Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat letzte Woche als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ein „Quick-Freeze-Plus“ vorgeschlagen und dafür u.a. auf dem Netzpolitischen Kongress der Grünen am vergangen Wochenende, auf dem er als Redner aufgetreten ist, heftige Kritik geerntet. Was sicherlich auch daran lag, dass Peter Schaar Mitglied der Grünen ist und sich in Berlin für eine eher offensive Rhetorik entschieden hatte. Er hat aber auch Zuspruch erfahren.
Der Vorschlag von Schaar, den er auch auf dem Kongress erläutert hatte, läuft darauf hinaus, TK-Verbindungsdaten für einen Zeitraum von zwei Wochen anlassunabhängig zu speichern und diese Daten dann auf Zuruf der Straafverfolgungsbehörden einzufrieren, also weiterzuspeichern (Quick-Freeze), wenn sich ein konkreter Tatverdacht ergeben hat. Ob man das nun als Quick-Freeze-Plus bezeichnet oder Vorratsdatenspeicherung light, ist eher eine Geschmacksfrage. Quick-Freeze – ohne Plus – gab es schon nach der alten Regelung zur Vorratsdatenspeicherung, ich empfehle insoweit die Lektüre des § 100g StPO, der allerdings vom BVerfG in Abs. 1 S. 1 für nichtig erklärt worden ist, soweit Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden dürfen.
Sollte eine solche Regelung am Ende die bisherige Vorratsdatenspeicherung ersetzen, wäre dies verglichen mit der alten Regelung zumindest aus Sicht der Bürgerrechte ein deutlicher Fortschritt. Die Chancen dass es dazu kommt, dürften aber eher schlecht stehen, weil die Ermittler – ich hatte Gelegenheit dies auf dem Kongress der Grünen mit einem Beamten des BKA kurz zu diskutieren – entschieden der Ansicht sind, dass eine Speicherdauer von zwei Wochen überhaupt nichts bringt. Und in diesem Punkt kann man ihnen auch schwer widersprechen.
Wenn Peter Schaar damit argumentiert, ihm würde nicht einleuchten, weshalb ein Verfahren, das sich bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen bewährt hat, nicht auch bei der Strafverfolgung funktionieren sollte, so zeigt dies nur, dass Schaar mit dem tatsächlichen Ablauf in Fällen des Filesharing nicht vertraut ist. Dort loggen sog. Anti-Piracy-Unternehmen softwaregestützt quasi live IP-Adressen von Tauschbörsennutzern und haben dann, wenn der Provider Telekom heißt, sieben Tage Zeit, beim Landgericht Köln einen Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG – also eine Art Quick-Freeze – zu erwirken. Dieser Mechanismus könnte in Fällen der Strafverfolgung nur dann in ähnlicher Weise zur Anwendung kommen, wenn Beamte ebenfalls in Echtzeit IP-Adressen erfassen würden. Das ist allerdings praktisch selten der Fall und würde im übrigen auch eine Maßnahme nach § 100g StPO darstellen. Diese Vorschrift wurde vom BVerfG für nichtig erklärt.
Wenn die Ermittler allerdings von einer IP-Adresse erst durch nachträgliche Ermittlungen mit Zeitverzögerung Kenntnis erlangen, läuft diese Konstruktion leer. Der Vorschlag von Peter Schaar ist in dieser Form deshalb nicht praxistauglich und sollte allein aus diesem Grund nicht weiter diskutiert werden.
Die entscheidende und grundsätzliche Frage ist vielmehr eine Andere. Darf und will dieser Staat 80 Millionen Bürger unter Generalverdacht stellen und ihre Verbindungsdaten anlassunabhängig für einen längeren Zeitraum auf Vorrat speichern, damit er im Bedarfsfalle nachträglich noch Straftaten ermitteln kann? Wir reden insoweit in ca. 80 % der Fälle von Betrugsdelikten und nicht von Terrorismus und Schwerstkriminalität. Für die Ermittlungsarbeit im Bereich der organisierten Kriminalität ist die vorhandene TK-Überwachung nach §§ 100a ff. StPO ohnehin wesentlich besser geeignet als eine Vorratsdatenspeicherung.
Auch im realen Leben kann die Polizei übrigens sehr oft die Täter nicht ermitteln. Die Aufklärungsquote im Onlinebereich ist auch ohne Vorratsdatenspeicherung nicht schlechter als offline. Aber im Internet besteht nun vermeintlich die technische Möglichkeit, Spuren zu sichern, indem man alles Mögliche auf Halde speichert und bei Bedarf darauf zurückgreift. Das weckt Begehrlichkeiten. Aber nicht alles was technisch möglich ist, muss den Ermittlungsbehörden auch gestattet werden. Denn gerade dadurch, dass wir nicht alles machen, was technisch möglich ist, unterscheidet sich der Rechtsstaat vom Unrechtsstaat. Es ist rechtsstaatlich nicht geboten, TK-Verbindungsdaten auf Vorrat zu speichern, damit vielleicht noch ein paar Betrugsfälle mehr aufgeklärt werden, deren Tathandlungen bereits vier Monate zurückliegen. Die Strafverfolgung schützt die Menschen auch nicht vor Phänomenen wie Phishing. Hier hilft nur ein Mindestmaß an Internetkompetenz des Einzelnen.
Dass das Bundesverfassungsgericht eine Vorratsdatenspeicherung nicht per se für unzulässig hält, ist lediglich ein Beleg dafür, wie weit die Erosion der Grundrechte bereits fortgeschritten ist. Es besteht aber auch keine Notwendigkeit, immer nur solche Regelungen zu treffen, die das BVerfG gerade noch mitmacht.