Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

25.7.16

München und die medialen Zerrbilder

Es fällt mir schwer nach dem Attentat von München – der nunmehr überwiegend gebrauchte Begriff des Amoklaufs missfällt mir, auch wenn man ihn seit kurzem offenbar auch für geplante Taten verwendet – die Gedanken wieder zu sortieren und zu begreifen, was sich da draußen bei den Menschen, befeuert durch eine irrational überzogene Berichterstattung, gerade für Ängste breitmachen.

Unter den medialen Irrlichtern war die Sondersendung der Tagesthemen am Abend des 22.07.2016 ein Highlight, aber leider kein Ausreißer. Der ganze Irrsinn einer völlig aus den Fugen geratenen Berichterstattung kumulierte in der Frage des Moderators Thomas Roth an seinen Gesprächspartner nach der Sicherheitslage im Berliner Regierungsviertel. Man muss sich das vorstellen. Eine Gewalttat in der Nähe eines Münchener Einkaufzentrums veranlasst einen Journalisten zu einer solchen Frage, so als wäre die gesamte Republik Krisen- und Kriegsgebiet.

Und ich frage mich an dieser Stelle, ob es noch einen Weg zurück gibt, weg von diesem Eskalationsjournalismus, wieder hin zu einer analytischen und unaufgeregten Form der Berichterstattung, jedenfalls im beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Oder müssen wir einfach damit leben, dass sich (fast alle) journalistischen Medien getrieben fühlen durch soziale Medien und die alarmistische und am Ende grob verzerrende Berichterstattung zum Normalfall wird. Welche Folgen wird das aber für die öffentliche Wahrnehmung und Einordnung bestimmter Ereignisse und Vorgänge haben? Die Berichterstattung verstärkt allzuoft Panik und Angst, was im Falle des Attentats von München besonders deutlich wurde. Und sie vermittelt auch jetzt den Eindruck, als sei es gerade besonders unsicher in Deutschland zu leben. Obwohl das Gegenteil der Fall ist. Man könnte an dieser Stelle beispielsweise darauf verweisen, dass die Zahl der Tötungsdelikte in Deutschland heute niedriger ist als vor 15 Jahren. Stattdesen liest man aber, dass derzeit 73 % der Deutschen Angst vor Terrorismus haben, dicht gefolgt von der Angst vor politischem Extremismus mit 68 %. Diese Ängste der Menschen stehen in einem geradezu absurden Missverhältnis zu den tatsächlichen Risiken für den Einzelnen.

Obwohl es also keine Zeit in der Geschichte gab, in der man so sicher in Mitteleuropa leben konnte wie jetzt, nehmen die Ängste der Menschen immer stärker zu. Man fühlt sich bedroht von Terrorismus, Amokläufern und Flüchtlingen, die angeblich so viele Straftaten begehen. Und man muss an dieser Stelle fragen, welchen Anteil die Medien daran haben, dass die Wirklichkeit von einer Mehrheit der Bevölkerung falsch bzw. äußerst verzerrt wahrgenommen wird.

Es mag unfair sein, den klassischen Medien die Hauptverantwortung für diese Entwicklung zuzuweisen, denn es gibt daneben noch die sozialen Medien und eine ganze Armada von Angstmachern aus Gesellschaft und Politik, die ihr Geschäft mit der Angst aus eingenützigen Motiven betreiben. Aber es führt aus meiner Sicht dennoch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die Medien in ihrer Gesamtheit durch eine geradezu hysterische Form der Berichterstattung sehr häufig ein Zerrbild der Wirklichkeit zeichnen. München ist dafür nur ein sehr auffälliges Beispiel.

posted by Stadler at 16:56  

14 Comments

  1. Und das ist Wesentlich :
    Armada von Angstmachern aus Gesellschaft und Politik, die ihr Geschäft mit der Angst aus eingenützigen Motiven betreiben.

    Comment by Norbert Huth — 25.07, 2016 @ 17:10

  2. Man hat manchmal den Eindruck, es herrsche in Politik und Medien Erleichterung, dass es „endlich“ richtige Anschläge in Deutschland gibt. Irgendwie muss man ja auch Maßnahmen gegen die Bevölkerung, Aufrüstung und Kriege rechtfertigen.

    Comment by Jens — 25.07, 2016 @ 17:31

  3. Danke, Thomas. Es beruhigt mich, dass ich nicht die Einzige bin, der das alles auffällt, was Du in Deinem Beitrag beschrieben hast.

    Ich finde noch wichtig:
    Die Menschen haben meistens nicht nur eine falsche Risikowahrnehmung zur heutigen Risikolage (Todesursachen-Statistik etc.), sondern die Menschen scheinen auch die jüngere Geschichte Deutschlands, Europas und der Welt vergessen zu haben.

    Wenn man in diesen Tagen als Titelstory in DIE ZEIT lesen darf, wie schlimm/unsicher unsere Zeit doch sei und was einem noch Halt geben könne, dann frage ich mich, ob die Jahrzehnte eines drohenden Atomkriegs, all die Militärputsche, Militärdiktaturen (auch in Europa!), all die Völkermorde, Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen, Hunger und auch Terroranschläge allein der letzten paar Jahrzehnte nie stattgefunden haben!?

    Als ob die Welt in den letzten Jahrzehnten und erst recht Jahrhunderten je ein Hort von Friede, Freude, Eierkuchen gewesen wäre.

    Ich habe das Gefühl, wir leben auch in Zeiten von Mimosen, Weicheiern und Jammerfiguren, die scheinbar plötzlich aus ihrer rosaroten Blase aufwachen.

    Comment by Franka — 25.07, 2016 @ 18:56

  4. Eine Häufung solcher Vorfälle kann zu dem Gefühl führen, dass der Staat nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung zu schützen. Das ist dahingehend bedenklich, als dass sich in der Folge vermehrt Menschen ermutig fühlen könnten, Gewalttaten zu begehen, auch ganz anders gelagerte, z.B. Asylbewerberheime anzuzünden. Insofern kann die Berichterstattung der Medien hier zu einer selbsterfüllenden Prophezeihung werden. Auch die schönen Statistiken können sich dann ganz schnell ändern. Es stimmt, viele Menschen vergessen offenbar schnell, wie gut es uns hier geht, wie sicher und frei wir leben. Man darf sich aber auch nicht in der trügerischen Sicherheit wiegen, das könne sich nie mehr ändern. Das kann es sehr wohl, und es bedarf der Mitwirkung und Anstrengung aller, um unsere freiheitliche Gesellschaft am Leben zu halten.

    Comment by Thorsten — 25.07, 2016 @ 20:47

  5. deutsche Medien schneiden besonders schlecht ab.

    Bsp München: BBC, RT und AlJazeera waren bereits in einer Live-Berichterstattung, da wusste man bei der ARD noch nicht mal, dass was los ist.
    Und damit meine ich keineswegs, dass man sofort mit Spekulationen um sich werfen sollte, aber ein
    „In München ist die Polizei nach einer Schießerei im OEZ im Großeinsatz. Meiden Sie den Bereich weiträumig“ wäre da ein verdammt guter Anfang
    Aber das Gegenteil war der Fall. Als man dann auch dabei war, ging es die ganze Zeit nur darum, irgendjemandem Worte wie Terror, Islam oder Flüchtling zu entlocken.
    Und dann gab es auch diese absurde Szene: ARD-Reporter läuft zum Polizeisprecher und fragt, ob das ein Terroranschlag sei. Da musste selbst dieser verdammt gute Sprecher kurz innehalten und lachen. Er sagte dann, dass man das nicht ausschließen könne, aber eher nicht so ist. Man bezeichnet es nur in der Alarmierung so, damit man alle Kräfte mobilisieren kann.
    (Ein guter Journalist wüsste, dass das auch bei Rettungsdienst, THW und Feuerwehr übliche Praxis ist). Der ARD-Reporter dreht sich um und sagt: „Wie die Polizei bestätigt, handelt es sich um einen Terroranschlag.“
    Die meiste Zeit habe ich aber BBC geschaut. Hier ein ganz andres Bild:
    Man hat richtig gespürt, wie sie Worte wie „Terror“ vermeiden wollen und haben immer wieder betont, dass man aktuell praktisch nichts wisse und man sich keinesfalls an Spekulationen beteiligen wolle. Irgendwann in einer Live-Schaltung kamen doch ein paar Vermutungen und es wurde im Studio praktisch umgehend wieder zurückgerudert.
    Und wenn man parallel mal zu Thomas Roth in die Tagesschau schaute, hat der zwar immer wieder schön betont, dass man nichts weiß und alles Spekulationen sind und hat dann munter drauf los fabuliert, was es denn jetzt für Konsequenzen haben könnte wenn dies oder das.

    Ein positives deutsches Beispiel war dann heute Früh im Radio zu Ansbach: „Bei einer Explosion in Ansbach kam ein 27 Jähriger Mann ums Leben. Laut Innenministerium war es kein Unfall“

    DAS ist neutrale und unaufgeregte Berichterstattung und DAFÜR bezahlen wir Gebühren. Aber die ÖR bezahlen lieber Übertragungsrechte an einer Spritztour durch Frankreich statt gute, unabhängige Journalisten.

    Comment by Andreas — 25.07, 2016 @ 23:11

  6. Danke, ich sehe das genauso.

    Nach Nizza habe ich meine Aktivität in den sozialen Medien beendet, es ist unerträglich wie dort jede Kleinigkeit aufgbauscht wird und jedes schlimme Ereignis in ein Licht gerückt wird, das jeden Attentäter sehr erfreuen dürfte.

    Es geht genau darum: einmal im Mittelpunkt stehen!

    Und genau das bekommen die Attentäter, egal was ihr Motiv ist, man kann sich sicher sein es wird dank Medien verbreitet.

    Ziel erreicht!

    Comment by struppi — 26.07, 2016 @ 07:16

  7. Hier wird ja gleichwohl von Aktivität in den sozialen Netzen und Medien gesprochen ,also argumentum a fortiori. Es ist jedoch die Analogie, in derer Quintessenz, unbillig schlechter Politik .Ich jedenfalls bin in der Zeit von Attentätern und Terror, derer Zeiten von RAF aufgewaschen. Es gab seinerzeit spärlich bis keine sozialen Netze. Die Angst von den Attentätern war mehr denn je, auch damals schon in der Bevölkerung. An die Berichterstattung des Fernsehens möchte ich nicht mehr denken, geschweige an die Fahrzeugkontrollen in jeder Ecke. Also #München hatten wir schon.

    Comment by Norbert Huth — 26.07, 2016 @ 08:09

  8. Ich lese fast keine Nachrichten im Internet, bin auch nicht bei Facebook, nur die Tagesschau-App schmöker ich manchmal beim Warten auf die S-Bahn. Dadurch bekomme ich dieses aufgeregte Newsticker-Gehabe gar nicht erst mit. Was nützt es mir auch, ständig aktuell informiert zu sein, was gerade in diesem Moment in München passiert? Es ist viel entspannender, nachträgliche die Analyse in der Zeitung zu lesen. So fühle ich mich auch nicht bedroht.

    Was mir allerdings Unbehagen bereitet, auch an mir selbst: Mittlerweile ist man froh, wenn es sich „nur“ noch um eine Schießerei eines psychisch Gestörten handelt und nicht um ein Attentat. Sonst wäre das wochenlang dramatisch in den Nachrichten, heute herrscht schon fast Erleichterung.

    Aber es stimmt, die Welt war nie so sicher wie heutzutage. Manchmal muss man sich auch die vielen positiven Nachrichten bewusst machen. In Indien muss schon lange kein Kind mehr verhungern, China entwickelt sich ganz von alleine, und selbst viele afrikanische Länder sind auf einem sehr guten Weg. Bei uns wird aber oft so getan, als ginge morgen die Welt unter.

    Comment by Kuli — 26.07, 2016 @ 11:38

  9. In meinen Augen ist das Hauptproblem, dass Medien heutzutage kaum noch positives melden sondern nur Themen die spalten oder Angst machen. Besonders krass beim Ticker von Focus auf dem Iphone. Wenn aber nur noch schlimme Sachen passieren – etwas anderes kommt ja gar nicht mehr durch – dann erzeugt das halt eine ängstliche Stimmung.

    Comment by Alex — 26.07, 2016 @ 12:55

  10. Wobei man nicht so naiv sein darf zu denken, eine derartige einheitliche Panikberichterstattung komme mehr oder weniger zufällig. Natürlich gibt es den großen Plan dahinter, man schaue nach Frankreich, wo mittlerweile zunächst unbeschränkt Ausnahmezustand herrscht.
    Es geht immer darum, die Bevölkerung so lange zu ängstigen, bis sie eine starke Einschränkung der Bürgerrechte akzeptiert und die staatliche Überwachung sowie dessen Eingriffsrechte ausgeweitet werden können.
    Aber schon lange ist ja sinngemäß bekannt:

    Wenn die Bürger auf ihre Freiheit verzichten, um den Staat die Sicherheit gewähren zu lassen, werden sie am Ende beides verlieren.

    Comment by Gast — 26.07, 2016 @ 15:03

  11. „Eine Gewalttat in der Nähe eines Münchener Einkaufzentrums veranlasst einen Journalisten zu einer solchen Frage, so als wäre die gesamte Republik Krisen- und Kriegsgebiet.“
    Anfänglich war von drei Tätern die Rede, die an verschiedenen Orten geschossen haben sollen. Sofort dachte man an einen Terror-Anschlag und an eine akute Bedrohung an verschiedenen Brennpunkten in der Stadt. Was drei schwerbewaffnete Terroristen hätten anrichten können, haben wir leider mit den Anschlägen in Paris erfahren müssen

    Einige Kommentatoren betonen hier, wie sicher Deutschland ist. Dies empfinde ich als Frau anders. Bei nächtlichen Opern/Konzerte Besuchen nutze ich in der Regel öffentliche Verkehrsmittel. Seit dem Silvester-Vorfall sind kaum noch ohne Begleitung fahrende, weibliche Fahrgäste am späten Abend unterwegs. Ich fahre lieber mit dem Taxi oder lasse mich von meinem Mann abholen, wenn ich allein unterwegs bin. Dass ich mich deutlich unsicher fühle als früher, ist dem Silvestervorfall in Köln geschuldet, nicht etwa den Medien, die darüber ausführlich berichteten. Wobei ich ausdrücklich betonen möchte, dass selbstverständlich nur eine absolute Minderheit der Jungen Männer aus dem Maghreb oder anders wo, etwas mit sexuellen Übergriffen oder Terrorismus zu tun haben.

    Den Silvestervorfall in Köln habe ich übrigens in meiner Heimat verfolgt. Das war ein gefundenes Fressen für die hiesigen Medien. Als einzige Nachricht aus DE wurde Wochen lang, täglich und ausführlich darüber berichtet. In meinem Land gibt es auch sexuelle Übergriffe wie anders wo. Aber die massenhaften sexuellen Übergriffe in organisierter Form, auch noch durch Migranten und Flüchtlinge, die ein Gastrecht missbrauchen, übersteigt die Vorstellungskraft meiner Landsleute. Ausländer bei uns sind entweder Geschäftsleute oder Gastarbeiter, die alle 3 Jahre ihre Aufenthaltsgenehmigung erneuern müssen. Ohne gültige Papier hat man kein Aufenthaltsrecht. Schon der geringste Verdacht auf einen Islamisten Hintergrund ist Grund dafür, sofort abgeschoben zu werden. Dabei gehen meine Landleute mit Ausländern viel herzlicher um als es die Deutschen tun. Angriffe auf ausländische Gastarbeiter oder Migranten sind da unvorstellbar.

    Comment by Weidenbaum — 27.07, 2016 @ 18:37

  12. @Weidenbaum:
    In welchem Land wohnst Du denn? Wäre interessant zu erfahren.

    Comment by Kuli — 28.07, 2016 @ 16:02

  13. Die meiste Zeit wohne ich hier in der BDR. Sonst hätte es mich nicht interessiert zu wissen, was hier abgeht.

    Comment by Weidenbaum — 28.07, 2016 @ 16:56

  14. Als ob die Welt in den letzten Jahrzehnten und erst recht Jahrhunderten je ein Hort von Friede, Freude, Eierkuchen gewesen wäre.
    Ich habe das Gefühl, wir leben auch in Zeiten von Mimosen, Weicheiern und Jammerfiguren, die scheinbar plötzlich aus ihrer rosaroten Blase aufwachen.

    Comment by Snapback Caps — 2.11, 2016 @ 02:34

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