Kaum war man der Meinung, dass die Frage der Zulässigkeit von Lehrerbewertungen im Internet wegen des Urteils des BGH „spickmich.de“ und der Nichtannahme der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde endgültig geklärt sei, wirft ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10.03.2010 (Az.: 7 B 09.1906) neue Fragen auf.
Der VGH hat entschieden, dass die Eröffnung eines Internetforums durch einen Schüler, in dem zur Bewertung eines Lehrers aufgerufen wird, einen Verstoß gegen schulrechtliche Verhaltenspflichten darstellt, der den Ausspruch eines (verschärften) Verweises rechtfertigt.
Zur Begründung führt der BayVGH u.a. aus:
In der Eröffnung des Forums lag ein dem Kläger vorwerfbarer Verstoß gegen schulrechtliche Verhaltenspflichten, weil er damit für seine Mitschüler einen erhöhten Anreiz geschaffen hat, sich in ehrverletzender Weise öffentlich über einen Lehrer zu äußern. Es entspricht allgemeiner Erfahrung und musste auch dem damals dreizehnjährigen Kläger bekannt sein, dass die Hemmschwelle für Beleidigungen deutlich absinkt, wenn der mögliche Täter damit rechnen kann, unerkannt zu bleiben. Bei dem hier zu beurteilenden Internetforum, zu dem sich jedermann unter einem beliebigen Phantasienamen als Teilnehmer anmelden konnte, lag diese Voraussetzung vor. Wie die Gesamtliste der Beiträge zeigt, gab keiner der Diskutanten seine wirkliche Identität zu erkennen. In dieser Atmosphäre allgemeiner Anonymität fiel es den Verfassern der Beiträge besonders leicht, die Grundregeln des sozialen Umgangs zu missachten und sich in persönlich verletzender Form über den genannten Lehrer zu verbreiten. Wie oft es bis zur Schließung des Forums tatsächlich zu solchen Beleidigungen kam, ist für die Bewertung des klägerischen Verhaltens nicht entscheidend.
Ist die Meinungsfreiheit eines Schülers – außerhalb der Schulzeit wohlgemerkt – durch das bestehende Sonderrechtsverhältnis tatsächlich derartig stark eingeschränkt?
Das Verhalten des Schülers müsste geeignet sein, den Schulfrieden zu stören und den Bildungsauftrag der Schule ernstlich gefährden. Insoweit überzeugt die Begründung des VGH nicht. Der zentrale Begründungsansatz, die Eröffnung eines solchen Forums würde den Anreiz erhöhen, einen Lehrer zu beleidigen, geht über eine Behauptung nicht hinaus. Offenbar ist es auch nicht zu (klaren) Beleidigungen gekommen, sonst wäre dies dem Urteil zu entnehmen.
Wesentlich ist auch hier, dass der betroffene Schüler von einem Grundrecht Gebrauch macht. Insoweit sind auch die Vorschriften des bayerischen Schulrechts, auf die sich der VGH stützt, im Lichte des Kommunikationsgrundrechts des Art. 5 GG auszulegen. Die lediglich spekulative Annahme des Gerichts, aufgrund der Möglichkeit einer anonymen Teilnahme an einem Diskussionsforum wäre eine erhöhte Gefahr der Beleidigungen gegenüber Lehrern gegeben, bietet m.E. keine ausreichende Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs.
Auch die Ausführungen des VGH zur Frage eines Widerspruchs zur Entscheidung des BGH überzeugen mich nicht. Ausgehend vom Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung muss nämlich die Frage gestattet sein, ob die Grundrechtsabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, die der BGH in seinem Urteil vorgenommen hat, nicht auch hier zwingend zum selben Ergebnis hätte führen müssen.