Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

1.7.14

EGMR zur Verurteilung eines Journalisten wegen Veröffentlichung von Informationen aus einem Gerichtsverfahren

Nach einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann die strafrechtliche Verurteilung eines Journalisten wegen der Veröffentlichung vertraulicher Informationen aus einem Gerichtsverfahren gegen Art. 10 MRK verstoßen (Urteil vom 01.07.2014, Az.: 56925/08).

In der Schweiz ist die Veröffentlichung von Informationen aus „Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind“ strafbar. Ein Journalist hatte über ein laufendes Strafverfahren berichtet, hierbei wurden u.a. auch Fotos und Briefe des Angeklagten an den Untersuchungsrichter veröffentlicht. Hierfür wurde der Journalist zunächst zu einer bedingten Freiheistsstrafe von einem Monat und dann zu einer Geldstrafe von 4000 Schweizer Franken veurteilt.

In dieser Verurteilung sah der EGMR eine Verletzung von Art. 10 MRK. Der EGMR betont zunächst das Interesse der Öffentlichkeit über Strafverfahren unterrichtet zu werden. Außerdem weist der EGMR darauf hin, dass Art. 10 MRK gerade auch die Form bzw. Art und Weise der Berichterstattung/Äußerung schützt. Vor diesem Hintergrund sei es nicht Aufgabe der Gerichte die Vorstellungen des Journalisten darüber, welche Berichterstattungstechniken angewandt werden, durch ihre eigenen zu ersetzen.

Das strafrechtliche Veröffentlichungsverbot sei zwar grundsätzlich legitim, stehe andererseits aber einer Abwägung mit Art 10 EMRK nicht im Wege. Die Schweizer Regierung konnte nach Ansicht des EGMR außerdem nicht darlegen, dass die Veröffentlichung einen negativen Einfluss auf die Unschuldsvermutung oder das Urteil haben konnte. Der Persönlichkeitsschutz des Angeklagten, auf den sich die Schweiz im Verfahren ebenfalls berufen hatte, sei Sache des Angeklagten selbst, wie der Gerichtshof betont. Das Gericht geht außerdem davon aus, dass die Strafhöhe grundsätzlich geeignet ist, die Presse abzuschrecken und sie davon abhalten könnte, ihre Rolle als „Public Watchdog“ zu erfüllen.

Die Entscheidung kann sicherlich nicht schematisch auf andere Fälle übertragen werden, zeigt aber sehr deutlich, dass bei (strafrechtlichen) Veröffentlichungsverboten immer auch eine Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit geboten ist.

Das Urteil wird wie immer ausführlich und kompetent analysiert von Hans Peter Lehofer.

posted by Stadler at 17:52  

23.5.14

BGH zur namentlichen Nennung von Kindern von Prominenten in der Berichterstattung

Dass der bekannte Fernsehmoderator Günther J. – so anonymisiert der BGH! – äußerst streitfreudig ist, wenn es um die Verteidung seines Persönlichkeitsrechts oder das seiner Familienmitglieder geht, ist nicht neu.

Im konkreten Fall wollte die im Zeitpunkt der Veröffentlichung zwölf Jahre alte Tochter von Günther J. untersagen lassen, darüber zu berichten, dass sie ein Kind des Moderators ist. Das Problem war allerdings, dass auch in den Jahren vorher schon mehrere Pressberichte erschienen sind, in denen die Kinder von J. namentlich genannt waren. Gerade vor diesem Hintergrund war der BGH in seinem Urteil vom 29.04.2014 (Az.: VI ZR 137/13) der Ansicht, dass die Meinungs- und Pressefreiheit im konkreten Fall die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts überwog, weil die neuerliche Berichterstattung keinen eigenständigen Verletzungsgehalt aufweist. Wäre es die erste Berichterstattung dieser Art gewesen, hätte der BGH möglicherweise anders entschieden. Der BGH spricht in diesem Urteil übrigens nicht mehr von Presse- sondern von Medienfreiheit. Die maßgeblichen Passagen des Urteils lauten:

Der Name der Klägerin, ihr Alter und das zwischen ihr und Günther J. bestehende Kindschaftsverhältnis waren damit bereits vor der Veröffentlichung einer großen Zahl von Personen bekannt geworden, die sie ihrerseits weitergeben konnten. Die Klägerin hatte ihre Anonymität vor der angegriffenen Berichterstattung verloren; angesichts der Kürze der zwischen den letzten Vorveröffentlichungen und der angegriffenen Berichterstattung liegenden Zeit hatte sie ihre Anonymität noch nicht wieder erlangt. Die angegriffene Berichterstattung fügte dem nichts Neues hinzu und hatte damit keinen eigenständigen Verletzungsgehalt (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1999 – VI ZR 264/98, VersR 1999, 1250, 1252; BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 33; EGMR, NJW 1999, 1315, 1318).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Veröffentlichung der bereits bekannten Informationen auch nicht deshalb rechtswidrig, weil ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht bestehe und Veröffentlichungen über die persönlichen Verhältnisse des Vaters der Klägerin erfolgen könnten, ohne dass der Vorname und das Alter der Klägerin mitgeteilt würden. Zwar wertet die Veröffentlichung der persönlichen Daten der Klägerin den Artikel über den Auftritt von Günther J. beim Campus – Talk an der Goethe-Universität nur in seinem Unterhaltungswert auf und macht ihn anschaulicher. Es gehört aber zum Kern der Meinungs-und Medienfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses wert halten und was nicht. Dabei können auch unterhaltende Beiträge, etwa über prominente Personen oder über ihren sozialen Kontext, am Schutz der Meinungsfreiheit teilnehmen (vgl. Senatsurteile vom 22. November 2011 – VI ZR 26/11, AfP 2012, 53 Rn. 19; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11; vom 28. Oktober 2008 – VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 13; vom 14. Oktober 2008 – VI ZR 256/06, AfP 2008, 606 Rn. 13). Denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern garantiert primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 27; BVerfG, AfP 2010, 145 Rn. 28; AfP 2010, 365 Rn. 29)

posted by Stadler at 10:43  

13.3.14

Österreich: Forenbetreiber muss Nutzerdaten herausgeben

Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat entschieden (Beschluss vom 23.01.2014, Az.:6Ob133/13x), dass der Betreiber eines Meinungsforums im Internet, die E-Mail-Adressen von Nutzern herausgeben muss, die evtl. rechtswidrige Postings/Kommentare verfasst haben. Gleichzeitig merkt der OGH an, dass es sich dabei auch nicht um vom Redaktionsgeheimnis geschützte Informationen handelt. Ergänzend weist der OGH darauf hin, dass dies jedenfalls für unmoderierte Foren gilt. Er lässt allerdings ausdrücklich offen, ob die Frage bei moderierten Foren anders zu beurteilen ist. Der OGH befasst sich in seiner Entscheidung freilich nicht wirklich eingehend mit der Fragestellung, weshalb Nutzerkommentare nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen sein sollten.

In Deutschland besteht ein solcher Anspruch auf Preisgabe von Daten eines kommentarschreibenden Nutzers, nach überwiegender Rechtsprechung, mangels gesetzlicher Grundlage nicht. In Österreich ist dies insofern anders, als der dortige Gesetzgeber einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegen Hostprovider normiert hat.

Darüber hinaus wird aber auch in Deutschland allgemein die Debatte geführt, wie weit der Quellschutz der Presse reicht, was u.a. dann relevant wird, wenn sich ein Portalbetreiber im Hinblick Nutzerkommentare auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen will. Die Frage, ob sich die Pressefreiheit auch auf Kommentare von Usern/Lesern erstreckt, habe ich hier ausführlich erörtert.

posted by Stadler at 10:33  

28.1.14

Die Anforderungen an die sog. Verdachtsberichterstattung

Wer über eine andere Person (öffentlich) ehrenrührige Tatsachen behauptet oder verbreitet, muss im Streitfall nachweisen, dass diese Tatsachen wahr sind. Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 186 StGB, die als Beweislastregel auch im Zivilrecht greift.

Da dies dazu führen würde, dass die Medien dann über bestimmte Vorgänge, die noch nicht nachgewiesen sind, gar nicht mehr berichten könnten, lässt die Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen auch eine sog. Verdachtsberichterstattung zu. Die Voraussetzungen einer solchen Verdachtsberichterstattung hat der BGH in einer neuen Entscheidung – durch die stern.de sowie ein Journalist zur Zahlung von Geldentschädigung wegen persönlichkeitsrechtsverletzender Äußerungen verurteilt wurden – nochmals ausführlich erläutert (Urteil v. 17.12.2013, Az.:VI ZR 211/12).  Der BGH führt zur Verdachtsberichterstattung allgemein aus:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass der auf Unterlassung in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so den freien Kommunikationsprozess einschnüren. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Wahrheitspflicht Ausdruck der Schutzpflicht ist, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, umso höhere Anforderungen sind deshalb an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu stellen. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 1987 – VI ZR 35/87, VersR 1988, 405; vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 23 mwN; vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 35; vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rn. 26, 28 mwN; BVerfGE 114, 339, 353; BVerfG, AfP 2009, 480 Rn. 62; EGMR, Entscheidung vom 4. Mai 2010 – 38059/07, Effectenspiegel AG gegen Deutschland, juris Rn. 42). Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 203 f. mwN).

Zum konkreten Fall erläutert der BGH dann, dass die Angaben einer einzigen Informantin jedenfalls dann nicht ausreichend sind, wenn diese Zeugin über keine eigenen Erkenntnisse verfügt und auch in tatsächlicher Hinsicht keine konkreten anderweitigen Hinweise liefern kann. Außerdem hätten der Stern und der Journalist im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Informantin berücksichtigen müssen, dass sie sich vom Kläger gemobbt fühlte und ihre Angaben deshalb von einem Belastungseifer getragen sein könnten.

Der BGH führt weiter aus, dass im Rahmen der Verdachtsberichterstattung auch nicht der Eindruck erweckt werden dürfe, der Betroffene sei bereits überführt. Vielmehr müsse deutlich werden, dass über einen noch nicht bewiesenen Verdacht berichtet wird.

Schließlich weist der BGH darauf hin, dass eine Bitte um ein Interview noch nicht dazu führt, dass dem Betroffenen vor der Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist. Hierzu heißt es im Urteil:

Entgegen der Auffassung der Revisionen durfte sich der Beklagte zu 1 unter den Umständen des Streitfalles nicht darauf beschränken, den Kläger um ein Interview zu bitten und in den „zunächst nur einleitenden Bitten um ein Gespräch“ lediglich den groben Kontext und die Zielrichtung seiner Recherchen zu bezeichnen. Angesichts der besonderen Tragweite, die die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen für den Kläger erkennbar haben konnte, war der Beklagte zu 1 vielmehr gehalten, dem Kläger die Vorwürfe, die Gegenstand des Beitrags werden sollten, konkret zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme auf ihm beliebige Weise zu geben, ohne ihn auf die Möglichkeit der Erörterung der Vorwürfe in einem persönlichen Gespräch zu beschränken (vgl. zur Anhörung des Betroffenen vor der Berichterstattung: Senatsurteile vom 25. Mai 1965 – VI ZR 19/64, VersR 1965, 879, 881; vom 15. Dezember 1987 – VI ZR 35/87, VersR 1988, 405; vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 25 f.). Das Interesse der Medien, den Betroffenen erstmals in einem Interview mit den konkreten Vorwürfen zu konfrontieren, um eine spontane Reaktion des Betroffenen zu erfahren, ist in diesem Zusammenhang nicht schutzwürdig. Es muss vielmehr grundsätzlich dem Betroffenen überlassen bleiben, wie er sich äußern will. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Kläger ein persönliches Gespräch mit dem Beklagten zu 1 abgelehnt hat. Hierin liegt insbesondere kein Verzicht auf die Möglichkeit der Stellungnahme.

posted by Stadler at 11:31  

7.11.13

Promi-Kind muss Veröffentlichung von Vornamen und Alter dulden

Der BGH hat entschieden (Urteil vom 5.11.2013, Az.: VI ZR 304/12), dass die (Adoptiv-)Tochter eines prominenten Fernsehmoderators eine Berichterstattung über die Ehe ihrer Eltern dulden muss, in der ihr Name und ihr Alter sowie der Umstand genannt werden, dass sie Tochter des Prominenten ist.

Der BGH nahm zwar an, dass das Persönlichkeitsrechts der jungen Frau betroffen ist, er hielt die Berichterstattung dennoch für zulässig. Vor allem aus dem Umstand, dass Vorname, Alter und Abstammung der Klägerin aus früheren Presseberichten bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt sei und diese Informationen weiterhin in der Öffentlichkeit präsent und im Internet zugänglich seien, folgerte der BGH, dass die Eingriffsintensität deutlich geringer sei, als bei einem Ersteingriff. Das bedeutet für Betroffene, dass sie immer gegen die erste Berichterstattung dieser Art vorgehen müssen, weil ansonsten für die nachfolgende Berichterstattung die Intensität des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht abnimmt und man keinen Unterlassungsanspruch mehr durchsetzen kann.

Der BGH hat in dieser Sache wieder einmal eine anderslautende Entscheidungen des OLG Hamburg aufgehoben.

Die Pressemitteilung des BGH ist darüber hinaus unfreiwillig komisch:

Die Klägerin ist die Adoptivtochter von Günther J. und seiner Ehefrau Thea S.-J.

Der Presse würden die Gerichte an dieser Stelle eine unzureichende Anonymisierung attestieren.

posted by Stadler at 09:51  

11.10.13

EGMR: Haftung eines Newsportals für Nutzerkommentare

In Estland wurde der Betreiber eines Newsportals zu Schadensersatz wegen der Veröffentlichung rechtswidriger Nutzerkommentare verurteilt, obwohl er die Kommentare zügig entfernt hatte, nachdem er auf die rechtswidrigen Inhalte der anonymen Kommentare hingewiesen wurde.

Haftung des Portalbetreibers für Nutzerkommentare verstößt nicht gegen Art. 10 MRK

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  hat diese Verurteilung durch estländische Gerichte gebilligt und hierin keinen Verstoß gegen Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) gesehen (Urteil vom 10.10.2013, Az.: 64569/09). Zur Begründung führt der EGMR u.a. aus, dass die Rechtsverletzung schwerwiegend gewesen sei, dass die Inanspruchahme der Autoren wegen der Anonymität der Postings erschwert war und die Gerichte nur einen sehr geringen Schadensersatz zugesprochen haben, der ein kommerzielles Portal nicht stark beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund sieht der Gerichtshof keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Portals auf Meinungsfreiheit. Bedenklich an der Entscheidung erscheint mir allerdings der Hinweis des Gerichts, dass das Portal nicht genug getan hätte, um rechtswidrige Kommentare zu verhindern. Das führt nämlich zu der Frage, ob man als Newsportal tatsächlich gehalten ist, Kommentare vorab nicht nur automatisiert zu filtern, sondern vielleicht sogar redaktionell zu prüfen. Die hierdurch ausgelösten Chilling-Effects beleuchtet der EGMR nicht ausreichend.

Verstößt die Haftung des Portalbetreibers gegen EU-Recht?

Mit der Frage, ob die Entscheidung der estländischen Gerichte gegen EU-Recht verstößt, hat sich der EGMR nicht zu befassen. Sein Prüfungsmaßstab ist nur die Menschenrechtskonvention. Die EU-rechtliche Fragestellung gehört allerdings zu den eigentlich spannenden Aspekten des Falles. Die Eröffnung der Möglichkeit Nutzerkommentare zu posten, dürfte nämlich grundsätzlich unter die Haftungsprivilegierung von Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie fallen, nachdem es sich um eine  Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen handelt. Die estländischen Gerichte hatten die Anwendung der Haftungsprivilegierung mit dem Argument abgelehnt, der Portalbetreiber habe ein wirtschaftliches Interesse daran, dass Nutzer Kommentare posten. Dieser Aspekt ist allerdings nach der Richtlinie kein geeignetes Kriterium um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Der estländische High Court hätte zumindest an den EuGH vorlegen müssen. Der EuGH geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass sich selbst Onlinemarktplätze wie eBay auf die Haftungserleichterung berufen können. Das wirtschaftliche Eigeninteresse ist also kein ausreichendes Argument um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Im übrigen ist die Frage, ob der Kommentarteil eines Newsportals im Hinblick auf die Haftung nicht eher mit einem sozialen Netzwerk vergleichbar ist, als mit einer Handelsplattform wie eBay. Bei sozialen Netzwerken hat der EuGH die Möglichkeit der Berufung auf Art. 14 der ECRL bejaht und zudem betont, dass den Betreibern wegen Art. 15 der ECRL keine allgemeine Filter- oder Überwachungspflicht auferlegt werden kann. Auf eine solche läuft die Rechtsprechung der estländischen Gerichte letztlich aber hinaus, denn die Schadensersatzhaftung lässt sich nur dadurch vermeiden, dass man bereits im Vorfeld prüft und filtert.

Zusammenfassung

Die Entscheidung des EGMR, der nur über einen Verstoß gegen Art. 10 MRK zu befinden hat, erscheint mir deshalb problematisch, weil er sich offenbar der Tragweite und der zu befürchtenden Chilling-Effects auf die Meinungsfreiheit nicht bewusst ist. Nicht zum Prüfungsmaßstab des EGMR gehört die Frage eines Verstoßes gegen die E-Commerce-Richtlinie. Ein solcher Verstoß liegt nach meiner Einschätzung materiell allerdings vor.

posted by Stadler at 10:12  

31.7.13

Die Welt braucht Mannings und Snowdens

Der gestern vom US-Militärgericht in Fort Meade verkündete Schuldspruch des Whistleblowers Bradley Manning ist keine Überraschung. Als Überraschung kann man allenfalls den Freispruch in dem zentralen Anklagepunkt „Unterstützung des Feindes“ werten. Die Entscheidung von Militärrichterin Denise Lind ist eingedenk des enormen Drucks der Obama-Regierung durchaus mutig, vielleicht aber nicht mutig genug. Wichtig ist am Ende aber nur, ob Manning in absehbarer Zeit frei kommt oder doch eine langjährige Haftstrafe absitzen muss. Das werden wir erst wissen, wenn das Strafmaß verkündet ist und erst dann wird sich auch einschätzen lassen, ob das Militärgericht der US-Regierung vielleicht doch die Stirm geboten hat.

Der Vorwurf der Unterstützung des Feindes, der sich darauf stützt, dass die geleakten Dokumente über das Internet öffentlich gemacht wurden, ist allerdings auch in der Sache komplett lächerlich. Wäre dieses Argument durchgreifend, dann würde jeder Journalist, der politische oder militärische Missstände öffentlich macht, sich ebenfalls strafbar machen. Speziell dieser politisch motivierte Tatvorwurf zeigt die Intention der amerikanischen Regierung doch sehr deutlich.

Der Obama-Administration geht es darum, jeden Nachahmungseffekt bereits im Keim zu ersticken und Whistleblowern klar zu machen, dass sie zumindest mit langjährigen Haftstrafen zu rechnen haben. Denn wenn Manning und Snowden sich zum Vorbild für andere entwickeln und es Schule macht, dass eklatante Missstände öffentlich gemacht werden, wird das auf Heuchelei basierende US-Politsystem in seiner jetzigen Form zusammenbrechen. Die Schaffung von Transparenz und die Offenlegung unbequemer Fakten ist das, wovor Obama und seine Administration am meisten Angst haben.

Wenn man die Verurteilung Mannings in ihrem politischen Kontext betrachtet, muss man in ihr eine höhere Form des Unrechts sehen und zwar unabhängig davon, ob Manning gegen US-Gesetze verstoßen hat oder nicht. Die Verantwortung dafür sollte man allerdings nicht bei der Militärrichterin Lind suchen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten ohnehin eine vergleichsweise mutige Entscheidung getroffen hat.

Mitarbeiter von US-Geheimdiensten, die Menschen entführt, verschleppt und gefoltert haben und hierfür teilweise in Europa zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, haben in den USA keinerlei Strafverfolgung zu fürchten. Gleiches gilt für diejenigen die Rechtsverletzungen und Kriegsverbrechen begangen haben und durch Manning entlarvt wurden. Stattdessen ist derjenige, der dafür gesorgt hat, dass einige dieser Rechtsverletzungen publik wurden, seit vier Jahren inhaftiert und hat eventuell mit einer langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Schwere Straftaten gegen Leib, Leben und Freiheit von Menschen werden aus politischen Gründen nicht verfolgt, während man bei einem Whistleblower, der niemandem Schaden zugefügt hat, sondern nur einen fragwürdigen Geheimhaltungskodex verletzt hat, drakonische Strafen einfordert. Damit wird ein ganzes Wertesystem auf den Kopf gestellt und die Welt sieht weitgehend teilnahmslos zu.

Wie man immer wieder hört, soll Abraham Lincoln eines der großen politischen Vorbilder Barack Obamas sein. Dann täte er gut daran, sich eines der berühmten Lincoln-Zitate zu erinnern:

You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.

Auch die US-Regierung wird die Herstellung von Transparenz nicht auf Dauer verhindern können. Die Welt brauchte mutige Menschen wie Bradley Manning und Edward Snowden.

Das vielleicht stärkste und prägnanteste Statement zum Manning-Urteil das ich gelesen habe, kommt von Reporter ohne Grenzen:

Mutige Menschen wie er (Manning, Anm. d.Verf.) und Edward Snowden sind unverzichtbar, damit Journalisten Fehlentwicklungen publik machen können. Solche Informanten verdienen einen starken gesetzlichen Schutz und keine drakonischen Strafen.

Danke für diese klaren Worte.

posted by Stadler at 15:01  

24.7.13

Quellenschutz für Journalisten?

Der Kollege Kompa berichtet in einem Blogbeitrag über ein Verfahren gegen einen amerikanischen Journalisten, der von einem US-Gericht verurteilt wurde, gegen einen Informanten, einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, auszusagen.  Die Frage, ob die US-Verfassung Journalisten tatsächlich kein Recht gewährt, ihre Quelle zu verschweigen, will der betroffene Journalist nunmehr vom Supreme Court klären lassen oder notfalls auch ins Gefängnis gehen.

In Deutschland und einigen anderen Staaten ist der Quellenschutz in der Form gesetzlich geregelt, dass Angehörigen bestimmter Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Im Strafrecht gewährt § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, ein solches Zeugnisverweigerungsrecht. Die Reichweite dieser Vorschrift ist speziell im Onlinekontext noch nicht gänzlich geklärt, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sich der Quellenschutz auch auf Kommentare in Leserforen erstreckt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betrachtet den Schutz journalistischer Quellen übrigens als Grundvoraussetzung der Pressefreiheit. Der Gerichtshof erläutert dies in einer älteren Entscheidung so:

The Court recalls that freedom of expression constitutes one of the essential foundations of a democratic society and that the safeguards to be afforded to the press are of particular importance (see, as a recent authority, the Jersild v. Denmark judgment of 23 September 1994, Series A no. 298, p. 23, para. 31).

Protection of journalistic sources is one of the basic conditions for press freedom, as is reflected in the laws and the professional codes of conduct in a number of Contracting States and is affirmed in several international instruments on journalistic freedoms (see, amongst others, the Resolution on Journalistic Freedoms and Human Rights, adopted at the 4th European Ministerial Conference on Mass Media Policy (Prague, 7-8 December 1994) and Resolution on the Confidentiality of Journalists’ Sources by the European Parliament, 18 January 1994, Official Journal of the European Communities No. C 44/34). Without such protection, sources may be deterred from assisting the press in informing the public on matters of public interest.  As a result the vital public-watchdog role of the press may be undermined and the ability of the press to provide accurate and reliable information may be adversely affected.  Having regard to the importance of the protection of journalistic sources for press freedom in a democratic society and the potentially chilling effect an order of source disclosure has on the exercise of that freedom, such a measure cannot be compatible with Article 10 (art. 10) of the Convention unless it is justified by an overriding requirement in the public interest.

Die Ausführungen des EGMR machen aber auch deutlich, dass dieser Schutz zumindest nach der Menschenrechtskonvention nicht absolut ist, sondern durch ein überragendes öffentliches Interesse überwunden werden kann.

Im Land Of The Free – das so frei nicht mehr ist, wie wir aktuell immer wieder erkennen müssen – wird von den Gerichten bislang, entgegen anderslautender Behauptungen, kein verfassungsrechtlich garantierter Quellenschutz anerkannt. Ob sich das jetzt ändert, werden wir sehen. Es gibt in den USA lediglich in einzelnen Bundesstaaten gesetzliche Regelungen zum Quellenschutz. Kompetent wie immer erläutert der Kollege Lehofer diese Thematik in einem älteren Blogbeitrag.

posted by Stadler at 17:27  

6.5.13

Pressefreiheit auch für Leserkommentare?

Vor gut zwei Wochen habe ich mit der Kollegin Nina Diercks auf dem For..Net-Symposium über das Thema „Pressefreiheit in Online-Foren“ diskutiert. Hintergrund war eine Beschlagnahme bei der Augsburger Allgemeinen, durch die die Staatsanwaltschaft den Namen eines anonym postenden Kommentarschreibers ermitteln wollte. Die Diskussion zwischen Nina und mir lässt sich beim Campusradio der Uni Passau nachhören.

Mittlerweile ist der Beschluss des Landgerichts Augsburg, durch den die Rechtswidrigkeit des Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Augsburg festgestellt wurde, auch offiziell veröffentlicht. Das Landgericht Augsburg hat bereits die Meinungsäußerung für zulässig gehalten, aber ausdrücklich betont, dass sich die Augsburger Allgemeine im Hinblick auf die Nutzerkommentare nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen kann und damit auch nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach der Strafprozessordnung.

Die Entscheidung des Landgerichts (Beschluss vom 19.03.2013, Az.: x Qs 151/13) ist insoweit aber sehr oberflächlich gehalten und setzt sich auch mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend auseinander. Die entscheidende Passage des Beschlusses lautet:

Eine Beschlagnahmefreiheit der im Beschluss genannten Daten gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO besteht nicht, da der Beschwerdeführerin kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. §§ 160 a Abs. 2, 53 Abs. 1 S.1 Nr. 5 StPO zusteht.

Zwar unterfällt die Beschwerdeführerin als Herausgeberin einer Zeitung grundsätzlich dem Schutzbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO. Jedoch ist dieser Schutzbereich gemäß § 53 Abs. 1 S. 3 StPO nur dann eröffnet, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialen für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Zwar sind in einer Zeitung gedruckte Leserbriefe nach ständiger Rechtsprechung dem redaktionellen Bereich zuzuordnen (BVerfG 36, 193, 204).

Dies gilt aber nicht für Beiträge von Nutzern in einem Onlineforum. Eine redaktionelle Überarbeitung, die die Zuordnung von Leserbriefen zum redaktionellen Bereich einer Zeitung begründet, findet in den Fällen der Einstellung eines Beitrags in ein Onlineforum gerade nicht statt. Vielmehr erfolgt die Einstellung eines solchen Beitrags durch den Nutzer selbst, ohne dass eine Überarbeitung durch die Redaktion oder eine Prüfung der Einträge vor Veröffentlichung erfolgt. Eine vom Gesetz gem. § 53 Abs. 1 S. 3 StPO geforderte „Aufbereitung“ der Onlinebeiträge findet daher gerade nicht statt.

Mit dieser Auslegung verkennt das LG Augsburg Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit. Bereits die Annahme, die Leserkommentare seien nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen, ist fehlerhaft. Es ist nämlich gerade eine redaktionelle Entscheidung und Maßnahme, ob man als Zeitung im Anschluss an die Veröffentlichung von Artikeln auf der Website der Zeitung eine Kommentarfunktion eröffnet, die es den Lesern erlaubt, den Artikel unmittelbar zu kommentieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutzbereich der Pressefreiheit zudem über den redaktionellen Teil hinaus unter gewissen Voraussetzungen auch auf den Anzeigenteil erstreckt und hierzu ausgeführt:

Das Grundrecht der Pressefreiheit umfaßt, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen (BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Wenn die Presse ihren Lesern Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil, ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt und die Leser auf diese Weise über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen informiert, so gehört dies zu den herkömmlichen und typischen Presseaufgaben.

Dadurch wird deutlich, dass auch die unveränderte Weitergabe von Meinungen zu den typischen Aufgaben der Presse gehört und eine redaktionelle Bearbeitung – die ja bei Anzeigen nie stattfindet – gerade keine Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs der Pressefreiheit ist.

An anderer Stelle wird das BVerfG noch deutlicher und führt aus:

Eine Unterscheidung zwischen geschützten und nicht geschützten Teilen einer Zeitung läßt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erkennen. Das Grundrecht schützt den gesamten Inhalt eines Presseorgans (vgl. BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Das folgt schon daraus, daß zur Pressefreiheit nicht nur die Bestimmung des Inhalts einer einzelnen Ausgabe oder des Themas eines einzelnen Artikels, sondern erst recht die Grundentscheidung über Ausrichtung und Gestaltung des Publikationsorgans insgesamt gehört.

Die Unterscheidung zwischen einem geschützten und nicht geschützten Teil der Onlineausgabe einer Zeitung, die das Landgericht Augsburg versucht zu treffen, ist also bereits als solche nicht statthaft. Die Eröffnung einer Kommentarfunktion gehört zu den Grundentscheidungen des Publikationsorgans über Ausrichtung und Gestaltung der Zeitung.

Das Bundesverfassungsgericht macht zudem deutlich, dass auch die Entscheidung über die anonyme Wiedergabe von Zuschriften Dritter in den Schutzbereich der Pressefreiheit fällt:

Darin ist auch die Entscheidung eingeschlossen, ob Zuschriften von Dritten in die Publikation aufgenommen werden. Geschützt sind daher nicht nur eigene Beiträge der Herausgeber oder redaktionellen Mitarbeiter. Der Schutz der Pressefreiheit umfaßt auch die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, die sich nicht beruflich im Pressewesen betätigen.

e) Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt schließlich auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl. BVerfGE 60, 234 [239 f.]). Zur Form gehört es auch, ob die Veröffentlichung eines Beitrags mit oder ohne Autorenangabe erfolgt. Soweit die Anonymität den Zweck hat, Autoren vor Nachteilen zu bewahren und der Zeitung den Informationsfluß zu erhalten, fällt ins Gewicht, daß sich die Pressefreiheit auch auf das Redaktionsgeheimnis sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant erstreckt (vgl. BVerfGE 20, 162 [176]).

Das Landgericht Augsburg setzt sich mit der zitierten Rechtsprechung des BVerfG nicht ansatzweise auseinander und kann allein deshalb nicht überzeugen.

posted by Stadler at 14:28  

2.5.13

BVerfG: Kein Anspruch auf Videoübertragung im NSU-Prozess

Der Landshuter Anwaltskollege Ernst Fricke wollte als freier Journalist und Onlinejournalist – wie es in der Pressemitteilung des BVerfG – heißt, über den NSU-Prozess berichten. Weil das neue Verfahren zur Zuteilung von Plätzen für die Medien keine Kontingente für freie und Online-Journalisten vorgesehen hat, hat sich Fricke gegen die Verfügung des Vorsitzenden gewandt und beantragt, ihm einen Platz zur Verfügung zu stellen, hilfsweise eine Videoübertragung in einen Nebensaal des Gerichts durchzuführen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 01.05.2013 (Az.: 1 BvQ 13/13) abgelehnt. Zur Begründung führt das BVerfG aus:

Eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb gemäß Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist nach seinem Vorbringen offensichtlich nicht gegeben. Bei der Verteilung knapper Sitzplätze hat der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers einen erheblichen Ermessensspielraum. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <97 f.>). Es ist dagegen nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, eine Verteilungsentscheidung des Vorsitzenden umfassend und im Einzelnen darauf zu überprüfen, ob die beste Verteilmodalität gewählt worden war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069). Ein Anspruch auf Bild- und Tonübertragung der Verhandlung in einen anderen Saal des Gerichts lässt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten (BVerfGE 87, 331 <333>).

Es handelt sich immerhin schon um die 3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Streit um die Presseplätze beim NSU-Verfahren, ohne, dass die Hauptverhandlung dort überhaupt begonnen hätte.

posted by Stadler at 14:47  
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