Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

17.4.10

Zensur im Internet

So lautet der Titel der Dissertation von Ansgar Koreng, die den Untertitel „Der verfassungsrechtliche Schutz der digitalen Massenkommunikation“ trägt und kürzlich erschienen ist. Koreng nimmt sich damit des vielleicht wichtigsten Internetthemas aus juristischer Sicht an. Der Autor leitet seine Arbeit mit einem Zitat ein, das Voltaire zugeschriebenen wird -„I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it“ – und deutet damit sogleich an, worauf es ihm ankommt.

Koreng erläutert in seiner Einleitung, dass das Verfassungsrecht zwar strukturell konservativ ist, aber dennoch die Aufgabe zu erfüllen hat, sich auf tatsächliche Veränderungen und daraus resultierende Gefahren einzustellen, um seine Schutzfunktion behaupten zu können. Der Autor lässt von Anfang wenig Zweifel daran, dass er gewillt ist, Art. 5 GG vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung, die zu massiven medialen Veränderungen geführt hat und noch führen wird, progressiv zu interpretieren. Denn der Grundrechtsschutz erwiese sich als in zunehmendem Maße unzureichend, würde man die Verfassung konservativ interpretieren.

Diese Erkenntnis macht es erforderlich, altüberkommene Dogmatik zu überdenken und in Frage zu stellen. Und mit dieser mutigen Ambition geht Koreng ans Werk.

Im ersten Teil seiner Arbeit legt der Autor dar, dass die Unterscheidung zwischen Presse- oder Rundfunkfreiheit und Meinungsfreiheit mit Blick auf die Kommunikationsvorgänge im Internet vielfach nicht mehr sinnvoll zu treffen ist, weshalb er für eine Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG als einheitliches Mediengrundrecht plädiert.

Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bildet die Darstellung der Gefährdung der Äußerungsgrundrechte durch „privatisierte“ staatliche Eingriffe sowie privat veranlasste Eingriffe in die Meinungsfreiheit, bei denen der Staat, vor allen Dingen durch seine Gerichte, eine Beschränkung von Meinungsäußerungen bewirkt.

Koreng postuliert sodann für sein einheitliches Mediengrundrecht auch eine einheitliche Schrankenregelung und vor allen Dingen auch ein neues Verständnis des Begriffs der Zensur, die er als „Schranken-Schranke“ bezeichnet. Dem geht die Erkenntnis voraus, dass die derzeit hierzu vorherrschenden Ansichten den neuen Gegebenheiten der elektronischen Massenkommuniktation nicht ausreichend Rechnung tragen.

In Widerspruch zur bislang herrschenden Meinung, vertritt Koreng die Auffassung, dass sich Access-Provider als notwendige Vermittler der Kommunikation auch unmittelbar auf das Grundrecht des Art. 5 GG berufen können. Das wurde bislang u,a. deshalb in Abrede gestellt, weil man ansonsten Logistikunternehmen wie die Bahn, die z.B. Zeitungen transportieren, auch in den Schutzbereich aufnehmen müsste. Dabei wird allerdings übersehen, dass ein Pressevertrieb auch ohne die Bahn denkbar ist, aber das Internet nicht ohne die Provider, worauf Koreng zutreffend hinweist.  Die Provider sind „sine qua non“ für die Funktionsfähigkeit des Netzes.

Diese Schlussfolgerung könnte weitreichende Konsequenzen haben, z.B. im Hinblick auf das Zugangserschwerungsgesetz und die Einbindung von Zugangsprovidern in eine technische Struktur, die geeignet ist, eine zensurähnliche Wirkung zu entfalten. Access-Sperren sieht Koreng, soweit ausländische Inhalte betroffen sind, als völkerrechtlich problematisch an. Der Autor bezweifelt aber, zu Recht, auch deren Verhältnismäßigkeit.

Ansgar Koreng beschäftigt sich auch mit dem Grundsatz der Netzneutralität, in dem Sinne eines „Must-Carry“ Ansatzes. Die derzeit primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutierte Frage der Netzneutralität, weist nach Auffassung Korengs auch einen äußerungsrechtlichen Aspekt auf. Der Autor, der insoweit von einem „Meinungsmarkt“ spricht, vertritt hierzu die Ansicht, dass es eine Pflicht des Staates gebe, Netzneutralität zu garantieren, weil nur dadurch die vom Grundgesetz geforderte Pluralität sichergestellt werden kann.

Schließlich stellt Koreng auch die altüberkommene Unterscheidung zwischen Vor- und Nachzensur in Frage und fordert eine am Zensurbegriff orientierte Schrankendogmatik. Nichts Geringeres als eine Neudefinition des Zensurbegriffs ist dabei sein Anliegen. Ansgar Koreng hält die bislang enge Auslegung des Zensurbegriffs durch das BVerfG zwar für bedenklich, macht aber deutlich, dass es mit Blick auf die traditionellen Medien noch vertretbar war, nur die Präventivzensur als Zensur zu begreifen, weil es in der vordigitalen Zeit einen klaren Publikationszeitpunkt gegeben hat und damit auch eine klare begriffliche Trennung zwischen Vor- und Nachzensur möglich war. Dies trifft aber auf Veröffentlichungen im Netz nicht zu. Sobald sich diese, eigentlich banale Erkenntnis durchgesetzt hat, wird damit die zwingende Notwendigkeit verbunden sein, über eine Veränderung des Zensurbegriffs durch das Medium Internet nachzudenken. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der von einer Zensur ausgehende Lähmungseffekt entscheidend für die Schaffung des verfassungsrechtlichen Zensurverbots gewesen ist. Dass es im Netz häufig zu derartigen „chilling effects“ durch zensurähnlich wirkende Maßnahmen kommt, stellt Koreng in seiner Dissertation ausführlich dar.

Die Schlussfolgerung Korengs lautet, dass jedes gefahrenabwehrrechtliche Eingreifen des Staates gegen Äußerungsinhalte untersagt ist. Bei der „Privatzensur“, aufgrund zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche, sieht Koreng zwar eine Drittwirkung des Zensurverbots, allerdings nicht in einem absoluten Sinne, wie gegenüber dem Staat. Vielmehr soll das Zensurverbot hier nur ein Abwägungskriterium bei der richterlichen Entscheidung sein.

Die Arbeit von Ansgar Koreng ist nicht nur mutig, sondern auch juristisch überzeugend. Gleichwohl wird er mit Kritik und Ablehnung zu rechnen haben, weil er für eine deutliche Abkehr von althergebrachten Positionen eintritt. Es ist dennoch schwer vorstellbar, dass dieses Werk ignoriert werden kann.  Der Teil der juristischen Fachwelt, der sich mit dem Thema Meinungsfreiheit und Internet beschäftigt, wird künftig kaum daran vorbei kommen, sich mit der Arbeit Korengs auseinanderzusetzen.

posted by Stadler at 17:22  

13.3.10

Wer sind die Feinde des Internets?

Die Süddeutsche bietet unter dieser Überschrift heute ein Quiz mit zehn Fragen zum Thema Internetzensur. Einige der Fragen sind gar nicht so einfach zu beantworten.

posted by Stadler at 10:30  

2.1.10

NDR geht gegen GEZ-kritischen Blogger vor

Der Blogger und Buchautor Bernd Höcker publiziert GEZ-kritische Inhalte und versucht auf seiner Website „gez-abschaffen.de“ darzustellen, wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beim Einzug von Rundfunkgebühren agieren. Der NDR stört sich an einigen dieser Inhalte, die Höcker mittlerweile vom Netz genommen hat, die aber über archive.org weiterhin nachvollzogen werden können. Weil diese Inhalte zweifelsohne vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind, hat man sich beim NDR offenbar eine andere Taktik ausgedacht und sich entschlossen, den hauseigenen Juristen Klaus Siekmann vorzuschicken und damit zu argumentieren, dass die namentliche Nennung Siekmanns durch Höcker im Rahmen der Berichterstattung gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen würde.

Es gibt vermutlich nur ein Landgericht in Deutschland, das diese Einschätzung teilt und das residiert in Hamburg. Und just dort hat Siekmann Höcker auf Unterlassung verklagt (Az.: 325 O 200/09) und beantragt, der Beklagte müsse es unterlassen:

a) den Namen des Klägers Siekmann im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Schriftstücken aus Verfahren zu nennen, die der Beklagte mit dem NDR in Rundfunkgebührensachen führt/geführt hat; und/oder
b) über die vom Beklagten gegen den Kläger im Juni 2008 erstattete Anzeige wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung bzw. Beihilfe und Anstiftung hierzu sowie das anschließende Ermittlungsverfahren zu berichten und/oder Schriftstücke aus diesem Verfahren zu veröffentlich en und/oder in der Strafanzeige erhobenen Vorwürfe erneut zu verbreiten.

In der mündlichen Verhandlung vom 08.12.09, über die Rolf Schälike berichtet, hat Bernd Höcker dann im Hinblick auf den Teil des Klageantrags, der die Berichterstattung über die Strafanzeige gegen Siekmann betrifft, eine Unterlassungserklärung abgegeben. Das bedeutet freilich, dass Höcker über die Strafanzeige, die er gegen Siekmann erstattet hat, nun auch nicht mehr berichten darf und insoweit sein Inhaltsangebot ändern muss.

Nachdem sich der Strafvorwurf gegen das dienstliche Verhalten von Herrn Siekmann richtet und in unmittelbarem Zusammenhang mit einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen Höcker und dem NDR steht, erscheint es rechtlich kaum vertretbar anzunehmen, dass die Persönlichkeitsrechte des NDR-Juristen höher zu bewerten sind, als die Meinungsfreiheit und das Berichterstattungsinteresse. Dass die Pressekammer des Landgerichts Hamburg vermutlich zu einem anderen Abwägungsergebnis gelangt wäre, ist aber ebenfalls naheliegend. Diese Kammer ist freilich aber auch für ihre meinungsfeindliche und grundgesetzferne Rechtsprechung bekannt und wurde vom BGH und vom BVerfG deshalb in letzter Zeit auch mehrfach eingebremst.

Was der NDR und der von ihm vorgeschickte Justitiar vor dem Landgericht Hamburg veranstalten, ist nicht nur meinungsfeindlich, sondern steht auch in Widerspruch zum Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung, sagt das Bundesverfassungsgericht. Wenn der gebührenfinanzierte Rundfunk allerdings dazu übergeht, unliebsame Meinungen zu bekämpfen und zu unterdrücken, dann tritt er seinen Programmauftrag mit Füßen und stellt sich damit selbst in Frage.

Außerdem kennen auch der NDR und Herr Siekmann den Streisand-Effekt offensichtlich noch nicht. Zumindest das, könnte sich in nächster Zeit allerdings ändern.

Update vom 04.01.10
Rechtsanwalt Kompa bewertet den Sachverhalt rechtlich offenbar anders und hält die Berichterstattung über eine Strafanzeige und ein anschließendes Ermittlungsverfahren gegen den NDR-Juristen für unzulässig.

Die Betrachtung des Kollegen Kompa ist natürlich von Vornherein etwas eingeengt, weil der NDR-Jurist beim Landgericht Hamburg einen sehr weitreichenden Antrag gestellt hat, der sich keineswegs auf eine Namensnennung im Zusammenhang mit einem Strafverfahren beschränkt. Der NDR-Justitiar hat daneben nämlich beantragt, seine Namensnennung im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen in Rundfunkgebührensachen zu unterlassen sowie auch die in der Strafanzeige (inhaltlich) erhobenen Vorwürfe nicht mehr zu verbreiten. Insoweit dürfte ein Unterlassungsanspruch des NDR-Juristen schwer vertretbar und auch bei nur wenigen Gerichten durchsetzbar sein.

Was die Namensnennung im Zusammenhang mit einem Strafverfahren als solche angeht, kann man bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht einerseits und Meinungsfreiheit und Berichterstattungsinteresse andererseits, durchaus der Ansicht sein, dass der Name nicht genannt werden darf. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass sich der Vorwurf unmittelbar auf das dienstliche Verhalten des NDR-Juristen bezieht und in unmittelbarem Zusammenhang zu der Auseinandersetzung Höckers und dem NDR um Rundfunkgebühren steht. Vor diesem Hintergrund kann man das Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, dass beim NDR in Auseinandersetzungen um Rundfunkgebühren möglicherweise Akteninhalte verschwinden, durchaus als überwiegend bewerten.

posted by Stadler at 15:53  

7.11.09

Rammstein und der Jugendschutz

Das aktuelle Album der Band Rammstein ist von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt worden. Grund ist offenbar der Text des Songs „Ich tu Dir weh“, der SM-Praktiken beschreibt, sowie das Lied „Pussy“, das nach Ansicht der Jugendschützer zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr animiert.

Nachdem diese Songtexte im Netz heute noch problemlos abrufbar waren, könnte diese Indizierung natürlich auch Anlass für neue Forderungen nach Netzsperren bieten, zumal Ursula von der Leyen ihre Finger auch wieder im Spiel hat.

Darüber, dass Rammstein keine qualitativ hochwertigen Texte liefert, braucht man nicht weiter zu diskutieren. Wäre dies allerdings ein relevantes Kriterium, dann gehörte das Programm von RTL und SAT 1 nahezu komplett auf den Index.

Diese medienträchtige Entscheidung der Bundesprüfstelle könnte und sollte eine öffentliche Diskussion darüber auslösen, was man heutzutage tatsächlich als jugendgefährdend qualifizieren muss. Denn es geht hier um Wert- und Moralvorstellungen einer Gesellschaft und dies unter dem Deckmantel des Jugendschutzes. Texte wie „Pussy“ von spätpubertierenden Rockmusikern taugen kaum mehr als Provokation und sind noch weniger geeignet, die Entwicklung eines Jugendlichen, der in einer medialen Welt aufwächst, negativ zu beeinflussen. Zumindest nicht mehr als das, was andere Qualitätsmedien – unbeanstandet von den Jugendschützern – tagtäglich anbieten.

posted by Stadler at 15:30  

20.9.09

Informationsunterdrückung durch Suchmaschinen

Wikileaks hat eine Liste von Domains und URL’s veröffentlicht, die von der Suchmaschine Lycos blockiert werden und dadurch in den Suchergebnissen nicht mehr erscheinen. Darunter findet man auch Inhalte von FAZ, Heise und Stiftung Warentest!

Das lenkt die Aufmerksamkeit wieder einmal auf die zentrale Rolle der Suchmaschinen für das Auffinden von Inhalten im Web und zeigt, welche Macht die Suchmaschinenbetreiber haben. Denn was über Suchmaschinen nicht gefunden werden kann, ist praktisch nicht existent im Netz.

Deshalb muss auch diese Diskussion geführt werden, wenn man über die Sperrung, Blockade oder Filterung von Inhalten spricht, die aus verschiedenen Gründen von unterschiedlichsten Interessengruppen als unerwünscht betrachtet werden. Die Unterdrückung von Informationen ist per se bedenklich und die Liste von Lycos zeigt, was auch gegen staatliche Sperrlisten ins Feld zu führen sein wird. Es finden sich dort leider immer auch – und zwar nicht nur in einem vernachlässigenswürdigen Umfang – legale und nützliche Inhalte. Derartige Blockaden beeinträchtigen daher immer auch das Recht des Bürgers sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

posted by Stadler at 16:00  

16.7.09

Sind Netzsperren Zensur?

„Keine Zensur“ lautete der Titel eines Kommentars von Zeit-Autor Heinrich Wefing – immerhin promovierter Jurist – unlängst. Der Widerspruch kommt heute vom Informatiker Hendrik Schneider und erscheint ebenfalls in der Zeit.

Die Frage, ob im Zusammenhang mit dem bereits verabschiedeten Zugangserschwerungsgesetz von einer Zensur gesprochen werden kann, weist verschiedene Facetten auf, die weder Wefing noch Schneider beleuchten.

Die eine Frage ist in der Tat, ob der Umstand, dass Websites, die vom BKA als kinderpornografisch eingestuft werden, auf eine Sperrliste gesetzt werden und damit die Weiterverbreitung des Contents verhindert wird, als Zensur aufgefasst werden kann. Die weitere Frage ist allerdings die, ob diese Sperrregelung eine allgemeine Infrastruktur schafft, die es dem Staat ermöglicht, ohne ausreichende Kontrolle, beliebige „unerwünschte Inhalte“ auszufiltern.

Das Bundesverfassungsgericht geht von einem formellen und engen Zensurbegriff aus und sieht vom Verbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nur die sog. Vor- bzw. Präventivzensur als erfasst an. Zensur ist danach eine Maßnahme, vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung des Inhalts. Sonach ist Zensur das generelle Verbot, behördlich ungeprüfte Geistesinhalte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verbunden mit dem Gebot, sich zuvor an die zuständige Behörde zu wenden, die die Inhalte prüft und je nach dem Ergebnis der Prüfung die Veröffentlichung erlaubt oder verbietet.

Diese Definition von Zensur entstammt einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972. Ob speziell die Unterscheidung von Vor- und Nachzensur im Internetzeitalter noch haltbar ist, darf bezweifelt werden. Denn die Differenzierung des Gerichts basiert auf der traditionellen Vorstellung, dass ein Druckwerk einmal ausgeliefert oder eine Rundfunksendung ausgestrahlt wird, womit alle nachfolgenden Maßnahmen nicht mehr als Zensur im juristischen Sinne verstanden werden können. Das mag 1972 auch zutreffend gewesen sein. Im World Wide Web werden Inhalte aber nicht einmal ausgeliefert und ausgestrahlt, sondern sind vielmehr dauerhaft online, weshalb sich die Frage stellt, ob die Verhinderung der künftigen „Ausstrahlung“ von Websites nicht doch Vorzensur sein kann.

Würde man also annehmen, dass alle Websites zu irgendeinem Zeitpunkt einen staatlichen Filter durchlaufen und eine Behörde dann prüft, ob die Verbreitung verboten oder erlaubt wird, dann könnte man das durchaus als Zensur betrachten.

Eine solche Regelung enthält das Zugangserschwerungsgesetz natürlich nicht. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob das Gesetz nicht Präventivmaßnahmen vorsieht, die faktisch wie eine Zensur wirken oder wirken können.

Im konkreten Fall wird durch das Zugangserschwerungsgesetz bei den Providern eine technische Infrasktruktur etabliert, die dazu führt, dass Websites, die vom BKA auf eine geheim zu haltende Sperrliste gesetzt werden, von den Providern blockiert werden und der Nutzer auf eine sog. Stopp-Seite umgeleitet wird. Was das BKA auf diese Sperrliste setzt, soll und darf die Öffentlichkeit nicht erfahren.

Das BKA prüft und kontrolliert also zunächst beliebige Internetinhalte und entscheidet anschließend, ob die Weiterverbreitung dieser Inhalte stattfinden kann oder nicht.

Das ist vermutlich noch keine Zensur im engen Sinne. Die Schaffung einer solchen Blockade-Infrastruktur versetzt das BKA allerdings in die Position, kurzfristig jede Website sperren zu können und schafft die technische Möglichkeit, beliebige Anfragen von Bürgern nach Information aufgrund einer staatlich kontrollierten Sperrliste zuzulassen oder zu blockieren.

Dass das Zugangserschwerungsgesetz dies in dieser Form nicht vorsieht, ist klar. Dennoch werden dem BKA technische Möglichkeiten eröffnet, die zu zensurähnlichen Effekten führen können.

Man macht es sich also sehr leicht, wenn man wie Heinrich Wefing unter Hinweis auf eine 40 Jahre alte Rechtsprechung behauptet, dass das alles mit Zensur nichts zu tun hätte. Andererseits ist der Begriff der Zensur in der Netzgemeinde mittlerweile zu einer Art Kampfbegriff geworden, den man vorschnell für jede Art von staatlichem Eingriff bemüht.

Das verstellt häufig – und Wefing ist das beste Beispiel dafür – den Blick darauf, dass die Sperrgegner alle Sachargumente auf ihrer Seite haben, während die führenden Sperrbefürworter ihr Vorhaben häufig nur durch die Verfälschung von Fakten noch rechtfertigen können. Die Zensurdiskussion lenkt nur von dem eigentlich (juristisch) relevanten Aspekt ab, nämlich dem Umstand, dass das Gesetz formell und materiell verfassungswidrig ist. Und das sollte einen promovierten Juristen wie Herrn Wefing, der schließlich nicht für irgendein Käseblatt schreibt, schon interessieren. Tut es aber offenbar nicht.

posted by Stadler at 12:28  

23.6.09

CDU will Three Strikes Out auch in Deutschland

Im Wahlprogramm (Regierungsprogramm 2009) der CDU/CSU steht folgende Passage:

„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wo es angesichts der geringen Schwere von Straftaten vertretbar ist, soll eine Selbstregulierung greifen. Wir möchten nach britischem und französischem Vorbild Rechtsverletzungen effektiv unterbinden, indem die Vermittler von Internetzugängen Rechtsverletzer verwarnen und nötigenfalls ihre Zugänge sperren.“

Das ist die als Three Strikes Out bekannte Forderung, wonach die Internetzugänge von Rechtsverletzern für eine bestimme Zeit gesperrt werden sollen, wenn es nach zwei Verwarnung zu einem weiteren Verstoß kommt.

Im Netz ist in letzter Zeit – zu Recht – sehr viel über die SPD geschimpft worden. Hierbei sollte man nicht vergessen, dass die Union in der Gesamtbetrachtung wohl in noch stärkerem Maß rückwärtsgewandte und und primär auf Restriktion setzende Konzepte propagiert, die unsere Grundrechte beschneiden.

Das Wahlprogramm der Union kommentiert Kai Biermann auf Zeit Online sehr treffend mit den Worten: „Die Union sieht im Internet offenbar vor allem Gefahren. Statt seine Chancen zu nutzen, will sie es deshalb stärker kontrollieren„.

Update: CDU-Mitglied sagt, dass es sich um eine veraltete Version handelt und diese Passage mittlerweile gestrichen worden sei.

posted by Stadler at 14:20  

15.6.09

Iran: Wahlfälschung, Unterdrückung, Zensur

Es ist beeindruckend und beängstigend, was man aus dem Iran – via Twitter praktisch im Sekundentakt – gerade hört. Offenbar werden in Teheran heute alle Hauptstraßen von Menschenmassen verstopft, die gegen die allzu offensichtliche Wahlfälschung und für einen liberaleren Staat protestieren.

Das Netz und die Social-Networks haben die Entstehung einer Gegenöffentlichung begünstigt, die zu einer Massenbewegung gereift ist. #iranelection ist das Topic derzeit bei Twitter. Die massive Medienzensur gelingt dort nur unzureichend. Regime wie dieses hatten noch nie ewig bestand.

Den Hinweis auf das Blog Informed Comment das sehr plausibel erklärt, welche Umstände für eine Wahlmanipulation im Iran sprechen, muss ich an dieser Stelle noch loswerden.

posted by Stadler at 15:04  

10.6.09

Beschließt der Bundestag das Sperrgesetz doch noch vor den Wahlen?

Nach der Sachverständigenanhörung zum Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen im Wirtschaftsausschuss des Bundestages sah es kurzzeitig so aus, als würde das Gesetz doch nicht oder nicht mehr vor den Wahlen kommen. Denn die Mehrheit der Sachverständigen hat erhebliche (verfassungsrechtliche) Bedenken geäußert und die SPD-Fraktion sah erheblichen Überarbeitungsbedarf.

Wie man jetzt allerdings hört, soll ein geänderter Entwurf doch noch vor der Sommerpause des Parlaments, also bis Anfang Juli, vom Bundestag beschlossen werden. Wie der geänderte Entwurf aussieht, ist derzeit noch unklar.

Die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken können aber kaum vollständig ausgeräumt werden, ohne den grundsätzlichen Sperransatz über Bord zu werfen.

Was die Politik auch weiterhin negiert, ist der Umstand, dass man durch diese Regelung eine Sperr- und Zensurinfrastruktur schafft, die bereits jetzt Begehrlichkeiten weckt und die künftig die Grundlage dafür bilden wird, beliebige Inhalte, die als unerwünscht angesehen werden, zu blockieren.

Sobald man damit anfängt, den Zugangsprovider und damit den Postboten zu verpflichten, auf Inhalte Einfluss zu nehmen, setzt man einen Automatismus in Gang, den die Politik nicht mehr kontrollieren und stoppen kann.

Manche Gerichte, wie das Landgericht Hamburg, sehen den Zugangsprovider schon heute als (mittelbaren) Störer an, halten aber Sperrmaßnahmen durch ihn für (noch) nicht zumutbar, weil es derzeit noch zu aufwendig sei, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wenn der Staat allerdings die Access-Provider mit dem geplanten § 8a TMG ohnehin dazu verpflichtet, diese technischen Voraussetzungen zu schaffen und tagtäglich hunderte von kinderpornografischen Websites auszublenden, dann kann der Provider ohne großen zusätzlichen Aufwand in Zukunft auch andere Inhalte die man aus ganz verschiedenen Gründen für rechtswidrig halten wird, sperren.

Die Musikindustrie hat ohnehin bereits eine Ausweitung dieser Zugangssperrung auf urheberrechtsverletzende Inhalte gefordert. Naeheliegend ist es sicher auch, alles zu blockieren, was man als jugendgefährdend einstuft, von den „Killerspielen“ bis zu gewöhnlichem Erotik-Content. Über die „Sperrung“ von Glückspielseiten, rechtsradikalen oder islamistischen Sites wurde auch schon diskutiert.

Wenn man außerdem sieht, dass Bundesbehörden bereits jetzt Druck auf Provider ausüben, um satirische und regierungskritische Websites vom Netz zu bekommen, ist es nicht übertrieben und nur angebracht, insoweit von einer Zensurinfrastruktur und der Gefahr einer Zensur zu sprechen.

Das ganze wird verstärkt durch den Effekt, den der Sachverständige Sieber in der Expertenanhörung des Bundestages als „Overblocking“ bezeichnet hat. Gemeint ist das Phänomen, dass solche Access-Sperren selten exakt und zielgenau möglich sind, sondern häufig eine Reihe legaler Webseiten gleichsam mitgesperrt werden.

Je stärker der Anwendungsbereich solcher Zugangsblockaden ausgeweitet wird, umso mehr wird sich dieser Effekt des Overblocking auch insgesamt bemerkbar machen und dazu führen, dass eine sehr große Zahl legaler Websites ausgeblendet wird.

Die einzige Möglichkeit das zu verhindern, besteht darin, strikt an einem technisch neutralen Ansatz festzuhalten. Telekommunikationsdienstleister zu denen die Access-Provider gehören, ermöglichen nur den Zugang zu Datennetzen und übermitteln Daten. Diese technischen Dienstleister sind deshalb von vornherein der falsche Anknüpfungspunkt für eine Kontrolle von Inhalten, zumal sie diese Inhalte auch nicht beherrschen. Die Politik muss endlich begreifen, dass die Vorstellung vom Zugangsprovider als Blockwart bereits im Ansatz verfehlt ist.

Es geht hier auch nicht darum, einen rechtsfreien Raum Internet zu beschwören, sondern darum, die Finger von den technischen Strukturen zu lassen.

Die Entscheidung dieser grundlegenden Fragen bedarf einer breiten gesellschaftlichen und politischen Diskusssion, der sich die Bundesregierung nicht stellen will.

Ursula von der Leyen hat zunächst offenbar gemeint, es könne bei diesem Thema nicht schwer sein, Emotionen zu erzeugen, die sich über alle Fakten hinwegsetzen. Der für sie überraschende und heftige Widerstand aus der Netzgemeinde konnte sie freilich nicht von ihrem Kurs abbringen, denn dazu hätte sie Fehler eingestehen müssen.

Die SPD gab sich zwischenzeitlich als Bedenkenträger, der aber anschließend – so kennen wir die Partei seit Jahren – fast jeden faulen Kompromiss mitträgt.

Ich bin gespannt, wieviele vernünftige Abgeordnete mit ausreichendem rechtsstaatlichen Bewusstsein sich gegen dieses Gesetzesvorhaben stellen werden. Für die Abgeordneten der SPD-Fraktion bietet sich die einmalige Gelegenheit, bei der Netzgemeinde punkten, anstatt den letzten Rest an Glaubwürdigkeit auch noch zu verspielen.

posted by Stadler at 13:25  

8.6.09

Wiefelspütz und die Internetzensur

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Wiefelspütz möchte die Internet-Zensur per Grundgesetz verbieten, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

Wenn man weiter liest, erfährt man, dass Wiefelspütz aus dem ungeschriebenen Computergrundrecht, das das Bundesverfassungsgericht unlängst geschaffen hat, ein geschriebenes Internetgrundrecht machen möchte.

Leider formuliert Wiefelspütz nicht exakt, worum es ihm inhaltlich geht.

Das neue Computergrundrecht auf Schutz vor Eingriffen in informationstechnische Systeme, das das BVerfG aus der Taufe gehoben hat, stellt eine Ausprägung des allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)dar.

Wenn Wiefelspütz allerdings von Zensur redet, dann müsste dieses „neue“ Grundrecht dogmatisch eher bei Art. 5 GG angesiedelt sein und der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit zuzuordnen sein. Der Verweis auf das neue „Computer-Grundrecht“ des BVerfG und die Absicht, das Internet vor Zensur zu schützen, passen also sachlich nicht zusammen. Der heimliche Zugriff des Staates auf informationstechnische Systeme einerseits und Eingriffe in Art. 5 GG andererseits sind grundverschiedende Dinge.

Wir haben es einmal mehr mit einem Fall von unreflektiertem Politikergeschwätz oder gezieltem Wahlkampfgetöse zu tun.

posted by Stadler at 17:07  
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