Zensururheberrecht: BGH legt an den EuGH vor
Über den Missbrauch des Urheberrechts durch den Staat zum Zweck der Verhinderung der Veröffentlichung unliebsamer Informationen, wurde in diesem Blog schon vor längerer Zeit berichtet. Der Fall, in dem die Bundesrepublik der WAZ-Gruppe die Veröffentlichung von militärischen Lageberichten der Bundeswehr („Afghanistan Papiere“) untersagt hat, ist nunmehr in der Revision beim Bundesgerichtshof angelangt. Der BGH hat die Frage, ob die Annahme einer Urheberrechtsverletzung im Lichte der europäischen Grundrechte auf Informations- und Pressefreiheit ausscheidet, dem EuGH vorgelegt und dabei im Vorlagebeschluss (Beschluss vom 1. Juni 2017, Az.: I ZR 139/15) eine klare urheberrechtsfreundliche bzw. meinungsfeindliche Betrachtung angestellt. In der Pressemitteilung des BGH heißt es:
Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Diese Frage stellt sich, weil die Voraussetzungen der – hier allein in Betracht kommenden – Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte sich darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form im Internet einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Danach stand die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der UdP nicht in Verbindung mit einer Berichterstattung und erfolgte auch nicht zu Zitatzwecken. Darüber hinaus waren die UdP zum Zeitpunkt ihrer Vervielfältigung und öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte der Öffentlichkeit nicht bereits – wie es das Zitatrecht voraussetzt – rechtmäßig zugänglich gemacht worden. Der BGH hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung durch die Gerichte nicht in Betracht kommt, weil sie in das vom Richtliniengeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bereits allgemein geregelte Verhältnis von Urheberrecht und Schrankenregelung übergreifen würde. Danach könnte sich die Beklagte zur Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht an den militärischen Lageberichten nicht mit Erfolg auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung berufen.
Man kann das einfache Gesetz (Urheberrecht) ja auslegen wie man will, sollte dabei aber nicht vergessen, wo es herkommt. Der durchaus umstrittene Begriff des geistigen Eigentums macht sehr deutlich, dass man das Urheberrecht als grundrechtlich geschützte Rechtsposition betrachtet, die man historisch am Eigentumsgrundrecht aufgehängt hat. Demgegenüber stehen hier unzweifelhaft die Grundrechte auf Meinungs- Presse- und Informationsfreiheit. Es liegt also im Grunde eine klassische Grundrechtskollision vor. Und eine Auslegung, die sich allein an den Vorgaben des (einfachen) Urheberrechts orientiert und eine allgemeine Grundrechtsabwägung – wie der BGH meint – nicht zulässt, erscheint mir schwer nachvollziehbar. Zumal der EuGH auch den Prüfungsmaßstab der Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen hat. Dass das auch kaum der Grundrechtsdogmatik des BVerfG entspricht, hat der I. Zivilsenat des BGH offenbar auch bemerkt. Wohl auch deshalb hat er betont, dass eine Interessenabwägung außerhalb der Vorgaben der Urheberrechtsrichtlinie gar nicht in Betracht kommt, weshalb auch eine Überprüfung durch das BVerfG ausscheiden müsste.
Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH den Blick über den Tellerrand wagt, denn, dass das Urheberrecht vorliegend nur als Vehikel zur Informationsunterdrückung dient, ist ein Aspekt, den eine sachgerechte grundrechtliche Betrachtung schlichtweg nicht ignorieren kann.
Wenn man das Urheberrecht auf seine verfassungsrechtliche Dogmatik zurückführt, dann fällt auf, dass offensichtlich der Staat dieses Grundrecht zum Schutz gegenüber den Bürgern einsetzt. Nach meinem Verständnis stellt das den Schutzzweck von Grundrechten auf den Kopf.
Wenn der EuGH nur über die Anwendung der Urheberrechtsrichtlinie entscheiden soll, dann könnte ihm einfallen, dass der Ausschluss der amtlichen Werke wie sie in §5 UrhG kodifiziert sind, zu eng definiert ist und auch für Dokumente gelten müsse, wie die im Streitfall betroffenen.
Comment by Oliver — 1.06, 2017 @ 22:22
Das Urheberrecht ist *nicht* vom Recht auf Eigentum abgeleitet, denn der Begriff „geistiges Eigentum“ kommt im Gesetzestext gar nicht vor. Es gibt nur ein etwas älteres BVerfG-Urteil, das diesen Begriff anzuwenden versucht, und dann feststellt, dass das Urheberrecht dem Begriff gar nicht gerecht wird, aber nicht erkennt, dass diese Anwendung ja eh nicht sachgerecht ist.
Das europäische Urheberrecht leitet sich historisch vom Persönlichkeitsrecht ab. Das heißt, es baut auf Artikel 2 GG (1). Damit sind die Schranken klar: Die freie Entfaltung der Persönlichkeit endet dort, wo andere Rechte verletzt werden. Die Verbindung wird schon in § 2 UrhG hergestellt:
„(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.“
Das „Eigentum“ ist übrigens das einzige Grundrecht, dessen Inhalte durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Er könnte selbstverständlich auch ein „geistiges Eigentum“ schaffen, das unter „Eigentum“ fällt. Hat er aber nicht, er hat den Begriff bewusst vermieden.
So ein politischer Kampfbegriff in der Rechtssprechung ist IMHO eine offen eingestandene Parteilichkeit, also eine Rechtsbeugung. Der gehört da nicht ‚rein. Der Begriff ist für die Wünsche der „Content-Mafia“ (ein anderer Kampf-Begriff, der der anderen Seite) angemessen, und insofern sehe ich ihn nicht mal als „umstritten“ an. Das ist die Wunschvorstellung einer Seite im politischen Diskurs. So eine Wunschvorstellung ist erlaubt, sie zu artikulieren ist völlig ok.
Nur muss der Richter vor einem hohen Gericht halt auch wissen, dass dieser Wunsch noch gar nicht in ein Gesetz gegossen ist. Meinungsfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit haben einen sehr hohen Stellenwert, nur die Treue gegenüber der Verfassung wird bei der Freiheit von Kunst und Wissenschaft eingefordert.
Deshalb gibt es auch die ganzen Schrankenregelungen im Urheberrecht, und die kann man auch einfach mal anwenden, statt sich immer zu zieren und zu winden. Selbst wenn man behauptet, das Urheberrecht sei auf dem Eigentum aufgebaut, so sind doch die Schrankenregelungen definitiv die vom GG erlaubten „Schranken“.
Comment by Bernd Paysan — 1.06, 2017 @ 23:36
Und um mit der verfassungsrechtlich verbrieften Garantie des geistigen Eigentumsrechts aufzuräumen, hier zur Ergänzung des Beitrags von Bernd Paysan noch ein Hinweis. In http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20020225 zeigt auch Hauke Möller, dass sich keine tragfähige Begründung für dessen Schutz durch die Institutsgarantie des Art. 14 GG konstruieren lässt.
Einen Vorteil hätte die Ableitung des Urheberrechts aus dem Eigentumsrecht aber m. E. dennoch. Man könnte – so paradox das auch klingen mag – das Urheberrecht vollständig abschaffen. Denn das Eigentumsrecht ist ein vergleichsweise schwaches Grundrecht. Beim Eigentumsrecht hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, den Inhalt festzulegen. Es unterscheidet sich von anderen Grundrechten, deren Gewährung durch Gesetzesvorbehalte lediglich eingeschränkt werden kann.
Der Gesetzgeber kann auf Grund der Institutgarantie das Eigentumsrecht zwar nicht abschaffen, aber er könnte es auf Sachen beschränken.
Comment by Schmunzelkunst — 2.06, 2017 @ 15:53
Der Staatsdiener hat ein Amt, keine Meinung. Um Urheberrecht im Sinne von Persönlichkeitsrechten kann es bei staatlichen Verlautbarungen also schon mal nicht gehen.
Ein Urheberrecht als wirtschaftliches Eigentums-(Verwertungs-)Recht macht hingegen auch nur bei nichtstaatlichen Stellen Sinn, die ihren Lebensunterhalt und auch ihr (Urheber-)Werk aus eigenen Kräften und Mitteln finanzieren müssen.
Anders die staatliche Stellen: Sie finanzieren ihr Wirken schon von vorneherein mit Mitteln der Allgemeinheit (Steuern) und ihre Tätigkeit erfolgt zumindest der Verfassungstheorie im Auftrag und Interesse dieser Allgemeinheit. Also sollte die Allgemeinheit soweit möglich auch Nutzungs-Zugriff haben. Das ist bei materiellen Produkten mal möglich und gängig (öffentliche Straßen), mal problematisch oder unsinnig (Dienstwagen).
Bei „geistigen Produkten“ (den Begriff „geistiges Eigentum“ will ich mal vermeiden) gibt es auch beide Varianten: Gängig und geboten ist ein freier Zugriff z.B. auf Gesetzestexte, deren Kenntnis im Ernstfall („Unwissenheit schützt nicht vor Strafe“) ja auch als selbstverständliche Bürgerpflicht vorausgesetzt wird.
Problematisch bzw. unsinnig ist ein freier Zugriff der Öffentlichkeit dagegen auf Texte mit Staatsgeheimissen (deren tatsächliche Schutzwürdigkeit natürlich für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar ist, ohne diese Staatsgeheimnisse aufzudecken).
Hier haben wir die pikante Situation, dass „der Staat“ gegenüber der Öffentlichkeit eine Art „Staatsgeheimnis“ wahren will, ohne zugeben zu müssen, dass er ein Geheimhaltungsinteresse hat.
Es handelt sich allerdings mehr ein politisches Geheimnis, ein „Regierungsgeheimnis“. Ein Lage-Bericht, der nicht ausdrücklich aus Sicherheitsgründen geheim bleiben soll, beschreibt ganz offensichtlich eine Lage, die keiner Geheimhaltung bedarf, aber erheblich schlechter ist als die im Hurra-Modus befindliche Regierung dies öffentlich zugeben will.
Die Regierung schützt hier nur ihren Glorienschein und missbraucht ein angebliches Schutzrecht, um das geschützte Recht der Öffentlichkeit auf Information und Rechenschaft aushebeln zu können.
Comment by bekir — 1.07, 2017 @ 10:49
Grundrechte (z.B. Eigentum, darunter auch das Urheberrecht) sind zunächst mal Schutzrechte des Bürgers gegenüber dem Staat, nicht umgekehrt.
Der Staat muss dennoch nicht alles, was er produziert, „verschenken“. Er könnte ein berechtigtes Interesse haben, Gebühren zu verlangen, obwohl das Produkt aus Steuermitteln sozusagen bereits bezahlt ist. Dann nämlich, wenn er nach dem Verursacherprinzip das Steuer-Staatssäckel (d.h. die Allgemeinheit) nachträglich wieder entlasten will auf Kosten der Nutzer (und tatsächlichen Nutzen-Zieher“). Was natürlich einerseits sozial verträglich sein sollte.
Und nur erfolgen sollte, wenn andererseits das Verursacherprinzip in Form der Bezahlschranke nicht bloß als Feigenblatt vorgeschoben wird, um eine unerwünschte „Nachfrage nach dem Produkt“ ganz einfach abzuwürgen. (Umgekehrt, z.B. im Steuerrecht, prangert der Staat gegenüber dem Bürger so etwas ganz schnell als unzulässigen „Gestaltungs-Missbrauch“ an.)
Ein schützenswertes finanzielles Verwertungsinteresse kann der Staat an Dokumenten wie militärischen Lageberichten also nicht haben. Wenn sie für nichtstaatliche Stellen überhaupt interessant sind, dann nicht primär aus kommerziellen Vermarktungsgründen des verwertenden Unternehmers, sondern aus politischem, öffentlichem Interesse der Allgemeinheit.
Und dieses öffentliche Interesse in Gestalt der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, auf das sich der Verlag berufen kann, überwiegt ganz stark die Tatsache, dass ein Verlag mit der Veröffentlichung natürlich auch Geld verdienen kann (und halt auch muss).
Die Interessenlage hinter der Berufung auf Urheberrechte müsste hier ein Steuerrechtler ganz klar als „Gestaltungsmissbrauch“ einstufen (mit vertauschten Rollen zwischen Bürger und Staat).
Comment by bekir — 1.07, 2017 @ 14:15