Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

11.11.15

BGH: E-Mails dürfen nicht heimlich beschlagnahmt werden

E-Mails und Daten auf Mailservern dürfen grundsätzlich nicht heimlich beschlagnahmt werden, hat der BGH mit Beschluss vom 04.08.2015 (Az.: 3 StR 162/15) entschieden, was er wie folgt begründet:

Bei der Beschlagnahme der auf dem Mailserver eines Providers gespeicherten Daten handelt es sich um eine offene Ermittlungsmaßnahme, deren Anordnung den davon Betroffenen und den Verfahrensbeteiligten bekannt zu machen ist (§ 33 Abs. 1, § 35 Abs. 2 StPO). Eine Zurückstellung der Benachrichtigung wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks sieht die Strafprozessordnung für diese Untersuchungshandlung – anders als § 101 Abs. 5 StPO für die in § 101 Abs. 1 StPO abschließend aufgeführten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen – nicht vor (BGH, Beschluss vom 24. November 2009 – StB 48/09, NJW 2010, 1297, 1298). Der Auffassung des Landgerichts, den Strafverfolgungsbehörden falle Willkür dann nicht zur Last, wenn sie aufgrund eines „nachvollziehbaren Interesses“ an der Geheimhaltung der Beschlagnahme von Benachrichtigungen absehen, geht daher fehl. Es ist nicht Sache der Ermittlungsbehörden oder Gerichte, in Individualrechte eingreifende Maßnahmen des Strafverfahrens je nach eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen zu gestalten; sie sind vielmehr an das Gesetz gebunden. Es wäre allein Sache des Gesetzgebers, eine Regelung in die Strafprozessordnung einzufügen, die es den Ermittlungsbehörden gestattet, Beschlagnahmen vor den davon Betroffenen aus ermittlungstaktischen Gesichtspunkten zunächst zu verheimlichen und erst dann offen legen zu müssen, wenn dadurch die weiteren Ermittlungen nicht mehr gefährdet werden. Jedenfalls seit der Veröffentlichung des Senatsbeschlusses vom 24. November 2009 musste dies auch den in vorliegender Sache ermittelnden Stellen bewusst sein.

Da der BGH damit aber kein Beweisverwertungsverbot verknüpft, haben die Betroffenen im Ergebnis davon nicht viel. Der BGH führt ergänzend aus:

Im Ergebnis folgt der Senat indes dem Landgericht und dem Generalbundesanwalt darin, dass der Gesetzesverstoß im konkreten Fall kein Beweisverwertungsverbot begründet. Maßgeblich hierfür ist insbesondere, dass die Beschlagnahme als solche rechtmäßig war; Ermittlungsbehörden und Gericht haben daher befugt Kenntnis der daraus herrührenden verfahrensrelevanten Tatsachen erlangt. Allein der an die zulässige Beschlagnahme anschließende Gesetzesverstoß der unterlassenen Mitteilung hat hier – insbesondere auch vor dem Hintergrund des erheblichen Tatvorwurfs – nicht das Gewicht, die rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse für das Verfahren zu sperren.

Der BGH schränkt dies allerdings anschließend nochmals ein und ergänzt:

Anders könnte es allerdings für den Fall liegen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Benachrichtigung deshalb unterlassen, weil sie beabsichtigen, den Eingriff – unter den erleichterten Voraussetzungen der §§ 94, 98 StPO – in zeitlichem Abstand zu wiederholen. Eine so provozierte Fortsetzung belastender E-Mail-Kommunikation und Verwertung hieraus gewonnener Erkenntnisse ist hier jedoch nicht Gegenstand der Rüge.

posted by Stadler at 12:22  

24.9.15

Urteil des BGH zu elektronischen Leseplätzen im Volltext

Die Entscheidung des BGH zu elektronischen Leseplätzen ist jetzt im Volltext verfügbar (Az.: Urteil vom 16. April 2015 – I ZR 69/11 – Elektronische Leseplätze II).

Zu der Entscheidung hatte ich bereits im Frühjahr gebloggt. Der BGH legt die Schrankenregelung des § 52b UrhG durchaus nutzerfreundlich aus und hält sich in seiner Urteilsbegründung dabei eng an die Vorgaben der Entscheidung des EuGH.

posted by Stadler at 10:36  

22.9.15

BGH zur Benutzung einer fremden Marke im Rahmen einer vergleichenden Werbung im Internet

Im Rahmen einer vergleichenden Werbung im Internet dürfen Produkte mit dem Zusatz beworben werden, dass sie einem Markenprodukt eines anderen Herstellers ähneln. Im konkreten Fall wurden Staubsaugerbeutel mit dem Hinweis „ähnlich Swirl“ im Netz angeboten. Dagegen kann sich der Inhaber der Marke Swirl nicht erfolgreich zur Wehr setzen, wie der BGH in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschieden hat (Urteil vom 02.04.2015, Az.: I ZR 167/13).

Der BGH geht zwar davon aus, dass eine markenmäßige Benutzung vorliegt. Diese sei aber zulässig, weil der Markeninhaber nicht berechtigt ist, einem Dritten die Benutzung eines mit der Marke identischen oder ähnlichen Zeichens in einer vergleichenden Werbung zu verbieten, wenn die Werbung im Einklang mit § 6 UWG steht. Der BGH führt in seiner Entscheidung zu § 6 UWG folgendes aus:

Die vergleichende Werbung der Beklagten ist nicht unlauter.

Die Unlauterkeitsmerkmale des § 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG liegen nicht vor. Die in den Vergleich einbezogenen Waren der Beklagten und der Klägerin sind für denselben Zweck bestimmte Staubsaugerbeutel. Die funktionelle Gleichwertigkeit, also die Möglichkeit, einen von der Beklagten angebotenen Staubsaugerbeutel anstelle des damit verglichenen Staubsaugerbeutels der Klägerin zu verwenden, ist auch eine wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaft der Waren der Beklagten.
Zutreffend hat das Berufungsgericht eine Unlauterkeit wegen Verwechslungsgefahr gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 UWG verneint.
Nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 UWG handelt unlauter, wer vergleichend wirbt, wenn der Vergleich im geschäftlichen Verkehr zu einer Gefahr von Verwechslungen zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den von diesen angebotenen Waren oder Dienstleistungen oder den von ihnen verwendeten Kennzeichen führt.

Das Berufungsgericht hat in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung der Umstände der beanstandeten Werbung angenommen, der Gebrauch des Adjektivs „ähnlich“ in den Angeboten der Beklagten stelle unmissverständlich klar, dass es sich nicht um Produkte der Klägerin handele, sondern um Erzeugnisse eines Wettbewerbers. Die Revision legt nicht dar, warum das Berufungsgericht gleichwohl von einer Verwechslungsgefahr hätte ausgehen müssen.

Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Werbung der Beklagten den Ruf der Marke der Klägerin nicht in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 UWG).

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte nutze durch Verwendung der Bezeichnung „Swirl“ gezielt die Bekanntheit und den guten Ruf der Produkte der Klägerin aus. Die Angebote der Beklagten erschienen aufgrund der Verwendung der Bezeichnung „Swirl“ in der Überschrift bei einem nach den Produkten der Klägerin suchenden Internetnutzer in vorderer Platzierung auf der Trefferliste. Außerdem stehe die Marke „Swirl“ in der Öffentlichkeit für Qualitätsstaubsaugerbeutel, so dass sich die Beklagte deren besonderen Ruf zunutze mache, indem sie durch Verwendung des Adjektivs „ähnlich“ die qualitative Vergleichbarkeit ihrer Produkte betone. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Diese Ausnutzung des Rufs der Marke der Klägerin durch die Beklagte ist jedoch nicht unlauter.

Die Feststellung, ob die Benutzung eines Zeichens dessen Wertschätzung in unlauterer Weise ausnutzt, erfordert eine umfassende Beurteilung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere das Ausmaß der Bekanntheit und des Grades der Unterscheidungskraft des Zeichens, der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, die Art der betroffenen Produkte und der Grad ihrer Nähe sowie die möglicherweise bestehende Gefahr der Verwässerung oder Verunglimpfung des Zeichens zu berücksichtigen sind (EuGH, GRUR 2009, 756 Rn. 44 f. L’Oréal/Bellure; BGH, GRUR 2011, 1158 Rn. 23 Teddybär). Die Verwendung eines Zeichens, das einem bekannten Zeichen ähnlich ist, nutzt dessen Ruf in unlauterer Weise aus, wenn dadurch versucht wird, sich in den Bereich der Sogwirkung des bekannten Zeichens zu begeben, um von seiner Anziehungskraft, seinem Ruf und seinem Ansehen zu profitieren und die wirtschaftlichen Anstrengungen des Inhabers dieses Zeichens zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Image dieses Zeichens ohne finanzielle Gegenleistung auszunutzen. Die Feststellung einer solchen Unlauterkeit erfordert daher die Abwägung zwischen den Interessen des Werbenden, des betroffenen Mitbewerbers und der Verbraucher, bei der die legitime Funktion der vergleichenden Werbung, die Verbraucher objektiv zu informieren, und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, GRUR 2011, 1158 Rn. 23 Teddybär).

Danach ist eine unlautere Rufausnutzung regelmäßig zu verneinen, wenn auf Artikelnummern von Produkten der Mitbewerber hingewiesen wird, weil sich ohne diese ein Vergleich schwerlich in der gebotenen Weise durchführen lassen wird. Dasselbe gilt, wenn Bestellnummern von Mitbewerbern vollständig oder in ihrem Kern übernommen werden und hierauf in der Werbung hingewiesen wird, weil andernfalls diese Bestellnummern anhand von Vergleichslisten herausgesucht werden müssten und hierdurch der Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher und des Werbenden unangemessen erschwert würde (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 C112/99, Slg. 2001, I7945 = GRUR 2002, 354 Rn. 49 Toshiba/Katun; Urteil vom 23. Februar 2006 C59/05, Slg. 2006, I2147 = GRUR 2006, 345 Rn. 26 Siemens/VIPA). Der Senat hat es auch für zulässig gehalten, dass ein Hersteller von Tintenpatronen bei Vergleichen seiner Erzeugnisse mit den Tintenpatronen eines Wettbewerbers die von diesem zur Bezeichnung seiner Patronen gewählten Bildmotive verwendet (BGH, GRUR 2011, 1158 Rn. 24 Teddybär).

Nach diesen Grundsätzen fehlt es im Streitfall an einer unlauteren Rufausnutzung.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Nennung der Marke und der das Produkt konkretisierenden Typenbezeichnung der Klägerin sei in den Angeboten der Beklagten erforderlich, um alle Verbraucher auf die Existenz und Gleichwertigkeit der Konkurrenzprodukte der Beklagten hinzuweisen. Zwar suchten viele Verbraucher im Internet nach dem Produkt der Klägerin, von dem allein sie wüssten, dass es für ihren Staubsauger passend sei. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass diese Verbraucher nur am Erwerb des Originals interessiert seien. Viele Verbraucher hätten keine Kenntnis von gleichwertigen Angeboten anderer Unternehmen oder seien an diesen nicht hinreichend interessiert, um danach aufwendig mittels der Typenbezeichnung ihres Staubsaugers zu suchen. Diese Verbraucher seien aber durchaus am Erwerb von Konkurrenzprodukten interessiert, wenn sie ihnen bei der Suche nach dem für ihr Gerät passenden Produkt der Klägerin präsentiert würden. Dies werde erreicht, wenn durch Verwendung der Klagemarken in der Angebotszeile auch die Konkurrenzangebote der Beklagten schon auf der ersten Seite der Trefferliste für das Suchwort „Swirl“ erschienen.

Gegen diese tatrichterliche Würdigung wendet sich die Revision ohne Erfolg. Die Verwendung einer fremden Marke in einem Internet-Verkaufsangebot, um Kunden, die sich einer Suchmaschine bedienen, auf das Produkt eines Wettbewerbers aufmerksam zu machen, stellt für sich allein noch keine unlautere Rufausnutzung dar (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 6 Rn. 159; MünchKomm.UWG/Menke, 2. Aufl., § 6 Rn. 272; aA KG, MMR 2005, 315; Fezer/Koos, UWG, 2. Aufl., § 6 Rn. 225; Müller-Bidinger in Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 6 Rn. 180; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 6. Aufl., § 6 Rn. 63b; Sack in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl. 2013, § 6 Rn. 199). Die Unlauterkeit ergibt sich im Streitfall nicht daraus, dass die Beklagte für den Bestimmungszweck der von ihr vertriebenen Staubsaugerbeutel nicht auf Herstellermarken und Typenbezeichnungen von Staubsaugern Bezug nimmt, sondern auf die Marken und Artikelbezeichnungen der Klägerin, die selbst nur Staubsaugerbeutel als Zubehör für Staubsauger und keine Staubsauger herstellt. Zwar kann der Verbraucher die Kompatibilität eines bestimmten Staubsaugerbeutels für seinen Staubsauger auch mit der Information feststellen, zu welchem Staubsauger welchen Herstellers der jeweilige Staubsaugerbeutel passt. Je nach den Umständen des Einzelfalls mag ein berechtigtes Interesse fehlen, in einer Internetwerbung für einen Zubehörartikel die Marke eines konkurrierenden Zubehörherstellers zu nennen, wenn die legitime Funktion der vergleichenden Werbung, die Verbraucher objektiv zu informieren, schon durch einen Hinweis auf die Kompatibilität für das Produkt erfüllt werden kann, für das das Zubehör bestimmt ist. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.

Das Berufungsgericht hat im Hinblick auf die hohe Bekanntheit der Marke „Swirl“ bei Staubsaugerbeuteln und die für den Verkehr damit verknüpfte Qualitätserwartung angenommen, viele Verbraucher suchten im Internet nach dem Produkt der Klägerin, von dem sie als einzigem wüssten, dass es für ihren Staubsauger passend sei. Aus dieser von der Revision nicht angegriffenen Feststellung folgt, dass eine erhebliche Zahl von Verbrauchern nur ausreichend über das Alternativangebot der Beklagten informiert werden kann, wenn deren Angebote in der Trefferliste bei der Suche nach Staubsaugerbeuteln der Klägerin angezeigt werden. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit der Lebenserfahrung in Einklang. Wenn viele Verbraucher ihren Ersatzbedarf an Staubsaugerbeuteln mit einem bestimmten Produkt der Klägerin decken, werden sie sich eher dessen Bezeichnung, die sie regelmäßig in Erinnerung behalten werden, merken als die Typenbezeichnung ihres Staubsaugers. Daher würde der Wettbewerb in erheblicher Weise beeinträchtigt, wenn der Beklagten verboten würde, bei Angeboten ihrer Staubsaugerbeutel die Marken der entsprechenden Staubsaugerbeutel der Klägerin zu verwenden.

posted by Stadler at 11:47  

21.9.15

BGH zur Haftung eines Hotelbewertungsportals für Nutzerbewertungen

Ein Hotelier hat den Betreiber eines Hotelbewerungsportals wegen einer negativen Hotelbewertung eines Nutzers auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der Hotelbetreiber verlangte die Unterlassung konkreter Tatsachenbehauptungen wie die Matratze bestehe nur aus ca. 4 cm Schaumstoff, die Zimmer beziehungsweise Betten seien mit Bettwanzen befallen gewesen und das Fernsehgerät sei absichtlich schlecht befestigt gewesen, da bei Beschädigung 50 € gezahlt werden müssten.  Auf die Abmahnung des Hoteliers hin, hatte der Portalbetreiber die Negativbewertung vom Netz genommen, allerdings keine Unterlassungserklärung abgegeben. Die Klage des Hoteliers auf Unterlassung wurde abgewiesen, der BGH hat die Klageabweisung nunmehr in der Revisionsinstanz bestätigt (Urteil vom 19.03.2015, Az.: I ZR 94/13).

Der BGH geht davon aus, dass zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und prüft die Frage der Unterlassung auf Grundlage des UWG. Hierbei geht der BGH davon aus, dass keine Behauptung nach § 4 Nr. 8 UWG vorliegt, weil sich der Betreiber des Hotelbewerungsportals die Aussagen des Nutzers nicht zu eigen macht. Auch liegt nach Ansicht des BGH kein Verbreiten im Sinne von § 4 Nr. 8 UWG vor. Hierbei geht der BGH davon aus, dass Tatsachenbehauptungen mithin erst dann im Sinne des § 4 Nr. 8 UWG über ein Internetportal verbreitet werden, wenn der Betreiber vom Vorliegen einer klaren Rechtsverletzung Kenntnis erlangt und sie gleichwohl nicht beseitigt hat. Hierzu führt der BGH folgendes aus:

Im Falle der Weitergabe von Tatsachenbehauptungen über ein Bewertungsportal im Internet muss der weite Begriff des Verbreitens eingeschränkt werden. Der Betreiber eines Internet-Bewertungsportals könnte einer Verbreitungshaftung ansonsten nur durch eine umfassende inhaltliche Überprüfung der von Nutzern in das Portal eingestellten Beiträge vor deren Veröffentlichung entgehen. Der Annahme einer allgemeinen Prüfungspflicht von Diensteanbietern im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG für die von Nutzern auf ihre Server eingestellten fremden Daten steht jedoch § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG entgegen. Danach sind Diensteanbieter nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten. Nach dieser Vorschrift, die auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr beruht, sind Überwachungspflichten allgemeiner Art ausgeschlossen. Danach ist es dem Betreiber eines Bewertungsportals grundsätzlich nicht zuzumuten, jeden Beitrag vor der Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. (…)

Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Tatbestands des § 4 Nr. 8 UWG, so dass ein Verbreiten von Tatsachenbehauptungen im Sinne dieser Vorschrift im Falle des Betreibers eines Internet-Bewertungsportals nur angenommen werden kann, wenn spezifische Überwachungspflichten verletzt werden.

Bei Anwendung der vorstehenden Maßstäbe hat die Beklagte die beanstandeten Tatsachenbehauptungen nicht im Sinne des § 4 Nr. 8 UWG verbreitet.

Die Beklagte ist Diensteanbieterin im Sinne der § 2 Nr. 1, § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG. Die von ihr gespeicherten Daten sind keine eigenen Informationen der Beklagten, die sie zur Nutzung durch Dritte bereithält und für die sie gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich ist, sondern vielmehr fremde Informationen im Sinne des § 10 Satz 1 TMG (s.o. Rn. 23).

Die im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG einschränkende Auslegung des § 4 Nr. 8 UWG kommt im Falle eines Internet-Bewertungsportals allerdings nur in Betracht, wenn dessen Betreiber sich darauf beschränkt, seinen Dienst mittels rein technischer und automatischer Verarbeitung der von seinen Kunden eingegebenen Daten neutral zu erbringen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. März 2010 C236/08 bis C-238/08, Slg. 2010, I-2417 = GRUR 2010, 445 Rn. 114, 120 Google und Google France; EuGH, GRUR 2011, 1025 Rn. 109 ff. L’Oréal/eBay). Verlässt der Anbieter dagegen seine neutrale Vermittlerposition und spielt er eine aktive Rolle, die ihm eine Kenntnis von bestimmten Daten oder eine Kontrolle über sie verschaffen konnte, kann eine Haftung nach § 4 Nr. 8 UWG gerechtfertigt sein (vgl. zu § 7 Abs. 2 TMG BGHZ 191, 19 Rn. 23 Stiftparfüm).

Die Beklagte hat keine aktive Rolle hinsichtlich der Veröffentlichung der beanstandeten unwahren Tatsachenbehauptungen auf ihrem Portal eingenommen. Dass die Beklagte zur Förderung bestimmter Hotelbetriebe selbst eine Auswahl der veröffentlichten Bewertungen vorgenommen hätte, hat auch die Klägerin nicht geltend gemacht. Die statistische Auswertung von Bewertungen sowie der Einsatz eines Wortfilters zum Auffinden von rechtsverletzenden Inhalten und die nach Ansprechen des Wortfilters vorgenommene Überprüfung der Beiträge durch Mitarbeiter der Beklagten begründet ebenfalls keine aktive Rolle der Beklagten, weil eine über die Aussonderung gegen die Nutzungsbedingungen verstoßender Beiträge hinausgehende inhaltliche Einflussnahme nicht erfolgt (vgl. auch Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rn. 8.9, § 8 Rn. 2.28; Ohly in Ohly/Sosnitza aaO § 8 Rn. 135a). Durch die bei Ansprechen des automatischen Wortfilters von der Beklagten vorgenommene manuelle Durchsicht von Äußerungen der Nutzer verlässt die Beklagte ihre neutrale Position nicht, weil sie hierdurch keine Kenntnis von der etwaigen Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung erlangt.

Die Beklagte geht wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat als Diensteanbieter einer mit der Rechtsordnung grundsätzlich in Einklang stehenden Geschäftstätigkeit nach. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, dass die Beklagte im Hinblick auf die Rechte der betroffenen Tourismusunternehmen eine besondere Gefahrenlage schafft, wenn sie Internetnutzern die Möglichkeit bietet, sich unter einem Pseudonym wertend über diese Unternehmen und ihre Leistungen zu äußern. Zu Recht hat jedoch das Berufungsgericht angenommen, dass auch unter Berücksichtigung dieser Umstände der Beklagten keine Kontrollmaßnahmen auferlegt werden dürfen, die ihr Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährdeten oder ihre Tätigkeit unverhältnismäßig erschwerten (vgl. BGHZ 172, 119 Rn. 147 Internetversteigerung II; BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – I ZR 18/04, BGHZ 173, 188 Rn. 39 Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH, GRUR 2011, 617 Rn. 45 Sedo; BGHZ 194, 339 Rn. 28 – Alone in the Dark). Das Interesse der Klägerin am Schutz vor unwahren geschäftsschädigenden Tatsachenbehauptungen könnte nur durch eine vollständige inhaltliche Kontrolle durch Mitarbeiter der Beklagten gewahrt werden, die der Beklagten unzumutbar wäre. Erst, wenn der Betreiber einer Internethandels- oder Bewertungsplattform auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen wird, muss er nicht nur das konkrete Angebot oder die konkrete Bewertung unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derar-tigen Rechtsverletzungen kommt (vgl. BGHZ 191, 19 Rn. 21, 39 Stiftparfüm).

Tatsachenbehauptungen werden mithin erst im Sinne des § 4 Nr. 8 UWG über ein Internetportal verbreitet, wenn der Betreiber vom Vorliegen einer klaren Rechtsverletzung Kenntnis erlangt und sie gleichwohl nicht beseitigt hat. Weil die Beklagte die beanstandete Bewertung, von deren Rechtswidrigkeit sie zuvor keine Kenntnis hatte, nach Eingang der Abmahnung endgültig entfernt hat, liegen die Voraussetzungen des § 4 Nr. 8 UWG nicht vor.

posted by Stadler at 15:04  

4.9.15

Internetprovider können nicht zur aktiven Überwachung und Filterung auf Basis der StPO verpflichtet werden

Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hatte auf Antrag des Generalbundesanwalts einen Internetserviceprovider verpflichtet, den Ermittlungsbehörden die dynamischen IP-Adressen derjenigen Personen mitzuteilen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums unter Nutzung einer bestimmten Browserversion eine näher bezeichnete Sub-URL einer Internetseite aufrufen. Dazu soll der Provider in einem ersten Schritt diejenigen Anfragen an die von ihm betriebenen DNS-Server, die sich auf die Hauptseite beziehen, auf einen speziell eingerichteten Proxy-Server umleiten; in einem zweiten Schritt sollte der Provider die umgeleiteten Daten auf die weiteren Merkmale – Sub-URL sowie Browserversion – untersuchen. Hinsichtlich der auf diese Weise erlangten IP-Adressen der Anfragenden hat der Generalbundesanwalt gemäß § 100j Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG angeordnet, dass der Provider schriftlich Auskunft über die jeweils vorhandenen Bestandsdaten zu erteilen hat.

Den zugrundeliegenden Beschluss des Ermittlungsrichters hat der BGH nunmehr mit Beschluss vom 20.08.2015 (Az.: StB 7/15) aufgehoben.

Die dem Provider aufgegebene Filterung nach den Merkmalen „Browserversion“ und „Sub-URL“ stellt nach Ansicht des BGH eine Maßnahme der Überwachung dar, die als solche allein den Ermittlungsbehörden obliegt.

In dem Beschluss des BGH heißt es hierzu:

Die Ermöglichung der Maßnahme ist indes von deren Durchführung zu trennen. Die durch § 100a Abs. 1 StPO gestattete Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, mithin die Kenntnisnahme vom Inhalt der Mitteilungen, obliegt allein den Ermittlungsbehörden (vgl. KK-Bruns, StPO, 7. Aufl., § 100b Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 100b Rn. 8). Diese Aufgabenverteilung ist absolut. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts steht das für Mitarbeiter von Telekommunikationsdienstleistern bestehende Verbot, Gespräche mitzuhören, auch bei nicht standardisierten Maßnahmen nicht in Relation zu dem unabhängig davon geltenden Gebot des geringstmöglichen Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis des einzelnen Nutzers.

§ 88 Abs. 3 Satz 1 TKG untersagt den Dienstanbietern, sich über das für die geschäftsmäßige Erbringung erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Dieses Verbot bleibt durch § 100b Abs. 3 Satz 1 StPO unberührt. Hierdurch wird den Anbietern lediglich aufgegeben, den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Kommunikation zu gewähren (vgl. Eckhardt in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., § 88 Rn. 35).

Dabei ist der Zugang gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 TKÜV derart einzuräumen, dass der Verpflichtete (hier: die Beschwerdeführerin) der berechtigten Stelle (hier: den Ermittlungsbehörden) am Übergabepunkt eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen hat, die über seine Telekommunikationsanlage unter der zu überwachenden Kennung abgewickelt wird. Aus dem Umstand, dass die TKÜV keine detaillierte Regelung über die Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Maßnahme enthält, folgt entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht, dass auch deren generelle Regelungen keine Geltung beanspruchen könnten. Diese bleiben über den Verweis in § 100b Abs. 3 Satz 2 StPO weiterhin anwendbar, da sie unabhängig vom Einzelfall Vorgaben zur Abwicklung machen (vgl. auch § 110 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) TKG).

Der Telekommunikationsdienstleister hat mithin die Kopie für die Ermittlungsbehörden auf der Ebene seiner geschäftsmäßigen Aufgabenerfüllung zu erstellen. Diese liegt beim Aufruf einer Internetseite durch einen Nutzer im Verbindungsaufbau zwischen dessen (dynamischer) IP-Adresse zu der im Ausland belegenen Internetseite, wobei in Deutschland (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 TKÜV) durch den DNS-Server der Beschwerdeführerin allein die Übersetzung des Seitennamens in eine (statische) IP-Adresse vorgenommen wird, um die Weiterleitung zu ermöglichen. Da die Übersetzung schon allein anhand des Namens der Hauptseite möglich ist, kommt es – was auch der Generalbundesanwalt nicht in Abrede stellt – für die Aufgabenerledigung durch die Beschwerdeführerin auf die letztlich vom Nutzer angesteuerte Sub-URL ebenso wenig an wie auf die von diesem genutzte Browserversion.

Bereits daraus folgt, dass die auf diese Kriterien abstellende weitere Filterung den Ermittlungsbehörden obliegt, letztlich unabhängig davon, ob es sich dabei um „starke“ oder „schwache“ Inhaltsdaten oder lediglich nähere Umstände der Kommunikation handelt. Es kommt mithin nicht mehr darauf an, dass es für die Schwere eines Grundrechtseingriffs keinen Unterschied macht, ob dieser durch die Ermittlungsbehörden selbst oder in deren Auftrag durchgeführt wird.

Der BGH hat also gar nicht darüber entschieden, ob die Maßnahme als solche rechtmäßig ist oder wäre, sondern nur festgestellt, dass die Verpflichtung des Providers zur aktiven Überwachung eines Nutzers rechtswidrig ist. Der Provider kann nur dazu verpflichtet werden, den Ermittlungsbehörden eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen, die über seine Telekommunikationsanlage unter der zu überwachenden Kennung abgewickelt wird. Das muss aus Sicht des überwachten Nutzers kein Vorteil sein, denn auf diese Art und Weise erhält die Staatsanwaltschaft wesentlich mehr Daten als im Falle einer vorherigen Filterung durch den Provider.

posted by Stadler at 09:16  

3.9.15

Private Nutzung des Mobiltelefons in der Verhandlung begründet Besorgnis der Befangenheit

Der BGH hat entschieden, dass die private Nutzung des Mobiltelefons während der Hauptverhandlung die Besorgnis begründet, der betreffende Richter sei befangen. (Urteil vom 17.06.2015, Az.: 2 StR 228/14).

In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu:

Auch aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten gab die private Nutzung des Mobiltelefons durch die beisitzende Richterin während laufender Hauptverhandlung begründeten Anlass zu der Befürchtung, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallender (vgl. § 261 StPO) Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt.

Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende Richterin wegen der erwarteten Überschreitung der Sitzungszeit mit vorgefertigter SMS offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des Landgerichts auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der Richterin erheblich reduziert gewesen sei. Denn die beisitzende Richterin hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen.

posted by Stadler at 12:06  

24.7.15

Amazon-Gutscheine verstoßen gegen Buchpreisbindung

In Deutschland existiert eine Preisbindung für Bücher. Wer Bücher verlegt oder importiert, ist gesetzlich verpflichtet, einen Preis einschließlich Umsatzsteuer (Endpreis) für den Verkauf des Buches an einen Endabnehmer festzusetzen und zu veröffentlichen. Wer Bücher an Letztabnehmer verkauft, muss diesen vom Verlag festgesetzten Preis dann einhalten.

Diese durchaus empfindliche Einschränkung des Wettbewerbs soll dem Schutz kleinerer Buchhandlungen und dem Schutz von kulturell hochwertigen aber u.U. umsatzschwachen Buchprodukten dienen.

Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden (Urteil vom 23.07.2014, Az.: I ZR 83/14), dass Gutscheinaktionen von Amazon, bei denen Kunden ohne Gegenleistung einen Wertgutschein erhalten, der auch für den Kauf von Büchern eingesetzt werden kann, gegen die Buchpreisbindung verstoßen. Denn Amazon, so das Argument des BGH, erhalte für den Verkauf des preisgebundenen Buches insgesamt nicht den gebundenen Preis, wenn dem Internetversandhändler für den Gutschein zuvor keine entsprechende Gegenleistung zugeflossen ist.

Im Ergebnis bedeutet das, dass die Gutscheinaktionen von Amazon unzulässig sind, wenn die Gutscheine auch für den Kauf von Büchern verwendet werden dürfen.

Quelle: PM des BGH

posted by Stadler at 15:33  

9.7.15

Kann man beim Teilen und Verlinken von Videos das Urheberrecht verletzen?

Internetnutzer verweisen in sozialen Netzwerken oder in Blogs laufend auf Videos die auf Plattformen wie YouTube abgelegt sind. Im Blog oder in der Chronik von Facebook wird dann ein Vorschaubild des Videos angezeigt, das den direkten Start der Filmdatei ermöglicht, die technisch allerdings weiterhin über das Videoportal bezogen wird. Ob man mittels dieser Form des Embedded-Links – es wird häufig auch von Framing gesprochen – Urheberrechte verletzten kann, ist seit Jahren ein Streitthema, das nun zum zweiten Mal den BGH beschäftigt, nachdem zwischenzeitlich auch der EuGH zu dieser Frage Stellung genommen hatte.

Der EuGH hat grundsätzlich entschieden, dass diese Form des Verweises regelmäßig keine öffentliche Wiedergabe im Sinne der Infosoc-Richtlinie darstellt. Die Ausführungen des EuGH könnten aber dahingend verstanden werden, dass dies nur dann gelten soll, wenn das Video an seiner Quelle, also beispielsweise bei YouTube, rechtmäßig eingestellt worden ist. Eine solche Betrachtung würde für Internetnutzer freilich ein Pulverfass darstellen, da niemand letztlich beurteilen kann, ob ein Video bei YouTube oder einer anderen Plattform rechtmäßig ins Netz gestellt worden. Das oftmals schnell von der Hand gehende Teilen eines Videos auf Facebook würde dann immer die Gefahr einer Urheberrechtsverletzung beinhalten.

Mir erscheint die Betrachtung des EuGH auch nicht sonderlich stringent, denn die Frage, ob überhaupt eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung vorliegt, kann nicht davon abhängen, ob man diese Handlung als rechtmäßig betrachtet. Die Frage der Rechtmäßigkeit ist nämlich erst eine Folgefrage der Nutzungshandlung. Liegt bereits keine Nutzungshandlung vor, stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit erst gar nicht.

Der BGH (Az.: I ZR 46/12) hat heute über diese Frage verhandelt und scheint sich nach den Prozessberichten des Kollegen Dr. Knies und der Tagesschau noch nicht ganz schlüssig zu sein. Mir erscheint hier auch eine erneute Vorlage an den EuGH nicht ausgeschlossen.

Update:
Der BGH hat heute doch noch durch Urteil in der Sache entschieden und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der BGH hält es in der Tat für entscheidend, ob das Video mit Zustimmung des Rechteinhabers bei YouTube eingestellt war, wozu das OLG München jetzt Feststellungen treffen soll. Es bleibt abzuwarten, ob sich der EuGH in der Zwischenzeit in einem anderen anhängigen Verfahren noch ergänzend zu dieser Frage äußern wird.

posted by Stadler at 16:57  

24.6.15

Neue Entscheidung zur Verjährung im Urheberrecht und zur fehlenden Urheberbenennung

Ein aktuelles Urteil des BGH klärt einige interessante und praktisch relevante Fragen des Urheberrechts (Urteil vom 15.01.2015, Az.: I ZR 148/13).

Bei rechtsverletzenden Dauerhandlung wie der Veröffentlichung von Fotos im Internet ist die Dauerhandlung zur Bestimmung des Beginns der Verjährung gedanklich in Einzelhandlungen (also in Tage) aufzuspalten, für die dann jeweils eine gesonderte Verjährungsfrist läuft.

Auch nach dem Ende der regulären dreijährigen Verjährungen kann mit dem sog. Restschadensersatzanspruch aus § 102 Satz 2 UrhG, § 852 BGB die Herausgabe des durch die Verletzung eines Urheberrechts erlangten Gebrauchsvorteils im Wege einer fiktiven Lizenzgebühr verlangt werden.

Bei der Berechnung des Schadens im Urheberrecht nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie kann das Gericht die Höhe der fiktiven Lizenzgebühr, die zum Ausgleich eines durch die fehlende Urheberbenennung verursachten Schadens geschuldet ist, in Form eines Zuschlags auf die (fiktive) Lizenzgebühr bemessen. Dieser Aufschlag wegen fehlender Urheberbenennung kann 100 % der fiktiven Lizenzgebühr betragen.

posted by Stadler at 16:07  

13.5.15

Urheberrechtsverletzung durch Veröffentlichung von Fotos eines Werks

Ein Möbelhaus hat in seinen Geschäftsräumen Bilder eines Malers ausgestellt und dabei für einen Produktkatalog Möbel fotografiert. Auf einem Foto, das auch auf der Website des Möbelhauses eingestellt worden ist, war im Hintergrund ein Gemälde des Künstlers zu sehen. Die konkrete Abbildung ist in der Entscheidung des BGH wiedergegeben. Der Künstler hat das Möbelhaus auf Auskunft und Schadensersatz verklagt, weil er der Meinung war, dass die Wiedergabe im Katalog und auf der Website seine Urheberrechte verletzt.

Das Landgericht und das OLG Köln haben die Klage des Künstlers abgewiesen, weil sie der Ansicht waren, dass das auf dem Produktfoto erkennbare Gemälde lediglich ein sog. unwesentliches Beiwerk im Sinne von § 57 UrhG darstelle, weshalb die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe zulässig sei.

Diese Entscheidungen hat der BGH mit Urteil vom 17.11.2014 (Az.: I ZR 177/13) aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

In einem ersten Schritt geht der BGH davon aus, dass durch die Veröffentlichung des Fotos, auf dem das urheberrechtlich geschützte Werk erkennbar ist, grundsätzlich in das Recht des Künstlers zur Vervielfältigung (§ 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG) und der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 19a UrhG) eingegriffen worden ist. Die Zulässigkeit dieser urheberrechtlichen Nutzungshandlung hängt damit davon ab, ob zugunsten des Möbelhauses die Schrankenbestimmung des § 57 UrhG (unwesentliches Beiwerk) eingreift. Und in diesem Punkt hält der BGH die Urteile der Vorinstanzen für rechtsfehlerhaft.

Um die Frage beantworten zu können, ob etwas ein unwesentliches Beiwerk ist, muss zunächst der Hauptgegenstand bestimmt werden. Das Berufungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass Gegenstand der Prüfung der Schutzschranke des § 57 UrhG nicht die beanstandete Fotografie ist, sondern der vollständige Katalog und der gesamte Inhalt der Internetseite des Möbelhauses. Das hält der BGH für falsch. Nach Ansicht des BGH ist Hauptgegenstand der Veröffentlichung die konkrete Fotografie.

Die Auslegung des Berufungsgerichts würde nach Ansicht des BGH nämlich dazu führen, dass der Schutz eines urheberrechtlich geschützten Werkes umso geringer wird, je umfangreicher der vom potentiellen Verletzer gewählte Veröffentlichungskontext ist. Und das stehe in Widerspruch zu dem Grundsatz der engen Auslegung von urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen.

Der BGH beanstandet auch die weitere Auslegung des OLG zur Unwesentlichkeit des Beiwerks:

Für die Bejahung der Schutzschranke des § 57 UrhG reicht es nicht aus, dass das urheberrechtlich geschützte Werk aus Sicht des objektiven Betrachters in Bezug auf den Hauptgegenstand der Verwertung im Hintergrund steht. Nach dem Wortlaut der Schrankenbestimmung ist vielmehr weitergehend erforderlich, dass das Werk im Verhältnis zum Hauptgegenstand der Wiedergabe unwesentlich ist.

Von einer Unwesentlichkeit in diesem Sinn ist auszugehen, wenn das Werk weggelassen oder ausgetauscht werden könnte, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffiele (vgl. Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann aaO § 57 UrhG Rn. 2; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 57 Rn. 2; Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 57 UrhG Rn. 8; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 57 UrhG Rn. 2; Loewenheim/Götting, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl., § 31 Rn. 229) oder ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstandes in irgendeiner Weise beeinflusst wird (OLG München, ZUM-RD 2008, 554; Loewenheim/Götting aaO § 31 Rn. 229; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 57 UrhG Rn. 2; Obergfell in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 57 UrhG Rn. 2; krit. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 57 Rn. 2). Aber auch ein bei der Betrachtung des Hauptgegenstands der Verwertung vom Betrachter als solches tatsächlich wahrgenommenes Werk kann als unwesentliches Beiwerk anzusehen sein, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalls keine noch so geringfügige inhaltliche Beziehung zum Hauptgegenstand der Verwertung zuzubilligen ist, sondern es durch seine Zufälligkeit und Beliebigkeit für diesen ohne jede Bedeutung ist (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 57 Rn. 2; Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann aaO § 57 UrhG Rn. 2; Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 57 UrhG Rn. 8; Obergfell in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 57 UrhG Rn. 2). Hierzu reicht eine bloß untergeordnete Beziehung nicht aus. Bei der gebotenen engen Auslegung der Schrankenbestimmung ist unwesentlich im Sinne von § 57 UrhG vielmehr nur ein Werk, das neben dem Gegenstand der eigentlichen Verwertung selbst eine geringe oder nebensächliche Bedeutung nicht erreicht (Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 57 UrhG Rn. 7; Grübler in Möhring/Nicolini aaO § 57 UrhG Rn. 6). Eine derart untergeordnete Bedeutung kann dem mitverwerteten Werk regelmäßig nicht mehr zugewiesen werden, sobald es erkennbar stil- oder stimmungsbildend (Obergfell in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 57 UrhG Rn. 2) oder eine bestimmte Wirkung oder Aussage unterstreichend (Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 57 UrhG Rn. 4) in den eigentlichen Gegenstand der Verwertung einbezogen wird, einen dramaturgischen Zweck erfüllt (Grübler in Möhring/Nicolini aaO § 57 UrhG Rn. 6) oder sonst charakteristisch ist (Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 57 UrhG Rn. 7 f.).

Wenn also ein mitfotografiertes Werk stimmungsbildend wirkt oder eine bestimmte Aussage vermittelt und mithin einen dramturgischen Zweck erfüllt, kann es nicht mehr als untergeordnetes Beiwerk im Sinne von § 57 UrhG betrachtet werden.

Es zeigt sich also, dass die Schrankenbestimmung des § 57 UrhG äußerst eng auszulegen ist. Wer Fotos veröffentlicht, auf denen ein urheberrechtlich geschütztes Werk erkennbar ist und sei es auch nur im Hintergrund, muss sich immer Gedanken darüber machen, ob er damit nicht die Rechte des Urhebers des mitfotografierten Werks verletzt.

posted by Stadler at 09:52  
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