Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

15.11.11

Kachelmann dreht den Spieß um

Jörg Kachelmann hat sich verschiedentlich erfolgreich gegen Wort- und Bildberichterstattung zur Wehr gesetzt, durch die er seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah.

In einem solchen Verfahren hat der beklagte Journalist Widerklage erhoben und beantragt, den Kläger (Kachelmann) zu verurteilen, die Verbreitung eines Fotos des Journalisten via Twitter zu verbieten.

Kachelmann hatte den Journlisten nämlich fotografiert, als dieser Zeitung lesend in seinem Auto saß und vor der Wohnung des Wettermoderators lauerte. Das Foto hatte Kachelmann mit der Bildunterschrift: „Der tapfere Wochenend Paparazzo Völkerling (BILD) bevorzugt seriöse Presse, wenn man nen Tag auf den Promi wartet“ versehen und auf Twitter gepostet.

Der Journalist sah sich hierdurch in seinem Recht am eigenen Bild verletzt. Dem ist das Landgericht Köln (Urteil vom 09.11.2011, Az.: 28 O 225/11) nicht gefolgt und hat die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung führt das Gericht aus:

Das streitgegenständliche Bildnis ist von zeitgeschichtlichem Interesse. Der Begriff der Zeitgeschichte ist im Interesse der Informationsfreiheit weit zu verstehen. Ihm unterfallen alle Geschehnisse von gesellschaftlicher Relevanz. Für die Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegenstehenden Rechtsgütern des Abgebildeten, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuwägen. Für die Abwägung ist wesentlich, in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag für den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung erbringen kann. Dies kann auch bei rein unterhaltenden Beiträgen der Fall sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört, dass die Presse in den gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist (BGH NJW 2008, 3138 – Christiansen I). Maßgeblich ist demnach der Informationswert der Veröffentlichung, der sich auch aus dem Kontext der zugehörigen Wortberichterstattung ergeben kann (BVerfG GRUR 2008, 539ff – Caroline von Hannover), in Wechselwirkung zu der Tiefe der Rechtsverletzung auf Seiten des Abgebildeten.

Nach diesen Maßstäben handelt es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Das Foto zeigt den Beklagten, wie er noch während des Laufs des Strafprozesses in der Nähe der Wohnung des Klägers auf diesen wartet, um Bilder von dem Kläger oder Material für eine Berichterstattung über diesen zu erlangen. Es zeigt den Beklagten mithin in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Der Umgang der Medien mit Prominenten, insbesondere die Art und Weise wie die Berichterstattung über Prominente und die Bebilderung derselben erfolgt, ist bereits grundsätzlich von gesellschaftlicher Relevanz und von öffentlichem Interesse, da der Umgang miteinander die gesellschaftlichen Grundlagen berührt. Dieses öffentliche Interesse ist im vorliegenden Fall zudem noch dadurch gesteigert, dass die Berichterstattung über den Kläger, das gegen diesen geführte Strafverfahren aber auch der Umgang der Medien hiermit, ein wesentliches Thema der Jahre 2010 und 2011 war und großen öffentlichen Widerhall gefunden hat. Die Öffentlichkeit hat daher ein Interesse daran zu erfahren, wie diese Berichterstattung zustande kommt. Der Beklagte, wenn auch selbst nicht bekannt, war in seiner Eigenschaft als Journalist und Fotograf– wie auch die Klage zeigt –  an dieser vielfach persönlichkeitsrechtsverletzenden (Bild-) Berichterstattung über den Kläger beteiligt. Dies und seine Arbeitsweise wird durch die streitgegenständliche zeitnah veröffentlichte Fotografie dokumentiert, die geeignet ist, einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung über die Umstände von Medienberichterstattung zu erbringen.

b) Dieses öffentliche Berichterstattungsinteresse überwiegt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten, der überdies auch nicht in seinen berechtigten Interessen verletzt wird (§ 23 Abs. 2 KUG). Das Bildnis zeigt den Beklagten in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit, weshalb er lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen. Diese Arbeit wiederum betrifft unmittelbar den Kläger: auch wenn der Beklagte zum Zeitpunkt des Bildnisses nichts tut, außer auf eine Gelegenheit den Kläger in der Nähe seiner Wohnung zu fotografieren zu warten, so ist dies dennoch Vorbereitungshandlung für weitere journalistische Maßnahmen mit Bezug auf den Kläger. Wenn er durch den Kläger dabei abgelichtet wird, so wird er hierdurch nicht wesentlich in seinen Interessen betroffen.

Das Urteil ist für Paparazzi möglicherweise auch pädagogisch wertvoll. Wer ständig andere Leute fotografiert und ihnen dazu überall auflauert, der sollte kein Problem damit haben, wenn man ihn bei seiner Berufsausübung fotografiert und ein solches Foto dann öffentlich macht.

(via lawblog)

posted by Stadler at 12:06  

14.11.11

Verfassungsschutz oder Verfassungsbruch?

Zum Thema Verfassungsschutz habe ich in der Vergangenheit mehrfach kritisch gebloggt. Sollte sich tatsächlich bewahrheiten, dass Beamte von Verfassungsschutzbehörden in die Morde verstrickt sind, die von gedankenlosen Journalisten als „Döner-Morde“ bezeichnet werden, dann würde mich selbst das nicht überraschen.

Denn die Verfassungsschutzbehörden können tatsächlich weitgehend im rechtsfreien Raum agieren, es fehlt an einer hinreichenden gerichtlichen und parlamentarischen Überprüfung ihrer Tätigkeit. Behörden, die keiner ausreichenden rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen, neigen dazu das Recht zu brechen und können damit ihre Aufgabe die Verfassung zu schützen, zwangsläufig nicht erfüllen. Die Möglichkeit Macht unkontrolliert auszuüben, führt regelmäßig zu Machtmissbrauch. Die Bezeichnung dieser Behörden als Verfassungsschutz erweist sich als Oxymoron.

Es gilt daher, diesen Konstruktionsfehler umgehend zu beseitigen oder die Verfassungsschutzbehörden ganz aufzulösen. Sie sind augenscheinlich zu einer Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung geworden und erfüllen ihren eigentlichen Auftrag nicht.

 

posted by Stadler at 21:40  

14.11.11

Wettbewerbsrechtliche Haftung für die Zusendung unbestellter Waren

Der BGH hat entschieden (Urteil vom 17. August 2011, Az.:  I ZR 134/10) dass die unbestellte Zusendung von Zeitschriften und die Ankündigung der fortgesetzten entgeltlichen Zusendung gegen Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG verstößt und gleichzeitig auch eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG vorliegt. Das ist im Ergebnis wenig überraschend.

Die interessante Facette des Falles besteht darin, dass die Beklagte vorgetragen hatte, sie sei selbst von einer Kundenbestellung ausgegangen und sei insoweit von ihrem Werber getäuscht worden und damit selbst Opfer eines groß angelegten Betrugs geworden.

Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass sich der Unternehmer nur dann auf einen Irrtum berufen kann, wenn der Irrtum seine Ursache nicht im Verantwortungsbereich des Unternehmens hat. Beruht der Irrtum allerdings darauf, dass der Unternehmer von der Person getäuscht worden ist, die er für seine Akquisition eingesetzt hat, haftet er für den in der Zusendung der unbestellten Ware liegenden Wettbewerbsverstoß nach § 8 Abs. 2 UWG und zwar unabhängig von der Frage einer Wissenszurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB.

posted by Stadler at 11:49  

14.11.11

Modernisierung des Datenschutzrechts

Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) am vergangenen Wochenende in München wurde u.a. über eine Modernisierung des Datenschutzrechts diskutiert. Peter Bräutigam hat ein Thesenpapier vorgestellt, das von ihm, Jochen Schneider und Bernd H. Harder stammt und das, ein neues, zeitgemäßes Rahmenkonzept für den Datenschutz fordert.

Dieser Ansatz bzw. diese Thesen sind bereits seit einigen Monaten im Gespräch. Die Thesen, die auf eine grundlegende Reform des Datenschutzrechts abzielen, sind in der Diskussion bei der DGRI überwiegend auf Zustimmung gestoßen.

Wesentlicher Bestandteil dieses Konzeptes ist ein Abschied von dem geltenden Verbotsprinzip. Zentraler Ansastzpunkt des geltenden Rechts ist die Annahme, dass zunächst jede Art der Verarbeitung personenbezogener Daten verboten ist, solange nicht ein gesetzlicher Erlaubnisstatbestand eingreift (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Dieses Modell differenziert nicht nach der Art der personenbezogenen Daten und fragt auch nicht nach der Schwere der Beeinträchtigung.

Das vorgestellte Konzept geht demgegenüber davon aus, dass die Gleichbehandlung aller personenbezogener Daten nicht mehr zweckmäßig ist, sondern will das materielle Schutzgut „Privatsphäre/Persönlichkeit“ in den Mittelpunkt stellen und damit gleichzeitig das Regelungsobjekt „Daten“ abschaffen. Letztlich soll also an die Stelle des Verbotsprinzips eine Abwägung verschiedener Rechtspositionen treten.

Verdeutlicht wurde das im Vortrag anhand des Beispiels des personenbezogenen Datums der Religonszugehörigkeit. Während die Zugehörigkeit des Papstes zum katholischen Glauben für diesen kein sensibles Datum darstellt, kann der Angehörige einer religiösen Minderheit ein hohes subjektives Interesse am Schutz derselben Information haben. Nachdem also ein und dasselbe Datum für unterschiedliche Personen eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben kann und damit auch ein unterschiedliches Schutzbedürfnis besteht, erscheint es auch nicht gerechtfertigt, in beiden Fällen auf dasselbe Schutzniveau abzustellen.

Das geltende Datenschutzrecht fragt zunächst nicht danach, ob und in welchem Umfang der Schutz eines bestimmten Datums notwendig erscheint, sondern schützt zunächst jedes personenbezogene Datum gleich und folgt damit in gewisser Weise einem Schwarz-Weiß-Schema. Dieses Phänomen wurde außerhalb von Fachkreisen auch häufiger durch die Forderung, dass man nicht Daten sondern Menschen schützen sollte, kritisiert.

Die Kritik erscheint mir durchaus treffend. Denn wer das Individuum und nicht ein starres Datum in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, muss sich zunächst immer fragen, in welchem Umfang der Einzelne im konkreten Fall überhaupt eines Schutzes bedarf.

Im Vortrag schlossen sich weitere Thesen an, wie die Forderung nach der Schaffung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs, der auch den immateriellen Schaden umfassen soll. Insoweit soll auch ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen werden, in dem auch ein Mindestschaden geltend gemacht werden kann. Man erhofft sich dadurch eine effektive Ahndung von Datenschutzverstößen, an der es bislang zumeist mangelt.

Auch wenn hier einiges noch äußerst vage dargestellt ist, scheint die Diskussion um eine grundlegende Änderung des Datenschutzrechts zumindest in der Fachwelt angekommen zu sein.

Letztlich wird aber entscheidend sein, was die EU-Kommission demnächst zur Frage der Neuregelung des Datenschutzrechts vorschlagen wird. Es steht allerdings zu vermuten, dass die Datenschutzbehörden, die die Diskussion in den letzten Jahren und Jahrzehnten maßgeblich bestimmt haben, sich mit Ansätzen wie dem von Schneider/Bräutigam/Harder nicht werden anfreunden können.

posted by Stadler at 10:34  

11.11.11

ROG fordert Ende der Verfolgung von Bloggern in Ägypten

Reporter ohne Grenzen hat heute eine Petition gestartet, die unsere Unterstützung benötigt.

In Ägypten werden Blogger und Dissidenten weiterhin verfolgt und inhaftiert, weil sie berichten und ihre Meinung äußern.Die Petition von ROG fordert die Einstellung der Verfolgung von Internetdissidenten sowie die umgehende und bedingungslose Freilassung der ägyptischen Blogger Maikel Nabil Sanad und Alaa Abdel Fattah.

Spread The Word!

posted by Stadler at 14:58  

10.11.11

BGH zur Haftung des Admin-C

Der Bundesgerichtshof hat gestern über eine der umstrittensten Fragen des Domainrechts entschieden, nämlich darüber, ob der sog. Admin-C für Rechtsverletzungen durch eine Domain verantwortlich gemacht werden kann (Urteil vom 9. November 2011, Az.: I ZR 150/09).

Der BGH betont zunächst, dass sich ein Anspruch gegenüber dem Admin-C aus dem Gesichtspunkt der Störerhaftung ergeben kann, dass dafür allerdings noch nicht die bloße Stellung als Admin-C genügt. Eine generelle Störerhaftung des Admin-C scheint der BGH folglich abzulehnen.

Allerdings soll den Admin-C unter bestimmten Umständen eine besondere Prüfungspflicht hinsichtlich des Domainnamens treffen, dessen Registrierung er durch seine Bereitschaft, als Admin-C zu wirken, ermöglicht.

In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:

Im Streitfall hatte sich der Beklagte gegenüber der in Großbritannien ansässigen Inhaberin des Domainnamens generell bereit erklärt, für alle von ihr registrierten Domainnamen als Admin-C zur Verfügung zu stehen. Ferner hatte die Klägerin vorgetragen, dass die britische Gesellschaft in einem automatisierten Verfahren freiwerdende Domainnamen ermittelt und automatisch registrieren lässt, so dass auf der Ebene des Anmelders und Inhabers des Domainnamens keinerlei Prüfung stattfindet, ob die angemeldeten Domainnamen Rechte Dritter verletzen könnten. Bei dieser Verfahrensweise besteht im Hinblick darauf, dass auch bei der DENIC eine solche Prüfung nicht stattfindet, eine erhöhte Gefahr, dass für den Domaininhaber rechtsverletzende Domainnamen registriert werden. Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof eine Pflicht des Admin-C bejaht, von sich aus zu überprüfen, ob die automatisiert registrierten Domainnamen Rechte Dritter verletzen.

Genaueres wird man erst dann wissen, wenn das Urteil im Volltext vorliegt. Ob sich der BGH in seiner Entscheiudng auch zu anderen Fallkonstellationen geäußert hat, wie etwa der Frage, ob der Admin-C auch für den Inhalt einer Website in Anspruch genommen werden kann, bleibt abzuwarten.

posted by Stadler at 16:15  

10.11.11

Das Europaparlament ist gar kein richtiges Parlament

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern (Urteil vom 09.11.2011, Az.: 2 BvC 4/10, 2 BvC 6/10, 2 BvC 8/10) entschieden, dass die 5-Prozent-Hürde bei den Europawahlen gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien verstößt, undhat die der Sperrklausel zugrunde liegende Vorschrift des § 2 Abs. 7 Europawahlgesetz (EuWG) für nichtig erklärt.

Die Begründung die das Gericht liefert ist diskussionsbedürftig.

Das BVerfG weist zunächst darauf hin, dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu einer Ungleichgewichtung der Wählerstimmen führt, wodurch der Anspruch der politischen Parteien auf Chancengleichheit beeinträchtigt wird. Diese grundsätzliche Überlegung trifft allerdings auf alle Wahlen zu.

Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht des Gerichts eine Fünf-Prozent-Hürde nicht per se unzulässig, aber sie bedarf stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Und einen solchen Grund sieht das Gericht zwar für die Bundestagswahlen, nicht aber für die Europawahlen.

Denn, so das Gericht sinngemäß, das EU-Parlament ist gar kein richtiges Parlament, weil es nicht dieselbe Funktion erfüllt wie der Bundestag und auch nicht über vergleichbare Kompetenzen verfügt . Wörtlich liest sich das dann so:

Eine – bei der Wahl zum Deutschen Bundestag – vergleichbare Interessenlage besteht auf europäischer Ebene nach den europäischen Verträgen nicht. Das Europäische Parlament wählt keine Unionsregierung, die auf seine fortlaufende Unterstützung angewiesen wäre. Ebenso wenig ist die Gesetzgebung der Union von einer gleichbleibenden Mehrheit im Europäischen Parlament abhängig, die von einer stabilen Koalition bestimmter Fraktionen gebildet würde und der eine Opposition gegenüberstünde. Zudem ist die unionale Gesetzgebung nach dem Primärrecht so konzipiert, dass sie nicht von bestimmten Mehrheitsverhältnissen im Europäischen Parlament abhängig ist.

Diese Betrachtung ist sicherlich nicht falsch, denn sie beschreibt letztlich nur, das auf EU-Ebene nach wie vor vorhandene strukturelle Demokratiedefizit.

Dennoch  halte ich die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung für problematisch. Denn sie trägt der erheblich gewachsenen Bedeutung des Europaparlaments in den letzten Jahrzehnten nicht Rechnung. Ein beträchtlicher Teil gerade auch der gesetzgeberischen Grundentscheidungen wird nicht mehr in Berlin sondern in Brüssel getroffen. Das EU-Parlament ist zwar von einem originären Gesetzgeber noch weit entfernt, aber es hat durch die Verträge von Maastricht und Lissabonn eine deutliche Aufwertung erfahren. Das Europäische Parlament ist mittlerweile an mehr grundlegenden gesetzgeberischen Entscheidungen unmittelbar beteiligt als der Bundestag und hat in vielen Bereichen zumindest die Möglichkeit die Rechtsetzungsvorschläge der Kommission zu verhindern.

Die Bedeutung des Europaparlaments ist deshalb mittlerweile wohl höher als die des Bundestages. Auch wenn das in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen wird. Denn dem Bundestag verbleibt bei den EU-Richtlinien letztlich nur noch die Pflicht zur Umsetzung, regelmäßig ohne nennenswerten Gestaltungsspielraum.

Man muss sich außerdem auch die Frage stellen, ob die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts nicht auch auf die Bundestagswahlen zu übertragen wären und ob die jetzt vorgenommene Differenzierung zwischen Europa- und Bundestagswahlen deshalb nicht inskonsequent ist.

Auch wenn die Fünf-Prozent-Hürde eine Lehre ist, die man aus der Handlungsunfähigkeit des Reichstags der Weimarer Republik gezogen hat, muss die Frage erlaubt sein, ob sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Verlauf der letzten 60 Jahre nicht so deutlich geändert haben, dass dieses Argument letztlich verblasst. Würde der Bundestag tatsächlich handlungsunfähig, wenn man die Fünf-Prozent-Hürde abschafft bzw. würde dies Regierungsbildungen wirklich so stark erschweren, dass es gerechtfertigt ist, den Anspruch der politischen Parteien auf Chancengleichheit zu beeinträchtigen?

Die Entscheidung des Bundesverfassungerichts erscheint mir in sich nicht wirklich schlüssig und stringent. Sie erging auch nur mit 5:3 Stimmen und in der Begründung sogar nur mit 4:4. Das Sondervotum der scheidenden Verfassungsrichter Di Fabio und Mellinghoff ist beachtenswert.

Die beiden Richter weisen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Europawahl noch 1979 als gerechtfertigt angesehen hat, während man sie heute, trotz beträchtlicher Kompetenzzuwächse sowie einer deutlich gestiegenen politischen Bedeutung des Europaparlaments, für nicht mehr gerechtfertigt erachtet und beklagen, dass nicht hinreichend dargelegt wird, weshalb und inwieweit sich der Beurteilungsmaßstab verändert hat.

Ebenfalls kritisch und wie immer lesenswert äußerst sich Max Steinbeis in seinem Verfassungsblog.

posted by Stadler at 13:26  

9.11.11

Urheberrecht schlägt Markenrecht

Über einen eher ungewöhnlichen Fall, in dem sich das Urheberrecht gegen das Kennzeichenrecht durchsetzt, hatte der BGH mit Beschluss vom 17.08.2011 (Az.: I ZB 75/10) zu entscheiden.

Der Markeninhaber hatte beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die Wort-/Bildmarke „Krystallpalast Varieté“ eintragen lassen, die aus einer grafischen Darstellung und dem Schriftzug besteht. Dagegen hat die Antragstellerin die Löschung der Marke beantragt, weil der Markeninhaber bei der Anmeldung bösgläubig gewesen sei.

Die Antragstellerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin hatten als Betreiber des Krystallpalast Varietés das in Rede stehende Kennzeichen zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke bereits seit Jahren als Unternehmenskennzeichen im Geschäftsverkehr verwendet.

Das DPMA hat die Löschung verfügt. Das Bundespatentgericht hat diese Entscheidung bestätigt, u.a. mit dem Argument, dass die Antragstellerin durch die Benutzung des Unternehmenskennzeichens einen schutzwürdigen Besitzstand an dem Zeichen erlangt habe.

Der Markeninhaber beruft sich demgegenüber darauf, dass er Urheber des Logos ist, aus dem die Marke gebildet wurde. Die Antragstellerin habe keine urheberrechtlichen Nutzungsrechte an dem als Marke eingetragenen Zeichen von ihm erworben, sondern nur von einer B KG, der er aber keine entsprechenden Rechte eingeräumt hat.

Diesen Einwand hat der BGH für rechtlich erheblich gehalten und das Verfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Sollte die Antragstellerin durch die Nutzung des Logos ein daran bestehendes Urheberrecht des Markeninhabers verletzt haben, könnte sie sich – jedenfalls gegenüber dem Markeninhaber – nicht auf einen schutzwürdigen Besitzstand berufen. In diesem Fall wäre die Markenanmeldung nach Ansicht des BGH nicht als bösgläubig anzusehen.

 

 

 

posted by Stadler at 14:42  

8.11.11

Die Piraten und das Urheberrecht

Dem Journalisten Dirk von Gehlen, der unlängst das lesenswerte Buch „MashUp – Lob der Kopie“ veröffentlicht hat, liegt eine Reform des Urheberrechts am Herzen. Deshalb stellt er in der SZ die Frage „Haben die Piraten ihren Gründungsauftrag vergessen?“ und bemängelt, dass sich die Partei derzeit angeblich nicht für eine Änderung des Urheberrechts einsetzt.

Mit Interesse habe ich in meiner Twitter-Timeline verfolgt, dass er dafür sehr häufig von Mitgliedern und Anhängern von SPD und Grünen Beifall bekommen hat. Und das obwohl der Artikel inhaltlich an der Sache vorbei geht, was aber in parteipolitischen Auseinandersetzungen noch selten ein Argument war.

Die Conclusio von Gehlens lautet:

Die Piraten würden gut daran tun, sich an die digitale Bürgerrechtsbewegung zu erinnern und das Urheberrecht auch gegen Widerstände als zentrales Thema zu benennen

Dieser Satz fasst auch gleich die beiden zentralen Missverständnisse des Artikels zusammen. Zumindest nach meinem Verständnis ist das Urheberrecht nicht das Kernthema einer digitalen Bürgerrechtsbewegung. Jedenfalls nicht in dem Maße wie Vorratsdatenspeicherung oder Netzsperren es sind. Und über urheberrechtliche Fragen wird auch nicht im Berliner Abgeordnetenhaus entschieden. Das Urheberrecht fällt vielmehr in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG). Und die Bundespartei der Piraten diskutiert sehr wohl über eine Reform des Urheberrechts, wie ich erst heute wieder gelesen habe und zumindest in der Tendenz auch so wie von Gehlen sich das wünscht.

Die Kritik von Gehlens reiht sich ein in eine derzeit häufig anzutreffende Form des Piratenbashings und bewegt sich inhaltlich deutlich unterhalb des Niveaus, das man sonst von ihm gewohnt ist.

posted by Stadler at 20:46  

8.11.11

Die GEMA-Vermutung

Im Netz empört man sich gerade darüber, dass die GEMA auch Vergütungsansprüche für öffentliche Musikveranstaltungen geltend macht, obwohl auf diesen Veranstaltungen (angeblich) nur Musik aufgelegt wurde, die unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht worden ist.

Das kann durchaus so sein und hat seinen Grund in der sog. GEMA-Vermutung. Die Rechtsprechung geht seit Jahrzehnten davon aus, dass bei der öffentlichen Wiedergabe und Aufführung von Musik eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass die GEMA als größte Verwertungsgesellschaft berechtigt ist, die Rechte aller Berechtigten wahrzunehmen. Diese sog. GEMA-Vermutung ist z.T. auch gesetzlich verankert. § 13 c WahrnG. § 13b WahrnG erlegt dem Veranstalter übrigens die Pflicht auf, vorab eine Einwilligung der GEMA einzuholen und anschließend der Verwertungsgesellschaft eine Aufstellung der bei der Veranstaltung benutzten Werke zu übersenden.

Die sog. GEMA-Vermutung führt faktisch zu einer Umkehr der Beweislast. D.h., der Veranstalter muss die GEMA-Vermutung widerlegen und im Zweifel nachweisen, dass ausschließlich GEMA-freie Musik gespielt wurde. Das bedeutet, dass man nicht nur eine vollständige Tracklist braucht, sondern auch die Daten der Urheber (Komponisten/Texter).

Warum es überhaupt Verwertungsgesellschaften wie die GEMA gibt, erläutert das BMJ auf einer Infoseite. Auf europäischer Ebene findet aktuell eine Reformdiskussion statt, die mir inhaltlich aber noch eher vage zu sein scheint.

posted by Stadler at 17:16  
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