Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

25.2.16

Asylrechtsverschärfung und das Erbe der Weißen Rose

Dieser mit Dr. Birte Förster gemeinsam verfasste Text erscheint parallel auf gefluechtet.de

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland formuliert bereits in seiner Präambel die Aufgabe Deutschlands, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen. Die Verfassung stellt in ihrem Art. 1 den Menschen und seine Würde in den Vordergrund und gewährt – gerade als Konsequenz aus dem nationalsozialistischen Unrechtsregime – ein Grundrecht auf politisches Asyl. Dieses Asylrecht wurde bereits in den 1990er Jahren erheblich beschnitten, eine weitere, einfachgesetzliche Beschränkung (Asylpaket 2) wurde gerade vom Bundestag beschlossen. Diese neuen Regelungen zielen vor allem auf eine Beschleunigung der Asylverfahren und eine Einschränkung des Familiennachzugs ab. Ein Teil der Asylsuchenden soll künftig in sogenannten „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ untergebracht werden, in denen ihre Asylanträge in einem beschleunigten Verfahren abgearbeitet werden. Das betrifft insbesondere Asylbewerber aus angeblich „sicheren Herkunftsstaaten“. Außerdem sollen Flüchtlinge, die keine individuelle politische Verfolgung nachweisen können, aber einen „subsidiären“ Schutz genießen, weil sie beispielsweise aus einem Kriegsgebiet stammen, ihre Familien zunächst nicht nachziehen lassen dürfen. Außerdem sollen durch das Asylpaket 2 Abschiebungen nicht anerkannter Flüchtlinge / Asylbewerberinnen erleichtert werden – selbst dann, wenn sie krank sind oder gesundheitliche Probleme haben. Nur lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen sollen künftig noch ein Abschiebungshindernis begründen.

Damals wie heute hat sich die Politik dem Druck jener Teile der Bevölkerung gebeugt, die Angst haben vor dem angeblich unkontrollierten und überhandnehmenden Zustrom von Asylsuchenden und denen es gelang, damit politischen Druck aufzubauen. Die hehren Ziele des Grundgesetzes wurden heute erneut von der Realpolitik zurechtgestutzt.

In der aktuellen Debatte um die als ‚Flüchtlingskrise‘ beschriebene globale forced migration, in der nur noch von ‚Flüchtlingsströmen‘ die Rede ist, scheinen viele schon verdrängt zu haben, dass es immer noch und immer nur um Menschen und ihre Schicksale geht. Menschen, die bei uns Schutz vor politischer Verfolgung, vor Krieg und Chancenlosigkeit suchen. Das Grundgesetz erinnert uns daran, dass stets der Mensch im Mittelpunkt steht und es gute Gründe gibt, sich gerade in diesem Land besonders intensiv und sensibel mit politischer Verfolgung durch Unrechtsregime und mit der Flucht vor (Bürger-)Krieg und Verfolgung auseinanderzusetzen.

Vor wenigen Tagen, am 22. Februar, jährte sich der Jahrestag der Hinrichtung der Geschwister Scholl und ihres Mitstreiters Christoph Probst. Wie die ebenfalls im Laufe des Jahres 1943 ermordeten Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber waren sie Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Als politisch Verfolgte des NS-Regimes hatten sie nach ihrer Verhaftung keine Aussicht auf Fluchtmöglichkeit. Zum Tode verurteilt vom sogenannten ‚Volksgerichtshof’, der heute zurecht nicht mehr als Gericht, sondern als politisches Instrument zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft gilt.

In Flugblättern artikulierte die Gruppe ihre Kritik am NS-Regime und versuchte so, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen – Am Ende der Flugblätter 1–5 forderten die Verfasser jeweils zum Weiterverbreiten und Vervielfältigen auf –  in der das, was Hans Scholl und Alexander Schmorell im ersten Flugblatt als „das Höchste, das ein Mensch besitzt […]nämlich den freien Willen“ eine Bedeutung hätte. Die Aufgabe des freien Willens, der Freiheit und der Vernunft prangert das erste Flugblatt an. Das aufklärerische sapere aude klingt mit, wenn die Autoren für sich reklamieren „selbst mit einzugreifen in das Rad der Geschichte und es seiner vernünftigen Entscheidung unterzuordnen“ und auch ihre Leser_innen dazu auffordern. Die ‚christliche und abendländische Kultur’, Goethe und Schiller (sowie vielleicht auch Tucholsky) waren die Bezugspunkte eines Denkens, das „Verantwortung“ verlangte für die Geschehnisse in Deutschland und den besetzen Gebieten.

Daher muß jeder einzelne seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur bewußt in dieser letzten Stunde sich wehren, soviel er kann, arbeiten wider die Geißel der Menschheit, wider den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates. Leistet passiven Widerstand – Widerstand –, wo immer Ihr auch seid […]. Vergeßt nicht, daß ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt!

In den ersten vier Flugblättern – Wolfgang Benz nennt sie „schöngeistig und literarisch“ –  fordern Scholl und Schmorell dazu auf, in Verantwortung vor der eigenen kulturellen Tradition zu handeln. Ihre Berufung auf eine humanistische und liberale Tradition und Kultur zeigt eine Alternative auf, die wir auch in der gegenwärtigen Debatte brauchen. Ihr Bezug zum auch heute wieder vielfach beschworenen „Abendland“ berief sich auf das Kantische „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494, hier S. 481) – und eben nicht darauf, den eigenen, nationalistisch definierten Besitzstand zu wahren.

Wenn wir den Mut haben, mit Verstand auf die aktuellen Fluchtbewegungen zu blicken, dann werden wir erkennen: Sie werden sich nicht durch Obergrenzen aufhalten lassen, nicht durch Zäune und nicht durch Marinepatrouillen. Und wir müssten uns auch die Frage stellen, ob es überhaupt legitim ist, sie aufzuhalten.

Wenn wir diesen Mut haben, dann sprechen wir nicht darüber , wie wir die Ankunft von Geflüchteten verhindern, sondern darüber, wie wir ihnen ein Zuhause bieten können. Wir würden Kommunen auffordern, die besten Konzepte für die sogenannte Integration vorzulegen und diese dafür fördern. Wir würden das Asylrecht nicht verschärfen, sondern das Recht auf Asyl und das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erklärte Recht auf ein Leben in Würde betonen und so das Erbe der Weißen Rose und aller anderen Verfolgten des NS-Regimes verteidigen.

Denn das Denken und die Haltung der Weißen Rose liefert gerade in der aufgeheizten gegenwärtigen Debatte, die von einer Atmosphäre der Angst, Ausgrenzung und Stigmatisierung dominiert wird, wertvolle Orientierungspunkte dafür, worauf die abendländische Kulturtradition, in deren „Verantwortung“ wir laut Scholl und Schmorell stehen, tatsächlich gründet. Der einleitende Satz „Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt“ (Flugblatt 1) muss den freiheitlich-humanitär Denkenden unter uns als Appell und Mahnung dienen, ihre Stimme rechtzeitig und hörbar zu erheben.

posted by Stadler at 22:11  

10 Comments

  1. http://www.internet-law.de/2016/02/asylrechtsverschaerfung-und-das-erbe-der-weissen-rose.html

    Comment by LornaLutfiu — 26.02, 2016 @ 00:28

  2. ist ja klar, dass jedes mal wenn man argumentativ im hier und jetzt nicht weiter weiss, die nazikeule geschwungen wird.
    das soll nicht bedeuteten, dass wir für die syrer – an deren Krieg wir nicht unschuldig sind – keine verantwortung haben. allerdings sehe ich nicht, warum wir die restlichen wirtschaftsflüchtlinge – und um die geht es in der gesetzesänderung ja – durchfüttern müssen. ja, woanders ists nicht so schön wie hier und ich habe glück, auf dieser seite zu leben. tja, die welt ist halt ungerecht und unser wirtschaftssystem existiert nur aufgrund eben dieser ungerechtigkeit und der ausbeutung der schwächeren.
    aber die nazikeule nervt mich und macht, dass sie wie die nazis in meiner populisten – schwätzerecke landen.

    Comment by alex — 26.02, 2016 @ 08:33

  3. „nazikeule“ „wir“ „wirtschaftsflüchtlinge“ „durchfüttern“
    … und sich dann über Populismus beklagen. Wer findet den Fehler?

    Comment by doc-rofl — 26.02, 2016 @ 09:56

  4. @Alex:
    Normalerweise steige ich bei der Lektüre spätestens dann aus, wenn ich den Begriff Nazikeule lese, denn anschließend folgt im Regelfall nichts mehr, was einen Sinn ergeben würde.

    Dennoch kurz zur Erklärung: Die Beschäftigung mit der Geschichte ist gerade deshalb wichtig, weil man aus ihr Lehren und Schlussfolgerung für die Gegenwart und die Zukunft ziehen kann und muss. Deshalb haben wir uns im konkreten Fall die Frage gestellt, ob wir dem ersten Flugblatt der Weißen Rose Erkenntnisse entnehmen können, die für die aktuelle Debatte um Flüchtlinge und das Asylrecht Bedeutung haben.

    Sie müssen unsere Ansicht und Haltung nicht teilen, aber den Eindruck, dass Sie es sind, der argumentativ weiter weiß, hat mir Ihr Kommentar nicht vermittelt.

    Comment by Stadler — 26.02, 2016 @ 11:04

  5. hr. stadler, gut dann inhaltlich.

    1. ich verstehe nicht, wozu gerade die weisse rose hier dienen soll. wir sind lichtjahre von den damaligen verhältnissen entfernt. oder sehen sie heute auch die im flugblatt zitierte „von verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique“, die uns regiert? für mich ist das nur ein argumentationsstrang, der darauf abzielt, abweichende meinungen leichter abstempeln zu können. so wie katzenvideos – die muss auch jeder lieben. nur menschen ohne herz mögen keine katzenvideos.

    2. wir sind kein chistliches land (waren wir es je?). wir sind ein land von atheisten, moslems, juden, hindus, satanisten … und auch christen. das einzig christliche an unseren parteien und ihrem handeln ist das „c“ im namen einer minderheit der parteien (auch wenn beide gerade die kanzlerin stellen). und das einzig christliche an der mehrheit der bevölkerung ist vielleicht noch der besuch der weihnachtsmesse – wegen der schönen stimmung. also warum dann in solchen situationen die christlichen werte beschwören?

    3. ich verstehe nicht so ganz, warum wir wirschaftsflüchtlinge – und ja die sind offenbar derzeit ein recht grosser teil der asylanten – so behandeln sollten wie kriegsflüchtlinge. ja, jeder flüchtling ist ein mensch, aber jeder verhungernde afrikaner ist auch ein mensch – egal ob er es hier her geschafft hat oder nicht. ich bin sofort dabei, wenn es um eine milliarden (nicht millionen) -schwere hilfe für afrika und den nahen osten geht. wobei es beim reichen nahen osten sicher keine frage des vor ort vorhandenen geldes ist…

    4. soweit ich es sehe, ist das einzige ziel der asylrechtsreform die aussiebung von wirtschafsflüchtlingen. ob das ziel mit den beschlossenen massnahmen erreicht wird, darüber kann man ja streiten. ich finde es aber grundfalsch, wirtschaftsflüchtlinge und klassische asylanten in einen topf zu schmeissen und dann mit „dem armen syrischen flüchtling“ zu argumentieren. das muss man schon trennen. und genau diese trennung wird mit der reform versucht. wie gesagt, keine ahnung ob das erfolgreich ist. aber diesen versuch mit dem 3. reich in verbindung zu bringen macht mich – wie oben gelesen – sauer.

    Comment by alex — 26.02, 2016 @ 12:19

  6. Hier genügt es nicht um eine Parteipolitische Steigbügelhalter- Lobby oder andere Unbilligkeiten .
    Also Generalkausel : BGB Treu und Glauben und der guten Sitten u.a. Nebengesetze was aber bei der hiesigen Lobby offenkundig verletzter Bürgerrechte unbillig erscheint !

    Comment by norbert huth — 26.02, 2016 @ 12:24

  7. Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht.
    Das ist wichtig und richtig.

    Chancenlosigkeit, insbesondere eine empfundene unzureichende Möglichkeit sich unternehmerisch oder konsumptiv zu verwirklichen ist keine politische Verfolgung.

    Ich persönlich möchte das gern trennen.

    Ich finde das erste wichtig – auch ohne Hinweis auf die Nationalsozialisten. Handeln heute muss sich am Heute messen, nicht am Gestern !

    Ein zweifellos beschämendes Kapitel der deutschen Geschichte ist m.E. kein Argument für einen Zwang zur globalen Hilfe.
    Wer erinnert eigentlich Amerikaner, Russen, Türken, Chinesen, Japaner (etc etc) an ihre jeweils dunklen Kapitel ?
    Meine Eltern sind bereits nach dem Krieg geboren und ich ziehe mir den Schuh der Kollektivschuld sicher nicht mehr an. Stellt mir übrigens auch niemand her. Nehmen sich viel Deutsche selber ;-)

    Comment by christian — 26.02, 2016 @ 14:20

  8. Man sollte vielleicht nicht vergessen zu erwähnen, dass die zitierten Flugblätter auch die Aufforderung enthielten, einen Regimewechsel durchzuführen, vorsichtig ausgedrückt, und von der RAF aus Flugzeugen über deutschen Städten abgeworfen worden sind.

    Das gegenwärtige Regime mit dem der Jahre 1942 und 1943 indirekt zu vergleichen dürfte etwas gewagt sein.

    Immerhin: eine Außenstelle des Bundesverteidigungsministeriums residiert im Bendlerblock, wo Stauffenberg u.a. hingerichtet wurden. Das ist in gewisser Weise doppeldeutig. Nach offiziellen Angaben ist die Bundeswehr in 17 oder 18 verschiedenen Staaten militärisch engagiert. Die meisten Einsätze sind out of area – Einsätze. Sie dienen also nicht der unmittelbaren Landesverteidigung . 1990 etwa gab es überhaupt keine solchen Engagements. Zumindest offiziell nicht.

    Zufälligerweise kommen die meisten Flüchtlinge aus Gegenden, in denen die Bundeswehr u.a. sich in hervorragender Weise militärisch platziert haben.

    Ich glaube nicht, dass es zu empfehlen ist, es der Weißen Rose gleich zu tun und die Abschaffung des gegenwärtigen Regimes zu verlangen . Noch dazu mit der Begründung, es handele sich um Hochverräter. Ein solches Verhalten dürfte zur Anlegung eines Vorgangs führen, dessen Ende unabsehbar ist.

    Comment by Arne Rathjen RA — 26.02, 2016 @ 19:21

  9. Nebenbei: das Asylrecht war bereits vor Entstehen der aktuellen Flüchtlingskrise in Deutschland bei einem Status ungefähr am Nullpunkt angekommen.
    Flüchtlinge wurden regelmäßig in Kriegsgebiete zurückgeschickt, und Gefolterte in Folterstaaten.

    Die Anerkennungsquote und die Erfolgsquote im Verwaltungsgerichtsprozessen tendierte schon seit Jahrzehnten gegen Null.

    Umso erstaunlicher ist es, wenn die jetzige Regierung circa 1 Million Flüchtlinge ins Land lässt, ohne auch nur ihre Pässe zu kontrollieren ohne sie zu registrieren. Um dann erstaunt festzustellen, dass etwa 130.000 Leute einfach verschwunden sind.

    Jedenfalls sind jetzt die Belastungsgrenzen der EU deutlich zu erkennen, und Griechenland droht endgültig zu einem failed state zu werden.

    Comment by Arne Rathjen RA — 27.02, 2016 @ 18:35

  10. Bravo. Bin dabei.

    Comment by vera — 22.02, 2018 @ 20:24

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