Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

24.6.11

Klage gegen Tagesschau-App: Meine Antwort auf Christoph Keese

Christoph Keese, Konzerngeschäftsführers „Public Affairs“ des Axel Springer Verlags, verteidigt in einem langen Blogbeitrag die Klage der Presseverlage gegen die Tagesschau-App und greift hierbei zahlreiche Kritikpunkte auf, die in Blogs und über Twitter in den letzten Tagen vorgebracht worden sind. Die Tatsache, dass jemand wie Keese bloggend zu der Thematik Stellung nimmt, muss man unbedingt begrüßen, wenngleich mich seine inhaltlichen Ausführungen nicht überzeugen.

Keese bezieht sich in seinem Blogtext auch auf Tweets von mir, während er meinen Blogbeitrag zum Thema vermutlich nicht gelesen hat.

Seine Antwort auf meine via Twitter gestellte Frage „Warum klagen Sie nicht auch gegen Tagesschau.de, sondern nur gegen die App? Das ist doch inkonsequent“

Diese Frage hat gestern übrigens Rechtsanwalt Thomas Stadler (@rastadler) getwittert, zusammen mit der Ferndiagnose, dass die Verlage vor Gericht unterliegen würden. Woher Stadler das wissen kann, ohne den Schriftsatz zu kennen, bleibt sein Geheimnis. Geklagt wird nur gegen die App, weil ihr Erscheinungsdatum innerhalb der sechsmonatigen Klagefrist lag, die das Wettbewerbsrecht vorsieht. Stadler hätte sich das denken können. Allen Nichtjuristen sei gesagt, dass Tagesschau.de genauso gegen den Staatsvertrag verstößt wie die Tagesschau-App, aber älter und aus rechtlichen Gründen damit schwerer zu verklagen ist.

hat mich doch irgendwie verblüfft. Keese bringt damit zum Ausdruck, dass die Verlage tagesschau.de eigentlich in gleicher Weise für wettbewerbswidrig halten, man es aber versäumt hat, die kurze, sechsmonatige Verjährungsfrist des UWG zu wahren, weshalb man nunmehr nur noch gegen die App klagen könne und nicht mehr gegen das Angebot von tagesschau.de.

Die Argumentation ist insofern erstaunlich, als die Tagesschau-App letztlich nichts anderes ist, als eine Umsetzung von tageschau.de für Mobiltelefone. Die vermeintliche Verletzungshandlungen kann sich aber nur aus den Inhalten von tagesschau.de ergeben und nicht aus der Darstellung auf einem bestimmten Endgerät. Oder um es anders zu formulieren: Das maßgebliche Inhaltsangebot ist tagesschau.de und nicht die App.

Wenn man bei den Verlagen also der Meinung ist, dass wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen die Inhalte von tagesschau.de bereits verjährt sind, dann müsste das auch auf die Darstellung mittels einer Mobilfunk-App zutreffen. Die Klage – die ich im Detail in der Tat nicht kenne – dürfte sich auch nicht gegen die App an sich richten, sondern gegen diejenigen Inhalte, die die Verlage als „elektronische Presse“ betrachten. Wäre die Argumentation von Christoph Keese also zutreffend, dann müsste konsequenterweise auch die jetzige Klage an einer Verjährung scheitern.

In sachlicher Hinsicht kann ich Herrn Keese gerne erläutern, weshalb ich der Klage der Verlage nur geringe Erfolgsaussichten beimesse, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass man beim Landgericht Köln zunächst Erfolg hat.

Als entscheidend betrachtet Keese, dass der Runfunkstaatsvertrag presseähnliche, nichtsendungsbezogene Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender verbietet.

Diese Begriffe können allerdings nicht eng im Sinne der Presseverlage ausgelegt werden, sondern müssen vielmehr verfassungskonform im Lichte der Bedeutung der Rundfunkfreiheit interpretiert werden. Insoweit ist entscheidend, dass das BVerfG von einer Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgeht, der die Sender dazu berechtigt, sich der neuen technischen Mittel zur Erfüllung seines Funktionsauftrags zu bedienen. Dabei ist es grundsätzlich Sache der Sender im Rahmen ihrer Programmautonomie zu entscheiden, welche Inhalte und Formen hierzu notwendig sind.

Das hat der Gesetzgeber insoweit umgesetzt, als er es nach § 11f RStV den Sendern im Wege einer eigenen Satzungskompetenz – die der Rechtsaufsicht unterliegt – selbst zu regeln, wie die Vorgaben von § 11d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 RStV konkret umzusetzen sind. An dieser Stelle drängt sich auch die Frage auf, ob der Staat – und damit auch die ordentlichen Gerichte – hier überhaupt mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts in dieses System eingreifen kann, oder ob dies bereits einen Eingriff in die Programmautonomie der ARD darstellt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Programmautonomie folgerndermaßen definiert:

Es ist Sache der Rundfunkanstalten, aufgrund ihrer professionellen Maßstäbe zu bestimmen, was der Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt.

Das gilt m.E. auch für tagesschau.de und die Entscheidung diese Onlineinhalte im Wege einer App auch für Mobiltelefone aufzubereiten.

Mir erscheint die Haltung der Verlage auch in einem größeren Kontext betrachtet, höchst inkonsequent zu sein. Denn derzeit fordert man seitens der Verlage ganz vehement die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseerzeugnisse, das, wenn es nach den Vorstellungen der Verlage geht, nichts anderes sein soll, als eine Form der gebührenfinanzierten Presse. Und das ist genau das, was man der ARD vorwirft.

Die Diskussion müsste meines Erachtens anders und zwar auf breiter gesellschaftlicher Ebene geführt werden. Die Frage, die es zu diskutieren gilt, lautet, ob wir angesichts des vielfältigen Angebots, das über das Netz erreichbar ist, weiterhin einen gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk benötigen. Eine Abkehr von dem bisherigen Modell würde aber nicht nur eine vorhergehende breite gesellschaftliche Diskussion erfordern, sondern auch einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

posted by Stadler at 10:00  

18 Comments

  1. Ich bin für eine breite gesellschaftliche Diskussion.
    Ich bin für einen Paradigmenwechsel in der Rechtssprechung der BVerfG.
    Ich bin für einen gemeinschaftlich finanziertes, partizipativ überwachtes, transparent unabhängiges Öffentlich-Rechtliches Angebot in einer faktisch konvergierten Medienwelt.
    Alles andere ist rückwärts gewandter Humbug im Jahre 2011.

    Comment by Jens Best — 24.06, 2011 @ 11:17

  2. Ich wäre ja dafür, gegen die Zwangsabgabe GEZ zu klagen, mit der solche Sachen subventioniert werden, egal ob man sie nutzen kann oder nicht.
    Verlage und private Sender müssen sich über Werbung finanzieren, die die ÖR auch noch schalten.
    Entweder oder!

    Comment by Björn Deutschmann — 24.06, 2011 @ 11:30

  3. @Deutschmann

    Ihre Wut gegen irgendwas in allen Ehren, aber dieses libertäre Kindergarten-Geplärre gegen Zwangsabgaben zeigt, dass sie offensichtlich noch nicht mal die ursprüngliche Idee des ÖR verstanden haben.

    Es geht um den konstruktiven Diskurs, ob wir als Gemeinschaft ein von Privatinteressen unabhängiges Medienangebot haben, dass partizipativ und transparent gemanaged wird.

    Comment by Jens Best — 24.06, 2011 @ 11:53

  4. @Jens Best:
    bitte Transparenz definieren.

    Comment by Lonesome Walker — 24.06, 2011 @ 12:27

  5. @lonesome walker

    Keine Transparenz auf tagesaktueller Basis hinsichtlich redaktioneller Entscheidungen, aber es sollte eine bessere (bzw. überhaupt mal) ein Watchdog Element im ÖR-Betrieb geben, auf die jeder Bürger Zugriff haben kann. Fernsehräte haben in ihrer Funktionalität versagt und sind auch keine zeitgemäße Umsetzung der Aufgabe mehr.

    Comment by Jens Best — 24.06, 2011 @ 13:12

  6. Also wenn ich mir ab und an div. politischen „Talk-Shows“ im Fernsehen ansehe, können diese nicht wirklich unabhängig sein, wenn eine Anne Will zum Bsp. bekannt Rot ist und ihre Sendung auch so moderiert.

    Comment by Björn Deutschmann — 24.06, 2011 @ 13:27

  7. Vor drei oder vier Jahren habe ich in kleiner Runde mit einem Geschäftsführungsmitglied einer ARD-Anstalt gesprochen. Damals sagte der Kollege auf Nachfrage, er glaube nicht, dass es in zehn Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk samt seiner Gebührenfinanzierung in seiner jetzigen Form noch geben würde. Ich denke, dass man Stand heute noch ein paar Jahre drauflegen kann, ansonsten stimme ich dem aber zu. Künftigen potenziellen Gebührenzahlern wird der Grundversorgungsauftrag wohl immer schwerer zu vermitteln sein.

    Wobei die Tagesschau mit und ohne App und Internet-Auftritt sicher zu den Angeboten gehören, die noch am ehesten einer „Grundversorgung“ zuzuordnen sind.

    Die Verlage tun sich mit dieser Klage jedenfalls keinen Gefallen. Spätestens wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk (so es ihn in dieser Form weiter geben wird) seinen Charakter und seinen Finanzierung ändern wird, wird die Frage der „presseähnlichen Angebote“ auch wieder neu auf den Tisch kommen. Und dass eine Neuregelung restriktiver sein sollte als die jetzige, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

    Comment by Andreas Maurer — 24.06, 2011 @ 13:44

  8. Inkonsequenz ist eine Seite. Sie kann aber letztlich dahinstehen, wenn die App rechtswidrig wäre. Insoweit würde ich Ihrer Argumentation „Aufbereitung für ein weiteres Endgerät“ folgen. Die Apps erfüllen aus dieser Sicht genaugenommen denselben Zweck, den auch verschiedene Stylesheets für verschiedene Nutzungen über den Browser bezwecken (normal. print, kontrastreiche Darstellung etc.). Problematisch finde ich dagegen, daß es hieß, es würden zusätzliche Inhalte über die App verbreitet. Hier wäre zu prüfen, inwieweit diese „Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt“ werden.

    Im übrigen bin ich sehr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und daher auch sehr für dessen Gebührenfinanzierung, dies nur an anderslautende Beiträge in der Disk. Ich höre ständig und seit vielen jahren schon Info- und Kultursender, die mir auf Dauer kein anderes Finanzierungsmodell bieten würde. So what?

    Comment by schneeschmelze — 24.06, 2011 @ 13:44

  9. Ohne die Herrschaften auf irgendwelche Ideen bringen zu wollen: die Verjährungsfrist nach § 11 UWG beginnt nicht vor der Beendigung der fraglichen Handlung. Den Einwand der Verjährung Oder sollte mir entgangen sein, dass tagesschau.de seit mehr als 6 Monaten offline ist?

    Comment by Ronny — 24.06, 2011 @ 13:44

  10. „Den Einwand der Verjährung müssen sie also am wenigsten fürchten“ … sollte es heißen.

    Comment by Ronny — 24.06, 2011 @ 13:45

  11. Mich stört weniger die GEZ Abgabe, als viel mehr, dass nicht alle (von uns bereits gezahlten) Inhalte des ÖRR im Netz stehen.

    Wäre es theoretisch möglich, eine E-Petition zu starten, die fordert, dass jene Inhalte wieder ins Netz dürfen? Weiß das wer?

    Comment by Pierre Dumaine — 24.06, 2011 @ 13:51

  12. Wie ich schon schrieb – und dafür angefeindet worden bin – entweder gibt es keine GEZ mehr und die sogenannten ÖR dürfen Werben, in ihren politischen Talk-Shows die subjektiven Meinungen der Gastgeber vertreten, wie bei Anne Will oder letzten bei einer Talk-Show auf Phoenix mit Jürgen Koppelin (MdB d FDP), wo die Gastgeberin ihn kaum ausreden lies und seine Meinungen und Thesen hören wollte.
    Oder man steckt Geld in diesen aufgeblähten Apparat, der dann aber nicht werben darf, wirklich sachlich neutrale Polit-Talk-Shows abhält und und und. Aber dann bitte weniger Geld für die ganzen Vorstände der Landesanstalten usw.

    Comment by Björn Deutschmann — 24.06, 2011 @ 13:59

  13. Wie sollte denn die Medienpflege ohne ÖR aussehen?

    Ich stelle mir eine werbe- und auch sonst barriere-freie Zone gesicherter Information vor, wo sämtliche Bibliotheksbestände öffentlicher Bibliotheken, alle Sendungen ehemaliger ÖR-Anstalten archiviert werden und aktuelle Beiträge nach einem auszuklügelndem Zensur/Bewertungs/Zulassungs-system, um zu erwahren: Pluralität, Qualität, Kartellprävention…

    Gibt es dafür Entwürfe?

    Comment by nokosch — 24.06, 2011 @ 14:17

  14. Das ist ja einer der Gründe, warum ich den Verjährungseinwand bzw. diese Differenzierung Keeses für merkwürdig gehalten habe.

    Comment by Stadler — 24.06, 2011 @ 14:44

  15. „Die Frage, die es zu diskutieren gilt, lautet, ob wir angesichts des vielfältigen Angebots, das über das Netz erreichbar ist, weiterhin einen gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk benötigen.“

    Das ist es!

    Brauchen wir das noch? Es ist doch so, und dies zeigt sich auch hier in den Kommentaren, rd. 50% der Menschen fühlen sich gar nicht _unabhängig_ und _neutral_ vom ÖR informiert. Ist dies nicht aber die Aufgabe des ÖR?!

    Dinge wie die Tagesschau-App werden beklagt, Beiträge im Web „depubliziert“.

    Zahlen wir etwa Gebühren, damit ein immens großer Verwaltungsapparat berät, welche Informationen er in welcher Form er „seinen zahlenden Kunden“ vermitteln darf?

    Ich mache den Kreis und halte es mit dem Stadler: Brauchen wir das überhaupt noch?
    – Ich sage Nein.

    Comment by ben — 25.06, 2011 @ 10:24

  16. Da es der „freie Markt“ bisher nicht geschafft hat ein Angebot zu schaffen, dass auch nur annähernd so „neutral“ und gleichzeitig so umfassend informiert wie der öR, kann die Antwort nur lauten, ja, wir brauchen ihn noch.

    Er ist sozusagen der Stein in der Brandung, an dem man die anderen Angebote messen kann.

    „Zahlen wir etwa Gebühren, damit ein immens großer Verwaltungsapparat berät, welche Informationen er in welcher Form er “seinen zahlenden Kunden” vermitteln darf?“

    Genauso könnte man argumentieren, dass unsere Demokratie nicht funktioniert, zu teuer und zu wenig effizient sei, und man sie deshalb durch ein marktwirtschaftliches Herrschaftssystem oder durch Anarchie ersetzen sollte.

    Comment by Ein Mensch — 26.06, 2011 @ 08:37

  17. @15
    „Dinge wie die Tagesschau-App werden beklagt, Beiträge im Web “depubliziert”.

    Zahlen wir etwa Gebühren, damit ein immens großer Verwaltungsapparat berät, welche Informationen er in welcher Form er “seinen zahlenden Kunden” vermitteln darf?“

    Das haben wir wiederum den Verlegern zu verdanken, die das vor der EU-Kommission erstritten haben. Überhaupt kommt mir der Brief der EU-Kommission in der Debatte viel zu kurz, man kann sich den Vorgang sehr schön bei Robin Meyer-Lucht vergegenwärtigen: http://www.berlin-institute.de/kgu.html

    Comment by Stefan — 27.06, 2011 @ 14:13

  18. Wer die „schöne“ italienische Fernsehwelt kennt, der kennt auch die negative Utopie.

    Ein öffentlich-rechtliches Fernsehen (und Radio!), das auch von direkten Einflussnahmen durch die Politik ebenso unabhängig ist wie vom ständigen Schielen auf Quoten ist auf lange Sicht die *EIN* wesentlicher Baustein für eine demokratische Öffentlichkeit *IN* den Medien.

    Das Nörgeln gegen die Gebühren ist die typische Strategie derer, die den Stolperstein öffentlich-rechtliche Medien aus dem Weg räumen wollen.

    Comment by J.-S. Farinet — 30.06, 2011 @ 18:20

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