Vorratsdatenspeicherung: How long must we sing this song?
Wenn ich bei Heise lese „Merkel drängt auf Vorratsdatenspeicherung nach Pariser Anschlägen“ werde ich wütend. Denn die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel belegt einmal mehr, dass Populismus und das Schüren von Ängsten das politische Tagesgeschäft beherrscht, gerade nach solchen Ereignissen wie den Attentaten von Paris.
Jahrelang habe ich mich mit dem Thema Vorratsdatenspeicherung befasst. In insgesamt 98 Blogbeiträgen rund um das Thema und Podiumsdiskussionen habe ich immer wieder die Argumente aufgeführt, die gegen eine Vorratsdatenspeicherung sprechen und die Nichtargumente der Befürworter beleuchtet. Mit einer gewissen Ernüchterung nimmt man dann zur Kenntnis, dass sich die Diskussion und das Diskussionsniveau keinen Millimeter vorwärts bewegt haben, jedenfalls nicht, wenn es um die höchste politische Ebene geht. Ich fühle mich an einen alten Titel von U2 erinnert, in dem es heißt: „How long must we sing this song?„. Offenbar noch lange, wenn man sich die aktuelle Debatte dazu anschaut.
Ich fasse daher die zentralen Aspekte nochmals kurz zusammen und verlinke auf weiterführende Beiträge:
1. In Frankreich gab und gibt es sogar eine zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung, die die Anschläge von Paris nicht verhindern konnte. Dieser Umstand belegt folglich allenfalls die Nutzlosigkeit einer Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Verhinderung und Bekämpfung von Terrorismus.
2. In keinem einzigen EU-Mitgliedsstaat gibt es (empirische) Belege dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung zu einer erhöhten Aufklärungsquote geführt hat, obwohl sie in den meisten EU-Staaten über viele Jahre hinweg praktiziert worden ist. Die Politik, die eine Vorratsdatenspeicherung fordert und damit Grundrechte massiv einschränken möchte, schuldet eine stichhaltige und auf belastbare Zahlen und Fakten gestützte Begründung, warum die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich notwendig sein soll. Eine solche Begründung hat niemand auch nur ansatzweise geliefert.
3. Eine verfassungskonforme Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ist nach den Urteilen des EuGH und des BVerfG kaum mehr möglich.
4. Aus bürgerrechtlicher und gesellschaftlicher Sicht ist die Frage zu diskutieren, ob wir es als Bürger zulassen wollen, dass der Staat sämtliche Verbindungsdaten und Standortdaten der Telekommunikation eines jeden Bürgers ohne jeglichen konkreten Anlass für mehrere Monate auf Halde speichern lässt. Diese Frage stellt sich ganz unabhängig davon, ob eine solche Maßnahme bei entsprechender gesetzlicher Ausgestaltung gerade noch verfassungskonform möglich wäre oder nicht.
Weiterführende Beiträge:
Acht Mythen zur Vorratsdatenspeicherung
Ist die Vorratsdatenspeicherung nach der Entscheidung des EuGH tot?
Untersuchung des MPI zum Nutzen der Vorratsdatenspeicherung
Brauchen wir eine differenzierte Betrachtung zur Vorratsdatenspeicherung?
Locker bleiben.
Der Europäische Gerichtshof hat die massenhafte und anlaßlose Speicherung gekippt. Eine Neuauflage die dies berücksichtigt, ist nicht möglich.
Die Beführworter verschweigen das natürlich, aber auch ein neues Gesetz wird nicht Bestand haben. Und diesmal wird das Bundesverfassungsgericht ihr damaliges Pseudo-Verbot ändern müssen.
Ärgern tut sich doch nur Leute, die die meisten Politiker als vernunftbegabte und seriöse Volksverteter sehen.
Spätestens in der Snowden-Ära sollten auch die letzten Bürger aufgewacht sein.
Leider sind der große Teil der Bürger politisch uninteressiert, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, oder schlichtweg strunzdoof und manipulierbar. Und das ist unser eigentliches Problem.
Comment by Grundgesetz — 14.01, 2015 @ 15:57
Während am Diskussionsniveau sich nichts ändert, gab es doch Bewegung in der Sache:
Unter Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wurde die Vorratsdatenspeicherung beschlossen; Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verhindert sie aktuell fast allein gegen CSU, CDU und seinen eigenen Parteivorsitzenden. Das entspringt nicht zuletzt dem Stellenwert der Expertenmeinungen, die in den hier aufgeführten 98 Blogbeiträgen zur Sprache kommen. Vielen Dank dafür! Hoffen wir, dass Maas sehr lange den Druck aushält.
Comment by Dreizack — 14.01, 2015 @ 16:06
Vorratsdatenspeicherung, Persönlichkeitsrechte, Menschenwürde, Datenschutz, Vertretung der Interessen der Arbeiterkalsse, Interessen des Deutschen Volkes etc. sind alles vorgeschobene Argunmente zum angeblichen Recht auf Sammlung von Daten zwecks Schaffung von Ruhe und Ordnung, Gerechtigkeit, sozialen Frieden.
Tatsächlich wurde und wird immer das Gegenteil erreicht: Mord, Krieg, Revolution, Elend, Ungerechtigkeit, Justizterror.
Comment by Rolf Schälike — 14.01, 2015 @ 16:25
Frau Ferkel speichert die Vorratsdaten, Herr Seehofer verschärft den Blasphemieparagrafen und Herr Maas verbietet Abenteuerurlaub im nahen Osten – und schon ist Schluss mit Terrorismus, so einfach ist das !
Comment by RA JM — 14.01, 2015 @ 16:27
Geht mir ganz genauso. David Cameron’s Aussage, macht mich ebenso wütend, wie Merkels Zuspruch zur VDS. Es kann doch einfach nicht mehr wahr sein. Nichts gelernt, nichts begriffen …
Comment by reraiseace — 14.01, 2015 @ 18:27
Ist es nicht so, dass Frankreich die Vorratsdatenspeicherung *hat* und dann trotzdem den Anschlag nicht verhindern konnte ?
Comment by Manuel — 14.01, 2015 @ 18:47
Man denke nur an Norwegen und Breivik,
vorbildlich gehandelt, ohne Rechte aufzugeben.
Sehr schön passend auch die mahnenden Worte
der 121 aktualisierten „New Clues“ auf cluetrain.com
Comment by Oggi — 14.01, 2015 @ 19:34
Die VDS ist gut geeignet, um Netzwerke und Organisationen zu
erfassen und zu zerschlagen.
Die eigentliche Terrorbekämpfung scheitert wegen des jahrzehntelangen
Personalabbaus und aufgrund fehlender Motivation.
Comment by Arne Rathjen RA — 14.01, 2015 @ 19:50
How long must we sing this song?
Das gilt doch für alle wichtigen Entwicklungen, ob es nun um Netzneutralität, BGE oder TTIP geht.
Es wird einfach an den Interessen der Menschen vorbei regiert und die große Masse ist dumm und desinteressiert genug, um das nicht zu begreifen.
Comment by Frank Topel — 14.01, 2015 @ 20:24
Die fordernden Politiker sollen mal mit ihren Daten vorangehen. Irgend jemand würde denen schon aufzeigen das sie falsch liegen.
Comment by Christian — 14.01, 2015 @ 20:34
?
Belege dafür? Und was hilft das gegen Irre, die allein oder zu zweit mal ein bisschen Terror machen wollen?
Comment by Moon — 14.01, 2015 @ 21:12
Interessant wäre auch, wie das damit zusammenpassen soll: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/angela-merkel-bundestag-regierungserklaerung-terrorismus
Comment by Robert aus Wien — 15.01, 2015 @ 10:07
Wenn man an den Aufschrei wegen der (vergleichsweise harmlosen) Volkszählung Mitte der 80er denkt, fragt man sich wieso sich das Volk das bieten lässt. Wenn ein Cameron sogar meint, mit seinem angekündigten Verschlüsselungsverbot sogar Wahlen gewinnen zu können, dann kriegt man Zweifel am gesunden Menschenverstand.
Comment by Oliver — 15.01, 2015 @ 13:29
Was DU JETZT tun kannst! Kontaktiere die Bundestagsabgeordneten (vor allem von SPD, CDU und CSU)!
— VORLAGE —
Sehr geehrter Herr Abgeordneter [XYZ],
Sehr geehrte Frau Abgeordnete [XYZ],
als Wähler und unbescholtener Bürger rufe ich Sie dazu auf, gegen die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten zu stimmen.
Es liegt in Ihrer Hand, welche Entwicklung unsere Gesellschafts- und Rechtsordnung beschreiten wird. Seien Sie sich Ihrer großen Verantwortung für unser Land bewusst.
Wollen Sie wirklich 80 Millionen unbescholtene deutsche Bürger unter Generalverdacht stellen? Wollen Sie wirklich jeden Bürger als potentiellen Schwerverbrecher und Terroristen behandeln?
Sie haben als Volksvertreter die Pflicht, das Erbe unserer Ahnen, der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes zu bewahren. Freiheit, Menschenrechte und Selbstbestimmung. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit. All dies sind zentrale Werte und Prinzipien unserer Verfassung.
Sie entscheiden darüber, ob mit der Vorratsdatenspeicherung die Pervertierung der verfassungsrechtlichen Grundfesten eintritt. Sie entscheiden darüber, ob die Unschuldsvermutung im Telekommunikations- und Internetverkehr durch die Vorratsdatenspeicherung abgeschafft wird.
Wie sollen investigative Journalisten zukünftig Korruption und Machtmissbrauch aufdecken, wenn Informanten nicht mehr geschützt mit Journalisten kommunizieren können?
Wie sollen Menschen in schwierigen persönlichen Situationen, z.B. schwangere Vergewaltigungsopfer zukünftig vertraulich Kontakt zu Psychotherapeuten aufnehmen können?
Wie sollen ausstiegswillige Neonazis zukünftig vertraulichen Kontakt zu Aussteigerprogrammen aufnehmen können?
Seien Sie Verfassungspatriot! Denken Sie daran, welchen Platz Sie in der Geschichte unserer Nation einnehmen wollen. Wollen Sie wirklich die beste Verfassung der Welt beschneiden? Nach unfassbarem Leid durch Diktatur, Holocaust und Krieg haben unsere Väter und Mütter unseres Grundgesetzes die richtigen Lehren gezogen. Seien Sie sich dieser historischen Dimension bewusst.
Terroristen und Schwerverbrecher können unser Land nicht zerstören. Gemeinsam sin wir als Nation stärker.
Die Vorratsdatenspeicherung wird hingegen unsere Gesellschafts- und Rechtsordnung nachhaltig zerstören. Die Vorratsdatenspeicherung wird die Freiheit von Millionen unbescholtener Deutscher zerstören. Wollen Sie wirklich das Werk vollenden, das sich Terroristen auf die Fahne schreiben? Wollen Sie wirklich Seite an Seite mit Terroristen und anderen Verfassungsfeinden unsere Freiheit zerstören?
Wir können Kriminalität und Terrorismus auch ohne Generalverdacht und Vorratsdatenspeicherung bekämpfen. Die Polizei kann alternative Mittel und Methoden einsetzen. Und wir als Gesellschaft können durch ein gutes Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem präventiv dafür sorgen, dass möglichst wenige Menschen auf die schiefe Bahn geraten.
Ich appelliere an Ihr Gewissen! Seien Sie Verfassungspatriot! Stimmen Sie gegen die Vorratsdatenspeicherung! Nur damit werden Sie dem Erbe der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes gerecht.
Mit herzlichen Grüßen
[Dein Name]
Comment by ACT NOW — 15.01, 2015 @ 16:00
Wie lange?
Solange bis „unsere“ Politiker das Brett gebohrt haben.
Comment by Christian — 15.01, 2015 @ 16:54
Stimme 15 zu.
Die, die auf die Daten zugreifen könnten, haben beschlossen, dass es kommt.
Eines Tages trifft ein Wirbelsturm auf die Fussball-WM, in China fällt ein Sack Reis um, und schwups ist es da.
Vielleicht steht dazu ja auch was bei TTIP auf Seite 7436? Das Unternehmen, dass die technische Lösung bietet, würde in seiner Geschäftstätigkeit bestimmt stark durch diese nationale Gesetzgebung behindert.
Comment by Dix — 29.01, 2015 @ 12:47