CARTA, Feministinnen und Heldenverehrer
Auf CARTA erschien gestern ein Beitrag mit dem Titel „Äpfel, Birnen, Feministinnen“ der Bloggerin Kerstin Ludwig, der in Richtung von zwei feministischen Blogs polemisiert. Dieser Beitrag hat heute eine mittelgroße und wie ich finde äußerst skurrile Diskussion in den Kommentaren bei CARTA und auf Twitter ausgelöst, was die CARTA-Redaktion zu einer nicht ganz glücklichen Stellungnahme veranlasst hat.
Mehrere Autoren wie die Blogger Antje Schrupp und Enno Park („die ennomane„) haben in den Kommentaren erklärt, CARTA wegen des Beitrags von Ludwig bzw. der Reaktion der Redaktion keine Texte mehr zur Verfügung zu stellen.
Ich bin mir nicht sicher, was mich an dieser Diskussion mehr verstört. Der wirklich schlechte Rant von Kerstin Ludwig, der zwar einmal auf den Punkt kommt, insgesamt aber leider doch sehr stark von Vorurteilen und Klischees lebt oder doch die Kritik von Leuten wie Anatol Stefanowitsch und Antje Schrupp, die im Ergebnis nicht minder unsachlich ist, auch wenn sie versucht den Anschein der Sachlichkeit zu erwecken.
Antje Schrupp schreibt auf CARTA, dass „zwei feministische Blogs auf eine für mich inakzeptable Weise niedergemacht werden“ während Stefanowitsch in einem Blogbeitrag über den von Ludwig kritisierten Text des Blogs Fuckermothers schreibt:
Bei dem sehr lesenswerten Beitrag der Fuckermothers handelt es sich, etwas vereinfacht gesagt, um einen Versuch, zu erklären, welche patriarchalischen Denk- und Gesellschaftsstrukturen dazu führen, dass Edward Snowden und (nur nebenbei erwähnt) Julian Assange von vielen Medien auf eine sehr holzschnittartige Weise zu Helden stilisiert werden. Dabei schmälert der Beitrag nicht die Relevanz der Enthüllungen, er fragt nur, warum hier eine Heldenverehrung greift, und an anderen Stellen, wo Menschen relevante Dinge tun, nicht.
Nach meiner Wahrnehmung beschäftigt sich die Berichterstattung in den größeren Medien schon längst nicht mehr mit der Person Snowdens, sondern fast nur noch mit den Inhalten seiner Enthüllungen. Die Ausgangsthese der Fuckermothers von der Heldenverehrung war jedenfalls am 25.08. längst überholt. Die teilweise anzutreffende Glorifizierung der Person Snowdens hat m.E. aber vor allen Dingen damit zu tun, dass ein Whistleblower, der über Missstände informiert hat, zu Unrecht von den USA um die ganze Welt gejagt wird. Das löst Solidarisierungseffekte aus, die denjenigen ähneln, die man beispielsweise bei Pussy Riot beobachten konnte.
Der Text der Fuckermothers zielt vorwiegend darauf ab, Netzaktivisten und die digitale Bürgerrechtsbewegung zu diskreditieren und dies ohne unmittelbaren Bezug zu einem feministischen Ansatz. Und natürlich versucht der Beitrag die Relevanz der Enthüllungen Snowdens zu schmälern. Die Sprache in dem Blog lässt insoweit wenig Interpretationsspielraum zu, was nachfolgende Textbeispiele verdeutlichen:
Die Daten-Cowboys stehen für die Forderung nach einer freien Meinungsäußerung, die alles sagen wollen darf, ohne je wirklich darum gekämpft zu haben. (…)
Zum Beispiel die selbstgerechte Art, mit der Sascha Lobo und andere die Sache skandalisieren. Diese Art erinnert an den kritischen Staatsbürger, wie er uns im Sachkundeunterricht beigebracht wurde. (…)
Die Empörung spiegelt – so meine Einschätzung – die Sehnsucht nach einem „guten Vater Staat“ oder dem „guten Regieren“ (…)
Auch fällt die aktuell herbeigeschriebene Kritik am Überwachungs-Staat oft etwas gar simpel aus. „Der Staat“ erscheint als etwas, das „den Bürger_innen“ entgegengesetzt ist und in seiner idealen Form eine Art (paternalistische) Instanz zu sein hat, die den Bürger_innen Demokratie sichert. (…)
Wirklich interessant würde es doch, wenn Leute wie Sascha Lobo einmal darüber nachdenken, welche Privilegien der (Überwachungs)Staat Menschen wie ihm bisher auch gesichert hat. (…)
Die Aussage, Leute wie Sascha Lobo würden etwas in selbstgerechter Weise skandalisieren, beinhaltet die Unterstellung, dass die Überwachungsaffäre insgesamt deutlich übertrieben wird. Und das dient ihrer Relativierung. Auch die Aussage “Die Empörung spiegelt – so meine Einschätzung – die Sehnsucht nach einem guten Vater Staat oder dem guten Regieren“ ist von der Konnotation her eindeutig und deutet zudem darauf hin, dass hier jemand ganz grundsätzlich missverstanden hat, wofür Netzaktivisten eintreten. Es geht ihnen nicht vordergründig um den guten Staat, sondern um die Freiheit des Einzelnen. Im übrigen entspricht der in dem Text von Fuckermothers kritisierte Gegensatz von Bürger und Staat exakt dem Modell unserer Grundrechte. Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Und warum das so ist und auch so sein muss, ist selten deutlicher zu Tage getreten als derzeit.
Der Text bei den Fuckermothers folgt insgesamt einem recht simplen Strickmuster. Nach einem feministischen Einsteig nutzt man das angerissene Thema, um Netzaktivisten zu diskreditieren, allerdings dann ohne wirklich erkennbaren Bezug zu feministischen Themen. Dem Text der Fuckermothers liegt letztendlich ein äußerst konservatives und staatstragendes Weltbild zugrunde.
Während dieser Beitrag also so tut als wäre er sachlich, obwohl er es nicht ist, erhebt die Polemik von Kerstin Ludwig zumindest nicht den Anspruch der Sachlichkeit. Lesenswert sind sie im Grunde aber beide nicht.
Das eigentlich Erstaunliche sind aber nicht die Texte, sondern die daraus resultierende Diskussion, bei der ich den dringenden Wunsch verspüre, mich zwischen alle Stühle zu setzen. Ich werde meine Blogbeiträge natürlich auch weiterhin gerne CARTA zur Verfügung stellen.
P.S.
Liebe Diskutanten,
sollte jemand meinen, dieser Blogbeitrag würde die Gelegenheit für eine deftige Kritik an Feministinnen bieten, dann werde ich ausnahmsweise von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Kommentarfunktion zu deaktivieren.
fuckmothers riecht ganz stark und schlecht nach PSYOPs. Oder auch Operative Information, wie die BW die gesteuerte Desinformation der feindlichen Zielgruppe (Truppen, Zivilbevölkerung) nennt.
Comment by Hammer Lehmann — 3.09, 2013 @ 23:47
Nachdem ich zu dieser gelungenen Darstellung auch mal die Beiträge gelesen habe, schnurrt die ganze aufgeregte Diskussion zusammen, zu einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Neiddiskussion: „Dieser Lobo darf im Spiegel veröffentlichen und ich nicht“ – Nebenbei eine wunderbare Chance, endlich mal alte Rechnungen zu begleichen.
Comment by Wolf — 4.09, 2013 @ 00:33
„sollte jemand meinen, dieser Blogbeitrag würde die Gelegenheit für eine deftige Kritik an Feministinnen bieten, dann werde ich[…]“
Ach ja stimmt Sie sind ja Feminist, na dann.
Comment by Heinz — 4.09, 2013 @ 05:39
Also falls wer zu faul (oder nicht schmerzbefreit genug) ist die Artikel zu lesen, hier eine Zusammenfassung:
Da sitzen mehrere Leute in einem Sandkasten und ein paar davon haben Sand rumgeschmissen. Daraufhin hat jemand Sand zurück geschmissen und eine weitere Person findet das Zurückschmeissen doof und will nicht mehr mit der Person spielen.
Man kann darüber den Kopf schütteln, aber was soll man in einem Sandkasten machen, wo Leute, die versuchen eine schöne Sandburg zu bauen dazu kein „Gut“ oder „Schlecht“ zu hören bekommen, sondern sie wird ohne wirkliche Gründe niedergetrampelt … und man schmeisst Sand nach der Person!
Wenn man das ganze in „Seiten“ aufteilt, könnte man noch darüber diskutieren, welche Seite mehr Sandburgen baut und welche Seite lieber trampelt und rumschmeisst… ich so halbwegs vom Rand hätte da meine persönliche Meinung … aber das darf jeder selbst für sich entscheiden!
Comment by Geisterkarle — 4.09, 2013 @ 07:54
Hallo Herr Stadler,
eine kleine Frage habe ich zu Ihrem Satz. „Liebe Diskutanten,
sollte jemand meinen, dieser Blogbeitrag würde die Gelegenheit für eine deftige Kritik an Feministinnen bieten, dann werde ich ausnahmsweise von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Kommentarfunktion zu deaktivieren.“
Ist „deftige Kritik“ (welche durchaus sachlich sein kann) generell nicht erwünscht, nur auf juristischer Basis erwünscht oder nur zum Thema Feminismus unerwünscht?
(Natürlich gäbe es weitere Konstellationen. Da Sie aber Jurist sind und das Thema mit Feminismus zu tun hat, habe ich diese gewählt. Ich meine die Frage auch keineswegs rhetorisch.)
Comment by Sascha — 4.09, 2013 @ 08:07
Mich erinnern solche Diskussionsstränge an Leute, die vorgeben zu denken und es im Endeffekt gar nicht können. Entsprechend unstrukturiert fällt das Ergebnis aus.
Ich beziehe mich hier natürlich auf die von Hrn. Stadler referenzierten Beiträge und nicht auf den Beitrag von Hrn. Stadler selbst ;)
mfg.de
Comment by DerExperte — 4.09, 2013 @ 08:32
Und ich habe mich gewundert, warum es nach so vielen Jahren Feminismus eine Kristina Schröder gibt, die es zur Ministerin gebracht hat. Jetzt weiß ich die Antwort.
Comment by staarman — 4.09, 2013 @ 11:03
Also ich fand Kerstin Ludwigs Polemik lesenswert, habe mich aber beim fuckmothers Artikel in der Mitte ausgeklinkt (ein Fehler, denn sonst ist Ludwegs Text wenig verständlich). Liegt den fuckmothers etwas an ihren Texten, so sollten sie für jede Auseinandersetzung damit dankbar sein.
Ich halte die Antwort CARTAs für sehr korrekt.
Warum: weil es Toleranz braucht und weil ich keine Lust habe in immer dem selben Netzgeschwabbel gefangen zu sein. Ich brauche nicht meine Meinung – denn die habe ich schon – ich brauche andere Meinungen – auch die zwischen den Zeilen.
Wer bei einer anderen Meinung aus Protest wegen mangelhafter political correctness droht auszusteigen, der hat’s einfach nicht verstanden. Es wäre durchaus möglich und sinnvoll einen Gegenartikel zu formulieren.
Übrigens, Stadlers (ansonsten lesenswerter) Blogeintrag hier wertet ohne dass es irgend einen Informationsgewinn dadurch gibt. Das war nicht notwendig.
Der Rest des Artikels aber schon.
Comment by Joachim — 4.09, 2013 @ 11:08
Zur Heldenverehrrung: Aus meiner Sicht ist die Frage, ob Assange oder Snowden „Helden“ seien uninteressant. Wichtig ist nur der Umgang der Gesellschaft mit Kritikern. Da sind die Fehler. Zudem zeigen ihre Inhalte unsere(!) Fehler auf.
Wer sie aber als „Heilige“ verehrt, dem ist kaum mehr zu helfen. Glauben tue ich in der Kirche. Geschieht das in Politik oder Presse, dann ist das ein Hinweis auf Inkompetenz oder gar der Versuch abzulenken.
Comment by Joachim — 4.09, 2013 @ 11:19
Der Punkt ist doch nicht, dass der Text von Fuckermothers nicht zu kritisieren oder allgemein zu diskutieren wäre – ich hätte eine Reihe von Punkten, zu denen ich anderer Meinung wäre oder weiterführende Punkte hätte. Aber das kann weder in einem „Rant“ wie dem von Kerstin Ludwig geschehen, der den Inhalt des Textes vollständig ignoriert, noch in einem Beitrag wie dem von CARTA oder auch diesem hier, in denen es eigentlich um etwas anderes geht.
Die Zusammenfassung des Textes hier ist etwas einseitig, denn sie lässt den Rahmen weg, in dem der Text steht. Dadurch wird der Eindruck erweckt, es ginge vorrangig darum Lobo (und andere) für das zu kritisieren, was sie tun. Aber darum geht es nicht, es geht um die Strukturen, in denen sie es tun. Sascha Lobo macht sich darüber übrigens immer wieder Gedanken (ein Grund, warum ich ihn mag und gerne lese), insofern hätte man sicher bessere Beispiele finden können als ihn, um perspektivische Mängel der Netzgemeinde zu beleuchten, aber andererseits ist er Teil einer mehrfach privilegierten Gruppe und muss (und kann) es sicher aushalten, auch mal als Teil einer Machtstruktur beschrieben zu werden (genauso, wie Stefanowisch und auch Stadler das mal aushalten müssen und können). Das macht den Text von Fuckermothers schwer zu lesen, aber nicht unsachlich.
Was die Heldenverehrung von Snowden angeht (die auch niemand im Grundsatz, sondern eben in ihrer Einseitigkeit kritisiert), hier fünf Überschriften aus den letzten zwei Wochen (nur „Qualitätsmedien“):
Snowden – ein Held unserer Zeit (NZZ, 3.9.13)
„Edward Snowden ist ein Held“ (KStA, 27.8.13)
Enzensberger zu Snowden: Ein Held des 21. Jahrhunderts (FAZ, 19.8.13)
Für die USA ein Verräter – für Bürgerrechtler ein Held (SRF, 30.8.13)
Edward Snowden – Held oder Verräter? (MDR, 4.9.13)
Comment by astefanowitsch — 4.09, 2013 @ 14:26
@3 Das ist doch nur eine Herausforderung, das geschickt zu umgehen.
@6 Nicht wissen oder nicht drum scheren, wie überhaupt rational argumentiert wird, ist Kernstück des real existierenden Feminismus. Leider, denn es gäbe ja ein reales Feld zu beackern.
„X steht für Y“, „A spiegelt B wieder“, u.s.w. alles ohne weitere Begründung, warum das so sein soll. Symbolismus statt Syllogismus. Lauter „Argumente“, die aussehen, als wären sie gerade erst der pseudoakademischen Irrenanstalt namens Psychoanalyse entsprungen, was mehr als ironisch ist, da der Spinner Freud den Feministinnen keine solche bereitet, da sein Spin ein anderer war.
Comment by ThorstenV — 4.09, 2013 @ 14:46
@10 ThorstenV
Soll der Beitrag ein Beweis für die „geschickte Umgehung“ sein? Ist es nicht. Die Vorwürfe wie
„Nicht wissen wie rational argumentiert wird“,
„Symbolismus“
treffen ausschließlich auf den „Beitrag“ selbst zu und der hat mit Feminismus nichts zu tun. Troll. Wirklich nicht lustig.
Comment by Joachim — 4.09, 2013 @ 14:59
Wer die Szene kennt: es war nichts anderes zu erwarten. Die RadikalfemministInen fordern Zensur und schmollen. Argumente und Fakten sind Mangelware. Wen interessiert es ob, Stefanowitsch und Schrupp noch weiter bei Carta schreiben? Interessant finde ich das:
‚Carta ist als Blog den Normen des Qualitätsjournalismus verpflichtet‘. Meinen die das ironisch? Ich fand den Rant nicht schlecht, aber von Frau Schrupp habe ich bisher nur wenig und dann nichts gutes gelesen, wie z.B. dass die Gleichberechtigung erst erreicht ist, wenn Frauen in der Mehrheit sind http://www.danisch.de/blog/2013/06/02/gender-mathematik-50-reichen-nicht-bei-der-frauenquote/
Auf Ihre Posts zur Sache kamen bisher keine Antworten.
Comment by Don — 4.09, 2013 @ 15:43
@astefanowitsch:
Ich möchte mit Dir jetzt nicht in eine Diskussion darüber einsteigen, wer von uns beiden den einseitigeren Beitrag bzgl. des Texts von Fuckermothers geschrieben hat. Mich irritiert aber weiterhin, dass Du die aus meiner Sicht recht eindeutige Konnotation des Beitrags von Fuckermothers ignorierst. Natürlich geht es dort darum, die Bedeutung der Snowden-Enthüllungen zu relativieren und auf die Netzaktivisten einzuprügeln. Lobo ist da quasi nur der Prügelknabe. Es ist aber auch fragwürdig so zu tun, als sei die Szene der Netzaktivisten ein homogoner Haufen und Teil einer einheitlichen Machtstruktur. Das ist nämlich nicht der Fall.
Comment by Stadler — 4.09, 2013 @ 16:04
bleibt zu ergänzen (zu 14 Stadler), dass die Frauenbewegung ebenfalls keinen homogenen Haufen repräsentiert.
Termini wie „RadikalfemministInen“ sind auch dumme Torschlagargumente. Ob solcher Äußerungen kann man auf die Idee kommen, sie könnten gar nicht radikal genug sein.
Wo uebermothers wirklich falsch liegt – bei aller Sympathie und einigen wahren Punkten: Die Heldenverehrung wird einfach generiert und instrumentalisiert. Das hat aber auch gar nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Siehe (mein) 9, letzter Absatz. Ein wichtiges Thema (Überwachung) konkurriert nicht gegen andere wichtige Themen (die sogenannten Seiten-Schauplätze). Mies bleibt mies. Dummer Streit und konstruierte Schuldzuweisungen ändern daran leider gar nichts.
Können wir uns darauf einigen? Oder möchtet ihr Euch weiter selbst zerfleischen?
Comment by Joachim — 4.09, 2013 @ 17:51
@Stadler
Ich habe das schon bei Twitter etwas schlampig hingerotzt und denke, bei dir kann ich auch mal ein wenig ausdifferenzieren, schließlich schätze ich deine Liebe zur Diskussion, auch wenn ich sie in diesem speziellen Fall für fehlgeleitet halte: Nicht alle Positionen einer Diskussion sind gleichermaßen Wert, eine Plattform zu finden.
Es gibt schlicht unlautere Diskursstrategien, die man moralisch ablehnen mag, die man aber auch ob ihres zerstörerischen Einflusses auf den Diskurs an sich ablehnen kann. Zu solchen Strategien greifen wir alle immer mal wieder, manchmal unbewusst, manchmal in voller Absicht, verstärkt jedenfalls dann, wenn unser Weltbild und unsere Identität in einem Diskurs zur Disposition stehen.
Bei Carta wurde durch den ursprünglichen Beitrag völlig willkürlich eine Grenze von „die und wir“ gezogen. Zusätzlich wurde ein klassischer Strohmann von „Radikalfeministen“ aufgebaut: Es gibt diese Gruppe nur durch die Zuschreibung von jenen, die vereint sind durch ihre Ablehnung von Diskursen, die ihre Identität hinterfragen. Alle Diskutanten werden infolge entweder als zugehörig zu „uns“ oder „denen“ kategorisiert.
Nun kommt die perfide Volte, und man muss das mal in aller Deutlichkeit sagen, wie sehr die folgende Diskursstrategie historisch vorbelastet ist: Die „Nicht-Wir“ Gruppe wird dämonisiert, mit erfundenen Zuschreibungen von Werten und Verhalten belegt. Und dann wird der Unwille von Diskutanten, sich an einer Auseinandersetzung über eine Chimäre zu beteiligen, auch noch gegen die vormals konstruierte Chimäre verwendet, der nun auch die sich dem Diskurs entziehenden Diskutanten zugerechnet werden:
Die Chimäre ist selbst schuld, dass es eine Gegenbewegung zu ihr geben muss. Und als Beweis werden dann tatsächlich existierende Einzelfälle herangezogen, von denen völlig unzulässig auf die Verfasstheit aller Personen geschlossen wird, die der Chimäre zugerechnet werden.
In Deutschland kennen wir diese Diskursstrategie als: Der Jude ist selbst schuld am Antisemitismus.
Der Schluss von Einzelfällen auf eine konstruierte Chimäre oder wenigstens ein Zerrbild einer Gruppe, dem müssen wir uns in einem Diskurs grundsätzlich entziehen. Da müssen wir uns auch mal an die eigene Nase fassen, denn nur zu gerne konstruieren wir uns Feindbilder, damit wir uns unserer eigenen Identität gewisser sein können. Das ist leider menschlich und wir machen halt Fehler.
Einer Plattform allerdings, die einen Diskurs beherbergt, sollte daran gelegen sein, vergiftete Scheinargumente zu identifizieren und nicht zuzulassen.
Denn der traurige Witz ist ja, dass wir die Ängste von Leuten ernst nehmen müssen, die sich von gesellschaftlichen Veränderungen oder Bewegungen bedroht fühlen. Wenn wir aber der bloßen Artikulation dieser Ängste in Form von Diskurszerstörung Raum geben, verhindern wir gerade eine Annäherung an Erkenntnis.
Es gibt also kein Zerfleischen und es gibt auch keinen Sandkasten. Es gibt nur die Entscheidung, im vorliegenden Fall, von Leuten, sich einem zerstörerischen Diskurs zu entziehen. Es gibt schließlich genügend Plattformen und jedem und jeder ist wohl frei gestellt, das Maß ihrer Geduld selbst zu bestimmen. Insbesondere weil vergiftete Plattformen Trolle mit ihrer ganz eigenen Agenda anziehen, wie Scheiße Fliegen und so ein Teufelskreis entsteht, wo Ausdifferenzierung immer schwieriger wird.
Comment by erz — 4.09, 2013 @ 18:34
@12 Wollen mal sehen.
„Zum Beispiel die selbstgerechte Art, mit der Sascha Lobo und andere die Sache skandalisieren.“
Der an rationale Argumentation Gewöhnte erwartet, dass jetzt oder sonstwo im Text Beispiele für diese „selbstgerechte Art“ kommen und insb. dargelegt wird was daran selbstgerecht ist. Pray tell where?
Lobo legt auch nicht etwa einen Skandal dar, nein, er skandalisiert. Worin genau besteht das? Was tut er da?
Was genau an dem, was er tut, ist falsch oder schlecht?
Stattdessen geht es einfach weiter im Text.
„Diese Art erinnert an den kritischen Staatsbürger, wie er uns im Sachkundeunterricht beigebracht wurde:“
Diese Art, über die uns nichts Greifbares gesagt wird, außer dass sie eine von vielen möglichen selbstgerechten Arten sein soll und irgendwie „skandalisiert“, erinnert „uns“ an den Sachkundeunterricht. Ist „uns“ die Verfasserin? Über den Sachkundeunterricht welches Bundeslandes und zu welcher Zeit sprechen „wir“? Inwiefern ist an diesen erinnert? Wie wurde in diesem der „kritische Staatsbürger“ beschrieben?
„Wir erleben hier den Sieg des Positivismus gegenüber jeglichem kritischen Denken.“
Welcher Positivismus ist hier gemeint? Es gibt beispielsweise einen in der Rechtswissenschaft und einen in der Philosophie. Als Vertreter der philosophischen Richtung gilt etwa Ludwig Boltzmann. Der schreibt etwa in einem Buch, das sich ausdrücklich an die Allgemeinheit richtet
„Unsere Aufgabe kann nicht sein, das Gegebene vor den Richterstuhl unserer Denkgesetze zu zitieren, sondern vielmehr unsere Gedanken, Vorstellungen und Begriffe dem Gegebenen anzupassen. Da wir so komplizierte Verhältnisse nur durch Worte, geschriebene, gesprochene, oder stillgedachte klar auszudrücken vermögen, so kann man auch sagen, wir haben
die Worte so zusammenzustellen, daß sie dem Gegebenen
überall den passendsten Ausdruck verleihen, daß die von
uns zwischen den Worten hergestellten Zusammenhänge
überall den Zusammenhängen des Wirklichen möglichst adäquat sind.“
http://archive.org/stream/populreschrifte00boltgoog/populreschrifte00boltgoog_djvu.txt
Nun hat aber in der Welt der Verfasserin irgendwie der Positivismus den Sieg über kritisches Denken davongetragen. Anscheinend gab es da einen Gegensatz (erklärt wird das nicht) einen Kampf (keine Erläuterung dazu) und der eine hat den anderen überwunden (keine Details). Wie soll man sich damit auseinandersetzen, wenn nicht einmal klar ist, was überhaupt gemeint ist?
„Die Empörung spiegelt – so meine Einschätzung – die Sehnsucht nach einem „guten Vater Staat“ oder dem „guten Regieren“,“
Unberündete Einschätzung, aber interessanterweise mal nahe an der Realität. Ich jedenfalls sage für mich: ja genau, das will ich. Ich will nicht Merkel am Galgen baumeln sehen, um meinen männlichen Blutdurst zu stillen, ich will tatsächlich, dass sich der Staat verbessert. Deswegen mache ich Vorschläge, was getan werden könnte, um den Staat zu verbessern. Deswegen versuche ich andere davon zu überzeugen, sich diesen Vorschlägen anzuschließen. Deswegen versuche ich möglichst klar darzulegen, was falsch ist und warum. U.s.w..
Allerdings brauch ich, um diesen relativ übersichtlichen Zusammenhang zu beschreiben nirgends das Verb „spiegeln“, sondern ich kann ohne Weiteres in wenigen Worten darlegen, warum ich hoffe, das meine Äußerungen etwas bewirken können und welche Mechanismen ich einsetzen will.
„und sie spiegelt die Erleichterung, über etwas sprechen zu können, bei dem man ganz sicher auf der richtigen Seite steht („der böse Staat verrät seine Bürger_innen“).“
Hier spiegelts nun also. Inwiefern? Was soll das heißen? Wie spiegelt die Empörung eine Erleichterung? Wer empört ist, ist ja für gewöhnlich gerade nicht erleichtert. Von welcher Beschwernis wurde hier erleichtert?
Das ist die übliche pseudointellektuelle Diktion, wie man sie typisch auch in der Psychoanalyse findet, alles kann für alles stehen, einfach weil dem Schreiber das so scheint. Jede Aktion (Empörung) ist nur Ausdruck für irgendetwas ganz anderes Tieferes (Erleichterung), was natürlich nur der Schreiber durchschaut und unhinterfragbar ist. Because I tell you so. http://lexikon.stangl.eu/665/verschiebung/
„Letztlich ist es wie mit dem – nicht zufällig so erfolgreichen – Occupy-Slogan: „We are the 99 Percent“. In diesem Slogan kann sich jede_r, wirkliche JEDE_R wiedererkennen und als Opfer produzieren. Zugespitzt: Der Slogan steht für die Kapitulation der Gesellschaftskritik vor der Bescheidwisserei des Wutbürgers.“
Verfolgen wir diese Argumentation mal zurück: Gesellschaftskritik kommt unter die Räder. Das ist schlecht. Diese Schlechtigkeit überträgt sich zurück per „steht für“ auf den Occupy Slogan. Von da weiter zurück per „letztlich ist es wie“ auf die Empörung von Sascha Lobo.
Irgendwie ist jetzt also Sascha Lobo mit seiner Empörung darüber, dass die Gesellschaftskritik über die NSA nicht genug bewirkt, dafür verantwortlich, dass Gesellschaftskritik unter die Räder kommt. Wird dann wohl so sein, wenn das so dafür steht und spiegelt. Ein tragfähiges Argument ist mir auf dem Weg durch den Wirrwarr allerdings nicht begegnet.
Wär ja alles ein kleineres Problem, wenn nicht das Verstecken der eigenen Dummheit hinter undurchdringlichen Formulierungen dazu führen würde, dass echte Intellektuelle, die nicht einfacher formulieren können, weil es die Komplexität der Materie nicht erlaubt, gleichzeitig kurz und einfach zu schreiben, in Verruf kommen, weil die Texte für den oberflächlichen Betrachter gleich undurchdringlich wirken. too intellectual; didn’t read
http://www.physics.nyu.edu/sokal/transgress_v2/transgress_v2_singlefile.html
https://josephinechaos.wordpress.com/2013/06/28/ich-bin-nicht-die-intellektuellen/
Comment by ThorstenV — 4.09, 2013 @ 19:10
@15 „Ein wichtiges Thema (Überwachung) konkurriert nicht gegen andere wichtige Themen (die sogenannten Seiten-Schauplätze).“
Das ist einfach falsch. Natürlich konkurriert es um das knappe Gut Aufmerksamkeit. Um Unterstützung. Um Wählerstimmen.
Hier geht es um drei Themen
1) NSA
2) Feminiusmus
3) feministische Aspekte von 1)
Davon halte ich 1) und 2) für zentrale Themen, 3) aber für ein Nebenthema. Lenkt man Aufmerksamkeit zu 3) so geht das auf Kosten von irgendwas, dafür kommen 1) sowie 2) in Frage. Das ist die Gefahr der Nebenschauplätze.
Comment by ThorstenV — 4.09, 2013 @ 19:37
„Bei Carta wurde durch den ursprünglichen Beitrag völlig willkürlich eine Grenze von “die und wir” gezogen.“
Es werden zwei konkrete Beiträge konkreter Blogs als Beispiele betrachtet. Kritik zu äußern zieht wie jede Äußerung nuneinmal unvermeidlich eine Grenze zwischen denen, die ihr zustimmen und denen, die sie ablehnen. Dabei bleibt schon die Tatsache, was Zustimmung und was Ablehnung ausmacht, der eigenen Beurteilung vorbehalten. Man kann etwa einem Argument zustimmen und ein anderes ablehnen. Ja tatsächlich das geht. Vorzugsweise sollte man sich dazu aber die Mühe machen, sich mit den Argumenten auch zu befassen.
Die Behauptung eine solche Grenzziehung sei willkürlich, wäre zu beweisen. Dazu wäre es dann erforderlich sich von der hohen Warte des Metadiskurses mal auf die Ebene der eigentlichen Sachverhalts herunter zu begeben. Oft wartet man darauf allerdings vergebens.
Comment by ThorstenV — 4.09, 2013 @ 19:51
„Aber darum geht es nicht, …“
Danke für die Textexegese. Muss man ja erstmal wissen, dass es sich um eine hl. Schrift handelt, deren Sinn sich erst durch Auslegung durch das Lehramt erschließt.
„… es geht um die Strukturen, in denen sie es tun.“
Dazu find ich nur im letzten Absatz was und die Aussage dort ist, dass es für Sascha Lobo gut läuft mit seiner freien Meinungsäußerung. Hu? Freie Meinungsäußerung? Ich dachte das große Problem bei der NSA wäre nicht, dass die eine Zensurbehörde ist, sondern dass sie die Privatsphäre verletzt? Äh … naja ein passende Exgese wird das sicher irgendwie oder so …
„…, aber andererseits ist er Teil einer mehrfach privilegierten Gruppe und muss (und kann) es sicher aushalten, auch mal als Teil einer Machtstruktur beschrieben zu werden (genauso, wie Stefanowisch und auch Stadler das mal aushalten müssen und können).“
Genau! Lobo und Stadler müssen das aushalten! Die müssen endlich aufhören sofort nach Zensur zu rufen, wenn sie mal scharf, polemisch oder auch unsachlich kritisiert werden! Ups, ham sie ja gar nicht. Wo hab ich jetzt nur wieder die Nummer der Exegeseshotline hingelegt? Verdammte Schlamperei hier.
„Das macht den Text von Fuckermothers schwer zu lesen, aber nicht unsachlich.“
Genau! Sehr richtig! Der Text wird durch rein gar nix unsachlich gemacht. Das ist er schon. Einfach Kraft dessen, dass er keine Sachargumente enthält.
Comment by ThorstenV — 4.09, 2013 @ 20:33
Ich frage mich ernsthaft, wie viele Bürger kennen diese oben genannten Menschen. Kann man das überhaupt schon mit Prozent ausdrücken?
Mit unbedeutenden Grüßen,
yt
Comment by yt — 5.09, 2013 @ 08:12