Der Rechtswissenschaftler Gerald Spindler hat sich auf einer Veranstaltung zur Zukunft des Urheberrechts laut Medienberichten dafür ausgesprochen, die Anonymität im Netz, die für viele Nerds eine heilige Kuh sei, auch mal zu schlachten. Wenn man dem Bericht auf Heise-Online glauben darf, wurden auf der besagten Konferenz in dieser Frage äußerungsrechtliche Aspekte mit urheberrechtlichen vermengt und speziell von Spindler Auswirkungen auf den Umfang der Haftungsprivilegien der E-Commerce-Richtlinie bzw. des TMG diskutiert.
Ulf Buermeyer hat die Diskussion auf Heise-Online kritisiert und vor Kollateralschäden für unser Gemeinwesen und die Demokratie gewarnt.
Wer die Debatte um bzw. gegen Anonymität im Internet gerade im urheberrechtlichen Kontext führt, sollte allerdings auch deutlich machen, dass wir einerseits bereits eine gesetzliche Regelung haben, die differenziert und andererseits das Urheberrechtsgesetz den Rechteinhabern weitreichende Instrumentarien zur Rechtsverfolgung an die Hand gibt, die in anderen Bereichen fehlen.
Für Diensteanbieter besteht nach dem TMG und dem RStV eine Pflicht zur Anbieterkennzeichung, lediglich bloße Nutzer haben die Möglichkeit, sich anonym im Netz zu bewegen.
Im Urheberrecht besteht bereits jetzt nach § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG die Möglichkeit, von Access- und Hostprovidern anhand ermittelter IP-Adressen, Auskunft über die Person des Inhabers eines Internetanschlusses zu verlangen. Diese gesetzliche Regelung hat im Bereich des Filesharing zur Entstehung einer fragwürdigen Abmahnindustrie geführt, eine Entwicklung die rechtspolitisch wohl eher zu hinterfragen wäre, als die anonyme Internetnutzung.
Zur Diskussion pro und contra Anonymität möchte ich, auch in Ergänzung zu dem was Ulf Buermeyer geschrieben hat, einfach mal fünf Thesen in den Raum stellen:
1. Es besteht die Gefahr, dass Nutzer, die nicht mehr die Möglichkeit haben, sich anonym oder unter Pseudonym zu äußern, sich künftig überhaupt nicht mehr trauen werden, ihre Meinung online zu artikulieren bzw. über ihre Erfahrungen zu berichten oder Informationen und Erlebnisse preiszugeben. Die Abschaffung der Anonymität im Netz, würde sich daher negativ auf die Meinungs- und Informationsfreiheit auswirken.
2. Menschen, die Anonymisierungsdienste benutzen, versuchen damit zu verhindern, dass ihr gesamtes Nutzungsverhalten von Dritten, seien es Unternehmen wie Google oder Facebook oder auch Behörden, erfasst und getrackt wird. Diese Nutzer machen damit letztlich nur von ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch, das durch eine weitreichende Klarnamenspflicht erheblich beeinträchtigt würde. Die Einführung einer Klarnamens- oder Registrierungspflicht aller Internetnutzer würde die Schreckensvision vom gläsernen Bürger Wirklichkeit werden lassen. Das wirft nicht nur Fragen auf, die sich um die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz sowie das Fernmeldegeheimnis drehen. Es geht hier letzten Endes um die Frage der Menschenwürde, denn der Einzelne droht zum Objekt des Staates degradiert zu werden bzw. mithilfe des Staates zum Objekt einzelner Interessengruppen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zielführend, die Frage der Anonymität isoliert in einem urheberrechtlichen oder persönlichkeitsrechtlichen Kontext zu diskutieren. Vielmehr muss die gesamte Tragweite einer solchen Forderung beleuchtet werden.
3. Bei äußerungsrechtlichen Sachverhalten ist zudem zu berücksichtigen, dass Art. 5 GG gerade auch anonyme Meinungsäußerungen schützt.
4. Es besteht keine Notwendigkeit für eine Klarnamenspflicht aller Nutzer. Für Diensteanbieter und Anbieter publizistischer Inhalte gibt es bereits ein „Vermummungsverbot“, weil sowohl das TMG als auch der RStV eine Anbieterkennzeichnung (Impressum) verlangen. Damit steht dann aber auch ein Portalbetreiber zur Verfügung, der, wenn auch eingeschränkt, auf Beseitigung oder Unterlassung haftet. Zudem kann nach neuerer Rechtsprechung auch von Suchmaschinenbetreibern verlangt werden, dass sie ihren Suchindex um rechtsverletzende Inhalte bereinigen. Das geltende Recht bietet also bereits verschiedenste Möglichkeiten, Rechtsverletzungen zu bekämpfen.
5. Eine Klarnamenspflicht im Internet funktioniert nicht. Selbst wenn jedes Portal und jeder Anbieter eine namentliche Registrierung aller Nutzer verlangen würde, wäre dennoch nicht kontrollierbar, ob sich die Nutzer nicht doch unter falschen Namen anmelden. Der Anbieter kann die Nutzerangaben nicht verifizieren.