Die SZ und die Causa Aiwanger
In sozialen Medien tobt gerade ein erbitterter Streit darüber, ob die Süddeutsche Zeitung in der Affäre um das Nazipamphlet aus dem Hause Aiwanger seriös berichtet hat oder ob es sich um Kampagnenjournalismus handelt. Nach der Erstveröffentlichung unter dem Titel „Das Auschwitz-Pamphlet“ hat die SZ mit einer Reihe weiterer Veröffentlichungen zum Thema nachgelegt.
Gesichert ist mittlerweile, dass Hubert Aiwanger Exemplare dieser NS-verherrlichenden Schrift in seinem Schulranzen hatte und ihn die Schule damals dafür auch sanktioniert hat, weil sie ihn für den Urheber hielt. Hubert Aiwanger selbst hat angegeben nicht mehr zu wissen, ob er das Flugblatt auch verteilt hat.
Nach der Veröffentlichung hat sich Aiwangers Bruder zu Wort gemeldet und die Urheberschaft auf sich genommen. Da das Pamphlet allerdings auch die Wir-Form verwendet, drängt sich weiterhin die Frage auf, ob Helmut Aiwanger der alleinige Urheber ist.
Bekannt ist ebenfalls, dass die SZ Hubert Aiwanger drei Mal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat und ihn nach eigenen Angaben der Zeitung unter anderem konkret mit dem Fund in der Schultasche und der Bestrafung, basierend auf den Erinnerungen mehrerer Zeugen konfrontiert hat. Aiwanger hatte stets bestritten, mit dem Flugblatt in Verbindung zu stehen. Auf die Geschichte mit dem Bruder hat er die SZ nicht hingewiesen, obwohl er dazu also die Möglichkeit hatte.
Auch unter Juristen wird in sozialen Netzen darüber gestritten, ob die Berichterstattung der SZ rechtmäßig war.
Mehrfach wurde insoweit das Argument vorgebracht, die Berichterstattung sei allein deshalb rechtswidrig, weil die SZ den hinter der Paywall liegenden Artikel angeteasert habe, hierbei aber nicht auf das Dementi von Aiwanger hingewiesen habe. Das ist fürwahr eine medienrechtlich interessante Fragestellung, aus der man allerdings nicht den Schluss ziehen kann, dass damit die Rechtmäßigkeit der gesamten Berichterstattung in Frage stünde. Wenn man davon ausgeht, dass aus Gründen der Ausgewogenheit im Rahmen einer sog. Verdachtsberichterstattung auch bei Hinweisen auf einen Artikel, dessen Lektüre zahlenden Abonnenten vorbehalten ist, ein Hinweis auf die Stellungnahme des Betroffenen erfolgen muss, so könnte Aiwanger von der SZ konkret nur die Unterlassung dieses Verhaltens verlangen. Die Veröffentlichung des vollständigen Artikels kann auf diese Art und Weise schwerlich untersagt werden, wenn der vollständige Artikel für sich genommen die Grenzen der Verdachtsberichterstattung einhält.
Ob sich dahinter aber überhaupt ein valides Argument verbirgt, bleibt fraglich.
Ganz grundsätzlich hat die Presse die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen auch über Tatsachen und Sachverhalte zu berichten, deren Wahrheitsgehalt noch nicht abschließend feststeht. Das ist ein Privileg der Presse und bildet eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ansonsten bei Tatsachen immer der volle Wahrheitsnachweis zu führen ist.
Die Verdachtsberichterstattung ist dann zulässig, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Was man in jedem Fall sagen kann, ist, dass Hubert Aiwanger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist und im Artikel auch auf sein Dementi verwiesen wurde. Es handelt sich zudem auch um einen Vorgang von erheblichem Gewicht, an dem ein erhebliches Informationsbedürfnis besteht. Der Umstand, dass der Vorfall 35 Jahre zurückliegt und Aiwanger damals erst 17 Jahre alt war, würde bei anderen Persönlichkeiten einer Veröffentlichung im Wege stehen, nicht aber bei einem Spitzenpolitiker, bei dem der Persönlichkeitsschutz nach der Rechtsprechung am schwächsten ausgeprägt ist.
Die Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, zu erfahren, ob der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident in seiner Jugend nationalsozialistischen Gedankengut anhing und ob er sich hiervon gelöst hat. Dies dient auch der Beurteilung der Frage, ob sein aktuelles politisches Handeln davon noch beeinflusst wird. Der Zeitablauf und auch der Umstand, dass eine Straftat der Volksverhetzung verjährt wäre, greift demgegenüber nicht durch. Gerade bei so essentiellen Themen wie einer Nähe zum NS, kann sich ein Politiker keinesfalls auf ein „Recht auf Vergessen“ berufen.
Die Erstberichterstattung war auch entsprechend zurückhaltend, es wurde davon gesprochen, dass Aiwanger das Pamphlet geschrieben haben soll und davon, dass er als Urheber von der Schule zur Verantwortung gezogen worden sein soll. Die SZ hat also nicht den Eindruck erweckt, als sei Aiwanger bereits überführt.
Bleibt insbesondere die Frage, ob ausreichende Beweistatsachen vorlagen, die die Veröffentlichung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung rechtfertigen. Gesichert ist jedenfalls, dass Hubert Aiwanger das Pamphlet in seiner Schultasche hatte und von der Schule sanktioniert wurde, weil er als Urheber angesehen worden war. Wir wissen nicht abschließend, was die Informanten der SZ im Einzelnen berichtet haben, ob sie eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben und ob die SZ noch weitere Beweismittel auf dem Tisch hat. Aber auch das was bereits bekannt ist, dürfte ausreichend sein. Denn die Aussage, dass er von der Schule zur Verantwortung gezogen worden ist, ist ebenso wahr, wie die Aussage, er habe Exemplare der Schmähschrift in seiner Schultasche gehabt. Daraus ergibt sich – jedenfalls im Zeitpunkt der Veröffentlichung – der dringende und naheliegende erhebliche Verdacht, dass Hubert Aiwanger Urheber oder Miturheber dieser Schmähschrift ist.
Mag die Veröffentlichung der Causa Aiwanger presserechtlich zumindest grenzwertig sein , so kommt doch die politische Keule, die dadurch ausgelöst wurde, einer Vorverurteilung gleich! Zudem geht es auch bei Politikern um grundsätzlich schützenswerte Persönlichkeitsrechte, die ebenso sträflich verletzt wurden, weil sich jeder noch so naiv denkende politische Mensch die Tragweite einer solchen Veröffentlichung vorstellen konnte! Aiwanger bleibt zeitlebens beschädigt!
Comment by Tom Rauberger — 29.08, 2023 @ 17:04
Wird Hubert Aiwanger durch die Art der Berichterstattung geschädigt oder nicht vielmehr die Tatsache, dass er die Schrift tatsächlich bei sich trug und seit der SZ Veröffentlichung mMn doch recht unsouverän mit der Sache umging? Eine klare Distanzierung vermisse ich weiterhin, da der Fokus hauptsächlich darauf liegt relativierende Umstände hervorzuheben (Alter, Bruder als angeblicher Alleinautor, nur wenige Exemplare).
Comment by Christoph D. — 29.08, 2023 @ 17:53
Als Nichtjurist kann ich die Begründung: ich habe was im Ranzen, also habe daran mitgewirkt, nicht nachvollziehen. Auch der Schriftbildvergleich hilft da nicht weiter.
Und dann der Disziplinarausschuss: er wurde als Urheber angesehen und warum erhält er dann nur einen Aufsatz? Vergehen , die so geahndet werden, erhalten eigentlich keinen Disziplinarausschuss.
Comment by Christian Küppers — 29.08, 2023 @ 18:15
Zu Jugendsünden: Roman Serlitzky, eine Klassenstufe unter Aiwanger, verfasste im Schuljahr 1988/89 eine Arbeit über jüdischen KZ-Häftlinge, die Ende April 1945 auf dem Weg von Flossenbürg nach Dachau durch Mallersdorf getrieben wurden. Serlitzky reichte die Arbeit beim Schülerwettbewerb „Deutsche Geschichte“ des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein, gewann den zweiten Preis. Das ist herausragend und so sollte ein Politiker sein.
Comment by Joerg — 29.08, 2023 @ 19:14
Sehr schlüssig aufgearbeitet.
Aiwanger kann diese Sache nicht von sich weisen, verstrickt und involviert ist er.
Der Makel bleibt für seine Zeit an ihm.
Als Politiker ist er mir unerheblich, als Mensch tut er mir leid.
Die Reaktion seines ganzen Lagers ist erschütternd ignorant und relativierend.
Comment by Fischer Werner — 30.08, 2023 @ 07:34
Wie dem auch sei: das endgültige Urteil in dieser Sache hat weder Söder noch die Opposition noch die Presse, sondern der Wähler.
Und da wage ich die Prognose, dass die ganze Sache dem Aiwanger mehr nützt als schadet. In Bayern gehen die Uhren nämlich anders rum: „mia san mia“…..
Comment by Rudolf Berger — 30.08, 2023 @ 18:29
Miau san miau?
Na hoffentlich wird dann der Katzenjammer nach der Wahl nicht groß sein…
Comment by Anno Nimbus — 1.09, 2023 @ 10:31
Podcast mit Dr. Briccola
Der manierierte Nimbus trug den Jamben Rechnung. Cumulostratus Bumskötter Mike Test Mike Test one two three.
Comment by Larry Farry — 5.09, 2023 @ 09:06
Unter den ganzen nervigen Brotfressern saß auch eine fette geschuckte Rupfel mit asymmetrischer Zottelfrisur. Als die ihren atten Fersch lupfte, war es besonders grotesk.
Comment by Anonymous — 21.09, 2023 @ 13:24
Ausgerechnet der Edelreservist Bansemer schoss die Fortuna gegen den FC Thor Waterschei eine Runde weiter.
Comment by Der Uefa-Kapp — 2.10, 2023 @ 23:33