Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

26.2.16

BGH zur Zulässigkeit von Boykottaufrufen

Ob und unter welchen Voraussetzungen Boykottaufrufe zulässig sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine generelle Regel, wonach Boykottaufrufe regelmäßig unzulässig wären, existiert jedenfalls nicht. Es ist im Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite, u.U. auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb bei Unternehmen, gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG abzuwägen.

Einen solchen Fall hat der BGH gerade entschieden und die Zulässigkeit des Boykottaufrufs bejaht (Urteil vom 19.01.2016, Az.: VI ZR 302/15). Die Prämisse des BGH besteht darin, dass der Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und damit also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient.

Der BGH führt dazu aus:

Im Streitfall ist das Schutzinteresse des Klägers mit dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Bei der vom Kläger angegriffenen öffentlichen Aufforderung zur Kontokündigung in Verbindung mit der angegriffenen Darstellung im Internet handelt es sich um eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung und nicht um eine Tatsachenbehauptung, für deren Zulässigkeit es grundsätzlich auf die Wahrheit der Behauptung ankäme.

(…)

Den angegriffenen Äußerungen ist der grundrechtliche Schutz nicht deshalb entzogen, weil sie die öffentliche Aufforderung zu einer Kontokündigung zum Gegenstand und damit den Charakter einer Boykottmaßnahme haben. Auch der Aufruf zu einer Boykottmaßnahme, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zu Grunde liegt, kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (BVerfGE 25, 256, 264 – Blinkfüer; 62, 230, 243 f.; BVerfGK 12, 272, 275; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 17). Das ist hier der Fall. Der auf der Internetseite des Beklagten veröffentlichte Artikel ist nicht auf die Aufforderung zur Kündigung des Kontos des Klägers beschränkt, sondern führt zur Begründung wertende Elemente an, mit denen der Beklagte der Volksbank und der Öffentlichkeit seine ablehnende Haltung gegenüber der Pelztierzucht und damit dem Kläger als Interessenverband der Pelztierzüchter deutlich macht.

Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts überwiegt bei der erforderlichen Abwägung das Schutzinteresse des Klägers das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit nicht.

Bei einem Aufruf zu Boykottmaßnahmen sind für die Abwägung zunächst die Motive und damit verknüpft das Ziel und der Zweck des Aufrufs wesentlich. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG regelmäßig Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden (BVerfGE 25, 256, 264 – Blinkfüer; 62, 230, 244; BVerfG, NJW 1992, 1153, 1154; BVerfGK 12, 272, 276; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 24; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juni 1966 – VI ZR 261/64, BGHZ 45, 296, 308 – Höllenfeuer). Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten (BVerfGE 7, 198, 215 – Lüth; 62, 230, 244; BVerfGK 12, 272, 276). Schließlich dürfen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung etwa durch Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit Nachdruck verleihen sollen und so die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen (BVerfGE 25, 256, 264 f. – Blinkfüer; 62, 230, 244 f.; BVerfGK 12, 272, 276; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 24).

posted by Stadler at 17:40  

7 Comments

  1. Sehr viele Abwägungen im Urteil. Damit eröffnet sich ein weiteree lukratives Geschäftsfeld für Anwälte.

    Dieses BGH-Urteil ist eine Teil der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Rechtsanwälte.

    Comment by RolfSchaelike — 29.02, 2016 @ 17:43

  2. @RolfSchaelike – sehe ich anders: wenn „der Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt“, dann folgt daraus die Regel, dass bei rein politisch motivierten Boykottaufrufen eine Gegenklage von vornherein aussichtslos ist.

    Es ist keine ABM für Anwälte, sondern im Gegenteil.

    Comment by Wolf-Dieter — 29.02, 2016 @ 22:00

  3. Im Urteil steht doch: „Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten (BVerfGE 7, 198, 215 – Lüth; 62, 230, 244; BVerfGK 12, 272, 276). “

    Wer entscheidet über das Maß, die Umstände und den Grad der Beeinträchtigung?

    Die Juristen in Roben. Diese haben ein neues Spielfeld erhalten.

    Comment by RolfSchaelike — 1.03, 2016 @ 03:19

  4. Im Urteil steht doch: „Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten. “
    Wer entscheidet über das Maß, die Umstände und den Grad der Beeinträchtigung?
    Die Juristen in Roben. Diese haben ein neues Spielfeld erhalten.

    Comment by RolfSchaelike — 1.03, 2016 @ 03:19

  5. @RolfSchaelike – Frage nach Angemessenheit – ich bestreite es nicht, aber war das nicht schon immer so?

    Comment by Wolf-Dieter — 1.03, 2016 @ 07:19

  6. Wolf-Dieter, es war immer so, wie es immer Kreige gab, Menschen immer verhungerten etc. Ich möchte raus dem Zeitalter der Barberei, das Mittelalter überwinden.

    Das BGH-Boykott-Urteil zementiert eher das heutige Mittelalter. Wer wägt ab? Wie werden die Entscheidngsträger, die Mächtigen aus der Masse des Volkes herausgefiltert?

    Das GG, das BGB und das StGB, einschließlich der Richterwahl und deren Recht sind keine idealer Filter. Ich kann mir bessere vorstellen, menschlichere.

    Comment by RolfSchaelike — 1.03, 2016 @ 15:09

  7. 016, Az.: VI ZR 302/15). Die Prämisse des BGH besteht darin, dass der Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und damit also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient.

    Comment by Elisabeth Schwabe — 4.11, 2016 @ 00:07

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