Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

15.6.15

Jugendmedienschutz: Immer noch unausgegoren und gefährlich

Nachdem eine Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) vor einigen Jahren vollständig gescheitert ist, unternehmen die Länder nunmehr einen erneuten Anlauf für eine Neufassung.

Wieder im Programm ist das seit vielen Jahren kritisierte Vorhaben einer Alterskennzeichnung für Websites als Jugendschutzmaßnahme. Wer sein Angebot mit einer Alterskennzeichnung versieht, die von geeigneten Jugendschutzprogrammen nach § 11 Abs. 1 und 2 ausgelesen werden kann, soll damit seine Pflicht, jugendbeeinträchtigende Inhalte von Jugendlichen fernzuhalten, nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV erfüllen können. Die Erkenntnis, dass das schon aus technischen Gründen keine sinnvolle Jugendschutzmaßnahme darstellt, hat sich also offenbar nach wie vor nicht durchgesetzt.

Beachtlich ist daneben auch die geplante Neuregelung in § 11 Abs. 4:

Wer gewerbsmäßig oder in großem Umfang Telemedien verbreitet oder zugänglich macht, soll auch die für Kinder oder Jugendliche unbedenklichen Angebote für ein geeignetes Jugendschutzprogramm nach § 11 Abs. 1 und 2 programmieren, soweit dies zumutbar und ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

Das betrifft grundsätzlich Zugangs- und Hostprovider. Die Vorschrift erscheint mir schon in sprachlicher Hinsicht völlig missglückt. Was mit der Formulierung, dass der Provider Angebote für ein Jugendschutzprogramm programmieren soll, gemeint ist, erschließt sich mir auch nach längerer Überlegung nicht. Die Vorschrift soll wohl in Richtung einer Filterverpflicht für Provider gehen, wobei unklar ist, ob sich die Soll-Vorschrift speziell bei großen Providern wie der Telekom, die sich diesen Aufwand leisten können, zu einer Rechtspflicht verdichtet. Damit wäre man inhaltlich dann allerdings wiederum beim Thema Netzsperren und Zugangserschwerung angekommen, Zensursula Reloaded sozusagen.

Interessant ist zudem die geplante Vorschrift des § 11 Abs. 6, die lautet:

Von Diensteanbietern, die gewerbsmäßig fremde Informationen für Nutzer speichern, kann der Nutzer verlangen, dass der Diensteanbieter ihm die Alterskennzeichnung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 technisch ermöglicht.

Die Vorschrift betrifft Hoster, Betreiber von sozialen Medien, Videoplattformen wie YouTube, aber auch Meinungsportale und Blogs, die Nutzerkommentare ermöglichen. Jeder, der es also zulässt, dass andere bei ihm posten, ist grundsätzlich gehalten diesen Nutzern eine Alterskennzeichnung zu ermöglichen. Das einschränkende Kriterium ergibt sich insoweit lediglich aus der Notwendigkeit der Gewerbsmäßigkeit.

Derjenige, der in dieser Vorschrift als Nutzer bezeichnet wird, dürfte übrigens der Anbieter im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV sein. Insoweit erscheint die Regelung zumindest folgerichtig, auch wenn die Begriffe Nutzer und Anbieter nicht mehr einheitlich verwendet werden.

Zum selben Thema: Alvar Freude beim AK Zensur.

posted by Stadler at 17:29  

9 Comments

  1. Also, mal von der generellen Unsinnig abgesehen, daß diese ganze Aktion allen den Leuten Rechtsunsicherheit und Mehrarbeit aufbürdet, die genau KEINE jugendgefährdenden Inhalte publizieren, ist da diese Filterverpflichtung für Provider, die immer mehr sinnlos wird, je mehr Verschlüsselung der Standard wird.

    Google, Facebook, Wikipedia, … Immer mehr Webseiten verwenden TLS und HTTP/2.0, wo TLS faktisch der Default wird. Damit ist die Kommunikation zwischen Anbieter und Browser technisch hart eine Punkt-zu-Punkt Kommunikation, die der Provider nicht einsehen können soll und auch nicht einsehen kann, und bei der er selbstverständlich dann auch keine Altersfreigaben prüfen kann.

    Comment by Kristian Köhntopp — 15.06, 2015 @ 19:24

  2. die Programmierung unbedenlicher Angebote für Kinder und Jungendlicher scheint mir doch sehr einfach zu sein.

    Was im Internet ausgestrahlt wird, muss doch ersichtlich Programm sein. ;-)
    Bevor also z.B. SPON auf die Idee kommt, grundsätzlich alles als ab16 oder gar ab18 zu klassifizieren, wohl wissend, dass Kinder und Jugendliche die Filter mit Leichtigkeit umgehen und man so keine Klicks verliert, fordert man SPON und Co. lieber dazu auf, geeignete Programme für Kinder und Jugendliche auszustrahlen.

    TogoTV und Tiegerentenclub, oder so.

    Comment by pvdh — 15.06, 2015 @ 21:09

  3. @Kristian: Na dann müssen wir dieses TLS verbieten. Zum Schutz der Kinder.

    Comment by Robert — 16.06, 2015 @ 00:36

  4. Bzgl. Verschlüsselung für Kinder verbieten aus den Kommentaren: der Telekom-Filter blockiert unter 16 Jahren Verschlüsselung. Ja. Wirklich.

    Und er hat die Anerkennung der KJM.

    Comment by Alvar — 16.06, 2015 @ 08:10

  5. Bei solchen Gesetzen fällt mit spontan „Willkür“ und „Lizenz zum Abkassieren“ ein, aber auch „Abwählen“ und „die Verantwortlichen in den Knast bringen“.

    Comment by Meinung — 16.06, 2015 @ 08:33

  6. Mal sehen, was dieser Reform-Anlauf bringt…
    Übrigens ist einiges vom Kritisierten gar nicht neu, so z.B. der oben genannte § 11 Abs. 4 – den gibt es schon immer, als Abs. 5. Auch der mutige Terminus „für ein Jugendschutzprogramm programmieren“ (örks) steht von Anfang an im JMStV.
    Nicht so wahnsinnig viel Mühe gegeben hat man sich dieses Mal ja auch bei der „Beteiligungsplattform“ – in den letzten Runden konnte man wenigstens noch einzelne Regelungsvorschläge individuell kommentieren. So, wie es jetzt dargeboten wird, schreit es ja förmlich nach Fundamentalkritik ;)

    Comment by Martin — 16.06, 2015 @ 08:43

  7. Generell steht der Jugend-¨Schutz¨ im Konflikt mit der Freiheit zur Meinungsäußerung – ein hohes Grundrecht.

    Nur der Schutz eines höheren Gutes rechtfertigt dessen Einschränkung, hier: die Kinder. Das erfordert zwingend eine nachvollziehbare Begründung, wieso diese gefährdet sein sollen. Genau diese nachvollziehbare Begründung existiert nicht.

    Die Gefahren für Kinder sind vielfältig, z. B. Straßenverkehr; ihr Schutz vor jenen ist Aufgabe der Eltern

    Comment by Anonymous — 16.06, 2015 @ 09:23

  8. Wenn das dann in der Rechtssprechung am Ende – sollte dieser Staatsvertrag wirklich so beschlossen werden – dafür sorgt dass Deutsche Richter alles als „sich an deutsche Kunden wendende“ klassifizieren was auf Deutsch veröffentlicht wird, dann geht den Schweizern hier erneut der Hut hoch. Bereits jetzt erreichen Abmahnungen deutscher Anwälte Schweizer Webseitenbetreiber, de facto müssen sich Schweizer an Deutsches Recht halten sobald sie ihr Angebot auf Deutsch erstellen. Schweizer Recht genügt nicht.

    Wenn nun alle Schweizer hier auch noch Kennzeichnungen nach Deutschem Jugendschutz anbringen müssen, werden wohl einige Geoblocker benutzen um Deutschland auszusperren…

    Diese ganze Deutsche Legislative und Judikative sorgt wirklich langsam dafür, dass es in Deutschland nur noch ein Intranet gibt mit Zollübergängen für ankommende IP-Pakete…

    Comment by Pascal — 16.06, 2015 @ 10:02

  9. Ich bin erstmal für Gesetze, die Webseitenbetreiber, Blogger und Forenanbieter vor Minderjährigen schützen.

    Denn es ist durchaus bekannt, was die Konsorten im Alter von 12 bis 20 im Netz veranstalten. ´

    Ich erwarte keinen Jugendschutz, sondern einen Schutz vor der Jugend, vor allem vor den Doofen und Minderbemittelten.

    Comment by Idefix — 17.06, 2015 @ 21:36

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