Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

4.10.14

Im rechtsfreien Raum

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Wochenendausgabe ausführlich über eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA auf deutschem Boden, die u.a. zum Gegenstand hatte, TK-Rohdaten an den US-Dienst zu übermitteln, die der BND zuvor massenhaft am Internetknotenpunkt in Frankfurt ausgeleitet hatte. Der BND hat, bevor die Weiterleitung an die NSA erfolgte, mit einem allerdings unzureichenden Technik versucht, die Kommunikation deutscher Staatsbürger auszufiltern. Die Zusammenarbeit von BND und NSA hat laut Informationen der SZ in dieser Form von 2004 bis 2008 gedauert. Die Süddeutsche beruft sich auf streng geheime Unterlagen zu dem Projekt „Eikonal“, die die Bundesregierung dem NSA-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat und die offenbar auch dem Rechercheteam aus SZ, NDR und WDR vorliegen. Die Zusammenarbeit und auch die Weiterleitung von Rohdaten an die NSA ist nach Angaben der SZ vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier genehmigt worden. Die Operation sei dann 2008 eingestellt worden, als man beim BND bemerkt habe, dass die USA auch versucht haben, Konzerne wie EADS und französische Behörden auf diesem Weg auszuspionieren.

In der Berichterstattung der SZ und nicht nur dort wird es als besonders bedenklich bezeichnet, dass auch Daten von Bundesbürgern an die NSA weitergeleitet worden sind.

Aber schon diese juristische Bewertung ist zweifelhaft.

Der BND darf nach dem § 5 G10-Gesetz nur internationale Telekommunikation überwachen. Das bedeutet, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhalten muss. Reine Inlandskommunikation darf der BND nach dem Gesetz erst gar nicht erfassen. Es kommt also überhaupt nicht darauf an, ob ein Kommunikationsteilnehmer deutscher Staatsbürger ist.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht darstellt, sondern grundsätzlich auch ausländische Telekommunikationsteilnehmer schützt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist bereits die Überwachung eines inländischen Internetknotenpunkts durch den BND von vornherein unzulässig, weil davon ausgegangen werden muss, dass an solchen Knotenpunkten überwiegend oder in jedenfalls beträchtlichem Umfang keine internationale, sondern rein inländische Kommunikation durchgeleitet wird. Wenn bereits die Überwachung inländischer Knotenpunkte durch den BND rechtswidrig ist, hätten folglich auch die Genehmigung dieser Maßnahme durch das Bundeskanzleramt und die Billigung durch das parlamentarische Kontrollgremium nie ergehen dürfen. Dass der BND inländische Internetknotenpunkte überwacht, ist allerdings keine neue Erkenntnis und konnte bereits aus dem Antwortverhalten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen geschlossen werden.

Unabhängig davon stellt sich in rechtlicher Hinsicht zusätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang Daten, die der BND aus der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erlangt hat, an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden dürfen.

Die Übermittlung von TK-Daten durch den BND an ausländische Stellen, ist im G10-Gesetz ausdrücklich geregelt. Dort heißt es in § 7a:

Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit

1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist,
2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und
3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.
Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.

Eine Datenübermittlung ist also gesetzlich nur in engen Grenzen vorgesehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist nur dann möglich, wenn zuvor eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden ist. Eine Übermittlung von Rohdaten in großem Stil ist daher gesetzlich ausgeschlossen und mithin rechtswidrig. In der Anhörung im NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker sogar die Auffassung vertreten, dass der BND überhaupt keine Rohdaten an ausländische Dienste übermitteln darf. Die im Bericht der SZ geschilderte Übermittlung von Rohdaten an die NSA ist also schon vom G10-Gesetz nicht gedeckt.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sowohl die Erhebung von TK-Rohdaten an inländischen Knotenpunkten durch den BND, als auch erst recht die Übermittlung an die NSA bereits nach dem einfachen Recht klar rechtswidrig ist. Dass das G10-Gesetz von führenden Verfassungsrechtlern als teilweise verfassungswidrig angesehen wird, kommt da nur noch erschwerend hinzu.

Die Berichterstattung der SZ belegt also, dass beim BND ein organisierter und systematischer Rechtsbruch stattfindet und dies mit Genehmigung der Bundesregierung und teilweiser Billigung des Parlaments. Der BND bewegt sich faktisch im rechtsfreien Raum und schreckt auch vor einem offensichtlichen Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Dieser Umstand muss dann allerdings in die Schlussfolgerung münden, dass wir es hier mit einer veritablen Verfassungskrise zu tun haben und das Grundrecht aus Art. 10 GG das Papier nicht mehr wert ist, auf dem das Grundgesetz einmal gedruckt worden ist. Heribert Prantl kommentiert das völlig zutreffend als den „Totalverlust eines Grundrechts“.

Man darf vielleicht bereits die Frage stellen, ob dieser eklatante und offensichtliche Rechtsbruch angesichts des Umstands, dass eine massenhafte Übermittlung von Rohdaten an US-Dienste stattgefunden hat, gegen Mitarbeiter des BND und Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht bereits den Anfangsverdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik und zugunsten der USA begründet. Es steht dennoch kaum zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt hierzu Ermittlungen aufnehmen wird. Man wird vermutlich höchstens nach der undichten Stelle suchen, die die Dokumente an die SZ weitergegeben hat. Bei dem Eid, den ein Frank-Walter Steinmeier als Minister in unterschiedlichen Bundesregierungen auf die deutsche Verfassung geschworen hat, scheint es sich jedenfalls um einen Meineid zu handeln.

Update:
§ 7 a G10-Gesetz ist erst im Jahre 2009 in Kraft getreten – was ich beim Verfassen des Blogbeitrags übersehen hatte – konnte also für den Zeitraum 2004 – 2008 noch gar keine Anwendung finden. Es gab folglich im maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal eine formelle rechtliche Grundlage für die Übermittlung von Rohdaten an die NSA.

posted by Stadler at 22:25  

22.7.14

Verträgt sich die Tätigkeit von Geheimdiensten mit der Vorstellung von global geltenden Bürger- und Menschenrechten?

Die Heinrich Böll Stiftung hat meinen unter einer CC-Lizenz stehenden Text „Geheimdienste und Bürgerrechte“ der auch in dem Sammelband „Überwachtes Netz“ erschienen ist, übernommen. Das ehrt mich und bietet mir die Gelegenheit hier nochmals auf diesen Beitrag hinzuweisen.

Der Text kann unter Beachtung der Lizenzbedingungen CC-BY-SA weiterverbreitet werden.

posted by Stadler at 08:38  

8.12.13

BVerfG lehnt Eilantrag gegen SPD-Mitgliederentscheid ab

Das Bundesverfassungsgericht hat am 06.12.2013 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Mitgliederentscheid der SPD über den Koalitionsvertrag abgelehnt (Az.: 2 BvQ 55/13). Die lesenswerte Entscheidung beleuchtet zunächst die Rolle der Parteien im Verfassungsgefüge und stellt klar, dass die Parteien nicht Teil des Staates sind und keine öffentliche Gewalt ausüben. Das ist formal betrachtet wenig überraschend, wobei man über letzteres sicherlich diskutieren kann, denn die politische Wirklichkeit bedingt, dass von Parteien (mittlerweile) mehr Macht ausgeht, als von den im Grundgesetz genannten Verfassungsorganen. Das ist freilich keine Besonderheit des SPD-Mitgliedeentscheids, der sofern man Partei- und Fraktionsdisziplin im aktuell üblichen Umfang für legitim hält, sicherlich nicht bedenklicher ist als das, was man bisher beobachten konnte.

Die Haltung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich im Grunde äußerst knapp zusammenfassen. Die Vorgaben der Art. 21 und 38 GG sind nicht verletzt, denn der Mitgliederentscheid hindert die Abgeordneten nicht daran, anschließend frei und im Zweifel abweichend abzustimmen. Der SPD-Mitgliederentscheid begründet auch keine Verpflichtungen der Abgeordneten die über die bekannte Fraktionsdisziplin hinausgeht. Außerdem sind die Fälle von Fraktionsdisziplin und – wie hier – Parteidisziplin nicht von jedermann mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar. Rechtlich interessanter wäre es da schon, wenn es zu einem Antrag eines betroffenen Abgeordneten käme.

Vielleicht ist der Mitgliederentscheid der SPD nicht der richtige Aufhänger, aber darüber, wie frei der Abgeordnete tatsächlich noch ist, sollte grundsätzlich diskutiert werden.

Denn unser Grundgesetz propagiert das freies Mandat, was die politische Wirklichkeit aber kaum widerspiegelt. Denn die Freiheit einer eigenständigen Entscheidung nehmen sich Abgeordnete, die sich der Partei verpflichtet fühlen und von Fraktionsvorsitzenden bedrängt werden, nicht sehr häufig. Ob das eine originär verfassungsrechtliche Diskussion ist, weiß ich nicht. Aber es geht letztlich um die politische Kultur und die Ausgestaltung unserer demokratischen Mechanismen. Die Parteien sind mittlerweile äußerst dominant und nehmen eine Rolle ein, die ihnen im Verhältnis zu den im Grundgesetz genannten Verfassungsorganen (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) möglicherweise nicht zusteht. Dass das BVerfG an dieser Stelle eher zurückhaltend agiert, ist weder neu noch überraschend. Denn jede andere Entscheidung würde die über Jahrzehnte hinweg praktizierte politische Praxis in Frage stellen. Und das BVerfG war bislang stets staatstragend und hat noch nie grundlegend politische Mechanismen in Zweifel gezogen. Das bedeutet aber nicht, dass man das nicht auch anders sehen kann oder zumindest eine rechtspolitische Diskussion über die Rolle der Parteien im politischen Prozess bzw. im Gesamtgefüge der Verfassung führen kann und sollte.

posted by Stadler at 20:14  

29.11.13

Großer Journalismus oder doch nur Quatsch?

Verschiedene Medien, SPD-Anhänger sowieso, und auch Anwaltskollegen empören sich gerade darüber, dass eine Journalistin namens Marietta Slomka ihre Arbeit macht. Was war geschehen? Slomka hatte sich im Heute-Journal erdreistet, den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel danach zu fragen, ob die Einholung der Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag nicht vielleicht verfassungsrechtlich bedenklich sei. Hintergrund der Frage sind Aussagen des renommierten Verfassungsrechtlers Christoph Degenhardt, der diese Mitgliederbefragung als verfassungsrechtlich nicht legitim bezeichnet hatte. In dieser Situation erwarte ich von einer guten Journalistin geradezu, dass sie diesen Punkt aufgreift und danach fragt.

Und ja, wir sollten darüber diskutieren, ob die Stellung der Parteien im politischen Gesamtgefüge nicht mittlerweile viel zu stark ist und ob nicht alle Formen von striktem Fraktions- oder Parteienzwang mit Art. 38 des Grundgesetzes kollidieren und Ausdruck einer verfassungfernen Grundhaltung der Parteien und ihrer Entscheidungsträger sind. Das lässt sich nicht dadurch kontern, dass die Parteien im Grundgesetz ebenfalls erwähnt sind (Art. 21 GG) und ihre innere Ordnung danach demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Denn es geht vorliegend – zumindest juristisch – nicht um die innere Ordnung der SPD, sondern um eine Regierungsbildung.

Der Umstand, dass Gabriel bereits zu Beginn des Interviews auf Krawall gebürstet war und dann aus der Rolle fällt, machte das Interview im Verlauf etwas unangenehm. Gerade auch deshalb, weil Marietta Slomka in dieser Situation standhaft geblieben ist, kann ich Maximilian Steinbeis nur zustimmen. Das war großer Journalismus.

posted by Stadler at 14:55  

3.11.13

Geheimdienste gefährden unsere Demokratie

Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewaltherrschaft und autoritären Staats- und Gesellschaftsformen. Diese Geschichte hat uns gelehrt, dass die unkontrollierte Ausübung von Macht stets zu Missbrauch und zur Unterdrückung von weiten Teilen einer jeden Gesellschaft führt. Das Gegenmodell von der Herrschaft des Volkes (Demokratie) hat sich erst in der jüngeren Geschichte nachhaltig durchgesetzt, aber wie wir wissen, noch längst nicht überall.

Grundbedingung eines demokratischen Rechtsstaats ist es, staatliche Macht einer strikten Kontrolle zu unterziehen. Das gesamte staatliche Handeln ist an die Verfassung und die einfachen Gesetze gebunden. Ein solcher Staat ist geprägt von einer Herrschaft des Rechts und steht damit im Gegensatz zu Willkür- und Polizeistaaten. Dieses Rechtsstaatsprinzip, das im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 verankert ist, geht Hand in Hand mit dem Demokratieprinzip, das in Deutschland durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet wird.

Das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats lässt sich also dahingehend zusammenfassen, dass die staatliche Macht einer strikten Kontrolle unterliegt. Diese Kontrolle wird durch unabhängige Gerichte gewährleistet sowie durch ein vom Volk gewähltes Parlament.

Das Rechtsstaatsprinzip müsste im Grunde uneingeschränkt auch für Geheimdienste gelten, faktisch tut es das aber nicht. Der gerichtliche Rechtsschutz ist in diesem Bereich deutlich eingeschränkt. Eine parlamentarische Kontrolle existiert nur in der Theorie. Faktisch ist sie so ausgestaltet, dass sie beliebig und vor allen Dingen sanktionslos umgangen werden kann. Und das ist auch politisch gewollt. Selbst dann, wenn beispielsweise der BND in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, hat dies für die Behörde keinerlei Konsequenzen, wie der Fall „Bodenkamp“ belegt.  Die Bundesregierung unterstützt solche Machenschaften vielmehr durch gezielte Verschleierungstaktik. Geheimdienste können also in einem rechtsstaatlichen Vakuum agieren und die Politik lässt sie gewähren.

Die unkontrollierte Ausübung von Macht erfasst in demokratischen Gesellschaften also nicht mehr den gesamten Staat, sondern sie hat sich eine Nische gesucht, nämlich die der Geheimdienste. Dort wird in dem Wissen, dass die gerichtliche Kontrolle unzureichend ist und die parlamentarische Kontrolle nur eine Placebo-Funktion erfüllt, weiterhin ungeniert Recht gebrochen und das Rechtsstaatsprinzip mit Füßen getreten. Vermutlich glauben einige der Akteuere dieses Systems sogar, damit einer legitimen, höheren Staatsräson zu folgen. In den USA und Großbritannien sind die Auswüchse ganz augenscheinlich noch schlimmer, weil die besagte Kontrolle dort schon formal kaum vorgesehen ist.

Was wir in den letzten zehn Jahren beobachten können, ist eine ungehemmte Ausweitung der Überwachungstätigkeit der Dienste. Die ständig zunehmenden technischen Möglichkeiten gehen in vielen Staaten mit einer personellen Aufrüstung einher. Der demokratische Fremdkörper Geheimdienste könnte sich deshalb als Krebsgeschwür entpuppen, das den Gesamtorganismus Demokratie erfasst. Es geht hier nicht mehr um ein einzelnes Grundrecht – weshalb viele aktuelle Diskussionen zu kurz greifen – sondern um unsere Demokratie im Ganzen.

Wenn die Tatsache, dass Geheimdienste unsere Demokratie gefährden, nicht zügig in das öffentliche Bewusstsein vordringt, dann wird es der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat nicht nur, aber auch, hierzulande in Zukunft nicht leicht haben, sich zu behaupten. Dass konservative Politiker in Deutschland beispielsweise die Internetüberwachung noch ausweiten wollen, kann man aktuell bei Heise nachlesen.

Wir dürfen diese unkontrollierte Ausübung von Macht nicht zulassen und deshalb den Staat im Staate mit dem Namen Geheimdienst in der bisherigen Form nicht gewähren lassen. Eine demokratische Gesellschaft muss dem System Geheimdienst den Kampf ansagen.

Wer thematisch verwandte Texte von mir lesen will, dem sei nochmals „Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik“ und „Geheimdienste und Bürgerrechte“ empfohlen.

posted by Stadler at 20:59  

15.10.13

Die Post-Privacy-Falle

Michael Seemann – aka mspro – ist seit Jahren einer der Protagonisten der Post-Privacy-Debatte. Seine nicht ganz neuen Thesen durfte er aktuell im Lichte der NSA-Affäre für ZEIT-Online wieder einmal aufwärmen. Warum die Verfechter einer Post-Privacy-Gesellschaft zwar in Teilen eine zutreffende Zustandsbeschreibung liefern, aber im Ergebnis zu falschen und gefährlichen Schlussfolgerung gelangen, habe ich vor zweieinhalb Jahren bereits einmal ausführlich erläutert. Der Titel meines damaligen Beitrags lautete „Von der informationellen Selbstbestimmung zur informationellen Fremdbestimmung“. An den Argumenten hat sich auch durch die NSA-Affäre nichts verändert, ganz im Gegenteil.

Man kann die Zustandsbeschreibung Seemanns teilen, wonach Privatheit oder informationelle Selbstbestimmung für viele Menschen keinen Wert mehr darstellt und ihnen auch nicht klar ist, warum dieser Grundwert, der durch ein Grundrecht geschützt ist, in der modernen Gesellschaft überhaupt noch von Relevanz sein sollte. Die NSA-Affäre bewegt die Menschen deshalb nicht, weil die Rechtsverletzung die dort stattfindet, den meisten Menschen zu abstrakt ist und viele auch meinen, sie seien davon nicht betroffen. Das Manko besteht also darin, dass es der Netzgemeinde und den Bürgerrechtlern bisher nicht gelungen ist, die Rechtsverletzungen durch Geheimdienste zu illustrieren, sie ausreichend zu veranschaulichen.

Wer wie Seemann das Ende des Privatsphärenbegriffs postuliert, um dann im selben Atemzug zu erklären, dass die NSA die Demokratie bedroht, eröffnet damit nur ein neues Paradoxon und gibt zu erkennen, dass sein Denken von einem tiefen Unverständnis des Wesens der Freiheitsrechte geprägt ist. Würde etwa jemand ernsthaft behaupten wollen, die Versammlungsfreiheit sei am Ende, nur weil sich die Gesellschaft gerade in einer Phase befindet, in der immer weniger Menschen bereit sind, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen? Wohl kaum. Ebensowenig wird man das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung für beendet erklären, nur weil viele Menschen sich daran gewöhnt haben, ihre Daten bereitwillig preiszugeben.

Es gilt zu erkennen, dass das was Seemann als Privatsphäre oder Privacy betrachtet, nur einen Baustein im Gesamtkonzept der Freiheitsrechte darstellt. Allen Freiheitsgrundrechten gemeinsam ist der Ansatz, dass man als Bürger das Recht hat, vom Staat möglichst in Ruhe gelassen zu werden. Wenn dieses Recht am Ende ist, dann gibt es gar keine Handhabe mehr gegen Überwachung. Wer Privatheit für erledigt erklärt, der erklärt damit das Konzept der Freiheitsrechte insgesamt für gescheitert.

Das Gegenteil von Privacy ist die Transparenz aller Daten. Transparenz bedeutet Kontrolle. Aus diesem Grunde muss der freiheitlich-demokratische Staat, der vom Spannungsverhältnis Staat-Bürger geprägt ist, dafür sorgen, dass die öffentliche Gewalt transparent agiert und maximal kontrolliert wird, während dem Bürger die größtmögliche Intransparenz zuzubilligen ist. Wer das Ende der Privatheit propagiert, ermöglicht damit den gläsernen und transparenten Bürger. Diese Forderung steht deshalb in der Tradition der Unfreiheit. Die Vorstellung von einer Gesellschaft, die keine Privatssphäre mehr kennt, atmet den Geist des Totalitarismus.

John F. Nebel hat in einer lesenswerten Replik auf die Thesen Michael Seemanns darauf hingewiesen, dass das Postulat vom Ende der Privatheit nichts an den Machtverhältnissen ändert. Die Mächtigen werden nach dem Ende der Privatheit nicht nur weiter überwachen, sondern sie werden dies sogar noch unbeschwerter und exzessiver tun können. Denn das Abwehrrecht des Bürgers, das wir in Deutschland als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kennen, gibt es als Korrektiv dann ja nicht mehr. Der These, wonach der Begriff der Privatsphäre nicht mehr als Argument gegen Überwachung taugt, ist daher vehement zu widersprechen. Das Recht auf Privatsphäre ist vielmehr das Einzige, was wirklich als Argument gegen staatliche Überwachung taugt. Das Bundesverfassungsgericht hat die informationelle Selbstbestimmung aus gutem Grund auch aus der Menschenwürde hergeleitet. Jeder Mensch muss nämlich das Recht haben, sich als Individiuum in Freiheit selbst zu verwirklichen und er muss sich keiner Behandlung aussetzen, die ihn zum bloßen Objekt von Machtinteressen degradiert. Und genau darum geht es sowohl in der Überwachungs- als auch in der Privacy-Debatte. Wir müssen die Bedeutung von Privatheit besser und vor allen Dingen anschaulicher erklären. Es gibt keine anderen geeigneten „Narrative“ und auch Michael Seemann erklärt nicht, wie er die Debatte anders führen will. Es wäre für Seemann jetzt endlich an der Zeit gewesen, einen konstruktiven Ausweg aus der „Privatsphären-Falle“ aufzuzeigen. Aber einen solchen Vorschlag bleibt er einmal mehr schuldig.

posted by Stadler at 12:36  

23.9.13

Ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte

Nicht, dass mich die FDP je besonders überzeugt hätte. Eine wirklich liberale Partei waren sie allenfalls in den 70’er Jahren. Seither sind sie vor allen Dingen konservativ, einseitig wirtschaftsfreundlich und deshalb sehr empfänglich für Wirtschaftslobbyismus jeder Art. Auf der anderen Seite verfügte diese Partei aber noch zuletzt über eine Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Parlamentarier mit einem klaren liberalen und bürgerrechtlichen Profil wie Jimmy Schulz. Und das war unter dem Strich mehr als Union und SPD zusammen anzubieten hatten und haben.

FDP und die Piraten haben den Einzug in den Bundestag verpasst, Grüne und Linke haben Stimmen verloren. Was uns jetzt erwartet, ist eine große Koalition aus zwei Parteien, von denen ich der einen in rechtsstaatlicher Hinsicht nichts und der anderen wenig zutraue. Vermutlich werden wir Dinge wie die Vorratsdatenspeicherung deshalb bereits im Koalitionsvertrag wiederfinden. Gleichzeitig wird die parlamentarische Opposition noch schwächer sein als zu Zeiten der letzten großen Koalition und politisch weniger denn je gegenhalten können. Max Steinbeis hat im Verfassungsblog bereits darauf hingewiesen, dass diese Opposition aus Grünen und Linkspartei weder in der Lage sein wird, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen noch eine Normenkontrollklage zum Bundesverfassungsgericht zu erheben. Und letzteres ist besonders bitter, denn man muss davon ausgehen, dass die große Koalition erneut jede Menge verfassungswidrige Gesetze auf den Weg bringen wird.

Der gestrige Wahltag war ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte. Eine schwache parlamentarische Opposition bietet allerdings die Chance, dass sich die Zivilgesellschaft stärker einbringt und bemerkbar macht. Das wird aber nicht funktionieren, wenn man in seiner Filter-Blase verharrt und das Ende der Netzpolitik beklagt.

Das Grundproblem wurzelt tief in unserer Gesellschaft. Bürgerrechte und freiheitliche Werte gelten deshalb nicht viel, weil sie für selbstverständlich gehalten werden. Der schleichende Abbau der Grundrechte, der bereits seit den 90’er Jahren im Gang ist, wird von einer breiten Masse überhaupt nicht wahrgenommen. Dass die aktuellen Geheimndienstaffären bereits deutlich den Weg hin zu einem totalitären Staat weisen, wird nur von einer Minderheit erkannt.

Vermutlich ist „panem et circenses“ der allgemeingültigste unter all den alten römischen Grundsätzen. Eine entpolitisierte Bevölkerung wünscht sich nur noch Wohlstand, den ihr Merkel gerade im Vergleich zu anderen EU-Staaten zu garantieren scheint, und Unterhaltung, die es im Überfluss gibt.

Das kann aber kein Grund sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr sollten diejenigen, die auch bislang schon für die Grundrechte eingetreten sind, jetzt erst recht enger zusammenarbeiten und sich besser koordinieren. Der schwarze Tag für die Bürgerrechte, der der gestrige Wahltag zweifelsohne war, sollte Grund genug sein, die Kräfte zu bündeln und die Reihen zu schließen. Opposition muss nicht auf das Parlament beschränkt sein.

posted by Stadler at 21:27  

10.5.13

Der schwere Stand der Bürgerrechte

Die Diskussion um Stuttgart21 ist deutlich abgeflaut. Aber mit den fragwürdigen Methoden, derer sich Polizei und Staatsanwaltschaft mit teilweiser Billigung der Gerichte bedient haben, gilt es sich weiterhin auseinandersetzen.

Ein gutes Beispiel liefert der Fall des pensionierten Vorsitzenden Richters am Landgericht Dieter Reicherter. Er wurde zum Gegner von Stuttgart21, nachdem er mehr oder minder zufällig miterlebt hat, mit welcher Brutalität die Polizei im Stuttgarter Schlosspark gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist.

Das Wort eines ehemaligen Vorsitzenden Richters hat in einem Staat, der sich als Rechtsstaat begreift und es meistens auch noch ist, manchmal etwas mehr Gewicht als das eines x-beliebigen Demonstranten. Was natürlich diejenigen, die Polizeigewalt bestreiten oder relativieren wollen, als Gefahr empfinden müssen.

Am 27.06.2012 durchsuchte die Polizei das Haus von Dieter Reicherter, der sich gerade in London aufhielt und beschlagnahmte einen Computer und ein Notebook. Ohne richterliche Anordnung – wie Reicherter sagt – wurde eine umfassende Auswertung seiner Rechner durchgeführt. Reichterter schildert dies in einem Brief an verschiedene Beteiligte, deren E-Mails mitbeschlagnahmt und ausgewertet wurden. Darunter ist auch der E-Mail-Verkehr mit einem Journalisten der taz. Brisant daran ist u.a., dass die Rechner Reicherters nach dem Auswertungsbericht auch ganz gezielt, nach dem Namen des taz-Journalisten durchsucht wurden. In einem Untersuchungsbericht wird umfassend aus den E-Mails, die der Journalist und der pensionierte Richter gewechselt haben, zitiert.

Hintergrund der Beschlagnahmeaktion war, dass Reicherter im Februar 2012 den Rahmenbefehl Nr. 2 des Innenministeriums von Baden-Württemberg, in dem die Bespitzelung und Überwachung von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart21 angeordnet wurde, öffentlich zitiert hatte. Die Beschlagnahme diente dem Zweck, den Informanten zu ermitteln, Reicherter selbst wurde keiner Straftat beschuldigt. Der Tatvorwurf gegen den Polizeibeamten, den man als undichte Stelle vermutet, dürfte sich auf § 353b StGB stützen. Danach ist die Verletzung des Dienstgeheimnisses strafbar, sofern durch die Offenbarung wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Wenn das Geheimnis allerdings illegal ist, kann es durchaus auch am Deliktsmerkmal „unbefugt“ fehlen. Außerdem fragt man sich unweigerlich, durch wen hier eigentlich wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme und vor allen Dingen der umfassenden Auswertung des gesamten E-Mail-Verkehrs Reicherters darf man in Zweifel ziehen.

Wenn ich von solchen Vorgängen lese, wird mir immer wieder ein Zusammenhang bewusst. Die ständige Ausweitung von präventiven und repressiven polizeilichen Befugnissen, u.a. im Bereich der TK-Überwachung, wäre leichter zu verschmerzen, wenn man sich als Bürger darauf verlassen könnte, dass bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten Menschen mit Augenmaß agieren, die die rechtsstaatlichen Vorgaben immer fest im Blick haben. Aber darauf kann man sich als Bürger leider nicht verlassen. Vielmehr sehen wir uns in zunehmendem Maße einem Apparat von Ermittlungsbehörden gegenüber, der oft genug Ermittlungen um jeden Preis anstellt und dem verfassungsrechtliche Einschränkungen nur noch als lästiger Ballast erscheinen, den es abzustreifen gilt.

Und an dieser Stelle fängt man als Jurist irgendwann auch an zu bedauern, dass es in Deutschland keine Fruit Of The Poisonous Tree Doctrine gibt. Denn der Verstoß gegen das Gesetz hat für Ermittlungsbehörden im Regelfall keinerlei Konsequenzen und die so gewonnenen Erkenntnisse können zumeist auch uneingeschränkt verwertet werden, sofern nicht ein spezifisches Beweisverwertungsverbot eingreift. Weil man das natürlich weiß, schert man sich oftmals um rechtsstaatliche Vorgaben nicht mehr, zumal man sich ja auf der guten Seite wähnt. Der Rechtsstaat wird dadurch auf Dauer von den Ermittlern stärker ausgehöhlt, als von denen, gegen die ermittelt wird.

Die mangelnde rechtsstaatliche Gesinnung bei Polizei, Staatsanwaltschaften und in Teilen der Richterschaft einerseits und die Schaffung immer neuer und weitreichender Eingriffsbefugnisse durch den Gesetzgeber andererseits, ergeben einen gefährlichen Cocktail.

Leider interessieren und engagieren sich in diesem Land immer noch zu wenig Menschen für Bürgerrechte. Vermutlich auch deshalb, weil sie glauben, dass dieser Staat in diesem Bereich kaum Defizite aufweist. Das allerdings ist ein Irrtum, der auch auf mangelnder Information beruht. Und die Informationsunterdrückung ist gerade auch in der Causa Reicherter von zentraler Bedeutung. Wenn sich diejenigen, die Informationen unterdrücken wollen, aber auch noch den Instrumenten des Strafrechts bedienen können um ihr Ziel zu erreichen, müssen die Bürgerrechte einen schweren Stand haben.

posted by Stadler at 22:45  

7.3.13

Wissenschaftler gegen Verwässerung der geplanten Datenschutzgrundverordnung

Vor einigen Wochen haben sechs Wissenschaftler auf ZEIT-Online einen Aufruf veröffentlicht, die geplante Datenschutzgrundverordnung nicht zu verwässern. Diesem Aufruf haben sich mittlerweile mehr als 60 Wissenschaftler aus ganz Europa angeschlossen.

An dem Aufruf stört mich ganz entscheidend, dass einer der wirklich kritischen Aspekte dieser Datenschutzgrundverordnung, nämlich der Umstand, dass Erlaubnistatbestände in weitem Maß durch die Kommission über sog. delegierte Rechtsakte geregelt werden sollen, zwar thematisiert wird, aber erst ganz zum Ende. Das deutet auf eine verfehlte Schwerpunktsetzung hin.

Grundsätzlich stimme ich mit den Verfassern aber darin überein, dass es vermutlich technische Lösungen sein werden, die die datenschutzrechtlichen Probleme der Nutzer lösen können. Ob wir in Zukunft tatsächlich ein höheres Datenschutzniveau haben werden, als es faktisch derzeit vorhanden ist, hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, technische Lösungen wie „Do Not Track“ weltweit zu etablieren. Möglicherweise müsste der (europäische) Gesetzgeber gerade diesbezüglich verbindliche Vorgaben machen. Die geplante Datenschutzgrundverordnung wird in ihrer jetzigen Form vermutlich weniger zur Verbesserung des Datenschutzes beitragen, als viele glauben.

Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und in dem Streben nach einem hohen Datenschutzniveau nicht andere demokratische und rechtsstaatliche Grundlagen über Bord werfen. Dass diese Gefahr gerade im Hinblick auf die Datenschutzgrundverordnung besteht, hatte ich hier bereits erläutert.

posted by Stadler at 22:16  

28.12.12

Muss vor einem Scheitern der EU-Datenschutzreform gewarnt werden?

Laut einem Bericht von Heise vom 29. Chaos Communication Congress des CCC warnen Bürgerrechtler vor einem Scheitern der EU-Datenschutzreform.

Wenn ich so etwas lese, reibe ich mir verwundert die Augen. Aus bürgerrechtlicher Sicht würde ich ein Scheitern der EU-Datenschutzreform in ihrer jetzigen Form vielmehr ausdrücklich begrüßen. Denn die geplante Datenschutzgrundverordnung halte ich gerade aus netzpolitischer und bügerrechtlicher Sicht für untragbar. Warum ich das so sehe, kann man hier nachlesen.

posted by Stadler at 23:31  
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