Unter der Überschrift „Behüten, wo es nötig ist“, verteidigt Kurt Beck in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung in einem Gastkommentar den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV).
Dass ein Ministerpräsident in einer große Tageszeitung zur Kritik an dem Konzept des Jugendmedienschutzes Stellung nimmt, zeigt, dass die Bedenken, die speziell die Netz-Community vorgetragen hat, auf der obersten landespolitischen Ebene angekommen sind.
Inhaltlich nimmt Kurt Beck vor allem zu der geplanten (freiwilligen) Einführung von Alterskennzeichnungen für Internetinhalte in einem neuen Entwurf zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 JMStV-E) Stellung. Dieses freiwillige Labeling von Websites durch den Content-Anbieter selbst, soll, so Beck, anerkannten Jugendschutzprogrammen als Filterkriterium dienen. Diese Jugendschutzprogramme sollen von den Eltern auf den Rechnern der Kinder installiert werden, um so den Zugriff der Kinder auf bestimmte Inhalte zu verhindern. So zumindest stellt Beck sich das vor.
Und an dieser Stelle zeigt sich bereits das Dilemma. Diejenigen Websites, die nicht mit einer Alterskennzeichnung versehen werden, laufen nämlich Gefahr, dass sie von Kindern und Jugendlichen, denen von den Eltern ein entsprechendes Filterprogramm vorgesetzt worden ist, überhaupt nicht mehr aufgerufen werden können. Und das gilt selbst für völlig harmlose Websites. Denn wenn die Filterprogramme alle Websites ausfiltern, die überhaupt keine Alterskennzeichnung haben (White-List-Prinzip), dann bleibt nicht mehr viel übrig und es entwickelt sich genau das „Kindernet“, das Kurt Beck nach eigenen Worten vermeiden will.
Unter anderem an diesem Punkt setzt auch die Kritik aus dem Netz an. Denn dieser Mechanismus könnte dazu führen, dass ein faktischer Zwang zur Alterskennzeichnung entsteht. Will man das Risiko vermeiden, dass die eigene Website von Minderjährigen überhaupt nicht mehr genutzt werden kann, wird man im Zweifel eine Alterskennzeichnung brauchen. Und die kann man sich nicht selbst ausdenken. Vielmehr muss man sich einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen. Und das ist für die meisten Websites, die mit ihren Inhalten kein Geld verdienen, keine realistische Option. Das skizzierte Szenario, wonach mit staatlicher Hilfe in großem Stile Internetinhalte ausgefiltert werden, ist somit keinesfalls abwegig.
Ein solches staatliches Konzept ist außerdem deshalb problematisch, weil sich auch Kinder und Jugendliche auf die Informationsfreiheit des Art. 5 GG berufen können und es auch ihnen möglich sein muss, sich grundsätzlich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Genau das ist auch ein wichtiger Baustein auf dem Weg, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Gerade diese Aufgabe des Jugendschutzes wird durch das skizzierte Konzept des Jugendmedienschutzes gefährdet.
Was ebenfalls als problematisch betrachtet werden muss, ist die Vorstellung, dass Access-Provider ihren Kunden derartige Jugendschutzprogramme zum Download anbieten müssen. Damit wird wiederum der Zugangsprovider mit in die Pflicht genommen, obwohl es hierfür keine nachvollziehbaren Gründe gibt.
Wenn Kurt Beck außerdem von einem richtungsweisenden Modell für ganz Europa spricht, so verkennt er, dass der seit 2003 in Kraft befindliche Staatsvertrag bislang vor allen Dingen deshalb nicht besonders aufgefallen ist, weil Regelungsinstrumente wie die umstrittenen „Sendezeitbeschränkungen“ für Netzinhalte nur vereinzelt und nicht in der Breite zur Anwendung gelangt sind. Würde man dieses Vollzusgdefizit beseitigen, dann wären die Auswirkungen möglicherweise auch für Inhaltsanbieter spürbar, die gar keinen jugendgefährdenden Content am Netz haben.
Der grundlegende Fehler des JMStV besteht letztlich darin, dass Instrumentarien aus dem Jugendschutzgesetz (Sendezeitbeschränkungen, Kennzeichnung nach Altersstufen) eins zu eins auf den Jugendschutz im Internet übertragen werden. Die geistigen Väter dieser Konzepte halten das Internet immer noch für eine moderne Variante des Rundfunks und verstehen deshalb auch nicht, dass diese Konzepte erstens nicht effektiv funktionieren können und zweitens die Gefahr beinhalten, dass Inhalte beeinträchtigt werden, die nicht im Ansatz jugendgefährdend sind.
Kurt Beck sagt in seinem Beitrag für die SZ: „Wer diesen Entwurf als Einschränkung der Freiheit im Netz sieht, der will sich seiner Verantwortung nicht stellen„. Vielleicht kennt Kurt Beck ja das Brecht-Zitat „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.„. Im Gegensatz zu Kurt Beck glaube ich, dass, wer Kinder und Jugendliche zu eigenverantwortlichen und mündigen Bürgern erziehen will, nicht daran vorbei kommt, diesen Staatsvertrag insgesamt auf den Prüftstand zu stellen. Beim Jugendmedienschutz ist ein vollständiges Umdenken erforderlich und nicht nur eine Korrektur des aktuellen Änderungsentwurfs.