Anmerkungen zum „Facebook-Gesetz“
Am 01.10.2017 ist das Gesetz mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) in Kraft getreten, das in den Medien zuweilen nur als „Facebook-Gesetz“ bezeichnet wird. Das Gesetz verpflichtet soziale Netze wie Facebook und Twitter dazu, bestimmte rechtswidrige Inhalte kurzfristig zu löschen. Das Gesetzesvorhaben wurde im Netz und auch in der juristischen Fachwelt überwiegend kritisiert und dies häufig sogar in äußerst alarmistischer Art und Weise. Als jemand, der die Kritik jedenfalls nicht durchgehend zu teilen vermag, möchte ich eine differenzierte Betrachtung anstellen.
Gegen das Gesetz bestehen erhebliche juristische Bedenken, von denen die europarechtlichen sicherlich am stichhaltigsten sind. Die zeitlich starren Sperrvorgaben des § 3 Abs. 2 NetzDG, die die Anbieter dazu verpflichten, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und sonstige rechtswidrige Inhalte unverzüglich, worunter der deutsche Gesetzgeber in der Regel einen Zeitraum von sieben Tagen versteht, stehen in Konflikt mit der E-Commerce-Richtlinie. Die Vorschriften dieser Richtlinie zur Haftungsprivilegierung verlangen von Anbietern, die Informationen für einen Nutzer speichern, ein unverzügliches Tätigwerden, sobald sie Kenntnis von einer rechtswidrigen Information erlangt haben. Die Richtlinie gibt also keine festen Sperrfristen vor, sondern orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls. Das heißt, gemessen an der Richtlinie können 24 Stunden zu kurz oder sieben Tage zu lang sein. Das deutsche Gesetz entspricht also nicht den Vorgaben der Richtlinie und diese Abweichung kann durchaus als europarechtswidrig betrachtet werden. Kontrovers diskutiert wird in europarechtlicher Hinsicht auch die Frage, ob das NetzDG gegen das sog. Herkunftslandprinzip verstößt, das besagt, dass ausländische Dienstanbieter keinen strengeren Anforderungen unterworfen werden dürfen, als in ihrem Sitzmitgliedsstaat. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages betrachtet das Gesetz als mit dem Herkunftslandprinzip unvereinbar. Auch die sachlich höchst sinnvolle Verpflichtung der sozialen Medien, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, könnte gegen das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie verstoßen.
Allerdings sollte man in der europarechtlichen Diskussion auch deren Dynamik nicht verkennen. So gibt es bei der Kommission bereits aktuell Überlegungen, die nicht nur in eine ganz ähnliche Richtung weisen wie das NetzDG, sondern deutlich und in teilweise bedenklicher Form darüber hinausgehen. Es steht also nicht unbedingt zu erwarten, dass die Kommission das deutsche Gesetz beanstanden wird, nachdem man dort noch viel weiterreichende Regulierungsmaßnahmen im Auge hat. In einem aktuellen Papier „Tackling Illegal Content Online – Towards an enhanced responsibility of online platform„, denkt die Kommission darüber nach, Portalbetreibern wesentlich konkretere Handlungspflichten aufzuerlegen als bisher, einschließlich einer engeren Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, dezidierten Berichtspflichten, proaktiven Filterpflichten, sowie kurzen und konkreten Löschfristen.
Als weit weniger griffig erachte ich die geäußerte Kritik dann allerdings, soweit von einer Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit die Rede ist.
Diese Kritik verkennt den momentanen status quo und unterstellt eine Verschlechterung im Vergleich zur aktuell bestehenden Situation, die kaum zu erwarten ist.
Dazu muss man sich allerdings vergegenwärtigen, wo wir eigentlich herkommen. Derzeit löscht Facebook nach gänzlich intransparenten Kriterien Inhalte, die teilweise erkennbar nicht rechtswidrig sind, während bei ersichtlich rechtswidrigen Inhalten häufiger die textbausteinartige Antwort erfolgt, dass ein Verstoß gegen die Community-Regeln nicht gegeben ist. Der Ausgangszustand auf den das Gesetz reagiert, ist also im Lichte der Meinung- und Informationsfreiheit alles andere als optimal. Es besteht mithin durchaus der Bedarf, Facebook & Co. rechtsstaatlicher Kuratel zu unterstellen, weil eine gesetzeskonforme und rechtsstaatlich akzeptable Löschpraxis dort schlicht nicht existiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch etwas, dass das NetzDG gerade wegen seiner grundrechtlichen Auswirkungen abgelehnt wird.
Allein den Umstand, dass große Anbieter wie Facebook gezwungen werden, Geld in die Hand zu nehmen, um ein transparenteres und professionelleres System der Überprüfung und Löschung von rechtswidrigen Inhalten zu etablieren, muss man als Fortschritt gegenüber dem status quo betrachten. Auch die im Gesetz normierten Berichtspflichten sind zu begrüßen, denn sie zwingen die sozialen Netzwerke dazu, mit Blick auf ihre Löschpraxis öffentlich Farbe zu bekennen und Rechenschaft abzulegen. Es ist daher kaum naheliegend anzunehmen, dass sich die Zahl falscher Löschentscheidungen erhöhen wird. Vielmehr darf man, wenn man die Thematik primär aus dem Blickwinkel der Meinungs- und Informationsfreiheit betrachtet, berechtigterweise sogar auf eine Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation hoffen. Gerade in grundrechtlicher Hinsicht teile ich die vielerorts artikulierten Bedenken deshalb nicht.
Man sollte gleichwohl nicht verschweigen, dass das Gesetz den falschen Grundansatz wählt, indem es allein auf ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitensystem setzt, ohne gleichzeitig die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen zu erleichtern.
Es ist zudem nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesetz einseitige Löschanreize schafft. Denn das Gesetz sanktioniert nur die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte, während die Löschung rechtmäßiger Inhalte keinerlei Konsequenzen hat.
Das Gesetz kann insgesamt nicht als der große Wurf betrachtet werden, der es eventuell bei anderer Ausgestaltung hätte sein können. Die oft beschworene Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit besteht, jedenfalls gemessen am status quo, aber auch nicht.
Auch die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte wird durch das Gesetz nicht sanktioniert. Lediglich die Verfahren etc. müssen existieren und theoretisch funktionieren.
Comment by Gast — 9.10, 2017 @ 21:06
Hm … Ich vermisse ein par Zeilen zum Thema Overblocking, was durchaus eine Gefahr für die Meinungsfreiheit darstellen dürfte. Eine extreme Vaiante wäre das Abschaffen von Diskussionsforen, wie es aus geheimnisvollen Gründen gerade Amazon tut. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Amazon-schliesst-Diskussionsforen-3852250.html
Ebenfalls der Erwähnung wert wäre die Tatsache, dass im Gegensatz zum privatrechlichen Ehrenschutz nicht nur Betroffene eine Löschung veranlassen können, sondern jeder. Damit wird das subjektive Empfinden von Social Justice Warriors zum kleinsten gemeinsamen Nenner des zulässigen Meinungsspektrums.
Comment by Markus Kompa — 9.10, 2017 @ 21:23
Die bisherige Löschpraxis bei Facebook als „Ausgangspunkt“ zu nehmen, ist falsch. Denn morgen könnte ein neues Medium die Rolle von Facebook übernehmen mit einer anderen, freizügigeren Löschpraxis. Seit Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat er diese Freiheit nicht mehr.
Der Kritikpunkt ist die „offensichtliche“ Rechtswidrigkeit. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit sehe ich als hoheitliche Aufgabe des Staates, ausgeführt durch Gerichte. Facebook hat nicht die Kompetenz dazu (weder Ausbildung noch Unabhängigkeit noch Status eines Richters).
Ab sofort wird durch Zuruf auf Rechtswidrigkeit entschieden.
Comment by Wolf-Dieter Busch — 9.10, 2017 @ 21:27
Was fehlt, sind vor allem Checks und Ballances zum Schutz vor staatlicher Einflussnahme (-> Staatsferne der Medienregulierung). Und dieses Fehlen war kein Versehen, sondern Absicht. Dies ist das eigentlich „alarmistische“ an dem Gesetz, und das ist auch der Grund, warum unter anderen OSZE- und UN-Menschenrechtsberichterstatter das Gesetz scharf kritisieren.
Die Zwecke rechtfertigen nicht die Mittel. Sicherlich gibt es Anlass, Social Networks zu regulieren. Aber doch bitte angemessen und im Rahmen der Vorgaben des Grundgesetzes.
Comment by SAS — 9.10, 2017 @ 21:38
Das NetzDG ist ein Zeichen für die Hilfslosigkeit, das Alte menschlich zu überwinden.
Regeln und Verbote auf dem Äußerungssektor helfen nur beschränkt. Oft wird das Gegenteil erreicht/erzeugt.
Comment by Rolf Schälike (@RolfSchaelike) — 10.10, 2017 @ 09:50
Das wichtigste fehlt:
Was ist bitte „offensichtlich rechtswidrig“?
In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung, d.h. nichts ist „offensichtlich rechtswidrig“, bis ein ordentliches Gericht etwas anderes festgestellt hat.
Soziale Netzwerke sollen also quasi vorhersehen, was irgendein Richter irgendwann mal als „rechtswidrig“ einstufen könnte.
Zudem gibt es gegen die vom NetzDg erzwungene Löschung keine Rechtsmittel.
Ich frage mich also, warum ein Rechtsanwalt diese gravierenden Probleme nicht sieht.
Ist die Unschuldsvermutung nicht mehr Teil des Jurastudiums?
Comment by maSu — 16.10, 2017 @ 11:13