Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.2.16

Rückrufpflicht für Veröffentlichungen und Äußerungen im Internet?

In einer wenig beachteten aktuellen Entscheidung (Urteil vom 28.07.2015, Az.: VI ZR 340/14) hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob und inwieweit eine Haftung für Folgeveröffentlichungen Dritter besteht und welche Maßnahmen derjenige ergreifen muss, der für die Erstveröffentlichung verantwortlich ist.

Gerade im Zeitalter sozialer Medien erleben wir es täglich, dass eine bestimmte Berichterstattung geradezu viral weiterverbreitet wird, nicht nur per Link, sondern auch per Copy & Paste oder zumindest durch Wiedergabe und Wiederholung der zentralen Aussagen. Wenn die Erstberichterstattung rechtswidrig war, weil sie beispielsweise falsche Tatsachenbehauptungen enthielt, stellt sich die Frage, ob derjenige, der für die Erstveröffentlichung verantwortlich ist, auch für Folgeveröffentlichungen in Anspruch genommen werden kann, sei es auf Unterlassung oder Schadensersatz.

Der BGH hat in seiner Entscheidung eine Störerhaftung desjenigen, der die Erstveröffentlichung zu verantworten hat, auch für Folgeveröffentlichungen in eingeschränktem Umfang bejaht.

Zwar könne von dem Erstveröffentlicher keine Löschung oder Unterlassung der Folgeveröffentlichung verlangt werden, aber ein „Hinwirken auf Löschung rechtswidriger, im Internet abrufbarer Tatsachenbehauptungen“.  Die zentralen Ausführungen des BGH lauten folgendermaßen:

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Beklagte den auf der Internetseite der Kanzlei von Dr. S. & v. B. abrufbaren ursprünglichen Beitrag selbst verfasst und in das Internet gestellt. Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist für die Nachprüfung in der Revisionsinstanz zu unterstellen, dass die von der Klägerin beanstandeten Tatsachenbehauptungen bereits Gegenstand dieses Beitrags waren. Dann hat der Beklagte aber durch sein Verhalten den von der Klägerin beklagten Störungszustand herbeigeführt. Er hat die maßgebliche Ursache für die von der Klägerin beanstandeten Veröffentlichungen gesetzt; erst durch sein Verhalten wurden die beanstandeten Tatsachenbehauptungen einem größeren Personenkreis bekannt und konnten von diesen weiterverbreitet werden (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799, 800).
Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der ursprüngliche Beitrag des Beklagten sei für die Folgeveröffentlichungen nicht adäquat kausal geworden, weil es nicht dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspreche, dass ein Beitrag ohne Zutun des Verfassers von Dritten veröffentlicht werde. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dem Verfasser eines im Internet abrufbaren Beitrags eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch insoweit zuzurechnen, als sie durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags durch Dritte im Internet entstanden ist. Da Meldungen im Internet typischerweise von Dritten verlinkt und kopiert werden, ist die durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags verursachte Rechtsverletzung sowohl äquivalent als auch adäquat kausal auf die Erstveröffentlichung zurückzuführen. Der Zurechnungszusammenhang ist in solchen Fällen auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Persönlichkeitsrechtsverletzung insoweit erst durch das selbstständige Dazwischentreten Dritter verursacht worden ist. Denn durch die „Vervielfältigung“ der Abrufbarkeit des Beitrags durch Dritte verwirklicht sich eine durch die Veröffentlichung des Ursprungsbeitrags geschaffene internettypische Gefahr (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 55 f.; vom 11. November 2014 – VI ZR 18/14, AfP 2015, 33 Rn. 21).
Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs auf der Grundlage des revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalts erfüllt sind, kann die Klägerin vom Beklagten allerdings nicht verlangen, die Löschung der angegriffenen Behauptungen zu bewirken. Ihr steht lediglich ein Anspruch darauf zu, dass der Beklagte im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren bei den Betreibern der Internetplattformen, auf denen die angegriffenen Äußerungen noch abrufbar sind, auf eine Löschung hinwirkt.

Der Verfasser eines rechtswidrigen Beitrags haftet also auch für die Rechtsverletzungen, die erst durch die Weiterverbreitung seines Ursprungsbeitrags durch Dritte im Internet entstehen. Von ihm kann zwar keine Unterlassung oder Löschung verlangt werden, er muss aber im Rahmen des Zumutbaren auf eine Löschung hinwirken, also versuchen, eine solche Löschung zu erreichen. Welche Bemühungen hier konkret verlangt werden, erläutert der BGH freilich nicht.

Was der BGH also hier postuliert, ist im Ergebnis eine Art Rückrufpflicht für rechtswidrige Äußerungen im Internet. Wer im Internet falsche Tatsachen behauptet oder sich ehrverletzend äußert, muss zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen, auch Folgeveröffentlichungen wieder aus dem Netz zu bekommen, indem er auf diejenigen einwirkt, die seine Erstveröffentlichung weiterverbreitet haben.

posted by Stadler at 18:01  

9 Comments

  1. Na da hat die BILD aber einiges zu tun…

    Comment by Sebastian — 2.02, 2016 @ 18:59

  2. Ein allgemein-menschlich verständliches Urteil.

    Comment by Wolf-Dieter — 2.02, 2016 @ 23:13

  3. Ein Urteil mit vielen Effekten.
    Wenn man sich Fälle anschaut, wo Falschmeldungen fleißig kopiert werden, und im schlimmsten Falle den Betroffenen faktisch gesellschaftlich „erledigen“, dann macht das Urteil absolut Sinn. Es sollte sich jeder überlegen, welche Meldungen er weiterverbreitet.

    Andererseits ist bei jeder Äußerung – auch dieser, und jedem Blogbeitrag – im Internet eine Gefahr innewohnend, dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt und dann auch noch irgendwie Recht bekommt.
    Und dann hat man ein Problem: Es gibt Webcaches und sonstige Spiegelseiten im Web … wie soll man die alle erreichen ?
    Es geht hier ja auch um Inhalte, nicht Verlinkungen, wie beim „Recht auf Vergessen“.

    Comment by Oliver — 3.02, 2016 @ 09:31

  4. Stellt sich mir die Frage:

    Wer eine solche rechtswidrige Äußerung auf seiner Webseite oder auf seinem Blog tätigt, der kann ja nicht wissen, wer diese Äußerung alles aufgreifen könnte.
    Würde es da nicht reichen, wenn man an gleicher (vergleichbar prominenter Stelle) eine Richtigstellung anzeigen müsste?

    Auch ist die Frage:
    Wer ist der wahre Urheber?

    Beispiel:

    Person A behauptet etwas, B gibt es weiter und C übernimmt es von B. D übernimmt es nun von C oder von B, das lässt sich nicht klären.

    Jetzt löscht oder ändert A den Text einfach. Selbst wenn B mit Links gearbeitet hätte: behaupten kann das ja jeder mal und ohne Links steht nun ggf. B als Urheber da und müsste C informieren.

    Aber wer müsste nun Person D informieren? Selbst wenn B nun eine Richtigstellung formuliert, wird D das gar nicht mitbekommen, es sei denn C reagiert. Jetzt kann man diese Kette beliebig fortsetzen, ideal noch kombiniert mit einem Schneeballsystem.

    Wenn wir uns dann ein breit gefächertes Schneeballsystem aufmalen, dann stellt sich die Frage, wer nun für welche Weitergabe als „Störer“ gilt?

    Auch stellt sich die Frage:
    Wenn ich ein Gerücht aufgreife, aber den wahren Ursprung des Gerüchts nicht nennen kann, bin ich dann im Zweifel der Urheber? Oder nicht?

    Irgendwie habe ich den Verdacht, dass das Urteil eher für Zeitungen gemacht ist (Hallo BILD, wobei sich die BILD um ihre eigenen Lügen nur widerwillig und wenig kümmert…), aber durchaus einige Brisanz für soziale Netzwerke und Blogs aufweisen könnte.

    Comment by maSu — 3.02, 2016 @ 14:52

  5. Wie immer urteilt der BGH schwammig und praxisfern. Kein Wunder also, warum das Urteil kein Echo findet. Es ist egal, was der BGH urteilt. Bekannterweise geht es anderen Juristen am A. vorbei. Weltfremde Urteile des BGH finden in der Praxis nicht statt. Der BGH wird schon seit vielen Jahren nicht mehr ernstgenommen. Dieses zu Recht, wenn man bedenkt, was sich die Herrschaften in der Vergangenheit geleistet haben. Der BGH ist eine Lachnummer.

    Comment by Birger — 4.02, 2016 @ 20:31

  6. Jedes Recht kann nur dann wirken, wenn man einen Hauch erwartet, einen Täter zu finden.

    Das ist im Internet nicht der Fall.

    Comment by Notiz — 4.02, 2016 @ 22:40

  7. Dass man sich bemüht, rechtswidrige Äußerungen aus der Welt zu schaffen, ist vollkommen in Ordnung. Aber was heißt Haftung für Folgeveröffentlichungen Dritter konkret: Kann ich jedesmal, wenn ein anderer eine Kopie meiner, auf der Ursprungsplattform längst gelöschten Äußerung ins Internet stellt, erfolgreich abgemahnt werden? Und das jedesmal mit den entsprechenden Kosten? Dann haftet man ja für etwas, auf das man überhaupt keinen Einfluss hat. Theoretisch, je nach Verbreitung, könnte das zum wirtschaftlichen Ruin führen. Und Böswillige könnten einen bewusst in den Ruin treiben. Ist das noch verhältnismäßig?

    Comment by Michael Schöfer — 6.02, 2016 @ 14:58

  8. Kriminelle werden nicht gefunden. Unschwer gefunden werden die Trottel, die von gar nichts eine Ahnung haben. Die werden dann vorgeführt als Ermittlungserfolg. In Wahrheit wurde nichts ermittelt, sondern auf Facebook gekackt.

    Comment by Notiz — 6.02, 2016 @ 15:55

  9. Gelten ähnliche Pflichten nicht auch für andere Medienschaffende?
    Wenn eine Zeitung falsch berichtet, so haftet sie für den (Ruf-)Schaden den sie angerichtet hat – und der entsteht eben auch aus dem Zitat der Berichterstattung.
    Sie hat dann eine Richtigstellung zu veröffentlichen, um die Auswirkungen zu mitigieren.
    Das BGH-Urteil überträgt diese Pflichten nun genau so auf Blogs, oder verstehe ich das falsch?

    Comment by Manuel — 28.02, 2016 @ 09:56

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