Abgeordnete erhalten auch weiterhin keinen Zugang zu den TTIP-Dokumenten
Das Verfahren in dem das transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verhandelt wird, genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht und müsste von demokratisch gewählten Parlamenten – ungeachtet seines Inhalts – allein aus diesem Grund abgelehnt werden. Das habe ich vor einigen Monaten bereits ausführlich erläutert.
Ganz offenbar bleibt es weiterhin, nachdem die Intransparenz der Verhandlungen immer wieder kritisiert worden ist, dabei, dass die Parlamente der beteiligten Staaten, keinen Einblick in die Verhandlungsunterlagen erhalten. Hierfür schieben sich aktuell die US-Botschaft in Berlin und die Bundesregierung gegenseitig die Verantwortung zu, wie die SZ berichtet. Die US-Botschaft teilte mit, sie hätte einen Leseraum in der Botschaft eingerichtet, in der die aktuellen Dokumente eingesehen werden könnten. Wer von deutscher Seite aus Zugang zu diesen Dokumenten erhält, würde das Bundeswirtschaftsministerium entscheiden und auf deren Liste stünden keine Abgeordneten. Demgegenüber teilte Staatssekretärin Brigitte Zypries mit, dass sich die Vereinbarung über die Einrichtung von Leseräumen „lediglich auf Regierungsvertreter“ bezogen habe und deshalb keine Parlamentarier auf der Liste stehen.
Es bleibt also dabei, dass noch nicht einmal die gewählten Abgeordneten rechtzeitig und im Vorfeld umfassenden Einblick in die Verhandlungsdokumente erhalten, obwohl sie am Ende einem Abkommen zustimmen sollen, das rechtsverbindlich ist und national deshalb auch wie ein Gesetz wirkt. Es handelt also um eine Art Gesetzgebungsverfahren über das der eigentliche Gesetzgeber noch nicht einmal umfassend unterrichtet wird. Was das in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht bedeutet, kann sich jeder selbt überlegen. Wenn also gelegentlich von Postdemokratie die Rede ist, dann müssen die TTIP-Verhandlungen als Paradebeispiel dafür gelten.
Die Aussage der US-Botschaft im Zusammenhang mit der Frage des Zugangs zu den TTIP-Dokumenten ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Auf den Schriftwechsel zwischen Bundestagspräsident Lammert und US-Botschafter Emerson will man nicht eingehen, denn der sei „privat“. Allein diese Aussage ist bezeichnend. Es gibt nichts, das weniger privat ist, als ein Schriftwechsel zwischen einem Vertreter der US-Regierung und dem deutschen Parlamentspräsidenten zu einer politischen Frage. In einer Zeit, in der die Privatheit des Bürgers immer weniger gilt, bezeichnen Regierungen ihre offiziellen Gespräche plötzlich als privat. Das erinnert wahlweise an Macbeth „Fair is foul, and foul is fair“ oder an 1984 „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“. Neusprech eben.
Wir erleben gerade so etwas wie die Entmachtung der Demokratie und schleichende Machtübernahme durch… ja, wen genau?
Das ist ein Umbruch, den die Überlebenden erst im Nachhinein erfassen werden können.
Jetzt schläft der Bürger-Biedermann seinen Schlaf.
TTIP ist nur ein Stein eines Ganzen.
Die Lüge ist auferstanden.
Comment by Frank — 28.07, 2015 @ 10:46
Deutsche Poltiker sollen in die amerikanische Botschaft, um etwas lesen zu können, über das sie abstimmen sollen? Habe ich das tatsächlich richtig verstanden?
Comment by Sven B. — 28.07, 2015 @ 11:04
Zunächst: Es ist Standard in der EU Handelspolitik, dass Dokumente nicht vorliegen. Wer das ändern will, soll EG/1049/2001 anpassen. Dazu liegt eine Reform beim Rat in der Schleife, wobei das Europaparlament in erster Lesung nichts unternommen hat, um bessere Handelstransparenz zu erreichen.
Bevor das Parlament abstimmt wird der ausgehandelte Text veröffentlicht. Das ist natürlich nicht befriedigend, aber es ist die Rechtslage, die man – wie gesagt – schnell ändern könnte. Die dänische Präsidentschaft hatte jedenfalls bereits aufgegeben.
Comment by Andre R — 28.07, 2015 @ 12:12
…und ich bin immer noch der Meinung, dass diese EU und der EURO von Grund auf falsch sind. Es läuft nicht richtig, es läuft falsch.
Und es wird nicht besser, indem man sich daran klammert, weil man nicht aufgeben will.
Comment by Frank — 28.07, 2015 @ 12:37
„Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“
Das ist eher Doublethink, oder?
Comment by Robert aus Wien — 28.07, 2015 @ 13:31
Der Text, der Gesetz werden soll, wird den Abgeorneten natürlich vorgelegt. Die Zeit, die den Abgeordneten bleibt, einen dicken Text, für den man Wochen bräuchte, beträgt aber nur Stunden, d.H. eine Diskussion kann nicht stattfinden, da kein Abnicker Zeit genug hat, den Text auch nur teilweise zu lesen. Einige Details sind aber bekannt geworden, z.B. dass der Vertrag unkündbar ist. Da der Text tief in bestehende Gesetze eingreift müsste in einer Demokratie eigentlich das Volk entscheiden, aber eben nur in einer Demokratie. Regiert werden wir danach von den großen Konzernen und Banken. Der deutsche Michel wird den Übergang in eine lupenreine Diktatur anfangs nicht merken, da er ja immer noch CDUSPDGRÜNLINKSAfD(FDP) wählen kann. Das Parlament kann dann allenfalls noch über das Aufstellen eines Parkverbotsschildes entscheiden. Es ist dies die schlimmste Form der Diktatur. Eine braune Diktatur will theoretisch immerhin das beste für das eigene Volk, auch gegen andere Völker. Eine rote Diktatur will theoretisch das Beste für die Arbeiterklasse. Die schwarze Diktatur interessiert sich nicht für Rassen oder Klassen. Es geht nur um den Profit der größten Konzerne und Banken. Mit dem Freihandelsabkommen werden sie alle 3 Staatsgewalten auf sich vereinen einschließlich der Presse und der kompetten Überwachung. wir können dann weder für Ausstieg aus der Kernenergie noch gegen Fracking oder GMO entscheiden. Das Absinken des Wohlstandes ist dabei das geringste Problem.
Comment by Bobo — 28.07, 2015 @ 14:12
@Bobo sieht das schon recht klar.
Aber es könnte noch schlimmer kommen.
Was z.B. passiert mit Menschen, die keinen Profit mehr bringen?
Comment by Frank — 28.07, 2015 @ 22:57
„Tis the times‘ plague, when madmen lead the blind.“ (King Lear). Seit 500 Jahren aktuell.
Spätestens nach IFG-Klage kommt der Brief ans Tageslicht, hoffentlich lässt sich Lammert nicht so vereinnahmen.
Comment by FKTVTwipsy — 29.07, 2015 @ 09:26
Ich finde das doppelplusungut!
Comment by Olray — 29.07, 2015 @ 11:39
Macht sich denn ein Abgeordneter nicht strafbar, wenn er für etwas abstimmt über dessen Inhalt er nachweislich keine Kenntnis hat?
Comment by Robert — 3.08, 2015 @ 11:25
Der letzte Abschnitt…
Comment by Martin Holly — 3.08, 2015 @ 14:59
ich sage das mal so: ich gehe nicht mehr davon aus, daß irgend eine nennenswerte Zahl an Abgeordneten sich für TTIP weiter interessiert, als bis zur Frage, ob dessen Ablehnung zum Knick in der Karriere oder zur Kürzung der Diäten führt. Beides „nein“ bei einer Zustimmung zu TTIP und wir wissen, was passiern wird.
Der Rest ist Show. TTIP wird kommen, ob nun irgend eines der 500Millionen Wahlschafe in der EU das möchte oder nicht. Postdemokratie ist auch nicht mehr richtig, wir sind in der Fassadendemokratie angekommen (die Postdemokratie gesteht immerhin noch einige Mitsprache zu)
Wir könnte darüber sogar Referendum halten. Wenn wir es ablehnten, wird das Referendum einfach griechisch gemacht und keiner von uns kann was dagegen tun.
Erklärt mir, warum ich falsch liege.
Comment by macks mülller — 5.08, 2015 @ 23:10