Gestern habe ich über einen aktuellen Arbeitsentwurf zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) berichtet, der die Idee von Sendezeitbegrenzungen für Internet-Angebote aufgreift und weiter ausweitet. Die Regelung ist im Grundsatz allerdings bereits in der geltenden Fassung des JMStV enthalten, aber nie umgesetzt worden. Tatsächlich neu ist u.a. die genaue Definition unterschiedlicher Altersstufen. Ebenfalls neu und gänzlich unklar ist aus meiner Sicht die geplante Regelung in § 5 Abs. 2 S. 3 JMStV, die lautet:
Die Kennzeichnung von Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß §§ 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen, insbesondere weil diese von Nutzern in das Angebot integriert werden oder das Angebot durch Nutzer verändert wird, setzt voraus, dass der Anbieter nachweist, dass die Einbeziehung oder der Verbleib von Inhalten im Gesamtangebot verhindert wird, die geeignet sind, die Entwicklung von jüngeren Personen zu beeinträchtigen.
Diese Regelung ist ersichtlich auf Access-Provider und Hoster zugeschnitten. Der genaue Regelungsgehalt erschließt sich allerdings nicht, was primär an den handwerklichen Mängeln der Gesetzesformulierung liegt. „Angebote, die den Zugang zu Inhalten vermitteln„, gibt es nämlich nicht. Die Formulierung ist perplex, denn die technische Dienstleistung der Zugangsvermittlung stellt kein (Inhalts-)Angebot dar. Es hat allerdings ganz den Anschein, als wolle man damit Zugangs- und Host-Provider in die Verpflichtung zur Kennzeichnung jugendgefährdender Inhalte im Internet unmittelbar einbinden.
Den Grundstein für eine derartig verquere Vermischung von Technik und Inhalt, wie man sie in § 5 Abs. 2 S. 3 des Entwurfs wiederfindet, hat der deutsche Gesetzgeber bereits in den 90’er Jahren gelegt, zu Zeiten des Teledienstegesetzes und Mediendienstestaatsvertrags. Denn der Zugangsprovider wird seit dieser Zeit als Diensteanbieter betrachtet und damit auch wie ein Inhaltsanbieter behandelt. Anbieter im Sinne von TMG und JMStV sind nämlich auch diejenigen, die den Zugang zur Nutzung von Telemedien vermitteln, also die Access-Provider. Damit hat man den Provider und den Content-Anbieter mittels einer gesetzlichen Fiktion gleichgestellt.
Wernn man heute über Netzneutralität diskutiert, sollte man sich vor Augen führen, dass die Gesetzgebung von Bund und Ländern diese grundsätzliche Weichenstellung, die der Vorstellung von Netzneutralität zuwider läuft, bereits vor mehr als 10 Jahren getroffen hat. Der TK-Dienstleister Zugangsprovider, der eine neutrale technische Dienstleistung erbringt, wird als Diensteanbieter qualifiziert und damit einem Content-Anbieter gleichgestellt. Was die Sache schließlich gänzlich absurd macht, ist der Umstand, dass der Gesetzgeber gleichzeitig in § 1 TMG und in § 2 Abs. 2 JMStV zum Ausdruck bringt, dass die Gesetze nicht für Telekommunikationsdienste gelten sollen. Auf diesen Wertungswiderspruch habe ich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion immer wieder hingewiesen, u.a. in beiden Auflagen von „Haftung für Informationen im Internet„. Die meisten Fachautoren haben die Einbeziehung des Access-Providers in den Kreis der Diensteanbieter nach TMG (und JMStV) allerdings verteidigt, u.a. mit dem Argument, dass dem Provider ansonsten die Haftungsprivilegierung des TMG nicht zugute kommen würde. Was man dabei übersehen hat, ist, dass damit die eigentlich klar zu ziehende Grenze zwischen Technik und Inhalt verwischt wird und man sich gleichzeitig von der Netzneutralität verabschiedet hat. Es ging hierbei nicht um die Haftungsprivilegierungen, sondern darum, über einen technischen Dienstleister auf die Inhalte Einfluss nehmen zu können. Und hierfür war es erforderlich, den Internet-Service-Provider qua Gesetz wie einen Inhaltsanbieter zu behandeln.
Daneben schlummert auch in der bereits geltenden Fassung des JMStV die Möglichkeit, Zugangsprovider zur Sperrung von Websites zu verpflichten, Zensursula aus Gründen des Jugendschutzes sozusagen.
Bereits der Mediendienstestaatsvertrag sah die Möglichkeit vor, sog. Sperrungsanordnungen gegen Zugangsprovider zu erlassen, wovon die Bezirksregierung Düsseldorf im Jahre 2002 auch Gebrauch gemacht hat. Die Regelung zu den Sperrungsverfügungen existiert immer noch, sie findet sich jetzt in § 59 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags. Diese Regelung gilt auch im Bereich des Jugendschutzes. § 20 Abs. 4 JMStV besagt nämlich, dass die zuständige Landesmedienanstalt für Anbieter von Telemedien entsprechend § 59 Abs.2 bis 4 des Rundfunkstaatsvertrages die jeweiligen Entscheidungen treffen kann, zu denen eben auch Sperrungsverfügungen gegen Provider zählen.
Update:
Wie ich gerade gehört habe, sehen die Provider die wesentliche Änderung zu ihren Lasten darin, dass jetzt in § 3 Nr. 2 JMStV die Zugangsvermittler ausdrücklich als Anbieter definiert werden, weshalb man befürchtet, dass sämtliche Anforderungen des Jugendschutzes, die der Staatsvertrag aufstellt, die Access-Provider direkt treffen könnte.