Telegram: Welche Maßnahmen kann der Staat ergreifen?
Die Forderung nach einer Regulierung des Messengerdienstes Telegram ist derzeit in aller Munde. Der neue Justizminister Buschmann hält ein staatliches Vorgehen gegen Telegram auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) für möglich. Adressat des NetzDG sind nach der Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 aber nur sog. soziale Netzwerke. Das Gesetz definiert sie als
Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke).
Demgegenüber nimmt das NetzDG in § 1 Abs. 1 S. 3
Plattformen, die zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind
ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus.
Hier zeigt sich schon der erste Schwachpunkt der gesetzlichen Regelung, denn wie multifunktionale Dienste einzuordnen sind, bleibt unklar. Wenn man Telegram im Sinne einer Entweder-Oder-Logik nur als soziales Netzwerk oder als einen zur Individualkommunikation bestimmten Dienst betrachten kann, ist die Zuordnung eindeutig. Messengerdienste dienen vorrangig der Individualkommunikation und sind keine sozialen Netze.
In der Diskussion wird nun aber häufiger die Ansicht vertreten, man müsse Teildienste wie Gruppen oder Channels als (eigene) soziale Netzwerke qualifizieren. An dieser Stelle erscheint zunächst aber etwas mehr Differenzierung nötig. Channels, die keine Interaktion der Nutzer ermöglichen, sondern nur wie ein Nachrichtenkanal (Des-) Informationen lediglich ausspielen, sind keine sozialen Netze. Bei Gruppen kommt es darauf an, ob die Gruppe für jedermann offen ist und jeder Nutzer nach einem Betritt zur Gruppe auch sämtliche Inhalte aufrufen und mit anderen Nutzern interagieren kann. Geschlossene Nutzergruppen wird man demgegenüber kaum als soziale Netze einstufen können.
Wenn man also offene und für jedermann zugängliche Telegramgruppen als soziale Netzwerke betrachten möchte, ist die nächste Frage, wer der Anbieter solcher sozialer Medien ist. Denn die Entscheidung darüber, überhaupt eine Gruppe zu eröffnen und diese Gruppe für jeden beliebigen Nutzer zugänglich zu machen, trifft nicht Telegram, sondern der Admin/Owner der Gruppe. Deshalb wird man auch nur den Owner der Gruppe als Anbieter des sozialen Netzwerks Gruppe sehen können, während Telegram lediglich die technische Plattform bietet.
An diese Erkenntnis schließt sich dann allerdings ein weiterer Problempunkt an. Denn das NetzDG gilt nur für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben. Und das wird auf den Owner einer Gruppe zumeist nicht zutreffen. Darüber hinaus, sind soziale Netzwerke mit weniger als zwei Millionen Nutzern im Inland nach § 1 Abs. 2 NetzDG von den wesentlichen gesetzlichen Pflichten befreit. Die Nutzeranzahl der Telegramgruppen ist aber auf 200.000 begrenzt, so dass die gesetzliche Grenze nicht überschritten wird.
Es zeigt sich also, dass das NetzDG aus verschiedenen Gründen keine geeignete Grundlage für ein Vorgehen gegen Telegram bietet. Die Aussage von Justizminister Marco Buschmann, wonach das NetzDG keine pauschalen Ausnahmen für Messenger-Dienste wie Telegram kennen würde, erweist sich also als unzutreffend.
Erfolgsversprechender erscheint ein Rückgriff auf die gute alte Störerhaftung. Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass Intermediäre wie Hoster, die fremde Inhalte zum Abruf bereithalten einer eingeschränkten Haftung unterliegen, sofern sie zumutbare Prüfpflichten verletzt haben. Das setzt insbesondere voraus, dass ein solcher Anbieter über einen konkreten rechtswidrigen Inhalt in Kenntnis gesetzt wird und anschließend untätig bleibt. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung des BGH, beginnend mit der Entscheidung Blogpost, einen Prüfprozess entwickelt, den der BGH in weiteren Entscheidungen zu Bewertungsportalen wie Jameda immer weiter ausdifferenziert hat.
Danach könnte Telegram also, auf konkreten Hinweis hin verpflichtet sein, rechtswidrige Inhalte zu entfernen.
Ob der Ansatz, auf Apple und Google einzuwirken, um Telegram aus den Appstores zu nehmen, einen rechtlich gangbaren Weg darstellt, erscheint zumindest auf den ersten Blick fraglich. Denn bei Telegram handelt es es sich in jedem Fall um einen legalen und legitimen Messengerdienst, dessen komplette Verbannung wegen einzelner rechtswidriger Inhalte in Gruppen nicht gerechtfertigt erscheint. Dies kann allenfalls ultima ratio sein, wenn alle anderen denkbaren Mittel und Wege auf Telegram mit Blick auf die Löschung rechtswidriger Inhalte, erfolglos geblieben sind.
Vielen Dank. Das ist das erste wirklich vernünftige und sachlich begründete, das ich zu dem Thema bisher irgendwo gelesen habe. Eine kleine Anmerkung vielleicht: Das Sperren in den Appstores bewirkt wenig. Sie sind vielleicht der bequemste, aber auf beiden Systemen (für Apple bin ich mangels eigener Erfahrung nicht völlig sicher) keineswegs der einzige Weg, Apps zu installieren. Apple könnte das dank seines Monopols auf Betriebssystem und Endgeräte ändern, Android ist offen und hat keine volle Kontrolle über alle Endgeräteanbieter. Es hilft wenig gegen Drogenhandel, wenn ich per Gesetz Aldi und Edeka verbiete, welche anzubieten.
Comment by Axel Berger — 16.12, 2021 @ 20:15
Vielen Dank für diese neutrale juristische Analyse. Welches Licht wirft es auf den neuen Justizminister Buschmann, wenn er die Rechtslage nicht kennt? Oder weiß er es besser, aber lügt oder droht er? Darf ein Regierungsmitglied legales Verhalten unter Ächtung setzen? Wäre das ein Verstoß der Neutralitätspflicht? Darf man pauschal ein legales Medium mit Verbreitung von Fake News, Volksverhetzung, Morddrohungen etc. gleichsetzen?
Comment by chlorophyllosoph — 17.12, 2021 @ 11:53
Auf meinem Huawei P40 und ganz ohne Google habe ich Telegramm (wie die anderen Apps dort) manuell aus einer APK-Datei installiert.
Telegram nutze ich nicht aktiv, aber als mediales Beiwerk, als der neue Volksempfänger, als sog. „Westfernsehn“ finde ich das Teil schon ganz wichtig.
Und formalrechtlich – ohne Jurist zu sein – ist mir absolut unverständlich, wie jenseits einer deutschen oder eu-europäischen Zugriffsmöglichkeit ein Unternehmen belangt, gar sanktioniert werden kann. Da könnte weltweit ja jeder Staat kommen und darauf bestehen, dass seine formalrechtlichen Vorgaben jetzt bitteschön von Telegram zu berücksichtigen sind.
Comment by Bernd Ebert — 17.12, 2021 @ 12:09
Eine sehr gute Sichtweise im Rahmen des bestehenden Denk- und Rechtssystems.
Eine weitere, detaillierte Regelung wird zu keiner Lösung der gesellschaftlichen, finanziellen und sozialen Prbleme führen.
Ein Umdenken, grundsätzlich anderes Zusammenleben und Kommunizieren ist angesagt. Vieles muss verquert, Tabus müssen gekippt werden. Das passiert unweigerlich. Das Ziel muss sein,friedlich. Eine Regelungswut allen ist der falsche Weg.
Comment by Rolf Schälike — 17.12, 2021 @ 12:23
Mir als juristischer Laie ist unklar, wie ein Unternehmen mit Sitz in Dubai durch deutsche Gesetze verpflichtet werden kann. Es müßte doch mindestens ein zwischenstaatliches Abkommen zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Deutschland dafür bestehen, ganz abgesehen davon, daß das bei einem deutschen Unternehmen wohl nicht ganz so einfach sein dürfte, wie RA Stadler ausführt. Zudem gehen die vlt. in Deutschland rechtswidrigen Äußerungen in Tlegram doch im Rauschen der unzähligen Nachrichten völlig unter.
Comment by mw — 20.12, 2021 @ 21:16
Ich denke, dass in der Tat einzelne verbotene oder kontroverse Inhalte in einer Gruppe oder Gemeinschaft kein Grund sein können, den gesamten Dienst zu sperren. Zumal es sich nicht mehr nur um eine Messaging-App handelt, sondern um eine vollwertige Werbeplattform, mit der viel Geld zu verdienen ist, so dass es kaum Sinn macht, den Zugang zu sperren.
Comment by Dirk Freud — 4.01, 2022 @ 03:08
Rohheide gab sich einen Ruck und befragte den Privatdozenten, ob er wisse, wo weiland Wichteln gewohnt hätten. Diesem fuhr der Schreck in die Glieder, und dieser Shrek war ganz grün im Gesicht. Grün von der Gischt. Ente gut, alles gut, lächelte der chinesische Kellner süß-sauer.
Comment by Maksnix von der Grün — 22.09, 2023 @ 16:18
Die Antwort lautet: Musentempel!
gez. Paulus in Bautzen
Comment by G. G. Quatsch — 6.10, 2023 @ 16:19