Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

31.5.11

Die Mär von der Terrorismusbekämpfung

Richard Gutjahr hat kürzlich einen vielbeachteten Blogtext mit dem Titel „Die Anti-Terror-Lüge“ veröffentlicht. Soweit sich neben den zustimmenden auch kritische Stimmen zu Wort gemeldet haben, beißen diese sich an Missverständnissen oder Ungenauigkeiten im Detail fest, ohne sich mit der eigentlichen Kernaussage Gutjahrs zu beschäftigen.

Anlass des besagten Blogbeitrags war eine Podiumsdiskussion die von Gutjahr moderiert wurde und auf der u.a. der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, der Vize-Präsident des BKA Jürgen Stock und der Verfassungsrichter Peter M. Huber kontrovers diskutiert haben. Das Thema lautete: Datensammelwut vs. Datenschutz – Brauchen wir eine neue Datenschutzpolitik? In der Diskussion ging es zunächst primär um das Für und Wider der Vorratsdatenspeicherung. Die sog. Anti-Terror-Gesetze wurden nur am Rande erwähnt.

Auffällig war – und dies dürfte Gutjahr zu dem Titel „Die Anti-Terror-Lüge“ veranlasst haben – dass Jürgen Stock vom BKA sich sogleich für ein altbekanntes Argumentationsmuster entschieden hat. Zur Rechtfertigung der Vorratsdatenspeicherung  hat der Vizepräsident des Bundeskriminalamts nämlich ohne große Umschweife darauf verwiesen, dass diese zur Bekämpfung des Terrorismus, der Kinderpornographie und der organisierten Kriminalität erforderlich sei. Eine Argumentation die so vorhersehbar wie falsch ist.

Wenn man mit Beamten des BKA über die Vorratsdatenspeicherung spricht, wozu ich beim Netzpolitischen Kongress der Grünen Gelegenheit hatte, dann ist zumeist die Rede davon, dass aufgrund des fehlenden Ermittlungsansatzes IP-Adresse Betrugsstraftaten, und die Fälle des Phishing – man spricht im Behördenjargon von Identitätsdiebstahl – nicht mehr aufzuklären seien. Ein Blick in die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatisitik bestätigt dies. Ca. 82 % der Internetdelikte sind Betrugsstraftaten, wobei die Aufklärungsquote, auch ohne Vorratsdatenspeicherung, deutlich höher ist, als im Offline-Bereich.

Die Anti-Terror-Lüge besteht also u.a. darin, dass die Vorratsdatenspeicherung mit der angeblichen Notwendigkeit der Bekämpfung des Terrorismus begründet wird, obwohl man weiß, dass sie im Kern anderen Zwecken dient.

Auf der besagten Podiumsdiskussion hat der Vizepräsident des BKA auf die Frage, ob man sich auch bei den Anti-Terror-Gesetzen vom Gesetzgeber noch Erweiterungen wünsche, übrigens geantwortet, dass das Amt diesbezüglich derzeit keine konkreten Wünsche habe. Was wiederum Peter Schaar zu der Bemerkung veranlasst hat, dass in diesem Bereich ohnehin schon alle Wünsche erfüllt worden seien.

Noch ein paar Anmerkungen zu den sog. Anti-Terrorgesetzen, über deren Evaluierung ich kürzlich bereits gebloggt hatte. Die Anti-Terror-Gesetze haben vor allen Dingen zusätzliche Eingriffsbefugnisse zugunsten der Geheimdienste und des BKA geschaffen. Diese zusätzlichen Befugnisse sind aber keineswegs auf die Bekämpfung des Terrorismus beschränkt.
Aufgrund der Anti-Terror-Befugnisse, wurden nach einem Bericht der Bundesregierung z.B. auch die Anschlussinhaber zu 40 IP -Adressen ermittelt, weil sie „völkerverständigungswidrige Musiktitel“ im Internet zum Download angeboten haben. Eine so verstandene Terrorismusbekämpfung erweist sich also als ein sehr weites Feld.

In diesem Bereich muss man außerdem wissen, dass die Dienste insgesamt über mehr Überwachungsbefugnisse verfügen, als die regulären Polizei- und Sicherheitsbehörden. Da dies zu einer stärkeren Gefährdung der Grundrechte führt,  müssten sie eigentlich auch einer stärkeren Kontrolle unterliegen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Die richterliche und auch parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit der Dienste schwankt von magelhaft bis nicht vorhanden. Der Gesetzgeber schafft damit praktisch rechtsfreie Räume in denen die Dienste unkontrolliert agieren können.

Wenn man die anderen neuen Eingriffsbefugnisse, die der Gesetzgeber in den letzten 10 Jahren geschaffen hat – die allerdings nicht alle der Überprüfung durch das BVerfG standgehalten haben – hinzu zählt, ergibt sich unter dem Strich eine bedenkliche Beschneidung der Bürgerrechte. Diese Entwicklung wird verstärkt durch Maßnahmen auf europäischer Ebene wie z.B. dem Swift-Abkommen, das den USA den Abruf von Bankdaten europäischer Bürger erlaubt.

Wer vor diesem Hintergrund einem Autor wie Richard Gutjahr eine ungenaue oder gar falsche Darstellung vorwirft, muss sich die Frage stellen, wie man dann das nennen soll, was der Innenminister so von sich gibt.

posted by Stadler at 11:52  

11 Comments

  1. Das wäre ja dann vergleichbar mit, z.B., der Ökosteuer: Einen guten Zweck vorgaukelnd erschließt man Geldquellen für andere Budgets.

    BTW: Gelten eigentlich für die Steuerfahndung grundsätzlich andere (Grund-)Rechtsnormen? Aus etlichen mir über die Jahre zugetragenen Fällen verdichtet sich die Erkenntnis, dass hier offenbar ziemlich ungehindert – also jenseits üblicher bürgerlicher Freiheitsrechte – abgehört und inhaftiert wird.

    Comment by Wolfgang Miedl — 31.05, 2011 @ 12:26

  2. Ich wusste gar nicht, dass ich „linksliberaler Fundamentalist“ bin. Aber schön, dass mich der Herr Bundesminister da aufgeklärt hat. Nun weiß ich meine politische Ausrichtung endlich einzuordnen.

    Comment by Pierre Dumaine — 31.05, 2011 @ 12:48

  3. Ich war nicht auf der Podiumsdiskussion und kann mich daher nur an das halten, was Gutjahr schrieb. Fehler sind Fehler, auch wenn irgendeine Kernaussage stimmen mag. Vorratsdatenspeicherung ist da nur einmal in einer langen Liste erwähnt. Die Verwendung der 100a-StPO-Statistik ist grob irreführend, die Bildunterschrift falsch und auch nach Hinweis nicht korrigiert worden.

    BTW: bitte nicht „Ich bin überzeugt, dass“ mit „Ich weiß, dass“ verwechseln. Wir wissen nicht, wie die Vorratsdatenspeicherung besonders nach den Vorgaben aus Karlsruhe angewandt wird. Wir haben Vermutungen, wir können auf Erfahrungen in der Vergangenheit und im Ausland verweisen und wir können auf Widersprüche hinweisen. Wir wissen aber nicht.

    Comment by Torsten — 31.05, 2011 @ 12:55

  4. Schlimmer ist Friedrichs — vorsichtig ausgedrückt — seltsame Schwarz-Weiß-Sicht: Auch unbescholtene Bürger könnten in das Visier der Nachrichtendienste geraten. Falsch! Nicht „unbescholtene Bürger“, sondern ausschließlich Terrorverdächtige sind betroffen!

    Ein Verdächtiger kann gar kein „unbescholtener“ Bürger sein. Insofern ist jeder Verdächtige schon einmal schuldig. m(

    Comment by Ursula von den Laien — 31.05, 2011 @ 13:15

  5. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass bei Richard keine Fehler enthalten sind, insbesondere habe ich die Herkunft dieser Statistik/grafischen Darstellung nicht überprüft. Da es sich offenbar um eine Statistik zu 100a StPO handelt, ist das an dieser Stelle sicherlich etwas irreführend.

    Die Grundaussage, dass die Verschärfung von Eingriffs- und Überwachungsbefugnissen sehr häufig mit der Notwendigkeit der Terrorbekämpfung begründet wird, ist richtig. Und dieses Phänomen hat Gutjahr als „Anti-Terror-Lüge“ bezeichnet.

    Comment by Stadler — 31.05, 2011 @ 14:21

  6. Endlich passt es mal zu sagen „das Internet darf kein Rechtsfreier Raum sein!“

    Comment by Robert — 31.05, 2011 @ 15:09

  7. Thomas: Lies einfach den Text den Richard geschrieben hat und nicht Deine Erinnerung an die Podiumsdiskussion. Allein die Behauptung Zivilisten hätten den Bombenanschlag in Köln verhindert, hätte man keinem CSU-Hinterbänkler durchgehen lassen. Auf faktische Einwände reagiert der Autor nicht, stattdessen rechnet er es sich als besondere Leistung an die öffentliche Statistik gefunden zu haben und beschuldigt andere dafür, dass er sie nicht versteht.

    Texte mit der These dass die Verschärfung von Eingriffs- und Überwachungsbefugnissen sehr häufig mit der Notwendigkeit der Terrorbekämpfung begründet wird, findest Du wie Sand am Meer. Dieser hier ist zwar effektiv geschrieben aber zum Haareraufen falsch.

    Comment by Torsten — 31.05, 2011 @ 20:07

  8. @Torsten: Wenn Du mal reflektierst, was die Presse der C*U alles ungefragt durchgehen lässt, dann ist die Behauptung von einem Zivilisten, der den Bombenanschlag in Köln verhindert hat das geringste Problem.

    Du hast bei Twitter groß verkündet, dass an dem Beitrag alles falsch sei und hast in der Folgediskussion mit Dominik Boecker einen Punkt aufgezeigt, an dem man diskutieren kann. Wenn ein Punkt falsch, ist, dann ist das ärgerlich, aber ein Punkt ist sicherlich nicht alles. Zum Rest schweigst Du Dich ja schon ein paar Stunden aus.

    Comment by le D — 31.05, 2011 @ 21:11

  9. D: Ich hsb nicht einen Punkt aufgezeigt, über die man diskutieren kann, sondern zwei grobe Fehler. Thomas schreibt hier oben über Dinge, die im Beitrag von Richard Gutjahr nicht stehen.

    Über welchen Rest willst Du diskutieren?

    Comment by Torsten — 1.06, 2011 @ 08:09

  10. Soll heißen: Ich hsb nicht einen Punkt aufgezeigt, über den man diskutieren kann, sondern zwei grobe Fehler.

    Comment by Torsten — 1.06, 2011 @ 09:11

  11. Es gibt auch ehrliche Politiker wie den Innenexperten der SPD Dieter Wiefelspütz, die frank und frei sagen: „Vorratsdatenspeicherung hat mit Terrorismusbekämpfung relativ wenig zu tun. Ich wäre für die Vorratsdatenspeicherung auch dann, wenn es überhaupt keinen Terrorismus gäbe.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Wiefelsp%C3%BCtz#cite_ref-1).

    Das ist nicht nur erfrischend, sondern auch – allerdings ungewollt – sehr bürgerrechtsfreundlich. Denn vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG (1 BvR 256/08, Leitsatz 5) ist es gleichzeitig das Eingeständnis, daß die gewollte Ausweitung des Instruments der Vorratsdatenspeicherung nur mit einer Grundgesetzänderung machbar ist.

    Was die Ermittlung von der 40 IP-Adressen betrifft, über die “völkerverständigungswidrige Musiktitel” im Internet zum Download angeboten wurden, so stellt sich übrigens die Frage, ob die verfassungsrechtlichen Anforderungen für Gefahrenabwehrmaßnahme eingehalten waren (siehe ebenfalls BVerfG, 1 BvR 256/08, Leitsatz 5; entsprechende Anforderungen gelten auch für Telekommunikationsüberwachung außerhalb der Vorratsdatenspeicherung). Das beschriebene Verhalten unterfällt keinem Straftatbestand, sondern ist nur relevant für die Prüfung der Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 2 GG.

    Comment by OG — 2.06, 2011 @ 14:15

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