Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

11.10.13

EGMR: Haftung eines Newsportals für Nutzerkommentare

In Estland wurde der Betreiber eines Newsportals zu Schadensersatz wegen der Veröffentlichung rechtswidriger Nutzerkommentare verurteilt, obwohl er die Kommentare zügig entfernt hatte, nachdem er auf die rechtswidrigen Inhalte der anonymen Kommentare hingewiesen wurde.

Haftung des Portalbetreibers für Nutzerkommentare verstößt nicht gegen Art. 10 MRK

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  hat diese Verurteilung durch estländische Gerichte gebilligt und hierin keinen Verstoß gegen Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) gesehen (Urteil vom 10.10.2013, Az.: 64569/09). Zur Begründung führt der EGMR u.a. aus, dass die Rechtsverletzung schwerwiegend gewesen sei, dass die Inanspruchahme der Autoren wegen der Anonymität der Postings erschwert war und die Gerichte nur einen sehr geringen Schadensersatz zugesprochen haben, der ein kommerzielles Portal nicht stark beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund sieht der Gerichtshof keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Portals auf Meinungsfreiheit. Bedenklich an der Entscheidung erscheint mir allerdings der Hinweis des Gerichts, dass das Portal nicht genug getan hätte, um rechtswidrige Kommentare zu verhindern. Das führt nämlich zu der Frage, ob man als Newsportal tatsächlich gehalten ist, Kommentare vorab nicht nur automatisiert zu filtern, sondern vielleicht sogar redaktionell zu prüfen. Die hierdurch ausgelösten Chilling-Effects beleuchtet der EGMR nicht ausreichend.

Verstößt die Haftung des Portalbetreibers gegen EU-Recht?

Mit der Frage, ob die Entscheidung der estländischen Gerichte gegen EU-Recht verstößt, hat sich der EGMR nicht zu befassen. Sein Prüfungsmaßstab ist nur die Menschenrechtskonvention. Die EU-rechtliche Fragestellung gehört allerdings zu den eigentlich spannenden Aspekten des Falles. Die Eröffnung der Möglichkeit Nutzerkommentare zu posten, dürfte nämlich grundsätzlich unter die Haftungsprivilegierung von Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie fallen, nachdem es sich um eine  Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen handelt. Die estländischen Gerichte hatten die Anwendung der Haftungsprivilegierung mit dem Argument abgelehnt, der Portalbetreiber habe ein wirtschaftliches Interesse daran, dass Nutzer Kommentare posten. Dieser Aspekt ist allerdings nach der Richtlinie kein geeignetes Kriterium um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Der estländische High Court hätte zumindest an den EuGH vorlegen müssen. Der EuGH geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass sich selbst Onlinemarktplätze wie eBay auf die Haftungserleichterung berufen können. Das wirtschaftliche Eigeninteresse ist also kein ausreichendes Argument um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Im übrigen ist die Frage, ob der Kommentarteil eines Newsportals im Hinblick auf die Haftung nicht eher mit einem sozialen Netzwerk vergleichbar ist, als mit einer Handelsplattform wie eBay. Bei sozialen Netzwerken hat der EuGH die Möglichkeit der Berufung auf Art. 14 der ECRL bejaht und zudem betont, dass den Betreibern wegen Art. 15 der ECRL keine allgemeine Filter- oder Überwachungspflicht auferlegt werden kann. Auf eine solche läuft die Rechtsprechung der estländischen Gerichte letztlich aber hinaus, denn die Schadensersatzhaftung lässt sich nur dadurch vermeiden, dass man bereits im Vorfeld prüft und filtert.

Zusammenfassung

Die Entscheidung des EGMR, der nur über einen Verstoß gegen Art. 10 MRK zu befinden hat, erscheint mir deshalb problematisch, weil er sich offenbar der Tragweite und der zu befürchtenden Chilling-Effects auf die Meinungsfreiheit nicht bewusst ist. Nicht zum Prüfungsmaßstab des EGMR gehört die Frage eines Verstoßes gegen die E-Commerce-Richtlinie. Ein solcher Verstoß liegt nach meiner Einschätzung materiell allerdings vor.

posted by Stadler at 10:12  

1.8.13

Das Internet ist ein grundrechtsfreier Raum

Dass die Geheimdienste in eher großem als in kleinem Stil das Internet und die Telekommunikation überwachen, wusste man irgendwie bereits vor Snowden, auch wenn dieser Umstand bislang nicht in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit vorgedrungen war.

Was Glenn Greenwald jetzt im Guardian schreibt, geht aber sogar über das hinaus, was bisher von Menschen behauptet wurde, die in dem Ruf stehen, Verschwörungstheoretiker zu sein. Die NSA betreibt danach nicht nur eine weitgehende Speicherung der individuellen Kommunikation (E-Mails, Chats, Browser-History), sondern das Programm XKeyscore bietet auch umfangreiche Recherchemöglichkeiten anhand unterschiedlichster Kriterien. Nachdem wir außerdem bereits aus öffentlich zugänglichen Dokumenten wissen, dass die US-Geheimdienste bestrebt sind, alle verfügbaren Daten in einem großen Datenpool wiederum allen Einzeldiensten, verschiedenen Behörden, dem Militär und autorisierten Mitarbeitern von Privatfirmen zur Verfügung zu stellen, ergibt sich so die Möglichkeit einer Form der Rasterfahndung, die auch die Informiertesten unter uns nicht für möglich gehalten haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung gewinnt damit auch der Bericht des Spiegel, wonach auch BND und Verfassungsschutz XKeyscore einsetzen, nochmals an Bedeutung. Die Frage ist insoweit, auf welche Datenbestände deutsche Dienste Zugriff haben bzw. auch, welche Daten deutsche Dienste an die NSA liefern.

Mir klingt noch die speziell von konservativen Politikern gerne wiedergekäute Plattitüde, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe, im Ohr. Wir müssen allerdings gerade erkennen, dass das Internet nicht nur ein rechtsfreier, sondern sogar ein grundrechtsfreier Raum geworden ist. Die Geheimdienste haben ihn, mit Billigung und tatkräftiger Unterstützung der Politik dazu gemacht. Das Recht hat hier offenbar seine Wirkung verloren. Und selbst die Fantasie eines George Orwell war nicht ausreichend, um diese Form der Vermessung der Welt vorauszuahnen, von der wir nunmehr scheibchenweise Kenntnis erlangen.

Die deutsche Politik hat diesem organisierten Rechtsbruch ganz augenscheinlich nichts entgegenzusetzen und sie erweckt auch überhaupt nicht den Eindruck, als wäre sie bereit, irgendetwas zum Schutz der Grundrechte ihrer Bürger zu unternehmen. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass die Bundesregierung seit Jahren, zumindest im Groben weiß, was vor sich geht.

posted by Stadler at 11:18  

26.4.13

Die EU-Kommission wünscht keine ergebnisoffene Überprüfung der Vorratsdatenspeicherung

Mit Beschluss vom 18.04.2013 hat die EU-Kommission eine Beschluss

zur Einsetzung einer Expertengruppe für vorbildliche Verfahrensweisen bei der Vorratsspeicherung elektronischer Kommunikationsdaten zum Zwecke der Untersuchung, Aufdeckung und Verfolgung schwerer Straftaten (Expertengruppe „Vorratsdatenspeicherung“)

gefasst. Der Beschluss zeigt deutlich, dass die Kommission an einer ausgewogenen und ergebnisoffenen Evaluierung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung kein Interesse hat.

Die Kommission macht mit dem Ausschreibungskriterium

ernsthafter Wille, sich für die effektive, effiziente Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen

vielmehr deutlich, dass kritische Sachverständige ohnehin keine Chance haben, in die Expertengruppe berufen zu werden. Ein deutliches Übergewicht werden Vertreter von Polizei- und Sicherheitsbehörden erhalten, eine wohl nur alibimäßige Position wird Vertretern von Datenschutzbehörden zukommen. Wissenschaftler sind ebenso wenig vorgesehen, wie Vertreter der Zivilgesellschaft. Bürgerrechtliche Positionen möchte man wohl von vornherein vermeiden, bzw. in der Minderheit halten.

Mein Eindruck, dass die Kommission mehrheitlich aus Technokraten und Antidemokraten besteht, verstärkt sich weiter. Der Bürger spielt in den Überlegungen der Kommission kaum eine Rolle, solange man ihn nicht eindimensional als Verbraucher betrachten kann. Nur in seiner Verbraucherrolle muss der Bürger auf Biegen und Brechen geschützt werden, während ansonsten versucht wird, ihm seine Grundrechte möglichst zu entziehen.

Auf netzpolitik.org berichtet Andre Meister über den Beschluss der Kommission.

 

posted by Stadler at 21:58  

24.4.13

Ausgestaltung der Antiterrordatei teilweise verfassungswidrig

Das vielleicht Interessanteste an der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.04.2013, Az.: 1 BvR 1215/07) zur Antiterrordatei, ist die Grußadresse in Richtung des EuGH. Eine Vorlage an den EuGH ist nach Ansicht der Verfassungsrichter nicht geboten, denn die europäischen Grundrechte sind im Falle der Antiterrordatei von vornherein nicht anwendbar und der Europäische Gerichtshof ist insoweit auch nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Grundgesetzes. Sollte eine aktuelle Entscheidung des EuGH (Urteil vom 26.02.2013, Az.: C-617/10) eine andere Lesart nahelegen, so geht das BVerfG im Sinne eines kooperativen Miteinanders davon aus, dass der EuGH nur einen Sonderfall entschieden hat, aber damit keine grundsätzliche Aussage verbunden ist.

Klingt nach einer Kampfansage in Richtung Luxemburg dahingehend, dass man sich in Karlsruhe die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und es nicht akzeptieren wird, sollte der EuGH versuchen, auch die Grundrechtsauslegung weitgehend an sich zu ziehen.

Was die Antiterrordatei angeht, hat das BVerfG deutlich gemacht, dass diese zwar in ihrer Grundstruktur verfassungskonform ist, aber nicht in der konkreten Ausgestaltung.

Der Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten und normalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ist nur in Ausnahmefällen möglich. Der erfasste Personenkreis ist in Teilen zu unbestimmt und zu weitreichend definiert. Wegen der fehlenden Transparenz der Antiterrordatei müssen zudem die Aufsichtsinstanzen, derzeit die Datenschutzbeauftragten, mit wirksamen Befugnissen ausgestattet sein. Dazu müssen Zugriffe und Änderungen im Datenbestand vollständig protokolliert und den Datenschutzbeauftragten in praktikabel auswertbarer Weise zur Verfügung gestellt werden.

Außerdem ist auch die vollständige und uneingeschränkte Einbeziehung der durch Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 (Telekommunikationsgeheimnis) und in Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) erhobenen Daten in die Antiterrordatei nicht mit der Verfassung vereinbar. Solche Daten können allenfalls verdeckt eingestellt werden, so dass sie nicht bei allgemeinen Abfragen zugänglich sind, sondern nur dann, wenn fachrechtliche Eingriffsvorschriften vorliegen, die ihrerseits verfassungsrechtlich gebotene qualifizierte Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz sicherstellen.

Insgesamt also eine weitere Ja-Aber-Entscheidung aus Karlsruhe, die im Detail eine ganze Reihe von Einzelregelungen als verfassungswidrig qualifiziert.

 

posted by Stadler at 17:31  

12.4.13

BVerfG greift in Streit um die Sitzplatzvergabe beim NSU-Prozess ein

Das Bundesverfassungsgericht hat im NSU-Prozess den Vorsitzenden Richter mit Beschluss vom heutigen 12.04.2013 angewiesen, eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben.

Das ist eine schwere Klatsche für das OLG München und m.W. das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht in die Frage der Journalistenakkreditierung eines Strafprozesses eingreift.

Ehrlich gesagt hatte ich den Eilanträgen türkischer Medien zunächst keine großen Erfolgsaussichten eingeräumt, weil die Platzvergabe nach dem Prioritätsprinzip im Regelfall nicht zu beanstanden ist. Das hat sich erst geändert, als nach und nach bekannt wurde, dass es selbst bei diesem Verfahren Unregelmäßigkeiten gegeben hatte und offenbar auch eine unzureichende Informationspolitik des Oberlandesgerichts speziell gegenüber ausländischen Medien. Und genau dieser Umstand spielt auch im Beschluss des BVerfG eine durchaus tragende Rolle.

Das BVerfG hat, wie bei Eilentscheidungen zulässig und üblich, noch keine abschließende Position zur Frage der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde der türkischen Zeitung bezogen, sondern sich primär auf eine Folgenabwägung beschränkt.

Gleichwohl deutet alles darauf hin, dass das Verfassungsgericht einen Gleichheitsverstoß im publizistischen Wettbewerb für äußerst naheliegend hält. Die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts sind, wenn man die bei Eilverfahren immer gebotene große Zurückhaltung berücksichtigt, bereits vergleichsweise deutlich:

Hier könnte von Bedeutung sein, dass die Justizpressestelle des Oberlandesgerichts einzelnen Medienvertretern bereits vorab die voraussichtliche Berücksichtigung der Akkreditierung nach der Reihenfolge der Eingänge mitgeteilt hat. Dabei wäre allerdings zu berücksichtigen, inwieweit sich eine verzögerte Information der Beschwerdeführer auf ihre Chance auf Zuweisung eines festen Sitzplatzes auswirkte. In Anbetracht des zu erwartenden und laut Stellungnahme des zuständigen Vorsitzenden auch erwarteten Medienandrangs kann zu erwägen sein, ob wegen des hierbei naheliegenden besonderen Interesses auch ausländischer Medien, insbesondere aus den Herkunftsländern der Opfer der angeklagten Straftaten, die Anwendung des Prioritätsprinzips bei der Akkreditierung und der Beginn des Akkreditierungsverfahrens rechtzeitig und auch für Unerfahrene eindeutig hätte angekündigt werden müssen. In Betracht zu ziehen ist auch, ob im Sinne der Fairness des Verfahrens dabei auf die absehbar jedenfalls begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Sitzplätze für Medienvertreter hätte hingewiesen werden müssen, so dass sich gerade auch ausländische Medien, die nicht regelmäßig an deutschen Gerichtsprozessen teilnehmen, auf die Knappheit der Sitzplätze und die Eilbedürftigkeit der Anmeldung besser hätten einstellen können. Vor diesem Hintergrund können auch weitere Umstände des in Frage stehenden Akkreditierungsverfahrens verfassungsrechtlich gewürdigt werden, wie die Tatsache, dass die Geltung des Prioritätsprinzips in der Verfügung vom 4. März 2013 lediglich in Verbindung mit der Akkreditierung als solcher, nicht aber explizit in Verbindung mit einer Sitzplatzvergabe genannt wurde und die ausdrückliche Unterscheidung zwischen Akkreditierung und nachfolgender Sitzplatzvergabe erst nachträglich am 22. März 2013 verfügt wurde. Schließlich stellt sich auch die Frage, ob in Anbetracht der Herkunft der Opfer ausnahmsweise ein zwingender Sachgrund für eine eventuell teilweise Differenzierung zwischen verschiedenen Medien beispielsweise im Sinne einer Quotenlösung gegeben gewesen wäre.

Man kann nur hoffen, dass sich der bisherige, eher dilettantische Umgang des OLG München mit dem NSU-Verfahren in der Hauptverhandlung nicht fortsetzen wird.

Update vom 16.04.2013:
Dass sich das OLG München nunmehr dazu entschlossen hat, den Prozessbeginn zu verschieben und das Akkreditierungsverfahren vollständig zu wiederholen, anhand von Kriterien, die bislang nicht nicht bekannt gegeben worden sind, ist wohl die schlechteste aller Lösungen, passt allerdings zum Bild eine sturen und unbelehrbaren Senatsvorsitzenden.

Eine vollständige Neuvergabe der Presseplätze bietet sicherlich das größte Angriffspotential für weitere Verfassungsbeschwerden, denn einige Pressevertreter, die bislang einen Platz hatten, werden nun vermutlich leer ausgehen und sich benachteiligt fühlen. Das BVerfG hatte dem Gericht durchaus die Möglichkeit einer kleinen und wenig angreifbaren Lösung aufgezeigt. Der Vorsitzende hätte einfach die Saalöffentlichkeit um drei Plätze reduzieren und diese freien Plätze türkischen Medien – nach dem Losverfahren – zuteilen können. Juristisch wäre das kaum angreifbar gewesen.

Update vom 01.05.2013
Dass das vom OLG München nunmehr durchgeführte Losverfahren ebenfalls wieder fehlerhaft war, passt ins bisherige Bild. Um die angekündigten weiteren Verfassungsbeschwerden bzw. Eilanträge zum Bundesverfassungsgericht hat man in München durch die Entscheidung, die Akkreditierung komplett neu durchzuführen, förmlich gebettelt. Dabei hatte das BVerfG dem Vorsitzenden Richter, wie gesagt, eine einfache und unangreifbare Lösung aufgezeigt.

Der offenkundig gewordene Eigensinn und die Sturheit des Vorsitzenden Richters lässt bereits im Vorfeld Zweifel daran aufkommen, ob er wirklich die Befähigung besitzt, einen der bedeutendsten Strafprozesse der Geschichte der Bundesrepublik zu leiten.

Als Organ der Rechtspflege, das ich als Anwalt nach dem Gesetz bin, schäme ich mittlerweile für das unwürdige Schauspiel, das uns die Münchener Justiz derzeit präsentiert.

posted by Stadler at 22:06  

27.3.13

BayVGH: „Hygienepranger“ im Internet ist unzulässig

Die Stadt München hat bis vor kurzem die bei amtlichen Betriebskontrollen festgestellten lebensmittel- bzw. hygienerechtlichen Mängel u.a. in Gastronomiebetrieben im Internet auf einer hierfür eingerichteten Plattform (www.lgl.bayern.de) veröffentlicht.

Das ist ihr jetzt vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorläufig untersagt worden. In der Pressemitteilung des VGH heißt es hierzu:

Der BayVGH hat erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung. Zum Schutz der Rechte der Antragsteller erscheint es nach Auffassung des Senats deshalb geboten, die geplante Internet-Veröffentlichung vorläufig zu untersagen. Nach einer Vorschrift aus dem deutschen Lebensmittelrecht informiert die Behörde die Öffentlichkeit u.a. dann, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften verstoßen wurde, die dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 EUR zu erwarten ist. Nach Auffassung des BayVGH bestehen Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Vorschrift. Denn nach Europarecht sei eine Information der Öffentlichkeit nur bei einem hinreichenden Verdacht eines Gesundheitsrisikos zulässig, die nationale Vorschrift habe hingegen eine deutlich über die Warnung vor Gesundheitsgefahren hinausgehende, generalpräventive Zielsetzung. Zudem hat der Senat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, u.a. weil angesichts der zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen der gesetzlich vorgesehene Schwellenwert von nur 350 Euro für das prognostizierte Bußgeld unverhältnismäßig gering erscheine. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Veröffentlichung im Internet, denn die Mängel seien zum Veröffentlichungszeitpunkt häufig bereits behoben. Schließlich sei zweifelhaft, ob die Norm ausreichend bestimmt sei. Denn die Eingriffsschwelle werde lediglich mit der Prognose eines zu erwartenden Bußgelds in Höhe von 350 Euro beschrieben. Die Verwaltungspraxis sei insoweit unvorhersehbar.

Das Gericht hat die einstweilige Untersagung allerdings mit einem „Verfallsdatum“ versehen. Die Untersagung wird unwirksam, sofern die Antragstellerin nicht bis zum 30. April 2013 ein Hauptsacheverfahren einleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens ist eine Vorlage an den EuGH und an das BVerfG denkbar, um die vom VGH bezweifelte Vereinbarkeit des deutschen Lebensmittelrechts mit dem europäischen Recht und dem Grundgesetz zu klären. Nachdem ein erhebliches Verbraucherinteresse an derartigen Informationen besteht, wäre eine eindeutige europarechtliche Regelung in jedem Falle wünschenswert. Aber das ist eine Aufgabe der Politik.

posted by Stadler at 16:48  

22.3.13

BayVGH: Automatisierte KFZ-Kennzeichenerfassung zulässig

Ein Pendler, der auf seiner Fahrtstrecke regelmäßig Geräte zur automatisierten Kennzeichenerkennung und -erfassung passiert, hatte gegen den Freistaat Bayern auf Unterlassung geklagt, mit dem Ziel, dass der Freistaat Bayern Kennzeichen von auf ihn zugelassenen Fahrzeugen nicht mehr durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme erfassen und mit polizeilichen Dateien abgleichen darf. Es geht dem Kläger darum, eine ständige polizeiliche Überwachung in der Art eines „Bewegungsbildes“ zu verhindern.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 17.12.2012, Az.: 10 BV 09.2641) sieht in der Maßnahme zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, hält die Vorschriften des Polizaufgabengesetzes, die diesen Eingriff rechtfertigen sollen, aber noch für verfassungskonform. Nach Art. 33 Abs. 2 S. 2 BayPAG können durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme bei Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst werden. Zulässig ist unter gewissen Voraussetzungen auch der Abgleich der Kennzeichen mit polizeilichen Fahndungsbeständen. In den Urteilsgründen heißt es dazu u.a.:

Ein nicht mehr zu rechtfertigender Grundrechtseingriff bestünde des Weiteren bei einem routinehaften und flächendeckenden Einsatz der Erfassungssysteme. Auch insoweit hat der bayerische Gesetzgeber aber tatbestandliche Eingrenzungen vorgesehen. Nach Art. 33 Abs. 2 Satz 5 PAG ist der flächendeckende Einsatz der Kennzeichenerfassung grundsätzlich nicht erlaubt. Auch durch die Normierung von Anlass und Zweck sowie dem Erfordernis des Vorhandenseins bestimmter Lageerkenntnisse ist eine routinehafte Erfassung von vorneherein nicht zulässig.

Hier stellt sich allerdings ein Problem, das auf der Schnittstelle zwischen Bestimmtheit der Norm und Verhältnismäßigkeit anzusiedeln ist. Denn die relativ unklare und im Einzelfall schwer überprüfbare Voraussetzung, dass bestimmte Lageerkenntnisse vorhanden sein müssen, eröffnet den Behörden durch Behauptung entsprechender Gefährdungslagen einen weiten und effektiv nicht mehr nachprüfbaren Spielraum bei der Anordnung einer Kennzeichenerfassung.

Man merkt der Urteilsbegründung förmlich an, dass sich der Senat windet, zumal er betont, dass die gesetzliche Regelung trotz Bedenken hinsichtlich einzelner Gesichtspunkte bei der gebotenen Gesamtabwägung noch verhältnismäßig sei. Das ist eine staats- aber keine grundrechtsfreundliche Betrachtungsweise. Da liegt eine Verfassungsbeschwerde nahe.

posted by Stadler at 11:09  

21.3.13

Fragwürdige Berichterstattung zur Bestandsdatenauskunft

In der Diskussion um die Neuregelung der sog. Bestandsdatenauskunft nach dem TKG nimmt die fragwürdige und falsche Berichterstattung leider zu.

Das Portal netzpolitik.org behauptet zum wiederholten Mal, dass eine Abhörschnittstelle geschaffen werden soll, die dafür sorgt, dass „die Identifizierung von Personen anhand ihrer IP-Adresse im Internet zukünftig für deutsche Behörden per Knopfdruck“ möglich werden soll. Das suggeriert, die Ermittlungsbehörden könnten künftig automatisiert und direkt Bestandsdaten bei den TK-Providern abrufen.

Das ist aber nicht der Fall. Richtig ist vielmehr, dass das Gesetz eine vollautomatisierte Abfrage nicht ermöglicht. Jedes Auskunftsverlangen muss vom Provider durch eine verantwortliche Fachkraft einzeln darauf geprüft werden, ob die Anfrage von einer zuständigen Stelle unter Berufung auf eine einschlägige gesetzliche Befugnisnorm erfolgt.

Noch absurder ist leider die Berichterstattung, dass sich der Staat mit der Neuregelung Zugriff auf Banking-PINs verschaffen würde. Offenbar hat man hierbei die Begriffe PIN (und PUK) dahingend missverstanden, dass es sich hierbei um Zugangsdaten zum Online-Banking handeln würde.

Das Gesetzesvorhaben ist nach wie vor kritikwürdig, aber haarsträubende Falschbehauptungen wie die oben geschilderten, tragen nur zur Desinformation bei.

posted by Stadler at 15:04  

11.3.13

Neuregelung der Bestandsdatenauskunft möglicherweise erneut verfassungswidrig

Die sog. Bestandsdatenauskunft von TK-Anbietern gegenüber Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden muss wegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden. Darüber hatte ich im letzten Jahr bereits ausführlich berichtet.

Der Gesetzesentwurf befindet sich mittlerweile im Gesetzgebungsverfahren, der Innenausschuss hat heute dazu eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Die Einschätzungen der Sachverständigen waren erwartungsgemäß unterschiedlich.

Für lesenswerte halte ich die schriftliche Stellungnahme von Prof. Matthias Bäcker, der die Ansicht vertritt, dass der Entwurf einer Neufassung des § 113 TKG teils die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verletzt, reglungsbedürftige Fragen nicht regelt und deshalb gegen Grundrechte verstößt.

Bäcker geht insbesondere davon aus, dass der Bund (im TKG) abschließend regeln muss, aus welchen Anlässen und zu welchen Zielen die Daten übermittelt werden dürfen und dies nicht den fachspezifischen Regelungen von Bund und Ländern überlassen werden darf. Denn der Zweckbindungsgrundsatz erfordert laut Bäcker, dass eine solche Regelung unmittelbar im TKG erfolgt. Der Entwurf regelt aber in 113 Abs. 3 TKG-E nur, an welche Behörden die Daten übermittelt werden dürfen, nicht aber, unter welchen Voraussetzungen dies zulässig ist.

Ferner hält Bäcker beispielsweise auch die geplante Abfrageermächtigung im BKA-Gesetz für verfassungswidrig, weil die in § 7 Abs. 3 BKAG-E enthaltene Ermächtigung dem Bundeskriminalamt in seiner Funktion als Zentralstelle eine zu weitreichende Befugnis zu Bestandsdatenabrufen im Vorfeld konkreter Gefahren oder strafprozessualer Verdachtslagen einräumt. Die vorgesehene Regelung ermöglicht dem BKA laut Bäcker Bestandsdatenabfragen zur Unterstützung von kriminalstrategischen Analysen zu nutzen, die es unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten durchführt kann.

Darin könnte man eine Art kleine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür sehen. Dies ist jetzt allerdings meine eigene Schlussfolgerung und nicht die von Bäcker. Denn wenn das BKA aufgrund einer zu weitreichenden Ermächtigungsnorm verdachtsunabhängig Daten anfordern – und anschließend natürlich auch speichern – kann, wird damit in gewissem Maße faktisch auch eine anlassunabhängige Speicherung von Daten ermöglicht, die später u.U. unkontrolliert für andere strafprozessuale oder präventive Zwecke Verwendung finden könnten.

posted by Stadler at 17:46  

18.2.13

BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde gegen biometrischen Reisepass nicht an

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der Schriftstellerin Juli Zeh gegen den biometrischen Reisepass nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. vom 30.12.2012, Az.: 1 BvR 502/09).

Obwohl das BVerfG zu verstehen gibt, dass sich insoweit schwierige materiell-rechtliche Fragen stellen, geht es im konkreten Fall davon aus, dass eine Verletzung der Rechte der Antragsteller nicht ausreichend dargelegt worden ist, weshalb man bereits die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verneint. Das BVerfG wörtlich:

Obwohl die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen maßgeblich von diesem Nutzungsregime abhängt, gehen die Beschwerdeführer nicht sachhaltig auf diese Vorschriften ein und greifen auch die damit zusammenhängende Frage, ob die verschiedenen, das Nutzungsregime der biometrischen Daten bestimmenden Vorschriften einzeln oder in ihrem Zusammenspiel geeignet sind, die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Vorschriften sicherzustellen, nicht auf. Damit werden sie den an die Substantiierung der Verfassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen – unabhängig von der Frage, wie die angegriffenen Vorschriften materiell verfassungsrechtlich zu würdigen sind – nicht gerecht. Auch gehen die Beschwerdeführer nur kursorisch auf eine etwaige Nutzung der gespeicherten Daten durch ausländische Staaten ein.

Nachdem ich die Beschwerdeschrift und den konkreten Vortrag nicht kenne, ist eine Einschätzung natürlich schwierig zu treffen. Man hat aber beim BVerfG verstärkt den Eindruck, dass man dort nur noch das annimmt, was man annehmen will und dementsprechend flexibel auch mit der Zulässigkeitshürde umgegangen wird. Im konkreten Fall stellt sich die Frage, welche Ausführungen man als betroffener Bürger denn zum (behördlichen) Nutzungsregime vernünftigerweise überhaupt machen kann. Man müsste dazu vorab die Regelungen des § 16 und 16a PassG auch im Hinblick auf ihre technische Umsetzung bzw. Umsetzbarkeit überprüfen lassen, was mir deutlich übertrieben erscheint. Noch schwieriger dürfte es aus Sicht des betroffenen Bürgers sein, im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde den möglichen Missbrauch der Daten durch andere Staaten darzulegen. Genau das scheint das Bundesverfassungsgericht aber zu erwarten.

Die Frage, ob und bis zu welchem Grad man sich als Bürger von der Passbehörde erkennungsdienstlich behandeln lassen muss, erscheint mir außerdem, auch unabhängig vom Ausmaß und Umfang der Nutzung, eine grundrechtlich relevante Frage zu sein. Das Gericht scheint allerdings die Erhebung biometrischer Daten für unproblematisch zu halten und möchte mit einer Prüfung erst bei der Frage der anschließenden Verwendung der Daten ansetzen. Das erinnert mich entfernt an die Argumentationslinie aus dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung. Man darf den Geist also schon aus der Flasche lassen, wenn man ihn anschließend noch ausreichend kontrolliert und seine übermäßige Ausbreitung verhindert. Ob man mit diesem Ansatz in Karlsruhe künftig noch für einen hinreichenden Schutz der Grundrechte sorgen kann und wird, darf bezweifelt werden. In beiden Fällen wollte sich das Gericht aber ersichtlich nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Vorgaben des EU-Rechts mit den Grundrechten kollidieren.

Es wäre natürlich auch interessant zu wissen, welche Anforderungen das Gericht hätte genügen lassen, um die Zulässigkeit zu bejahen und in die materielle Prüfung einzusteigen. Auf derartige Fragen bekommt man freilich niemals eine Antwort. Vielleicht möchte es ja noch mal jemand mit einer (vermeintlich) substantiierteren Begründung versuchen, um zu sehen, ob eine weitere Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe dann wieder abgebügelt wird.

Update vom 19.02.2013:
Die Verfassungsbeschwerde ist im Volltext online, so dass sich jedermann selbst ein Bild davon machen kann, ob das Verfassungsgericht die Zulässigkeit zu Recht verneint hat.

posted by Stadler at 12:29  
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