Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

12.8.15

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Bloggers

Gegen einen Blogger liefen verschiedene strafrechtliche Ermittlungsverfahren, u.a. wegen beleidigenden Äußerungen in seinen Blogs sowie wegen Veröffentlichung von Auszügen aus Ermittlungsakten.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnräume des Bloggers an. Ihm wird vorgeworfen, auf den von ihm betriebenen Blogs wesentliche Auszüge aus den Ermittlungsakten der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren veröffentlicht zu haben, deren Inhalte noch nicht in öffentlicher Verhandlung erörtert wurden, und sich dadurch gemäß § 353d Nr. 3 StGB strafbar gemacht zu haben.

Gegen die Entscheidung legt der Blogger Beschwerde ein und trägt vor, er habe lediglich kleine Ausschnitte aus der Ermittlungsakte veröffentlicht, was keine Straftat, sondern die Ausübung seiner durch Art. 5 GG und Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit sei. Dass der Beschluss sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletze, ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere aus den Entscheidungen Pinto Coelho v. Portugal, Urteil vom 28. Juni 2011, Nr. 28439/08; Affaire Ressiot et autres c. France, Urteil vom 28. Juni 2012, Nr. 15054/07 und 15066/07 sowie Affaire Martin et autres c. France, Urteil vom 12. April 2012, Nr. 30002/08.

Das Landgericht Amberg hat die Beschwerde des Bloggers zurückgewiesen, ohne sich überhaupt mit seinen Ausführungen zu Art. 5 GG und Art. 10 EMRK auseinanderzusetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Landgerichts auf die Verfassungsbeschwerde des Bloggers hin aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen (Beschluss vom 30.06.2015, Az.: 2 BvR 433/15).

Zur Begründung führt das BVerfG aus:

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17. Dezember 2014 richtet, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>). Die diesbezügliche Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 72, 119 <121>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen jedoch nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; 86, 133 <145 f.>).

b) Das Landgericht hat sich in den Gründen seines Beschlusses mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), insbesondere mit der vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Art. 10 EMRK nicht weiter auseinandergesetzt, obwohl dies im Vorbringen des Beschwerdeführers zentral war und auch materiell eine Auseinandersetzung mit Art. 10 EMRK nahe lag. Es ist daher – ohne dass daraus folgt, dass das Landgericht der Beschwerde des Beschwerdeführers hätte stattgeben müssen – in der Sache von einer Nichtberücksichtigung des Vorbringens durch das Landgericht auszugehen.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geht im Grundsatz davon aus, dass strafrechtliche Veröffentlichungsverbote nicht per se gegen Art. 10 EMRK verstoßen, dass aber im Einzelfall regelmäßig eine Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit geboten ist. Eine neuere Entscheidung des EGMR zu dieser Frage habe ich hier im Blog besprochen.

posted by Stadler at 15:31  

9 Comments

  1. Weniger riskant ist sicher, wenn man die Anklageschrift nur inhaltlich wiedergibt, nicht wörtliche Auszüge in das Internet stellt. Das ist dann ein strafrechtlicher Angriffspunkt weniger.

    Comment by Arne Rathjen RA — 12.08, 2015 @ 17:29

  2. Wenn einem das BVerfG schreibt: „….die Beschwerde ist offensichtlich begründet…“, dann ist das ein deutlicher Rat an die Richterlein vom Landgericht, sich doch schnellstmöglich einen Job als Parkplatzwächter zu suchen. Eine solche Sprache benutzt das BVerfG nur ganz selten. (Ich möchte damit nicht Parkplatzwächter in irgendeiner Weise beleidigen).

    Comment by M — 13.08, 2015 @ 10:04

  3. „…dass aber im Einzelfall regelmäßig eine Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit geboten ist.“

    Genau diese Abwägung geschieht meistens nicht, weil alles im Schnelldurchlauf abgehakt wird. Wer in die nächste Instanz geht, gilt schon als Nervensäge. Der Arbeitsrückstand der Gerichte ist bekannt. Viele Verfahren dauern keine zehn Minuten. Akte zu, der Nächste bitte.

    Wie M bemerkt, ist „offensichtlich“ eine Ohrfeige für die Richter. Nicht jedem Laien, aber sogar dem dümmsten Juristen hätte es auffallen müssen, bedeutet das. Volljuristen erst recht.

    Es ist erstaunlich, dass es immer noch Blogger gibt, sind sie doch stets bedroht von juristischen Schritten. Vor allem, wenn es sich um Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen handelt, hört der Spaß auf. Trotzdem lassen sich viele Anbieter nicht abschrecken, denen man Respekt und Dank zollen sollte.

    Einige Kanzleien beauftragen ganze Studentenhorden, alle Blogs und Foren nach abmahnfähiger Geld- und Klagequelle abzugrasen. Die tummeln sich herum und provozieren die Leute sogar selber, wenn was dabei herausspringt. Ein riesiger Markt, von dem die meisten User gar nichts wissen.

    Comment by Parker — 14.08, 2015 @ 14:54

  4. Ganz allgemein ist es so, dass Staatsanwaltschaften alles abhaken, wenn es von der Polizei kommt und Richter alles abhaken, wenn es von der Staatsanwaltschaft genehmigt wurde.

    Kürzlich teilte ein Richter im TV mit: Es ist so, da rennt ein Polizist mit der Akte zum Staatsanwalt und möchte Abhörmaßnahmen durchsetzen. Der Staatsanwalt macht den Haken dran, weil er meint, die Polizei wisse schon, was sie tue (genau, rechtswidrig handeln zum Beispiel), dann rennt der Polizist in mein Büro, ich sitze über anderen Sachverhalten, und der möchte sofort eine Unterschrift von mir haben. Jetzt kann ich mich als Richter entscheiden, prüfe ich das nochmal, mache ich mir die Arbeit oder setze ich einfach meinen Haken darunter? 99% der Richter haken es ungeprüft ab, weil ja der Staatsanwalt schon weiß, was rechtlich möglich ist.

    Faktisch hat also niemand der Juristen den ggf. rechtswidrigen Eingriff der Polizei geprüft. Genau so findet es statt. Das ist die gängige Praxis.

    Comment by Parker — 14.08, 2015 @ 15:24

  5. …wenn dann ein Winkeladvokat daher kommt und
    Beschwerden einreicht, dann werden die mit
    90% +x Wahrscheinlichkeit mit einem Zweizeiler
    zurückgewiesen.

    Landet der Vorgang beim BVerfG, ist mit
    90% +x Wahrscheinlichkeit mit einem einzeiligen
    Nichtannahmebeschluss zu rechnen.

    Eher Erfolg versprechend ist, die Ergebnisse hastiger Ermittlungshandlungen überprüfen zu lassen, um sie gegebenenfalls Sadisten in oberen Gerichten vorzulegen , denen es Spaß macht, niederrangiges Personal zu quälen.

    Comment by Arne Rathjen RA — 14.08, 2015 @ 17:57

  6. Hahaha! Das kann sein. Ach, Kinders, wir wollen uns zum Wochenende nicht aufregen. Meines Erachtens wird es Zeit, eine gute Plattform im Ausland zu generieren, auf denen sich alle Opfer von Polizei- und Justizwillkür in Deutschland mal richtig austoben können. Sie sollten ihre Beiträge anonym und verschlüsselt senden können per simplen Mausklick. Auf der Plattform sollte rund um die Uhr für sofortige Veröffentlichung gesorgt werden von Leuten, die man weder hier noch dort belangen kann. In den USA gibt es das schon lange. Es wird Zeit, das Novum zu wagen. Dann können die Geschädigten mal richtig angstfrei auf die Kacke hauen, alle Kopien einstellen und die Versager oder Kriminellen in Uniform und Robe namentlich benennen. Schaun` mer mal.

    Schönes Wochenende in diesem Gelände.

    Comment by Parker — 14.08, 2015 @ 18:25

  7. Parker hat es nicht so mit Richtern und Staatsanwälten. Vor drei Monaten erst ist er rausgeflogen aus dem Saal, weil er dem Richter sagte, er solle sein Maul halten, wenn er keine Ahnung habe und sich bei ihm als Ablagehilfe bewerben. 1500 Euro Strafe. Kollege, der musste noch rein. Da stehst du drüber, wissen wir. *ggggg* <- ++++++ ;-)

    Dir auch ein wohlverdientes Wochenende.

    Comment by Ulrich — 14.08, 2015 @ 19:08

  8. …. Jedenfalls kann man zu dem statistisch unwahrscheinlichen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht gratulieren. Was noch hinzuzufügen wäre: die meisten Anzeigen bleiben unbearbeitet liegen, die meisten Ermittlungsverfahren werden eingestellt, und die Ermittlungstätigkeit beschränkt sich auf punktuelle Ausnahmen. Aufgrund der jahrzehntelangen Reduktion von Personal und Material sind etwa Polizei und Justiz überhaupt nicht in der Lage, jeden Vorgang abzuarbeiten. Deswegen wird das meiste nur noch statistisch erfasst. Völlig anders sieht es allerdings aus, wenn es um Sachverhalte geht, die für den politischen Machterhalt von Belang sein können. Da ergibt sich auch schon die Möglichkeit, kreative Datensammlungen an befreundete Kräfte abzugeben. Das können Neonazis sein, oder die Mafia, oder auch das Militär. Da die Bundesrepublik zahlreiche völkerrechtliche Abkommen unterzeichnet hat, ist es auch nicht zu erwarten, dass in der Öffentlichkeit allzu grob vorgegangen wird.

    Comment by Arne Rathjen RA — 15.08, 2015 @ 19:00

  9. P.: Nana. Ohne anwaltliche Vertretung hätte die Verfassungsbeschwerde, um dies es hier geht, mit Sicherheit keinen Erfolg gehabt. Sie wäre von einer wissenschaftlichen Hilfskraft kurz durchgelesen, dann weggelegt worden. Plus ein ausgedruckter Textbaustein mit einem Nichtannahmebeschluss.
    Im übrigen sind der Kreativität der Verfolgungsbehörden und der diversen Abwehreinheiten keine Grenzen gesetzt. So kann die Publikation von Fakten, die sowieso schon jeder kennt, den Vorwurf des Landesverrats nach sich ziehen. Löblich ist immerhin, dass gegen die Macher von Netzpolitik.org nicht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges ermittelt worden ist. Theoretisch denkbar wäre das aber auch.

    Comment by Arne Rathjen RA — 17.08, 2015 @ 17:57

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