Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.7.15

OLG Köln: WAZ-Gruppe darf militärische Lageberichte der Bundeswehr nicht veröffentlichen

Das OLG Köln hat der WAZ-Gruppe mit Urteil vom 12.06.2015 (Az.: 6 U 5/15) untersagt, militärische Lageberichte der Bundeswehr („Afghanistan Papiere“) im Internet zu veröffentlichen.

Konkret geht es um die Unterrichtung des Parlaments gemäß § 6 Abs. 1 ParlBG über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die entsprechenden Berichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und an andere Bundesministerien sowie nachgeordneten Dienststellen versandt. Die Berichte werden als Verschlussache für den Dienstgebrauch eingestuft und entsprechend gekennzeichnet.

Das Unterlassungsurteil des OLG Köln stützt sich auf urheberrechtliche Vorschriften. Das OLG hat die Lageberichte als Sprachwerke bzw. Schriftwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG eingestuft, was durchaus zutreffend sein mag. Den Charakter eines amtlichen Werkes im Sinne von § 5 UrhG, das veröffentlicht werden dürfte, verneint der Senat.

Durchaus interessant sind dann die Ausführungen des OLG zu der Frage, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Überwiegen der Meinungs- und Pressefreiheit in Betracht kommt, weil das Urheberrecht von der Bundesrepublik hier nur als Mittel zur Unterbindung unliebsamer Berichterstattung genutzt wird. Das OLG führt hierzu aus:

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt und ausführlich begründet, dass weder eine Berichterstattung über Tagesereignisse im Sinne von § 50 UrhG vorliegt noch ein zulässiges Zitat im Sinne von § 51 UrhG gegeben ist, wenn sich das Internetportal eines Zeitungsverlages darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten; neben der Auslegung und Anwendung der urheberrechtlichen Vorschriften bedürfe es keiner gesonderten Grundrechtsabwägung. Die Abwägung habe vielmehr im Rahmen der Auslegung und Anwendung der Schrankenregelungen §§ 50, 51 UrhG zu erfolgen.

Auch mit ihren hiergegen gerichteten Beanstandungen dringt die Beklagte im Ergebnis nicht durch. Sie stützt sich auf die Argumente von Hoeren/Herring aus dem Aufsatz „Urheberrechtsverletzung durch WikiLeaks? Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit vs. Urheberinteressen“ (MMR 2011, 143). Diese vertreten für die ähnlich gelagerte Problematik der Veröffentlichung von Botschaftsdepeschen, in denen sich – wie teilweise in den UdP – v.a. Einschätzungen über die politische Lage im jeweiligen Land, Gesprächsprotokolle, Hintergründe zu Personalentscheidungen und Ereignissen oder Psychogramme einzelner Politiker finden, die von US-Botschaften und Konsulaten an das US-Außenministerium in Washington geschickt werden, die Auffassung, dass ausnahmsweise auch im Urheberrecht die entgegenstehenden Interessen miteinander abgewogen werden, wenn das Urheberrecht als Handhabe gegen die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente eingesetzt werde. Auf dieser Linie argumentiert die Beklagte auch für die ihr auf unbekanntem Wege zugespielten UdP. Sie wendet sich nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts, dass deren Veröffentlichung nach dem „klassischen“ Verständnis der Schranken der §§ 50, 51 UrhG nicht gedeckt sei, fordert jedoch eine weite Auslegung der Schrankenbestimmungen und insbesondere eine Ausweitung des § 51 UrhG im Informationsinteresse der Allgemeinheit, das im Streitfall einem nur behaupteten Geheimhaltungsinteresse und sonstigen Verwertungsinteressen der Klägerin vorgehe.

Dem folgt der Senat nicht. Auch wenn man – im Ansatz mit der Beklagten – die Pressefreiheit weit auslegt und auch ein Berufen auf die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt, und selbst wenn diese Grundrechte im Wege verfassungskonformer Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen in einen Ausgleich zu den Verwertungs- und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin zu bringen sind, überwiegen die Grundrechte der Beklagten gegenüber denjenigen, auf die sich die Klägerin berufen kann, nicht in dem Sinne, dass auch die Veröffentlichungen der gesamten und ungekürzten UdP von dem Zweck der urheberrechtlichen Schrankenregelung des Zitatrechts gedeckt sind. Die Beklagte räumt ein, dass die Klägerin die in Rede stehenden Dokumente – in Gestalt der UdÖ – selbst größtenteils bereits für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Damit ist dem Informationsinteresse bereits in hohem Maße Rechnung getragen. Die Veröffentlichung einzelner Auszüge aus den Dokumenten – wie sie in Gestalt der UdÖ erfolgt – reicht aus, um die Sichtweise der Klägerin auf die von ihr in den Berichten behandelten Nationen und die Lage im jeweiligen Land wiederzugeben. Dem Leser der Internetseite der Beklagten werden darüber hinaus von dieser keine Informationen über die Hintergründe oder Erklärungen zu den in den UdP behandelten Themen nebst inhaltlicher Auseinandersetzung präsentiert; die Klägerin zieht daher zu Recht in Zweifel, ob die Allgemeinheit angesichts der allgemein zugänglichen UdÖ tatsächlich ein solches Interesse an der Verbreitung der vollständigen Dokumente hat. Bereits das Landgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Beklagte den Zweck der Auseinandersetzung mit einer angeblichen Diskrepanz zwischen UdÖ und UdP auch dadurch hätte erreichen können, dass sie einzelne Abschnitte der UdP im Rahmen einer Analyse erörtert und diesen die entsprechenden Abschnitte der UdÖ gegenübergestellt hätte – eine entsprechende Gegenüberstellung und Analyse findet sich etwa auf der Homepage „www.datenjournalist.de/was die Bundeswehr in den Berichten an die Öffentlichkeit alles weglässt“. Eine vergleichbare journalistische Bearbeitung, Analyse oder vertiefte Auseinandersetzung der Beklagten mit den Berichten erfolgt jedoch nicht. Demgegenüber hat die Klägerin in ihrem bereits oben zitierten Ablehnungsbescheid legitime Gründe für die Geheimhaltung bestimmter Informationen angegeben, weil die UdP militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr betreffen. Dies überzeugt ohne weiteres, soweit eine Bedrohungslage oder die Rolle einer handelnden Person eingeschätzt und bewertet oder Strategien der Bundeswehr oder Details ihrer Einsatzstärke dargestellt werden. Im Übrigen muss der Klägerin wie bereits ausgeführt insoweit ein entsprechendes und nicht in jedem Einzelfall zu begründendes Ermessen eingeräumt werden. Soweit die Beklagte darauf hinweist, es seien keine nennenswerten Vermögensinteressen der Klägerin betroffen, verkennt sie, dass dem Urheber grundsätzlich insbesondere auch die Entscheidung über das „Ob“ der Veröffentlichung zusteht.

posted by Stadler at 21:28  

7 Comments

  1. Nach über 50 Jahren gewinnt Strauß. Endlich. Bah.

    Comment by Dierk — 28.07, 2015 @ 21:35

  2. Ohne die WAZ-Seite zu kennen, ist eine Wertung unmöglich!

    Comment by derblauweisse — 28.07, 2015 @ 21:43

  3. Ein wirklich ärgerliches Urteil, das vor höheren Instanzen hoffentlich keinen Bestand haben wird.

    „… überwiegen die Grundrechte der Beklagten gegenüber denjenigen, auf die sich die Klägerin berufen kann, nicht in dem Sinne, dass auch die Veröffentlichungen der gesamten und ungekürzten UdP von dem Zweck der urheberrechtlichen Schrankenregelung des Zitatrechts gedeckt sind.“

    Da fragt man sich ja mal spontan, auf welche Grundrechte sich die Bundeswehr denn bitte berufen kann. Die Ausführungen des OLG gehen doch komplett an der eigentlichen Frage vorbei. Denn im Kern geht es doch darum, dass die Bundeswehr überhaupt keine _urheberrechtlichen_ Interessen an den Dokumenten geltend machen kann.

    In § 11 UrhG heißt es: „Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.“

    So. Und jetzt erklärt doch mal, welche „persönliche Beziehung“ denn der Soldat zu seinem Lagebericht hat. Oder inwiefern dem Soldaten bzw. die Bundeswehr die angemessene Vergütung für die Nachnutzung des Lageberichts gesichert werden muss.

    Der Kern ist, dass die Bundeswehr hier das Urheberrecht als Mittel der Informationsunterdrückung zweckentfremdet. In der Abwägung, die das OLG (insofern im Ansatz richtig) offenbar für erforderlich hält, mag für die WAZ vielleicht nicht viel sprechen. Für die Bundeswehr spricht allerdings gar nichts.

    Das Urheberrecht als Allzweckwaffe gegen unliebsame Veröffentlichungen einzusetzen, ist in letzter Zeit sehr zur Mode geworden und die Gerichte spielen mit. Wir sind da auf einem ganz unguten Weg.

    Comment by ako — 28.07, 2015 @ 23:05

  4. Seltsame Begründung, ein Verstoß gegen das Urheberrecht wird bejaht wegen Geheimhaltungsinteresse wegen angeblicher Bedrohung.
    Hoffentlich geht das vors BVerfG.

    Comment by W — 29.07, 2015 @ 06:45

  5. Absurd und verlogen. D.h. es entspricht den Wertvorstellungen der Entscheidungsträger in Deutschland, wie die Welt auszusehen hat, koste es, was es wolle.

    Comment by Rolf Schälike — 29.07, 2015 @ 14:46

  6. @ako:
    Vielleicht ist das auch die Stellschraube an der man drehen muss. Bei einem normalen Urheber und einem „Rechtsverletzer“, der dies zu Zwecken der Berichterstattung oder Information der Öffentlichkeit macht, stehen sich kollidierende Grundrechte gegenüber. Ist urheberrechtlich Berechtigter der Staat, kann er sich als Grundrechtsverpflichteter natürlich nicht auf das Grundrecht des Art. 14 GG berufen, dessen Ausfluss das Urheberrecht ja ist. Vielleicht muss man also die These aufstellen, dass das Urheberrecht des Staates und seiner Behörden und Institutionen vor diesem Hintergrund nicht dasselbe Gewicht haben kann, wie das Urheberrecht eines Grundrechtsträgers. Der Staat mag sich in solchen Fällen auf Geheimhaltungsinteressen berufen können, aber das Urheberrecht sollte für ihn nicht das Vehikel bilden können, um unliebsame Veröffentlichungen zu unterbinden.

    Comment by Stadler — 30.07, 2015 @ 09:25

  7. Im Allgemeinen werden Produkte eines bürokratischen Vorgangs, also etwa Berichte, Urteile oder Ähnliches, gerade nicht als persönliche geistige Schöpfung bewertet. Eine solche ist aber für die Gewährung von Urheberrechtsschutz erforderlich. D.h.: unterschwellig geht das OLG davon aus, dass es sich um Fiktionen handelt. Jedenfalls ist das mein subjektiver Eindruck.

    Comment by Arne Rathjen RA — 1.08, 2015 @ 19:31

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