Die angebliche Notwendigkeit des deutschen Zugangserschwerungsgesetzes, das die Blockade von kinderpornografischen Websites durch Access-Provider vorsieht, wurde sowohl in der politischen Disksussion als auch im Gesetzgebungsverfahren stets damit begründet, dass Kinderpornografie über kommerzielle Websites verbreitet würde und es insoweit einen Massenmarkt gäbe, der ausgetrocknet werden müsse.
In der Begründung des ersten Gesetzesentwurfs vom 05.05.2009 hieß es hierzu:
Der Großteil der Kinderpornographie im Bereich des World-Wide-Web wird mittlerweile über kommerzielle Webseiten verbreitet, die in Drittländern außerhalb der Europäischen Union betrieben werden.
Schon damals war für jeden, der sich mit den Fakten beschäftigt hat, erkennbar, dass diese Begründung nicht tragfähig ist. Genau das wird nunmehr erneut durch eine neue Studie der European Financial Coalition against commercial sexual exploitation of children online (EFC) bestätigt. Heise berichtet über die Studie der von der EU geförderten Organisation, deren Fazit es ist, dass es nur eine Handvoll einschlägiger gewerblicher Websites gibt, die zudem keinen hohen Profit abwerfen. Für die Studie wurde eine Datenbank von angeblich ca. 14.500 verdächtigen Websites ausgewertet. Hierbei wurde von der EFC festgestellt, dass nur 46 dieser Websites tatsächlich aktuelle Darstellungen von Kindesmissbrauch enthielten, wovon wiederum 24 als kommerziell einzustufen waren. Es gibt also im WWW kaum Kinderpornografie. Die Verbreitungswege sind nämlich andere.
Diese Ergebnisse werfen freilich auch die Frage auf, welche hunderte oder gar tausende von Websites auf den geplanten Sperrlisten geführt werden sollen, die Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes sind.
Die Studie bestätigt außerdem, dass Pädophile regelmäßig kleinere abgesicherte Räume im Internet zum Tausch von einschlägigem Material bevorzugen und der Austausch nicht primär über das frei zugängliche Web stattfindet.
Damit erweisen sich praktisch alle zur Begründung von Netzsperren vorgebrachten Argumente als sachlich falsch. Man darf gespannt sein, wie sich diese Studie auf das Vorhaben von EU-Kommissarin Malmström auswirkt, das Access-Blocking per EU-Richtlinie vorzuschreiben.
Zu diesem Richtlinienentwurf finden heute und morgen Ausschuss-Anhörungen im EU-Parlament statt, wobei die Liste der Redner überwiegend aus Sperrbefürworten besteht. Das ist auch angesichts des Umstands, dass die Mehrzahl der technischen und juristischen Sachverständigen solchen Access-Sperren kritisch bis ablehnend gegenüber steht, durchaus bemerkenswert. Wenn man speziell bei den Rednern der „Civil Society“ nach Vertretern von Bürgerrechtsorganisationen sucht, dürfte Joe McNamee von EDRi der einzige Name sein, der einem auffällt.
Update: Der Verein MOGIS (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren) hat einen offenen Brief an die Mitglieder des LIBE-Ausschusses des EU-Parlaments gerichtet, in dem u.a. dargestellt wird, weshalb Access-Blockaden auch aus Opfersicht nicht zu befürworten sind.