck u.U. wesentlich deutlicher als andere, wofür Fukushima und die Energiewende das beste Beispiel bilden.

Aber beim Thema Überwachung fehlt einfach der Druck der Öffentlichkeit und auch der Druck der Straße, was Lobo im ersten Teil seiner Rede ja auch beklagt. Würde die Spähaffäre von der Öffentlichkeit tatsächlich als das Fukushima des Informationszeitalters wahrgenommen, dann würde sich auch die politische Haltung deutscher Spitzenpolitiker, egal ob von der Union oder der SPD schnell ändern. Merkel hatte sich nur vorübergehend etwas aufgeregt, als bekannt wurde, dass ihr Handy von der NSA abgehört wird. Nachdem sie aber bemerkt hat, dass die Überwachungsaffäre die deutsche Öffentlichkeit nicht übermäßig bewegt, sieht sie aktuell offenbar auch keinen Anlass mehr für politische Forderungen und Konseqenzen, weder im In- noch im Ausland. Das einzige was hier also helfen würde, ist öffentlicher Druck.

posted by Stadler at 15:32  

3.5.14

Nicht auf Augenhöhe

Ein Bundesgericht in New York hat unlängst entschieden, dass Microsoft verpflichtet werden kann, auch E-Mails und andere Inhalte die außerhalb der USA – beispielsweise auf europäischen Servern – gespeichert werden, an amerikanische Behörden herauszugeben.

Zu diesem Thema findet man ein lesenswertes Interview mit der Datenschutzrechtlerin Indra Spiecker in der FAZ. Spiecker weist auf den bislang wenig beachteten Aspekt hin, dass diese Entscheidung nicht nur amerikanische Anbieter betrifft, sondern auch europäische Anbieter die eine US-Niederlassung unterhalten. Die Reichweite des Urteils ist daher deutlich weiter, als bislang berichtet.

Spiecker merkt außerdem zurecht an, dass dieses Thema eigentlich auf die Tagesordnung des transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) gehört, das gerade zwischen den USA und der EU verhandelt wird. Offenbar hat man aber datenschutzrechtliche Fragen ebenso gezielt ausgeklammert, wie sämtliche Fragen im Zusammenhang mit den Aktivitäten der NSA. Diese Fragen gehörten freilich wegen ihrer erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung und des Potentials, den Handel zwischen der EU und den USA zu beeinträchtigen, zwingend auf die Agenda des Abkommens. Weder die EU-Kommission, noch die EU-Mitgliedsstaaten scheinen allerdings ein gesteigertes Interesse daran zu haben, auch solche Themen, die evident im Interesse der Bürger sind, auf die Tagesordnung zu bringen. Ist das Verhandlungsungleichgewicht zwischen der EU und den USA tatsächlich derart groß? Es hat fast den Anschein.

Angela Merkel jedenfalls hat in den letzten Monaten ziemlich viel Kreide gefressen. Während die Bundesregierung vor einiger Zeit noch ein No-Spy-Abkommen gefordert und empört darauf reagiert hat, dass die US-Dienste Merkels Handy abgehört haben, scheint das alles aktuell kein Thema mehr zu sein. Diese Chronologie des Scheiterns der Bundesregierung hat Constanze Kurz – ebenfalls für die FAZ – gerade nachgezeichnet. Und alle diejenigen, die ein kurzes Gedächtnis haben, sollten den Artikel von Constanze aufmerksam lesen. Man wird nach der Lektüre nämlich nicht um die Frage herumkommen, warum weder eine deutsche Regierungschefin noch eine EU-Kommission dazu in der Lage sind, auf Augenhöhe mit den Amerikanern zu verhandeln.

Das Satiremagazin Postillon titelte: „Merkel reist in USA, um sich bei Obama für NSA-Skandal zu entschuldigen“. Selten war Satire so bitter nah an der Wahrheit.

posted by Stadler at 21:36  

24.4.14

TTIP: Bundesregierung kennt die von den USA vorgelegten Verhandlungsdokumente nicht

Dass in diesem Blog bislang wenig von dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP), das auch unter der Bezeichnung Trans-Atlantic Free Trade Agreement (TAFTA) bekannt ist, die Rede war, hat seinen Grund vor allem darin, dass aktuelle Dokumente, die den Stand der Verhandlungen dokumentieren, weder offiziell noch als Leak vorliegen.

Bereits dieser Umstand muss misstrauisch stimmen, denn demokratische Staaten sollten gerade auch bei solchen Verhandlungen die Positionen der einzelnen Vertrags- und Verhandlungspartner öffentlich machen. Zumal durchaus verschiedenste Wirtschafts- und Industrievertreter mit am Tisch sitzen, während die Zivilgesellschaft von der Teilnahme an den Verhandlungen ausgeschlossen bleibt.

Wie die Bundesregierung nunmehr eingeräumt hat, hat selbst sie keinen Zugang zu den von den USA vorgelegten Verhandlungsdokumenten. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, dass dies für eine verantwortungsvolle Begleitung des Verhandlungsprozesses, wie es nach den EU-Verträgen in der Handelspolitik vorgesehen ist, unzureichend sei. Interessanterweise vertritt die Bundesregierung gleichzeitig die Auffassung, dass es sich um  ein sog. gemischtes Abkommen handelt, bei dem sowohl die EU als auch ihre Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind.

Wenn eine Vertragspartei keinen vollständigen Zugang zu den Vertragsdokumenten erhält, muss dies aus Sicht eines vernünftig agierenden Verhandlungsteilnehmers zwingend zum Abbruch bzw. zur Unterbrechung der Verhandlungen führen. Welche Konsequenzen die Bundesregierung  ziehen will, erfährt man allerdings nicht. Vermutlich also keine.

Die EU-Kommission hat angekündigt, mit der Zivilgesellschaft – ab März 2014! – in einen Dialog treten zu wollen. Dies setzt allerdings zwingend eine vorhergehende Veröffentlichung aller aktuellen Vertrags- und Verhandlungsdokumente voraus. Denn das ist für eine fundierte inhaltliche Bewertung des Vorhabens unerlässlich.

Derzeit kann man allerdings nur konstatieren, dass die EU und die USA hinter verschlossenen Türen verhandeln und, dass weder die Regierungen und Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten, noch die Öffentlichkeit über Inhalt und Stand der Verhandlungen unterrichtet sind. Ein solches Verfahren ist ohne Wenn und Aber abzulehnen.

posted by Stadler at 09:36  

14.1.14

Ist das Internet wirklich kaputt?

Sascha Lobo, Ikone und Sprachrohr der sog. Netzgemeinde, beklagt sich im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung darüber, dass das Internet nicht das sei, wofür er es gehalten habe, dass es gar kaputt sei. Es geht, wie so häufig in den letzten Monaten, um die Snowden-Enthüllungen und das Ausmaß der TK-Überwachung durch Geheimdienste.

Mich hat Lobos Text aus verschiedenen Gründen irritiert, die ich hier nicht alle aufzählen möchte. Schwer nachvollziehbar ist für mich insbesondere die Vorstellung, jemand könnte vom Internet enttäuscht und wegen des Ausmaßes der Überwachung durch NSA & Co. gar gekränkt sein. Denn trotz aller Begeisterung für die Möglichkeiten die das Netz bietet, ist es für mich am Ende immer noch ein technisches Tool. Auch wenn der Vergleich hinken mag, kann man insoweit natürlich die Frage stellen, ob man dann auch von einem Küchenmesser enttäuscht sein kann, wenn es für Verbrechen missbraucht wird. Enttäuschend oder kränkend kann also nur der Umstand sein, dass die Geheimdienste vermeintlich demokratischer Staaten das Internet dazu missbrauchen, jeglichen Datenverkehr und damit die Kommunikation aller Bürger zu überwachen. Das ist aber kein Problem des Internets, sondern macht lediglich deutlich, dass unsere demokratischen Mechanismen nicht funktionieren. Solange man Geheimdienste alles machen lässt, was technisch möglich ist und ihnen keine Grenzen setzt, werden sie auch alles machen was möglich ist. Wenn man einen Hund vor einen großen Fleischtopf setzt, ist es nicht zielführend, ihm zu sagen, dass er aber nur langsam und nicht alles fressen darf. Es ist bislang eine Illusion anzunehmen, dass sich die Methoden mit denen NSA, GCHQ oder BND arbeiten, nennenswert von denen der Stasi unterscheiden. Was sich unterscheidet, ist in gewissem Umfang die anschließende Verwertung der durch eine Totalüberwachung gewonnenen Informationen. Aber auch in diesem Punkt wird man sich schnell der Stasi und den Unrechtsstaaten annähern, wenn man die Dienste weiterhin gewähren lässt wie bisher. Unsere vernetzte Welt bietet also lediglich die Grundlage dafür, dass sich ein globaler Überwachungsapparat etablieren konnte, der sich nicht mehr klar an einzelnen Nationalstaaten festmachen lässt und der keine effektiven rechtlichen Grenzen kennt. Daran ist aber nicht das Internet schuld, sondern eine mangelnde rechtsstaatliche Kontrolle. Die Geheimdienste gefährden auch weit mehr als das Internet, sie gefährden unsere Demokratie. Die Frage sollte also nicht lauten, ob das Internet kaputt ist, sondern ob unsere Demokratie kaputt ist.

Es geht in Wirklichkeit also um rechtsstaatliche Defizite und die lassen sich weder mit einem neuen Internetoptimismus noch mit digitaler Selbstverteidigung (Verschlüsselung) überwinden, was nicht bedeutet, dass beides nicht sinnvoll und notwendig ist. Es ist eine Herkulesaufgabe aller Demokraten – nicht nur der Netzgemeinde – auf mehr Transparenz hinzuarbeiten und das System Geheimdienste zurückzudrängen und insgesamt in Frage zu stellen. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht und sie wird essentiell für den Fortbestand unserer demokratischen Gesellschaften sein. Und es ist dies nolens volens die Aufgabe der Zivilgesellschaft, weil zumindest vorerst von der Politik keine Unterstützung zu erwarten ist.

Von zentraler Bedeutung wird dabei auch die Verbreitung der Erkenntnis sein, dass Geheimdienste, auch jenseits des Überwachungsaspekts, gerade nicht nützlich, sondern vielmehr schädlich sind. Geheimdienste machen diese Welt nicht sicherer, sondern unsicherer. Das haben viele Menschen noch nicht verstanden.

In den Texten von Sascha Lobo erkenne ich in letzter Zeit ein hohes Maß an Frustration, die offenbar daraus resultiert, dass weite Teile der (weltweiten) Bevölkerung die Überwachung durch Geheimdienste mehr oder minder gleichgültig hinnehmen. Der aktuelle Text Lobos, in dem sich viel FAZ- und Schirrmacher-typischer Kulturpessimismus wiederfindet, setzt die Schwerpunkte falsch. Lobo redet zu viel über das Internet bzw. darüber wie es aus seiner Sicht sein sollte, obwohl wir über unsere Gesellschaft und unseren Rechtsstaat reden müssten.

posted by Stadler at 11:27  
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