Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

10.5.16

VG Berlin: Piratenpartei darf „Schmähkritik“ nicht öffentlich rezitieren

Das Land Berlin hat der Piratenpartei bzgl. einer angemeldeten Versammlung, die vor der türkischen Botschaft in Berlin stattfinden sollte, im Rahmen einer Auflage untersagt, das Gedicht „Schmähkritik“ von Jan Böhmermann öffentlich zu zeigen oder zu rezitieren. Das Verbot umfasste auch Textausschnitte, ausdrücklich ausgenommen war nur die Nennung des Gedichttitels. Untersagt wurde die Versammlung außerdem vor der türkischen Botschaft und stattdessen genehmigt in der Tiergartenstraße gegenüber der Stauffenbergstraße, also vor der österreichischen Botschaft.

Die Untersagung der Versammlung vor der türkischen Botschaft hat das Verwaltungsgericht Berlin aufgehoben, während das Verbot, das Gedicht „Schmäkritik“ ganz oder in Ausschnitten zu rezitieren, bestätigt wurde (VG Berlin, Beschluss vom 06.05.2016, Az.: VG 1 L 291.16).

Das Gericht stützt sich maßgeblich darauf, dass der Landesvorsitzende der Piraten Bruno Kramm bereits auf einer Versammlung Ende April Ausschnitte aus „Schmähkritik“ vorgetragen hat und insoweit Wiederholungsgefahr bestünde. Das Gericht geht ferner davon aus, dass das Gedicht Böhmermanns den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt, weil es aus einer Aneinanderreihung abwertender Verunglimpfungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan bestehe. Das Gericht meint außerdem, es sei nicht möglich, Passagen mit eigenständigem Sinn- und Aussagegehalt zu identifizieren, die keine beleidigenden Inhalte aufweisen. Soweit eine Auseinandersetzung mit dem Gedicht in Betracht kommt, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, hätten die Antragsteller gegenüber der Versammlungsbehörde nach Ansicht des Gerichts darlegen müssen, in welcher Weise in der Versammlung eine Bezugnahme auf das Gedicht erfolgen soll.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin halte ich zumindest eine Textpassage – auch außerhalb der von Böhmermann gewählten satirischen Einbettung – für zulässig. Wer über Erdogan (nur) sagt, er würde „Minderheiten unterdrücken“ und „Kurden treten, Christen hauen“ kritisiert damit seine Politik und Amtsführung. Die Diffamierung der Person steht nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um eine Auseinandersetzung in der Sache, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Genau wegen dieses öffentlichen Zitats durch Bruno Kramm wurde allerdings die frühere Versammlung durch die Polizei unterbrochen und Kramm mündlich untersagt, das Gedicht in Gänze oder in Auszügen zu zitieren. Kramm hatte seinen Satz mit den Worten begonnen „Wenn Böhmermann sagt, dass Erdogan am liebsten Minderheiten unterdrückt, Kurden tritt und Christen haut, …“ bevor er von der Polizei unterbrochen wurde. (Das Video findet sich hier).

Als die Versammlung fortgesetzt wurde, kritisierte Kramm es als „schmierig“, „rassistisch“ und „sexistisch“, Türken zu unterstellen, dass sie am liebsten mit Ziegen ficken würden. Kramm referierte anschließend über die  Metapher sexueller Potenz als solche für politische Potenz und deren rhetorische Entlarvung durch Satire. Anschließend führte Kramm aus: „Wenn Böhmermann also sagt, sein Kopf so leer wie seine Eier, ein Star auf jeder Gangbang-Feier, dann ist das literarisch nicht großartig, aber entspricht genau dem Niveau dieser Form der Erniedrigung.“

Daraufhin brach die Polizei die Veranstaltung durch Einsatz unmittelbaren Zwangs ab.

Das Verwaltungsgericht hätte an dieser Stelle in Betracht ziehen müssen, dass diese vorangegangene polizeiliche Maßnahme, auf die das Gericht in seinem Beschluss die Wiederholungsgefahr stützt, bereits vollständig oder zumindest teilweise rechtswidrig war und deshalb keine tragfähige Grundlage für das nunmehr ausgesprochene Verbot darstellen konnte.

Da sich das vom Verwaltungsgericht gebilligte Verbot ausnahmeslos auch auf die isolierte Wiedergabe der Textpassage erstreckt, in der es um die Unterdrückung von Minderheiten geht, ist es rechtswidrig.

Darüber hinaus wäre aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gedicht von Böhmermann bzw. des Sendebeitrags denkbar, die von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist. Das verkennt auch das VG Berlin nicht, meint aber insoweit, der Anmelder müsse dann bereits im Vorfeld mitteilen, in welcher Form und in welchem Kontext er gedenkt, das Gedicht zu zitieren. Das würde dann aber bedeuten, dass man der Behörde vorab ein Redemanuskript zur Prüfung vorlegt. Das erscheint in grundrechtlicher Hinsicht äußerst problematisch. Insoweit wäre vielmehr auch denkbar, die behördliche Auflage einfach enger zu fassen. Auch in diesem Punkt sind die Ausführungen des VG Berlin also nicht unproblematisch.

Markus Kompa, der die Piraten in diesem Verfahren anwaltlich vertritt, hat dazu ebenfalls gebloggt.

(Mir liegt sowohl die Entscheidung des VG Berlin, als auch die Antragsschrift der Piratenpartei vor)

posted by Stadler at 11:24  

9 Comments

  1. Kann die Piratenpartei, von der wir hoffentlich bald auch in Berlin nichts mehr hören werden, keine Kritik an Erdogan ohne Böhmermann formulieren? Oder geht es in Wahrheit nur um eine billige Provokation, damit man vor der eigenen Versenkung nochmal ein paar Schlagzeilen produzieren kann? Herr Böhmermann hat mittlerweile für negative Schlagzeilen und Kommentare auf vielen Online-Plattformen gesorgt, da er der Republik zunehmend auf die Nerven geht. Er wird hoffentlich und selbstverständlich zu einer Geldstrafe verurteilt werden.

    Wenn die Piratenpartei nicht willens ist, auf diese Art von Klamauk zu verzichten, wird die Polizei wieder tätig und das unverzüglich.

    Comment by Steffenhagen/Söldert — 10.05, 2016 @ 12:01

  2. Erdogan ist ein Tyrann, der Völkermord an den Kurden betreibt. Man kann ihn gar nicht hart genug bekämpfen. Beleidigungen sind da ein geradezu lachhaft harmloses Mittel.

    Comment by Rangar — 10.05, 2016 @ 12:27

  3. Herr Erdogan ist ein demokratisch gewählter Präsident und begeht keinen Völkermord an den Kurden, was Millionen Kurden, die in der Türkei glücklich und zufrieden leben, gerne bestätigen.

    Diese Pauschalangriffe sind eine Unverschämtheit, die sich einige Konsorten offensichtlich leisten möchten.

    Comment by Steffenhagen/Söldert — 10.05, 2016 @ 13:08

  4. Mit der Aufforderung sich Zitierweisen vorher absegnen zu lassen, sagt das Gericht doch im Grunde selber, dass die Auflagen auch völlig legale Äußerungen verbieten. Warum ist sowas zulässig!? Gab’s das überhaupt schon mal? Also dass Äußerungen großzügig verboten werden und verlangt wird sich alles legale, was man sagen will, vorher absegnen zu lassen? Das entspricht doch nie und nimmer der Rechtslage?!

    Comment by SD — 10.05, 2016 @ 13:31

  5. Kompromissvorschlag: das Gedicht in folgender Form rezitieren:
    Erdogan zensiert zensiert zensiert
    zensiert zensiert Ziegen zensiert

    Comment by W0 — 10.05, 2016 @ 13:59

  6. Was ist den mit dem vollständigen Zitat des Gedichts im Bundestag von MdB Detlef Seif? Der darf das?

    Comment by Achim Mueller — 13.05, 2016 @ 18:12

  7. Ja, der darf das. Es kommt auf die Intention an! Es ist ein Unterschied, ob jemand im Deutschen Bundestag die Schmähkritik wiederholt, um jedem Anwesenden die Strafbarkeit der Tat vorzuführen oder die Piratenpartei vor der türkischen Botschaft ganz andere Gründe hat, diese zu wiederholen.

    Es ist auch ein Unterschied, wenn ein Nazigegner zitiert „Wenn´s Judenblut vom Messer spritzt…“, um die Verbrechen darzustellen oder eine Nazihorde vor einem KZ das ebenfalls von sich gibt.

    Ganz so schlicht ist die Rechtsprechung dann doch nicht, wenn man es auch oftmals vermuten kann.

    Comment by Steffenhagen/Söldert — 15.05, 2016 @ 13:36

  8. Böhmermann hat erstmal eine einstweilige Verfügung erhalten. Hoffentlich hält er sich daran, ansonsten wird es richtig teuer.

    Comment by Steffenhagen/Söldert — 18.05, 2016 @ 17:52

  9. @Steffenhagen/Söldert:
    Diese Ätze kann ich so nicht stehenlassen.
    Wie sich Herr Erdogan als Präsident der Türkei verhält sieht man daran, wie häufig auch seine „Aktionen“ selbst von türkischen Gerichten (ansatzweise) kassiert werden.
    Wer also im Glashaus sitzt sollte vor dem Steinewerfen die Fenster öffnen. Herr Erdogan ist ganz sicher kein lupenreiner Demokrat an der Spitze der Türkei
    (Die ganze Sache erinnert mich eher an Monty Python’s „Das Leben des Brian“: Er hat Jehova gesagt! – Herr Erdogan macht sich also mit diesem Maßnahmen selbst lächerlich … nach der Meinung nicht gerade weniger Zeitgenossen)
    Ich halte es eher so, daß z. Bsp. die aktuelle Entscheidung des altbekannten LG HH in der Causa Böhmermann-Gedicht die Errungenschaft der Freiheit mit Füßen tritt für die Menschen 1848 in Berlin auf die Barrikaden gegangen und auch gestorben sind, wo vorher die Bauern 1525 mit ihrem Aufstand gegen die Obrigkeit noch gescheitert war. Ich möchte das nicht. Dafür habe ich meinen Arsch nicht beim Bund hingehalten!
    BTW: Aber man kennt sie ja auch nicht anders, diese „Hamburger Institution“. Nächste Aufgabe: Weg mit dem fliegenden Gerichtsstand.

    Comment by jobi — 18.05, 2016 @ 18:57

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